“Köln verdankt Siegerländern den Erhalt der Archivschätze”

Westdeutscher Archivtag 1964 in Siegen

Der Westdeutsche Archivtag war eine aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg stammende jährliche  Zusammenkunft der Archivierenden aus den Ländern Hessen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland Pfalz sowie der angrenzenden Gebiete.[1] In der Nachkriegszeit hatte er in Köln (1961), Koblenz (1962) und Wiesbaden (1963) stattgefunden.[2] 1964 richtete das 50.000 Einwohner zählende Siegen die Veranstaltung aus.
Auf Einladung des Stadtarchivs Siegen waren am 23. Mai d. J. über 50 Archivare[3] aus dem Gebiet zwischen Münster und Speyer gekommen.  Bei der Begrüßung sprach Karl Eckmann, Oberbürgermeister der Stadt  Siegen, im Oraniersaal des Oberen Schlosses, zu den Gästen zur Bedeutung dieser Fachtagung:“Wir Siegerländer sind Föderalisten und infolgedessen keine Befürworter eines Bundeskulturministeriums. Aber wir übersehen nicht die Vielgestaltigkeit der Länderregelungen und die damit verbundenen Nachteile auf den verschiedenen Gebieten, zu denen auch das Archivwesen gehört. Deshalb sind Zusammenkünfte der Archivare zum fachlichen Gedankenaustausch besonders wichtig. Die Begegnung mit Berufskollegen ist vor allem deswegen notwenig, weil die meisten Archive „Einmanarchive“ sind.”  

Über die Bedeutung kommunaler Archivarbeit bemerkte er, dass dieser nicht überall die richtige Bedeutung beigemessen werde. Wenn die Ablieferung des Aktengutes nicht funktioniere, dann könne die Archivarbeit nicht gedeihen. Dabei sei diese für die Verwaltung selbst, aber auch für den Rat der Stadt wichtig.

Der Archivpädagogik und dem kulturellen Selbstverständnis der Archive vorgreifend formulierte Eckmann:
“Archivarbeit müsste volkstümlicher gemacht werden, in der Erwachsenenbildung, in der Jugendarbeit und in der erzieherischen Arbeit schlechthin. Der Archivar muss in der kulturellen Arbeit einer Stadt ein Kristallisationspunkt  werden. Dann wird sich seine Arbeit auszahlen und schon in der Gegenwart wirksam werden”

Schließlich betonte Eckmann den Wert zeitgeschichtlicher Sammlungen, denen man unter Berücksichtigung der örtlichen Begebenheiten in Zukunft Archivare und deren Verwaltungen viel mehr Aufmerksamkeit widmen sollten.
Dr. Arnold Güttsches, Direktor des Historischen Archivs der Stadt Köln, bedankte sich im Namen der Gäste für die Einladung. Er hob die Bedeutung des Siegerlandes für die Evakuierung des Kölner Archivgutes während des zweiten Weltkriegs – 40 LKW-Ladungen wurden in siegerländische und wildenburgische Lagerorte verbracht – hervor[4]:

“Ihren Mitbürgern, allen voran Dr. Hans Kruse, dem unvergessenen Fundator dieses Hauses – der als erster aus einem Heimatmuseum ein wissenschaftliches Institut machte –  verdanken wir, daß das Kölner Stadtarchiv so gut über die Kriegszeiten gekommen ist.”

Ein Imbiss, u. a. mit Siegerländer Riewwekooche, rundete die Eröffnungsveranstaltung ab.
Auf dem Archivtag wurde u.a. die Frage diskutiert, ob man nicht im Siegener Stadtarchiv und der angeschlossenen Forschungsstelle Siegerland eine Mikrofilmstelle einrichten sollte. Da die Siegerländer Archivalien über die Archive halb Europas verstreut sind, dürfte die Arbeit mit Mikrofilmkopien die Möglichkeit bieten, diese weite Verteilung zu überbrücken. Als weiterer Vorteil einer solchen Mikrofilmstelle wurde ihr geringer Platzbedarf angeführt.
In der Tagungsstätte am Oberen Schloss wurde das Museum des Siegerlandes besichtigt. Dr. Bernd Roedig und Alfred Lück, Archivar der Hüttenwerke Siegerland und Vertreter der Vereinigung deutscher Werks- und Wirtschaftsarchivare, führten durch die Sammlungen und das Schaubergwerk. Lück hatte sich auch für eine Führung in der Fürstengruft des Unteren Schlosses, der zweiten Siegener Residenz der Nassauer Landesherren zur Verfügung gestellt.
Über das ursprüngliche Programm hinaus wurde auch die Ruine Ginsburg besucht, die 590m hoch gelegenen Wehranlage an westlichen Ende des Kreises Siegen. Amtmann Gerhard Scholl, zweiter Vorsitzende des Siegerländer Heimatvereins, erläuterte die hier in den letzten Jahren mit beachtlichen Ergebnissen vorgenommenen Ausgrabungen, aus denen neue Erkenntnisse nicht nur für die Baugeschichte gewonnen werden konnten.
In das Stift Keppel, eine Frauen-Schule mit Internat, lud Stiftsoberin Juliane Freiin von Bredow im Namen des Landkreises Siegen zu einer Kaffeetafel ein. Sie gab zugleich eine Einführung in die Geschichte des Stiftes und in dessen Bedeutung. Die Gäste hatten auch Gelegenheit, die aus dem 18. Jahrhunderte stammenden Kirche und Repräsentationsräume zu besichtigen.

Diese Darstellung fußt lediglich auf den unten genannten Quellen. Sowohl die Unterlagen des Siegerlandmuseum und des Siegener Stadtarchivs müssen zu einer Präzisierung der Darstellung durchgesehen werden. Aus den einschlägigen Unterlagen des Kreises Siegen wird dessen finanzielle Beteiligung zu ermitteln sein.
Eine noch fehlende, kurze Darstellung des Siegener Stadtarchivaren Wilhelm Güthling ist zurzeit in Arbeit. Archivgeschichtlich ebenso interessant dürfte eine Beschäftigung mit der Auslagerung Kölner Archivalien (1939ff.) in die Region sein. Zumal die Region nach dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs 2009 zwei Asylarchive aufweist. Gleiches gilt für eine noch zu schreibende Geschichte der westdeutschen Archivtage. So findet sich bspw. im Bestand „Nachlass Papritz“ der Marburger Archivschule unter Nr. 393 ein Aktenband mit „Einladungen, Protokolle, Berichte und Mitschriften von deutschen Archivtagen“ aus den Jahren 1929-1969, in dem sich eine Einladung Papritz´zu einem westdeutschen Archivtag befindet. In der Materialsammlung Friedrich Knöpp (O 61 Knoepp) des Hessischen Staatsarchivs Darmstadt befinden sich unter der Nr. 10 Programme der Westdeutschen Archivtage in Frankfurt/M, 1929, in Marburg, 1938, und in Köln, 1939.

Quellen:
W[ilhelm] G[üthling], in Der Märker. Heimatblatt für den Bereich der ehem. Grafschaft Mark, 13. Jg. Heft 6/ Juni 1964, S. 142
Siegener Zeitung, 23.5.1964, 25.5.1964
Westfälische Rundschau, 25.51964
Westfalenpost 25.5.1964, 27.5.1964

 


[1]Bekannt sind folgende Tagungsorte: 1913 Marburg (Quelle: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte , Band 27 (1977), S. 165), 1924 Butzbacher Forsthaus (Quelle: Hessisches Staatsarchiv Darmstadt Bestand O 61 Dieterich), 1929 Frankfurt/Main (Quelle: Hessisches Staatsarchiv Darmstadt Bestand O 61 Dieterich), 1938 Marburg (Quelle: Hessisches Staatsarchiv Darmstadt Bestand O 61 Knoepp) und 1939 Köln (Quelle: Historisches Archiv der Stadt Köln, Zeitgeschichtliche Sammlung)
Zum „Kölner“ Archivtag 1939 (?) s. Ulrich S. Soénius: Zukunft im Sinn, Vergangenheit in den Akten: 100 Jahre Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv zu Köln, Köln 2006

[2] .Belege: Köln 1961: Gisela Vollmer in: Archivar, 14, 1961, Sp. 416, Koblenz 1962: Landeshauptarchiv Koblenz, Fotosammlung 710/4759 und Wiesbaden 1963: Regionaal Historisch Centrum Limburg, Bestand G. W. A. Panhuysen

[3] Bekannt sind die archivischen Teilnehmer am städtischen Empfang: Kirchenarchivleiter aus Essen, Köln und Münster (Biagoni, Helmert, Graf von Merveldt Torsy),  Staatsarchivleiter aus Den Haag (Steur), Frankfurt/Main (Außenstelle Bundesarchiv: Dr. Moldenhauer),  Düsseldorf (Dr. Oediger) und Eykers  (Landtagsarchiv), Münster (Prof. Dr. Prinz) und Dr. Herberhold (Archivamt), Koblenz (Dr. Graf Looz-Corswarem), Marburg (Dr. Franz), Wiesbaden (Dr. Runge) sowie Dr. Arnold Güttsches (Stadtarchiv Köln) und Alfred  Lück (Siegen)

[4] S. dazu „150 Jahre Historisches Archiv“ (2007) S. 75-83, Link: http://www.stadt-koeln.de/mediaasset/content/pdf44/150-jahre-historisches-archiv.pdf (Letzter Aufruf: 15.7.2012)

7 Gedanken zu „“Köln verdankt Siegerländern den Erhalt der Archivschätze”

  1. In der „Liste der Bestände des Staatsarchivs Marburg mit Angabe ihres Umfanges“ (1963) von Johannes Papritz findet sich auf S. 80 eine Erwähnung der westdeutschen Archivtage.
    Eine Durchsicht des „Archivars“ ist erforderlich, denn so findet sich bspw.:
    Westdeutscher Archivtag am 10. Juni 1967 in Altena. In: Der Archivar 20, 1967, Sp. 313 (s. a. Kreisarchiv des Märkischen Kreises, Zeitgeschichtliche Sammlung Nr, 140 „Einladung zum Westdeutschen Archivtag am 10.06.1967 in Altena“, „Der Märker“, Westdeutscher Archivtag in Altena 16, 1967 Heft 07/S. 141)

  2. Landesarchiv NRW – Abteilung Rheinland – BR 2093 Nr. 187: Westdeutsche Archivtage (1910-1939), enthält v.a. Einladungen, darunter eine Anzeige des Westdeutschen Archivtags am 25. September 1910 im Odenwald

    Landesarchiv NRW – Abteilung Rheinland – BR 2094 Nr. 115, enthält nur Teilnehmerliste des Westdeutschen Archivtags am 17. Juli 1965 in Dortmund

    • Vielen Dank für die Ergänzung!
      Neben der Bedeutung für die regionale Archivgeschichte werfen diese regionalen Archivtage, der südwestdeutsche existiert ja noch und ein norddeutscher ist mir bei der Literatursuche via google books auch über den Weg gelaufen, einge allegemine archivgeschichtlichenFragen auf: Gab es auch mittel- und ostdeutsche Archivtage? Wer waren die Initiatoren? Welche Archivthemen wurden wie behandelt? Warum hat m. W. nur der südwestdeutsche Archivtag überlebt ? ……

  3. Der Westdeutsche Archivtag 1962 fand Anfang Juli in Koblenz statt. Am 6. Dezember 1961 befasste sich die Dezernentenkonferenz unter der Leitung von Oberbürgermeister Willi Werner Macke mit der Tagung. „Es nehmen etwa 120 bis 150 Personen teil. Koblenz hat durch die Beherbergung des Staatsarchivs und des Bundesarchivs einen Namen in diesen Kreisen bekommen. Ein Empfang der Tagungsteilnehmer durch den Herrn Oberbürgermeister erscheint daher angebracht. Die entstehenden Kosten sollen zur Hälfte vom städt. Verkehrsamt und zur anderen Hälfte aus den dem Herrn Oberbürgermeister persönlich zur Verfügung stehenden Mitteln getragen werden“ (Stadtarchiv Koblenz Best. 623 Nr. 9955, S. 184). In der Sitzung vom 23. Mai 1962 wurde beschlossen: „Herr Beigeordneter Dr. Richter (Kulturdezernent) wurde gebeten, mit Herrn Archivrat Dr. Becker [vom Staatsarchiv Koblenz] den Empfang, evtl. im Rathaussaal, zu besprechen“ (StAK 623 Nr. 9955, S. 255).

    Die Koblenzer Rhein-Zeitung berichtete dann in ihrer Ausgabe Nr. 156 vom 9. Juli 1962: „Die Teilnehmer des Westdeutschen Archivtages wurden am Samstagmorgen [7. Juli 1962] durch den Kulturdezernenten der Stadt Koblenz, Beigeordneten Dr. Richter, im Rathaussaal empfangen. Dr. Richter hieß die Gäste im Namen von Rat und Verwaltung willkommen und gab seiner Freude darüber Ausdruck, daß der Westdeutsche Archivtag in Koblenz stattfinde. Er betonte in seiner Ansprache, Koblenz als ehemalige rheinische Provinzialhauptstadt fühle sich noch immer verpflichtet, geistiger Mittelpunkt am Rhein zu sein. Die Stadt bemühe sich sehr um ihre zahlreichen kulturellen Institutionen und unterstütze sie so weitgehend wie möglich. Der Direktor des Staatsarchivs Koblenz, Graf Dr. Looz-Corswarem, dankte für die freundlichen Worte und die herzliche Aufnahme. Unser Bild zeigt (von links nach rechts) den Direktor des Staatsarchivs, Graf Dr. Looz-Corswarem, den Leiter des Bundesarchivs, Direktor Dr. Bruchmann, den Beigeordneten der Stadt Koblenz, Dr. Richter, und Archivdirektor a. D. Dr. Schmidt [ehemals Staatsarchiv] mit Gattin. Das Zusammentreffen der Wissenschaftler, das der Festigung der kollegialen Beziehungen diente, fand nach einem Mittagessen auf dem Rittersturz seinen Abschluß mit einer Besichtigungsfahrt zur Marksburg.“ Die Abbildung in der Rhein-Zeitung ist identisch mit dem bereits erwähnten Foto aus der Sammlung des Landeshauptarchivs Koblenz (LHA Ko Best. 710 Nr. 4759), siehe http://www.archivdatenbank.lha-rlp.de.

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