Wie Comics vom Holocaust erzählen

Um Studierende und Lehrer*innen im Umgang mit Antisemitismus besser vorzubereiten, startet die Universität Siegen ein neues Projekt zu pädagogischen Konzepten. Literatur bei der Thematisierung des Holocausts im Unterricht hat dabei eine wichtige Aufgabe.

Bei der Projektvorstellung im Aktiven Museum Südwestfalen (von links): Prof. Dr. Daniel Stein, Lehramtsstudentin Britta Hönes, Dr. Jens Aspelmeier und Dr. Jana Mikota.

Man denkt, dass Schulen in den vergangenen Jahrzehnten einen guten Umgang gefunden haben, den Holocaust im Unterricht zu thematisieren. In Geschichte, im Deutschunterricht, in Religion. Aber dem ist oft nicht so. Lehrerinnen und Lehrer nutzen Konzepte und Literatur, die vertraut sind: „Das Tagebuch der Anne Frank“ oder „Damals war es Friedrich“. Aber erreichen sie damit heute die Kinder und Jugendlichen? „Gerade in Zeiten, in denen Antisemitismus zunimmt und sich das an den Schulen, wie in einer Art Mikrokosmos, besonders deutlich zeigt, ist es enorm wichtig, über die Shoah zu sprechen“, sagt Dr. Jens Aspelmeier. „Aber es braucht neue Formen der Vermittlung, der Medien und der Literatur, um das Interesse der Schülerinnen und Schüler für das Thema zu gewinnen und deutlich zu machen, was Jüdisch-sein in Deutschland bedeutet – damals und heute.“

Dr. Jens Aspelmeier ist Direktor des Zentrums für schulpraktische Lehrerausbildung Siegen und weiß daher sehr gut, dass sich Lehrerinnen und Lehrer bei dem Thema oft alleingelassen fühlen. „Antisemitismus ist ja nicht nur Diskussionsstoff für die Oberstufe, sondern findet auf dem Schulhof statt und das schon in der Grundschule.“ Politische, ethnische und religiöse Konflikte seien an der Schule „wie unter einem Brennglas“ zu finden. Der Nahost-Konflikt spült israelbezogenen Antisemitismus hoch. Bildungsarbeit zur Shoah, die nie einfach war, kämpft mit einer politischen Gemengelage voller Feindbilder. Mit Appellen und Betroffenheit kommt man nicht weit.

Pädagogische Konzepte zur Antisemitismusprävention und zum Umgang mit der Shoah im Unterricht sind daher dringend gefordert. Um Studierende im Lehramt im Umgang mit diesem Thema besser vorzubereiten, aber auch um Referendar*innen und Lehrer*innen Anregungen zu geben, startet die Universität Siegen im Wintersemester 2024/2025 ein dreisemestriges Verbundprojekt zur Holocaust-Erziehung. Beteiligt sind zwei Fächer der Philosophischen Fakultät, das Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung (ZfsL) Siegen, regionale Schulen, das Aktive Museum Südwestfalen und darüber auch die Gedenkstätte Beit Terezin in Emek Hefer (Israel).

Im Mittelpunkt steht die Erinnerungskultur vermittelt durch Literatur und dabei insbesondere durch grafische Erzählungen wie Graphic Novels, also Comicromane. „Graphic Novels verbinden Text und Bild miteinander und entsprechen den Sehbedürfnissen jungen Menschen“, erklärt Prof. Dr. Daniel Stein von der Universität Siegen. Der Amerikanistik-Professor hält im Wintersemester das Seminar „The Shoah in Comics“ für Lehramts- und Fach-Studierende im Master. „Es werden immer weniger Zeitzeug*innen in Schulen von ihren Erlebnissen berichten können und dennoch müssen wir Studierenden und Schüler*innen Zugänge zu dem Thema verschaffen, das so unvorstellbar ist.“ Die graphische Literatur könne das. Der Erfolg von Art Spiegelmanns Comic „Maus“ zeige das sehr gut, so Stein. „Graphic Novels können eine Alternative zu der bisherigen Erinnerungsliteratur sein.“ Auch da gehe es um Aussagen von Überlebenden. „Das kann eine wichtige emotionale Wirkung auf Schüler*innen entfalten.“

In der Germanistik bietet Dr. Jana Mikota das Seminar „Jüdische Kinder- und Jugendliteratur im 20. und 21. Jahrhundert“ an. Man könne den Holocaust in der Grundschule behandeln, meint die Expertin für Kinder- und Jugendliteratur. „Es gibt da hervorragende Bücher, auch Bilderbücher.“ Trotzdem müsse man sensibel das Alter der Kinder berücksichtigen. „Und sich gegebenenfalls auf Diskussionen mit Eltern vorbereiten.“

Bei dem Projekt ist den Wissenschaftler*innen wichtig, den Blick auch für die Erinnerungskultur anderer Gesellschaften und Länder zu öffnen. „Jüdische Familien in Ungarn, Polen, der Ukraine oder in Russland erzählen ihre eigenen Geschichten, bringen andere Biografien mit nach Deutschland“, so Jana Mikota. „Wir schauen auch auf die Literatur von israelischen Autor*innen, die in der zweiten oder dritten Generation von der Shoah geprägt sind.“

Durch Workshops und die Erprobung ausgewählter Ansätze in beteiligten Schulen ist das Verbundprojekt praxisnah. Neben Studierenden und Lehrkräften spricht man darüber hinaus pädagogische Fachkräfte in allen Bildungsbereichen an. Als Auftaktveranstaltung konnte mit Unterstützung des Hauses der Wissenschaft Ende September bereits eine Lesung und ein Workshop mit Birgit Schaalburg realisiert werden. Die preisgekrönte Berliner Autorin und Zeichnerin stellte die Graphic Novel „Der Duft der Kiefern“ im Aktiven Museum Südwestfalen und am Fürst-Johann-Moritz-Gymnasium vor. Mit Schüler*innen erstellte sie einen kurzen Comic zum Thema Rassismus.

Geplant ist außerdem eine öffentliche Ringvorlesung (Start: 8. Oktober, 18 bis 20 Uhr, Campus Unteres Schloss, US C 116), eine Begleitausstellung, eine Bilanztagung und eine Exkursion nach Theresienstadt. Das Projekt mit dem offiziellen Titel „Learning about the Shoah Through Narrative Art and visual storytelling” –Transnationale Erinnerung in der graphischen Literatur” wird mit 13.000 Euro aus dem Zukunftsfonds NRW für Maßnahmen gegen Antisemitismus gefördert.
Quelle: Universität Siegen, Pressemitteilungen v. 30.9.2024

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