Einer Umfrage zum Atlas der deutschen Volkskunde von 1930 zufolge teilten sich vor gut 90 Jahren Christkind und Weihnachtsmann noch die Arbeit des Geschenkebringens. Während das Christkind vor allem für West- und Süddeutschland sowie Schlesien zuständig war, schleppte der Weihnachtsmann seinen Gabensack durch ganz Mittel-, Nord- und Ostdeutschland. „Seit dem Zweiten Weltkrieg hat sich die Popularität des Weihnachtsmannes jedoch merklich gesteigert, während das Christkind ein wenig in Vergessenheit zu geraten scheint“, beschreibt Christiane Cantauw, Geschäftsführerin der Kommission Alltagskulturforschung beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) die jüngere Entwicklung der Weihnachtsbräuche.
Bereits Martin Luther kannte die Figur des Christkindes. Seine Gestalt verdankt es wohl einem engelsgleichen Wesen, das schon vor der Reformationszeit ausgestattet mit Schleier, Krone und Engelsflügeln bei Weihnachtsumzügen die Engelschar anführte. Der Weihnachtsmann ist eine wesentlich jüngere Erscheinung: Er gesellte sich erst im 19. Jahrhundert zu Nikolaus und Christkind hinzu. In ihm vereinen sich Eigenschaften des Nikolaus und des Knecht Ruprecht, von dem er Pelzrock, Kapuze, Stiefel, Sack und Rute entlieh.
„Der Weihnachtsmann tritt meist als eine Art Vaterfigur mit nahezu unantastbarer Autorität auf. Mit seinem wallenden Glitzerbart erinnert er die Kinder an den gütigen aber auch strengen Gottvater. Er bot der bürgerlichen Pädagogik die Möglichkeit, das Verhalten der Kinder zu belohnen oder zu bestrafen“, erklärt Cantauw. In dem Maße, in dem die pädagogische Seite des Weihnachtsmannes in den Vordergrund rückte, verloren die religiösen Züge an Bedeutung. Ein frühes Bild des Weihnachtsmannes stammt übrigens von Moritz von Schwind, der 1847 einen „Herrn Winter“ kreierte, der als alter Mann in der Christnacht von Tür zu Tür geht und schaut, ob man ihm nicht öffnet und von ihm einen geschmückten Weihnachtsbaum als Geschenk annimmt. Zu dieser Zeit gab es jenseits des Atlantiks bereits die Illustrationen eines Mannes mit rotem Mantel auf einem Rentierschlitten. Sie wurden 1821 in einem kleinen Büchlein von William B. Gilley „The Children’s Friend: A New-Year’s Present, to the Little Ones from Five to Twelve“ veröffentlicht. Weitaus populärer wurden dann allerdings die Zeichnungen des Pfälzer Amerikaauswanderers Thomas Nast, dessen Weihnachtsmannzeichnungen aus den 1860er Jahren 70 Jahre später zum Vorbild der Coca-Cola-Werbung der 1930er Jahre wurden.
Nicht nur die Gestalt der Geschenkebringer, sondern auch das Weihnachtsfest selbst veränderte sich in den vergangenen zwei Jahrhunderten drastisch: Der 24. Dezember ist heute als Heiliger Abend der Hochtag der Geschenke und des guten Essens. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte der „Wiehnachtsowend“, „Christowend“ oder „Chrisdagsobend“ für die katholische Bevölkerung in den ländlichen Gebieten Westfalens eine ganz andere Bedeutung: „Der 24. Dezember wurde als ein Fastentag vor einem hohen Feiertag angesehen. Die Menschen arbeiteten mindestens bis mittags, erst danach konnten sie letzte Vorbereitungen und Besorgungen für das Weihnachtsfest erledigen. Und dann ging man zeitig zu Bett, schließlich begann die Christmette am 1. Weihnachtstag bereits zwischen drei und fünf Uhr morgens“, so Christiane Cantauw.
Ähnlich wie am Nikolaustag stellten die Kinder am Abend des 24. Dezembers einen Teller vor die Tür. Am Weihnachtsmorgen war der Teller dann mit Süßigkeiten, Backwaren und Obst gefüllt. Im Laufe der Zeit traten mehr und mehr auch warme Winterkleidung, Schulsachen und das ein oder andere Spielzeug zu den Weihnachtsgeschenken hinzu. Vor 1900 fiel die weihnachtliche Bescherung in den meisten Familien in Westfalen aber eher bescheiden aus.
In den 1950er Jahren gab es in Münster einige Zeit lang den Brauch, Verkehrspolizisten zu bescheren. Mit dem zunehmenden Autoverkehr in der Innenstadt kam die Gepflogenheit auf, den Verkehrspolizisten in den Vormittagsstunden des Heiligen Abends Präsente zu überreichen wie zum Beispiel eine Flasche Wein, einen Kasten Bier, eine Packung Zigaretten oder eine Schachtel Pralinen. „Die Geschenke kamen weniger von Passanten als
vielmehr von Fahrern und Insassen der Autos. Die Wagen fuhren langsam und die Fahrer reichten die Gaben aus dem Fenster. Oft waren diese Geschenke für einen bestimmten Polizisten gedacht, dem man tagein, tagaus auf dem Weg zur Arbeit oder nach Hause begegnete“, erzählt Cantauw.
Feuchtfröhliche Feste feierten die Hüter des rollenden Verkehrs aber nicht mit den teilweise hochprozentigen Gaben. Denn die Beamten durften die Präsente nicht behalten. Vielmehr sammelten sie die Geschenke und gaben sie an ein Altersheim oder andere soziale Einrichtungen weiter. Dieser Brauch existierte auch in anderen Teilen Westfalens. So war er beispielsweise bis in die Mitte der 1960er Jahre auch in Hagen bekannt.
Quelle: LWL, Pressemitteilung 20.12.2021