Der Hilchenbacher Pionier des Jugendherbergswesens Wilhelm Münker wurde vor 150 Jahren geboren. Ein Gastbeitrag.
„In Kaan-Marienborn kann man vom Friedhof aus bergauf auf dem Kohrweg zu Fuß zu Siegens erster, vor einem Monat eingeweihten Bildungsinsel wandern. Man findet diese dort, wo schon 1998 von der Waldgenossenschaft Kaan-Marienborner Hauberg die Wilhelm-Münker-Buche gepflanzt worden ist. Ein gleichzeitig errichteter Gedenkstein erinnert hier „an den Förderer des naturgemäßen Laub- und Mischwaldes“, der 1958 auch Namensgeber der von ihm gegründeten gemeinnützigen „Wilhelm-Münker-Stiftung“ für Gesundheit, Wandern, Naturschutz und Heimatpflege war.
Noch heute steht in Hilchenbach im Kirchweg 1 das Fachwerkhaus ”Steftsmönkersch”, das Geburtshaus dieses Mannes. Es ist durch eine bronzene Gedenktafel mit seinem Porträt kenntlich gemacht. Diese wurde von der Siegener Bildhauerin Ruth Fay angefertigt und am 19. Mai 1973 feierlich an Münkers 1979 abgerissenem Wohnhaus in der Unterzeche 15 in Hilchenbach eingeweiht. Bis zu seinem Tod in seiner Heimatstadt Hilchenbach am 20. September 1970 lebte er immer bescheiden, anspruchslos und asketisch.
Wer war nun dieser Wilhelm „Willi“ Münker, der vor 150 Jahren am 29. November 1874 in Hilchenbach das Licht der Welt erblickte? Seit 1896 Mitglied, leitete er von 1903 bis 1921 die SGV-Ortsgruppe Hilchenbach. Beeinflusst von der sog. Lebensreformbewegung, war er 1906 Initiator der öffentlichen Badeanstalt und des Licht-Luft-Badevereins in Hilchenbach sowie ein maßgeblicher Förderer der Errichtung des Aussichtsturms auf dem Kindelsberg 1906/07. Bereits 1907 eröffnete der Jugendherbergspionier Wilhelm Münker in Hilchenbach in dem von ihm erworbenen Gebäude „Am Preist 3“ der ehemaligen Rotgerberei von Heinrich Hüttenhein für die männliche Wanderjugend eine Schüler- und Studentenherberge des SGV. Ab 1912 offiziell als Jugendherberge bezeichnet, war sie rückblickend betrachtet die erste ihrer Art auf der Welt. Denn die zur Ruine verfallene Burg Altena musste erst aufwendig instandgesetzt werden, bevor in ihr am 1. Juni 1912 eine Jugendherberge eröffnet werden konnte. Auch im 1911 gegründeten heutigen „Siegerländer Heimat- und Geschichtsverein“ war Wilhelm Münker von Anfang an mit dabei und brachte sich sogleich aktiv in das Vereinsleben ein. So schlug er z.B. 1912 vor, den „Dornbruch“, ein nördlich von Müsen an der Kreisgrenze gelegenes Hochmoor wegen seiner besonderen Pflanzen- und Tierwelt vor einer drohenden Fichtenaufforstung zu schützen. Jahrzehntelang nahm er in zahlreichen Veröffentlichungen in der Zeitschrift „Siegerland“ dieses Vereins, aber auch im „Siegerländer Heimatkalender“ und in eigenen Publikationen zu allen ihn bewegenden Themen Stellung.
Münker kaufte auf eigene Kosten ihm für den Naturschutz geeignet erscheinende Grundstücke auf. „Wandern und Naturschutz berühren sich gar nahe. Jeder rechte Wanderer sollte sich als Schützer der so bedrohten Allmutter Natur fühlen und betätigen.“ und „Es kann dem Menschen nicht gutgehen, wenn er überhaupt nicht geht!“ sind Zitate von ihm in diesem Zusammenhang. Für ihn galt: „Wanderwetter ist für den nicht verzimpelten Menschen immer. Und Wandergebiet ist überall“.
Zusammen mit dem anderen „Ur-Herbergsvater“ Richard Schirrmann (1874-1961), einem ebenfalls hochrangigen SGV-Mitglied, gründete Münker 1919 auf Burg Altena den „Hauptausschuss für Deutsche Jugendherbergen e.V.“ als Reichsverband des Deutschen Jugendherbergswerks (DJH). Der gelernte Industriekaufmann gab zugleich seine Tätigkeit als Gesellschaftergeschäftsführer der Westfalia GmbH in Hilchenbach auf und stellte sein Wohnhaus, sein Vermögen und seine ganze Kraft in den Dienst der Jugend. Er arbeitete seitdem bis 1933 als ehrenamtlicher Hauptgeschäftsführer des DJH. 1921 richtete Münker in Hilchenbach zusätzlich eine Jugendherberge für Mädchen ein. Diese befand sich in einem heute nicht mehr existierenden Bürogebäude der ehemaligen Fournierschneiderei Kohl hinter der Schützenstraße. In Sohlbach im Netpherland ließ er ein stark renovierungsbedürftiges Bauernhaus in eine schmucke Jugendherberge umbauen, die am 12. September 1926 eingeweiht werden konnte.
1933 erzwangen die Nazis die Gleichschaltung und Übernahme des DJH durch die Hitlerjugend (HJ), die am 10. April 1933 die Hakenkreuzfahne vor der in Wilhelm Münkers Haus untergebrachten DJH-Geschäftsstelle gehisst hatte. Die HJ setzte im August 1933 deren Verlegung nach Berlin durch. Die auf dem Galgenberg errichtete neue Hilchenbacher Jugendherberge wurde am 3. September 1933 ohne Wilhelm Münker eingeweiht. Dieser legte Ende des Monats sein Amt nieder, verließ den Verband und verlegte den Schwerpunkt seiner Tätigkeit auf den Heimat- und Naturschutz. Ein großer Erfolg dieser neuen Aktivitäten Münkers war 1938 die Unterschutzstellung der Flächen des damals noch „In den Erlen“ genannten Auenwaldes entlang der Sieg im Bereich der Mündung des Beienbachs zwischen Obernetphen und Deuz.
Seine Heimatstadt Hilchenbach zeichnete Wilhelm Münker am 29. November 1944 als erste Person überhaupt mit der Ehrenbürgerwürde aus, jedoch war im Dritten Reich inzwischen die Aushändigung von Ehrenbürgerurkunden generell bis zum Kriegsende untersagt worden. Münker rechtfertigte diese Auszeichnung im Nachhinein durch sein couragiertes Auftreten in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs. Am 5. April 1945 wanderte er nach Burgholdinghausen, um Walter Neuser, dem damaligen Kreisleiter der Siegerländer NSDAP, die Sinnlosigkeit eines weiteren Widerstandes gegen die anrückende Infanterie der US-Army deutlich zu machen. In der Nacht vom 8. auf den 9. April 1945 verstärkten die vorrückenden Amerikaner den Artilleriebeschuss. Münker eilte mit dem Küster zur Kirche, um die Sturmglocke zu läuten. Jemand meinte, jetzt müsse endlich die weiße Fahne gehisst werden. Münker lief wieder zum Küster und forderte ihn auf, ein großes weißes Tuch an eine lange Stange zu nageln, um diese Fahne bei Tagesanbruch aufzuziehen. Beim Morgengrauen hörte der Beschuss plötzlich auf. Münker ging dann in der Kirchstraße auf die erste amerikanische Patrouille zu und versicherte, dass kein deutscher Soldat mehr in Hilchenbach sei. Entsprechend verhielt er sich gegenüber einer zweiten Patrouille. Noch am Vormittag des 9. April rückten größere Verbände der Amerikaner in Hilchenbach ein. Wilhelm Münker hatte seine Stadt durch sein mutiges und selbstloses Verhalten gerettet.
„Wer etwas als gut und schön erkannt hat, der soll der inneren Stimme folgen, einerlei, was die andern tun und lassen“, war einer der Grundsätze, die nach seinen eigenen Worten stets Wilhelm Münkers Handeln bestimmten. Er war ein konsequenter Verfechter einer natürlichen und gesunden Lebensweise, ein leidenschaftlicher Wanderer, Vegetarier und Kämpfer gegen das Rauchen und den Alkoholmissbrauch. War der ledig gebliebene „Ohm“ also ein notorischer Querulant, fortschrittsfeindlicher Exzentriker oder gar ein Spinner, wie ihn manche Zeitgenossen herablassend bezeichneten, deren Pläne er mit seinen unbeirrbar verfolgten Idealen gefährdete? Wenn man sich etwas näher mit der Person Wilhelm Münker beschäftigt, zeigt sich schon bald, wie unzutreffend diese Bezeichnungen waren, mit denen seine Gegner versuchten, ihn zu diskreditieren und mundtot zu machen.
Schon 1910 schritt Wilhelm Münker gegen übermäßige Reklame ein und war seit 1933, wohl als ihr einziges Mitglied, der Leiter der „Arbeitsgemeinschaft gegen die Auswüchse der Außenreklame“. Als das Hilchenbacher Bekleidungshaus Trainer 1948/49 eine grüne Leuchtreklame anbrachte, empörte er sich darüber, dass solche Reklame für das platte Land passe, wie die Schminke auf die Lippen eines westfälischen Mädchens.
Münkers Verdienst ist es, schon sehr früh die Gefahren der „Verfichtung durch Stangenfabriken“ mit der dadurch bedingten Bodenversauerung und Verschlechterung des Wasserhaushaltes erkannt und ihr mit der Forderung nach Laubmischwäldern entgegengetreten zu sein. 1947 war er Mitbegründer der „Schutzgemeinschaft Deutscher Wald“. Er forderte: „Bodenwuchskraft, Wassermenge und Erholungswert sind wichtiger als höhere, vorübergehende Erlöse der Waldbesitzer. Darum Zukunft über Gegenwart – naturnaher krisenfester Mischwald über Nadelkunstforst“ und er stellte fest: „Innerlich nicht gesunder Wald rächt sich wie alle Vergewaltigung der Natur, schafft unausweichlich klagende Enkel und fluchende Urenkel“. Hierzu veröffentlichte er das 400-seitige Buch „Dem Mischwald gehört die Zukunft – Über 200 fachmännische Stimmen für den Umschwung vom Nadelreinbestand zum naturgemäßen Wirtschaftswald“.
Auch im hohen Alter ließ Wilhelm Münker nicht locker, wenn etwas seinen Grundprinzipien zuwider lief. So wandte er sich 1958 vehement, aber letztlich vergebens, dagegen, für Krombach, das „Dorf des Bieres“, von dem Siegerländer Künstler Hermann Kuhmichel einen von Brauereibesitzer Bernhard Schadeberg finanzierten Bierbrunnen errichten zu lassen. In seinem im Siegerländer Heimatkalender 1968 erschienenen und aus heutiger Sicht geradezu visionären Aufsatz „Wo der Schuh drückt“ führte Münker im Zusammenhang mit dem „naturwidrigen Fichtenkunstforst“ die „unheimliche Dürre“ des Jahres 1959 an. „Wenn nun gar zwei solcher Jahre hintereinander kämen? Es gäbe eine Katastrophe von gar nicht vorstellbarem Ausmaß“. Er musste es nicht mehr mit eigenen Augen mit ansehen, was die zunehmenden Auswirkungen des Klimawandels in den Trockenjahren 2018 bis 2020 mit den dadurch begünstigten Borkenkäferkalamitäten von dem „Brotbaum“ Fichte in den heimischen Monokulturen übrig gelassen haben und wie seine Prophezeiung sich dadurch bewahrheitet hat.
Von 1945 bis 1949 war Münker erneut Geschäftsführer des wieder in seinem Wohnhaus in Hilchenbach untergebrachten DJH-Dachverbandes. Nach Renovierung und Erweiterung diente die Jugendherberge auf dem Galgenberg seit 1951 wieder ihrem ursprünglichen Zweck. Anlässlich einer DJH-Feierstunde auf Burg Altena wurde Münker am 30. Oktober 1949 zum Ehrenmitglied ernannt. Ehrenmitglied war er auch im Deutschen Naturschutzring, im Verband Deutscher Gebirgs- und Wandervereine sowie im Siegerländer Heimatverein. Am 21. Juli 1962 wurde ihm als erstem Träger überhaupt die Freiherr-vom-Stein-Medaille in Gold von der gleichnamigen Hamburger Stiftung verliehen.
Die SGV-Abteilung Hilchenbach betreibt im Insbachtal in Allenbach die „Wilhelm-Münker-Hütte“ und der „Jugendhof Wilhelm Münker“ in Arnsberg ist das offizielle Gästehaus und eine Bildungsstätte des SGV. Zu Ehren Münkers wurde der 90 km lange „Wilhelm-Münker-Weg“ (Hauptwanderweg X10) von Warstein nach Hilchenbach geschaffen.
Am 29. November 1969 bestätigte der Rat der Stadt Hilchenbach urkundlich die Ehrenbürgerwürde Wilhelm Münkers. Seit seinem Tod erinnert die Stadt Hilchenbach nicht nur durch sein Ehrengrab auf dem neuen Friedhof an ihren Ehrenbürger. Bereits seit 1971 trägt in Hilchenbach die Jugendherberge seinen Namen. Seit 2012 wird die „Wilhelm-Münker-Jugendherberge“ in der Wilhelm-Münker-Straße 9 von der Initiative für Freizeit, Bildung und Erziehung (IFBE) betrieben. Seit 1999 gibt es in Hilchenbach einen Wilhelm-Münker-Gedenkstein und eine dazugehörige Rotbuche.
Nach Wilhelm Münker benannte Straßen gibt es auch in Siegen, Arnsberg und Finnentrop-Heggen. Und Kirchhundem-Oberhundem verfügt über einen Wilhelm-Münker-Weg. Bereits am 15. Mai 1974, dem 100. Geburtstag von Richard Schirrmann, erschien eine Sonderbriefmarke der Deutschen Bundespost zum Thema „Wandern gibt Lebensfreude“, die ausdrücklich auch dem 100. Geburtstag von Wilhelm Münker gewidmet war. Ihm zu Ehren führte das Postamt in Hilchenbach Ende 1974 für mehrere Wochen einen runden Handwerbestempel.
Allerdings haben sich weder die Stadt Hilchenbach noch die in der Öffentlichkeit ohnehin seit Jahren so gut wie nicht mehr wahrnehmbare Wilhelm-Münker-Stiftung veranlasst gesehen, den 150. Geburtstag von Wilhelm Münker durch entsprechende Veranstaltungen im Jubiläumsjahr gebührend zu feiern. Auch das Gedenkzimmer, das ihm und seinem Zeitgenossen, dem Hilchenbacher Tierschützer Carl Kraemer, einst im Stadtmuseum in der Wilhelmsburg gewidmet war, gehört inzwischen leider der Vergangenheit an.“