Referent: Michael Stojan
30.10.2018, 19:00
KrönchenCenter, Vortragsraum, Markt 25, 57072 Siegen
„»Siegen ist der Stolz des Landes, die heilige Stadt der Berge des westfälischen Südens. Von dem Wege nach der Halde der Johannishütte ist die Stadt ein herrlich aufgebautes Jerusalem. Im Mittelalter, als ihre dichtgeschlossene, blendend weiße Häusermasse noch von einem Mauergürtel zusammengehalten war, muss sie ungemein prächtig ausgesehen haben. Doch auch heut ist’s ein Anblick, wohl wert hellsten Zujubelns. Im nahen und weiteren Kreis ein wundersamer Bergekranz, der den Blick in die Welt einengt und auf das Städtewunder zu seinen Füßen zwingt.« (Mielert, Fritz, 1920: Das schöne Westfalen. Dortmund)
Dieses historische Siegen ist im Bombenhagel und dem Feuersturm des 16. Dezember 1944 untergegangen. Bis heute trauern viele Siegener diesem Erscheinungsbild der Vorkriegszeit nach. Dabei übersehen sie leider, dass die Leistung des Wiederaufbaus der zerstörten Stadt im Vergleich zu den meisten anderen Städten mit ähnlichem Schicksal eine Erfolgsgeschichte darstellt. Das Ergebnis kann aus heutiger Sicht als beispielhafte Lösung im traditionellen Stil betrachtet werden, die eine tragfähige Grundlage für ein nachhaltig schönes Stadtbild bildet.
Wesentliches Prinzip der Planung war damals – im Gegensatz zu den »modernen« verkehrsgerechten Wiederaufbauten mit neuer Architektur – die Beibehaltung des Stadtgrundrisses, der Parzellierung und die Erhaltung der prägenden Merkmale der Architektur – die steilen Schieferdächer und weißen Wandflächen. Nicht selbstverständlich war in anderen Städten die Rekonstruktion der wichtigsten Imageträger: der Schlösser, der Kirchen und des Rathauses.
Um in der Öffentlichkeit wieder ein Bewusstsein für die Qualität dieser Planung zu wecken, ist es erforderlich, sich mit ihrer Entstehung und ihren Potentialen auseinander zu setzen, damit sie behutsam für die Zukunft gesichert werden kann.
Hierzu wurde das »Geschichtsforum Wiederaufbau Siegen« von einer Arbeitsgruppe vorbereitet und mit einer großen Bürgergruppe durchgeführt.
Das »Geschichtsforum« war ein wichtiger Baustein der »Stadtbildoffensive Siegen«, die sich unter dem Motto – gemeinsam aktiv für eine schöne Stadt – eine ganzheitliche Verbesserung der Stadtbildqualität zum Ziel gesetzt hat. Eine Bürgerbefragung hatte zuvor erhebliche Defizite aufgezeigt.“
Quelle: Volkshochschule Siegen, Programm
Einige Fragen.
– Wenn man schon die These von der angeblichen früheren „Prächtigkeit“ der Stadt Siegen mit einem Zitat untermauern möchte: Muss man dann als ersten und einzigen Bürgen ausgerechnet jemanden wie Fritz Mielert bemühen? (U.a. Autor des Machwerks „Bunte Bilder aus dem größten aller Kriege. Ernstes und Heiteres für das deutsche Volk“ 1915, folgerichtig später Funktionär der Reichsschrifttumskammer)
– Läßt sich aus den Lobpreisungen eines 1879 geborenen Schlesiers irgend etwas quellenmäßig Gesichertes über das frühere architektonische Bild Siegens ableiten? (Z.B. „blendend weiße“ Häusermassen im Mittelalter)
– Wie fügen sich in das des „hellsten Zujubelns werte“ Wunschbild die Schilderungen auswärtiger Augenzeugen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts ein, die es für nötig hielten, auf die Schmutzigkeit der Stadt zu jener Zeit hinzuweisen?
– Ist es nötig, die „meisten anderen Städte mit ähnlichem Schicksal“ (massiven Kriegszerstörungen) pauschal zu diskreditieren, um die angebliche „Erfolgsgeschichte“ der eigenen Stadt um so mehr herauszustreichen?
– Sind all die Durch- und Zugereisten, die Siegen als Ganzes (abgesehen von einzelnen ansehnlichen Vorzeigepunkten) ganz und gar nicht mit einem „nachhaltig schönen Stadtbild“ assoziieren, nun allesamt Banausen und Geschmacksverirrte, denen endlich mal die Augen geöffnet werden müssen?
– Wäre es nicht eine angemessenere Ausgangsbasis für die Arbeit an der zukünftigen „Stadtbildqualität“, die „Leistung des Wiederaufbaus“ in Siegen und an vielen anderen vergleichbaren Orten ganz nüchtern darin zu sehen, dass aus dem Ruinenfeld schnell eine für ihre Bürger wieder funktionierende Stadt erschaffen wurde, was unter den gegebenen Voraussetzungen und Dringlichkeiten keine ästhetische Prioritätensetzung erlaubt hatte?