Unmittelbare und bewegende Einblicke in die Alltagsgeschichte der NS-Zeit in Westfalen-Lippe eröffnet eine neue Filmdokumentation, die der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) unter dem Titel „Unterm Hakenkreuz. Westfalen 1933-1945 im Amateurfilm“ produziert hat. Dafür haben die Mitarbeiter:innen LWL-Medienzentrum für Westfalen zwei Jahre lang intensiv in ihrem Filmarchiv recherchiert. Dabei haben sie über 200 private Filmdokumente gesichtet, die Filmamateure aus ganz Westfalen-Lippe während der NS-Zeit gedreht haben. Ab heute veröffentlicht das LWL-Medienzentrum für Westfalen die Dokumentation dann auf seinem YouTube-Kanal „Westfalen im Film“ als elfteilige Serie im Wochenrhythmus.
„Amateurfilme sind eine bislang wenig beachtete Quelle zur regionalen Geschichte des ‚Dritten Reiches‘. Sie zeigen nicht nur, wie das öffentliche Geschehen im Sinne der NS-Ideologie umgestaltet wurde, sondern auch, wie sich der Nationalsozialismus seinen Weg bis in die privaten Räume der Familie bahnte“, so Prof. Dr. Markus Köster, Historiker und Leiter des LWL-Medienzentrums für Westfalen, der die Idee für das Projekt hatte. „Zwar liefern auch Amateurfilme oft genug einen inszenierten Einblick in das Alltagsleben der Menschen. Trotzdem eröffnen sie neue Perspektiven auf bekannte Fragestellungen und zeigen zum Beispiel, wie scheinbar normal das Leben im ‚Dritten Reich‘ weiterging.“
Rund 60 Filme sind in die rund 70-minütige Filmdokumentation „Unterm Hakenkreuz“ eingeflossen. „Bei der Recherche zeigten sich natürlich auch Leerstellen“, so Sebastian Kuhlmann, der als Wissenschaftlicher Volontär die Dokumentation inhaltlich umgesetzt hat. „Denn die private Filmkamera durfte nicht überall dabei sein. So wurden insbesondere die unzähligen Verbrechen des Regimes von Amateurfilmern fast nie festgehalten.“
Zu vielen anderen Fragestellungen können Amateurfilme Auskunft geben: Wie drang die NS-Diktatur so schnell buchstäblich bis ins letzte westfälische Dorf vor und warum konnten die Nationalsozialisten so ungefährdet zwölf Jahre regieren? Wie veränderten sich der Alltag und die Feiertage in der westfälischen Provinz? Wie wuchsen Kinder und Jugendliche in der Hitler-Diktatur auf? Und welche Auswirkungen hatte der Zweite Weltkrieg auf das Leben der Menschen im Sieger- und im Sauerland, im Ruhrgebiet, in Ostwestfalen und im Münsterland?
Die Filmdokumentation des LWL-Medienzentrums nähert sich diesen Fragen in zehn thematischen Kapiteln: Am Anfang steht das „private Glück“, das sich in Familien-, Freizeit- und Urlaubs-Aufnahmen präsentiert. Auch in solchen, oft fast intimen Bildern, zeigt sich der schleichende Einbruch des Nationalsozialismus in den Alltag der Menschen. Weitere Filmkapitel widmen sich öffentlichen Festen und Feiern. Die Filme zeigen, wie die Nationalsozialisten traditionelle Schützenfeste und Ehrentage für sich vereinnahmten und neue Jubelfeste etablierten. Auch die Selbstinszenierungen der Partei und ihrer Untergliederungen, wie Hitlerjugend und Reichsarbeitsdienst, sowie Aufmärsche des militarisierten Staates wurden von Filmamateuren in den Fokus genommen. Den bedrückenden Abschluss der Filmdokumentation bilden Aufnahmen vom Krieg im besetzten Europa und in der kriegszerstörten Heimat. Alle Szenen wurden vom LWL-Medienzentrum mit einem Off-Kommentar unterlegt sowie zurückhaltend musikalisch vertont.
Hintergrund:
Seit 1986 sammelt, sichert und erschließt das Bild-, Film- und Tonarchiv des LWL-Medienzentrums für Westfalen das audiovisuelle Erbe der Region. Filmmaterialien aus privaten sowie öffentlichen Quellen finden ihren Weg in das Archiv, wenn diese landeskundliche, wirtschaftliche oder sozialgeschichtliche Aspekte Westfalens veranschaulichen. Jahr für Jahr erweitert das Archiv auch seinen Bestand um aktuelle Dokumentationen aus eigener Produktion. Die Filme der Sammlung des Archivs lagern archivgerecht in Kühlräumen mit reduzierter Luftfeuchtigkeit und werden nach und nach über eine Onlinerecherche sowie den YouTube-Kanal „Westfalen im Film“ der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Quelle: LWL, Pressemitteilung v. 15.4.2024
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