Torsten Thomas, VVN-BdA Siegerland-Wittgenstein
Als vor wenigen Tagen der 2016. Geburtstag eines Kindes gefeiert wurde, dessen Zeugung bis heute umstritten ist, dann saßen auch viele Familien zusammen und erzählten von Früher, manchmal auch vom Führer, Familiengeschichten.
Die Geschichte der Geschwister Henrich aus Siegen ist es wert heute einmal erzählt und dem Vergessen entrissen zu werden.
Lest gut mit!
Bekannt aus der Familie sind mir die Geschwister Adam (*1899), Julie (*1902) und Emil (*1910) alle drei sind in Siegen geboren und aufgewachsen.
Wahrscheinlich wurde Adam Henrich noch gegen Ende des 1. Weltkriegs zum Militär eingezogen und sollte als Soldat die wankende Herrschaft der deutschen Bourgeoise verteidigen.
Der Griff nach der Weltherrschaft misslang den Deutschen glücklicherweise und die Demokratie hielt Einzug in Weimar, nicht in Deutschland. Adam Henrich erkannte die Notwendigkeit, sich für eine bessere Zukunft politisch zu engagiere; er trat der KPD bei. Er hatte einige Vorstrafen, insgesamt zehn, davon sechs wegen politischer Taten – Taten, die er aus Überzeugung begann. Er war dabei wie Kommunisten im August 1932 die Geschäftsstelle der NSDAP in der Sandstraße angriffen und dort ein bisschen „aufräumten“; es kam zu einer handfesten Schlägerei mit den Nazis. Wegen Landfriedensbruch wurde er damals bestraft. Adam war auch Mitglied des Arbeitersängerbundes und des Kampfbundes gegen den Faschismus. Ein junger Mensch der singt! Ungefähr 1924 heiratete Adam Elisabeth Göbel aus Ohlhagen im Kreis Waldbröl; das Paar hatte eine Tochter, Hedwig (*1936). Es scheint, dass Adam nach der Machtergreifung der Faschisten nicht wie viele andere Siegerländer Kommunisten verhaftet und misshandelt wurde. Dennoch wurde die Situation für ihn als Kommunisten schwierig. Er musste mit ansehen, wie seine GenossInnen verschwanden und nicht wiederkehrten oder, wenn sie heim kamen, dann gezeichnet von Demütigung und Folter. 1942 wurde seine Ehe geschieden, aber doch nicht so ganz, denn 1944 lebte das Paar wieder in einem gemeinsamen Haushalt und die erneute Hochzeit war für den 23.9.1944, den Geburtstag von Adam, geplant. Es kam anders.
Adam Henrich wurde im August 1944 verhaftet und am 12.9. in das KZ Sachsenhausen überstellt. Warum er verhaftet wurde, bleibt unklar. Im August 1944 erfolgte eine große Verhaftungswelle gegen AntifaschistInnen im ganzen Deutschen Reich nach dem dilettantisch von Berufsoffizieren ausgeführten Attentat auf Hitler. Wahrscheinlich wurde Adam bei dieser Aktion verhaftet.
Im Gegensatz zu vielen anderen wurde er aber nicht nach einigen Tagen entlassen, sondern kam nach Sachsenhausen.
Sein weiteres Schicksal ist ungeklärt. Die Gedenkstätte Sachsenhausen und auch der Internationale Suchdienst in Arolsen können keine weiteren Auskünfte geben. Nur sein Freund, Genosse und Mithäftling Karl Wilhelm konnte bezeugen, dass Adam Henrich in Sachsenhausen war und im Februar 1945 auf den Todesmarsch nach Bergen-Belsen geschickt wurde. Seit dem ist er verschollen.
Er wurde posthum als Verfolgter des Faschismus anerkannt, auch seine geschiedene Frau bekam diesen Status. Dies war in der Nachkriegszeit sehr von Vorteil, z. B. wurden ehemalige Verfolgte bei der Vergabe von Wohnraum bevorzugt.
Doch die Zeiten änderten sich wieder einmal in Deutschland. Die alten Eliten übernahmen schnell wieder die Macht. Alle Anträge auf Verfolgung wurden ab 1952 überprüft. Elisabeth bekam den Status der Verfolgten aberkannt, da ja zum Zeitpunkt der Verfolgung keine Ehe bestanden hatte! Damit erhielt sie auch keine Verfolgtenrente. Doch nicht genug, auch Adam Henrich wird der Status des politisch Verfolgten aberkannt, da er 1932 wegen Landfriedensbruch verurteilt wurde. Gerechtigkeit und Recht sind nicht immer dasselbe!
Ob die Schwester Julie Henrich Mitglied der KPD war, ist nicht belegt, aber ihr Mann Gustav Schmidt war es. Der Schlosser Gustav Schmidt (*1896) kehrte als 100% kriegsbeschädigt aus dem 1. Weltkrieg zurück und wurde später Mitglied der KPD. Sicher war dem Kriegsinvaliden schon früh klar was Faschismus bedeutet – Krieg! Gustav Schmidt war der Vorsitzende der Roten Hilfe im Siegerland. Auf einer Sitzung einer Widerstandsgruppe wurde er am 15. Mai 1933 verhaftet und im Braunen Haus schwer misshandelt, im folgenden Prozess wegen Hochverrates aber frei gesprochen. Doch von Juni 1933 bis Januar 1934 saß er in Untersuchungshaft. 1936 starb Gustav Schmidt gerade mal 40 Jahre alt.
Julie verzog in den Raum Bielefeld und hatte dort zwei Kinder mit Hans Pepel (Nachname fraglich), beide durften nicht heiraten, da die Eltern von Hans aus Polen stammten. Hans starb in Russland (Sowjetunion) als Angehöriger einer Strafkompanie. Später heiratete Julie erneut und wohnte in Gelsenkirchen.
Sie stellte einen Antrag auf Wiedergutmachung, da ihr Mann Gustav Schmidt infolge der Misshandlungen der Nazis verstorben sei. Der Antrag wurde abschlägig beurteilt, da Misshandlungen und früher Tod angeblich nicht in einen Zusammenhang gebracht werden konnten. Für die Haftzeit gab es 300 Mark Entschädigung. Der Dank des Vaterlandes!
Auch Emil Henrich wurde Mitglied der KPD und des Kampfbundes gegen den Faschismus. Wahrscheinlich war er auch Mitglied des Arbeitersportvereins Rot-Weiß, zumindest wurde das Protokollbuch dieses Vereins bei einer Hausdurchsuchung bei ihm gefunden und beschlagnahmt. Bereits 1930 wurde der Autogenschweißer bei Bertrams wegen politischer Betätigung entlassen, danach war er arbeitslos. Im Juni 1933 wurde er verhaftet und von Siegen in die Gefängnisse von Hamm und Düsseldorf gebracht. Wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ bekam er ein Jahr und drei Monate Gefängnis. Nach der Haft fand er als Kommunist und Vorbestrafter zunächst keine Stelle und die Familie lebte von staatlicher Wohlfahrtsunterstützung. Erst 1936 konnte er bei Bertrams wieder arbeiten. Bereits 1931 hatte er Helene Manderbach geheiratet, das Paar bekam zwei Kinder. Mit seiner Verurteilung wegen Hochverrat verlor er auch seine bürgerlichen Ehrenrechte und damit auch seine Wehrwürdigkeit, das heißt, er konnte nicht zum Kriegsdienst in der faschistischen Wehrmacht eingezogen werden. Doch zu früh gefreut!
Nachdem die Faschisten erkennen mussten, dass die Sowjetunion nicht so einfach zu erobern war und die vielen Verlusten an Soldaten nicht zu ersetzen waren, wurden auch die „Wehrunwürdigen“ eingezogen. Dies aber nicht in der regulären Wehrmacht, sondern in eigens dazu aufgestellten Einheiten. 1943 wurde Emil Henrich zur Strafdivision 999 im württembergischen Heuberg eingezogen. Dort erhielt er seine Grundausbildung mit einem faschistischen Stammpersonal und mit Kriminellen. Aber auch antifaschistische Kräfte wirkten in dieser Einheit und viele liefen zur Roten Armee oder den Partisanen über.
Emil Henrich, der Kommunist und Antifaschist, ging mit einem Schiff bei Skarpanto in der Ägäis unter und gilt seitdem als verschollen; mit Wirkung zum 15.6.1949 wurde er für tot erklärt. Mit seinem Tod erhielt er auch die Wehrwürdigkeit zurück! Der Dank des Vaterlandes!
Warum ist auf diese Geschichte noch niemand gekommen? Warum wurde sie nicht aufgeschrieben und veröffentlicht? Warum kennen wir die Schicksale so vieler Verfolgter und Widerständler, aber diese nicht?
Weil es Kommunisten waren!
Gegen das Vergessen!
Quellenangabe:
Landesarchiv NRW Abteilung Westfalen, Regierung Arnsberg, Wiedergutmachung,
Nr. 26809 Emil Karl Henrich
Nr. 26808 Adam Henrich
Nr. 55535 Gustav Albert Karl Schmidt