Eine einzigartige Episode in der Geschichte des Landes Nordrhein-Westfalen.
Im Zuge der bundesweiten kommunalen Neugliederung der 1960er und 1970er Jahre erfolgte Anfang 1975 die Vereinigung der Kreise Siegen und Wittgenstein.
Nicht jeder war glücklich über diese Entwicklung. Die Tatsache, dass man dem neuen Gebilde den Namen „Kreis Siegen“ gab und Wittgenstein nicht berücksichtigt wurde, führte zu Verstimmungen.
Der Weg hin zur Umbenennung des Kreises in „Siegen- Wittgenstein“ sollte lang und kompliziert werden.
Schon im Zuge der Neugliederung hatte der Kreistag des Kreises Wittgenstein im Sommer 1973 beschlossen, dass der neue Kreis den Namen „Siegen-Wittgenstein“ erhalten sollte. Auch auf Siegerländer Seite vertrat man diesen Vorschlag und stellte sich gegen die für die Namensänderung zuständige nordrhein- westfälische Landesregierung.
Der Landtag hatte sich bei den Namensgebungen entweder am Sitz des jeweiligen Kreises, bzw. an Städten generell oder an einer Landschaftsbezeichnung orientiert.
Ohnehin waren Doppelnamen nicht gerne gesehen. Kurze Namen gleich weniger Kosten in Wirtschaft und Verwaltung; diese Meinung vertrat NRW-Innenminister Weyer. Auch die immer häufiger verwendete EDV habe mit kürzeren Wörtern weniger Probleme. Als weiteres Argument wurde die sich abzeichnende Automatisierung bei der Bundespost angeführt. Bezeichnungen, die 16 Buchstaben oder mehr aufwiesen, würden bei den neuen Geräten zu Komplikationen führen.
Im Mai 1976 beschloss der Kreistag, den Namen des Kreises in „Kreis Siegen-Wittgenstein“ zu ändern und mit einem entsprechenden Antrag an die Landesregierung heranzutreten.
Per Erlass des Innenministers wurde eine Namensänderung abgelehnt, weil die gewünschte Bezeichnung nicht mit den Grundsätzen der kommunalen Neugliederung konform gehe („Doppelnamen sind grundsätzlich unerwünscht“). Die Bezeichnung der Stadt Siegen als Kreissitz in Kombination mit einer Landschaftsbezeichnung, die nicht auf das gesamte Kreisgebiet anzuwenden ist, sei zudem nicht vertretbar.
Eine Rolle bei der Ablehnung dürfte wohl auch die Sorge um eine Signalwirkung für die Änderungswünsche anderer Kreise gespielt haben.
In Wittgenstein hatte der Wunsch nach einem Doppelnamen nicht nur emotionale Gründe. Man sah durch die Nichterwähnung der „Marke“ Wittgenstein im Kreisnamen den Tourismus als Einnahmequelle gefährdet. Auch sollte der Name eigentlich auf den Wirtschaftsraum Wittgenstein aufmerksam machen.
Nach der Ablehnung des Innenministers ließ Oberkreisdirektor Forster den Kreisausschuss wissen, dass man zumindest dafür sorgen werde, dass der Begriff „Wittgenstein“ dort Berücksichtigung finden werde, wo es möglich sei, etwa beim „Verkehrsverband Siegerland-Wittgenstein“.
Auch der Wittgensteiner Heimatverein bemühte sich um eine Namensänderung. 1975 erging ein entsprechender Antrag an den Kreis, der auch von manchem Siegerländer unterstützt wurde.
Ein weiterer Antrag des Kreises auf Namensänderung an den NRW-Innenminister 1979 und ein Antrag der Stadtverordnetenversammlung von Bad Berleburg 1980 gingen nicht zuletzt auf die Initiative des Heimatvereins zurück. Diese und weitere Anträge wurden abgelehnt.
Doch 1983 witterte man Frühlingsluft. Im Kreistag war zu hören, „daß die zunächst sehr starre Haltung des Landes hier etwas in Bewegung gerate“ und „daß die Meinungsfront im Landtag offensichtlich doch nicht so einheitlich sei wie oft dargestellt werde“.
Der nun folgende Antrag hatte endlich Erfolg. Am 20. Dezember 1983 wurde das Sauerland/Paderborn-Gesetz geändert und trat am 1. Januar 1984 in Kraft. Der Kreis hieß nun endlich „Siegen-Wittgenstein“.
Bei der entscheidenden Sitzung im Landtag am 14. Dezember betonte der Abgeordnete Mernizka (SPD), „daß Wittgenstein aufgrund seiner historischen Bedeutung, aber auch geografischen Situation ein Anrecht darauf hat, daß sein Name auch offiziell im Kreisnamen mit enthalten ist, wodurch zugleich die Identifikation der Bevölkerung mit diesem Kreis verbessert wird“.
Der Abgeordnete Knipschild (CDU) ließ das Plenum wissen: „Dies ist ein Tag der Freude für die Bevölkerung einer Region, die in geografischer, topografischer und wirtschaftsstruktureller Hinsicht nicht zu den bevorzugten Teilen unseres Landes Nordrhein-Westfalen gehört und die mit der kommunalen Neugliederung 1975 ihren seit Jahrhunderten angestammten Eigennamen verloren hat“.
Zudem hob er noch hervor: „abschließend möchte ich als Wahlkreisabgeordneter allen Bürgern danken, die seit der Neugliederung am 1. Januar 1975 zu keinem Zeitpunkt in der Verfolgung ihres Zieles, sich wieder „Wittgensteiner“ nennen zu dürfen, müde geworden sind und nie resigniert haben“.
Text: Sonja Schäfer
Ausfertigung des Gesetzes vom 20. Dezember 1983 aus dem Landtagsarchiv Nordrhein-Westfalen: Gesetz 01.01.1984_GD_LandtagNRW_09_62
Quellen:
Kreisarchiv Siegen-Wittgenstein, Bestand Amt 10, Handakte, „Name des Kreises nach der Neugliederung“
https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMP09-87.pdf
Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen, Nr. 65, 29.12.1983
Mecking, Sabine, Bürgerwille und Gebietsreform: Demokratieentwicklung und Neuordnung von Staat und Gesellschaft in Nordrhein-Westfalen 1965-2000, München 2012
https://www.wp.de/staedte/wittgenstein/erst-50-jahre-taetig-aber-schon-100-jahre-alt-id8492075.html
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