Es ist bereits zu einer Tradition geworden, dass siwiarchiv an seinem Geburtstag eine Blogparade startet.
Im September 2018 verabschiedete der Verband der Historikerinnen und Historiker Deutschlands eine vieldiskutierte Resolution zu gegenwärtigen Gefährdungen der Demokratie. In der deutschen Archivwelt ist es zu weder zu einer Diskussion über die Neutralität der Archive in einer gefährdeten demokratischen Gesellschaft gekommen, geschweige denn zu einer Resolution.
Dies führt zu Fragen, um die die Texte der Blogparade kreisen können: Wie neutral müssen Archive aus Sicht der Archivnutzenden oder der Archivträger sein? Fehlt eine vergleichbare Resolution der deutschen Archivwelt zur Demokratie? Wenn ja, wie könnte dies aussehen? Wie neutral sind archivische Arbeitsweisen, z. B. bei Bewertungsfragen, in ihrer Öffentlichkeitsarbeit oder bei der Archivpädagogik? Ist Neutralität ein Faktor in der alltäglichen Archivarbeit?
Zur Teilnahme gebeten sind neben den archivischen Weblogs daher auch die Geschichtsblogosphäre und (geschichts)kulturaffine Bloggende. Beiträge werden bis zum 29. Februar 2020 angenommen. Wir sind gespannt und freuen uns auf jedes einzelne „Geburtstagsgeschenk“!
Tanja Praske gibt übrigens 10 Tipps für die erfolgreiche Teilnahme an einer Blogparade:
Maßnahmen im Vorfeld einer Blogparade
1. Macht nur bei Themen mit, zu denen Ihr etwas zu sagen habt. Dann seid Ihr authentisch. Das Thema muss Euch ansprechen. Es darf auch jenseits Eures eigentlichen Themengebietes sein. Der Post wird von der Leserschaft angenommen, wenn Ihr tatsächlich etwas zu sagen habt. Dadurch gewinnt Ihr weitere Leser.
2. Was wollt Ihr mit der Teilnahme erreichen? Warum lohnt es sich mitzumachen? Wollt Ihr mit anderen diskutieren? Euch mit ihnen vernetzen? Die Reichweite Eures Blogs steigern? Dem Blogpost Nachhaltigkeit verleihen? Das alles fällt so ganz nebenbei ab.
3. Auf das richtige Timing kommt es an. Warum sollte der Beitrag getimt werden? Ganz einfach. Die Blogparade läuft im Regelfall vier Wochen. Die meisten Artikel gehen zum Ende der Frist ein. Das bedeutet, die einzelnen Post werden zwar beworben, entfalten aber nicht ganz ihre Wucht, denn es werden viele Posts in kürzester Zeit beworben. Deshalb empfiehlt es sich, gleich zu Anfang oder in der Mitte der Laufzeit seinen Artikel zu lancieren. Die Aufmerksamkeit auf den Beitrag ist dann größer, als zum Ende hin.
Maßnahme nach „Abgabe“ des Artikels.
4. Verlinkt Euren Post mit dem Aufruf der Blogparade und gebt im Kommentar URL Eures Artikels an. Manchmal funktioniert die Ping- bzw. Trackbackfunktion nicht, deshalb ist es sehr wichtig, dass Ihr die URL im Kommentar angebt. Achtet darauf, ob Euer Kommentar auch freigeschaltet wird, denn in seltenen Fällen mag auch hier ein technisches Problem vorliegen. Nehmt dann anderweitig Kontakt zum Initiator auf.
5. Diskutiert auf Eurem Blog. Wenn Kommentare kommen, dann honoriert sie. Geht darauf ein, bedankt Euch. Nutzt die Chance zu diskutieren. Vielleicht entwickelt sich ein prima Austausch, auch mit anderen, die darüber Ihre Vorbehalte zu kommentieren abbauen und mitmachen.
6. Bewerbt den Post via Social Media . Informiert auf Euren Social Media Kanälen über diesen Blogpost (Facebook, Twitter [Hashtag: #Archivesindnichtneutral], Pinterest, Instagram, …..). Gibt es ein Stichwort für die Blogparade, verwendet dieses in Eurem Artikel, beispielsweise im Titel. Nutzt den angegebenen Hashtag für Twitter und Instagram. Falls der Initiator ein Monitoring betreibt bzw. andere die Beiträge via Twitter und Instagram herausfiltern wollen, ist Euer Beitrag zuordbar und wird gefunden.
7. Reagiert auf die Bewerbung des Initiators. Wenn der Initiator Euren Artikel auf seinen Social Media Kanälen bewirbt, dann reagiert darauf. Angenommen er informiert auf Facebook über den Neuzugang zur Blogparade mit Verlinkung auf Euren Artikel, dann liked und kommentiert das dankend. Die Neugier auf Eure Facebookseite, wenn sie denn öffentlich geschaltet ist, wird darüber geweckt. Eventuell gewinnt Ihr neue „Fans“. Für Twitter gilt dasselbe. Zitiert den entsprechenden Tweet mit Dank. Dadurch ist Euer Post erneut im Netz virulent. Wird die Blogparade auch auf Pinterest beworben, dann liked den Beitrag. Nutzt Ihr selbst Pinterest, dann pinnt vom Initiator auf Eure Pinnwand. Dadurch ist dort Euer Name, Euer Blog präsent.
8. Kommentiert den Blogbeitrag der anderen Teilnehmern. Kommentiert dort, wo es Sinn macht. Auch hier gilt: Ihr müsst etwas zu sagen haben. Nehmt Bezug auf den Artikelinhalt, diskutiert wenn Ihr wollt. Das wird sehr gerne angenommen und vielleicht gewinnt Ihr darüber neue Erkenntnisse. Auf jeden Fall vernetzt Ihr Euch darüber. Gebt zudem Eure (Website-) Blog-URL an, dadurch können Interessierte durch einen Klick auf Euren Blog kommen. Ihr steigert somit die Reichweite Eures Blogs.
9. Liken und retweeten. Erneut bewirbt der Initiator die eingehenden Beiträge auf Facebook und Co. Liked bei ihm, liked bei den Teilnehmern, falls diese dort auch bewerben. Wenn Ihr Euch danach fühlt, kommentiert. Retweetet die entsprechenden Tweets auf Twitter. Noch besser ist diese mit kleinem Kommentar zu zitieren. Dadurch wird Euer Twittername präsent. Vielleicht werdet Ihr wieder retweetet bzw. ein Dankeschön kommt. Der Vernetzungsgedanke wird gelebt. Gleichzeitig könnt Ihr darüber eventuell neue „Follower“ gewinnen.
10. Kommentiert das Fazit – liked und retweeted die Bewerbung. Kommentiert das Fazit! Das wird selten gemacht, leider. Warum ist mir unbekannt. Denn de facto wird damit eine Chance vergeben nochmals auf das eigene Blog zu verweisen bzw. einen ernstgemeinten Austausch angemessen zu beenden und eine Vernetzung tatsächlich zu leben. Überdies freut sich der Initiator über jedes Feedback. Eine Blogparade zu initiieren kostet sehr viel Zeit, die sich lohnt, wenn zahlreiche Blogger mitmachen und sie eine positive Resonanz erfährt – schreibt das aber auch, der Initiator freut sich darüber.
Der Bewerbungsentspurt wird mit dem Fazit eingeläutet. Und es gilt wieder: liken, retweeten und kommentieren.
Warum macht es Sinn zu liken, retweeten und kommentieren? Es geht um Optimierung, aber auch um Effizienz des Blogposts. Wobei Effizienz von jedem anders definiert wird. Grundsätzlich soll sich die Teilnahme an einer Blogparade lohnen. Das macht aus drei Gründen Sinn: 1. Ihr verhelft gemeinsam mit den anderen der Blogparade zu großer Viralität (= social impact), 2. dadurch steigert Ihr die Reichweite Eures Blogs und 3. Ihr vernetzt Euch darüber. Neue Diskussionspartner werden über die Blogparade gewonnen. Neuer Austausch, neue Erkenntnisse, neue Ideen – was gibt es Besseres?
Herzlicher Dank gilt Tanja Praske dafür, diese hilfreichen Tipps hier verwenden zu dürfen!
Pingback: #Archivesindnichtneutral – eine siwiarchiv-Blogparade | Archive 2.0
Wunderbar und traurig – schön, dass laut über solcherlei Fragen diskutiert wird, schade, dass solcherlei Fragen überhaupt diskutiert werden müssen. Natürlich sind wir neutral, natürlich gibt es einen internationalen ethischen Kodex für Archivarinnen und Archivare, verabschiedet vom ICA in Peking 1996 (den niemand kennt bzw. gern ignoriert-s.a.: https://www.ica.org/en/ica-code-ethics); natürlich ist in unserer Demokratie Staat und Kirche getrennt (*räusper*); natürlich…nicht immer.
In der Hoffnung, dass solcherlei Blogs die Köpfe und Herzen vieler Archivierender erreichen, wünsche ich viel Erfolg!
Verbreitet den Kodex & und seid so neutral wie es nur geht.
Vielen Dank für die schnelle Reaktion! Ja, der Code of ethics ist eine Richtschnur für die Arbeit. Allerdings lässt er da durchaus Spielraum, z. B. in Bewertungsfragen oder bei der Auswahlarchivierung, der Archivierenden Wahlmöglichkeiten gibt, beri denen man durchaus die Neutralität in Frage stellen könnte.
Ferner wird darin m. E. eher weniger die Rolle von Archiven bei der Öffentlichkeitsarbeit und der Archivpäadagogik diskutiert.
Neutralität ist wünschenswert und erforderlich in Archiven, das steht außer Frage. Da aber viele Archivare/Archivarinnen Historiker/Historikerinnen sind (was überhaupt nichts schlechtes ist! Bin ich selbst :-)), bewerten einige vielleicht leider doch nicht so neutral oder haben eine eher subjektive Betrachtungsweise bei Sichtung/Bewertung der Unterlagen.
Dennoch finde ich, dass Neutralität zur täglichen Archivarbeit zählt und freue mich auf weitere Kommentare über dieses wichtige Thema. :-)
Vielen Dank für den Kommentar! Interessant wäre es m. E. genauer auszuloten, was denn subjektive Bewertungskriterien sind ?
Bewertungskriterien sind immer subjektiv. Es gibt m.E. nur zwei Wege, diese zu „objektivieren“, ohne je Objektivität oder Neutralität zu erreichen:
– Transparenz
– Beteiligung mehrer Personen(-gruppen).
Aber wie sollte eine Bewertungsentscheidung absolut neutral getroffen werden? Es wird anhand hoffentlich transparenter Kriterien eine Wertsetzung vorgenommen. Dadurch werden Auswertungsmöglichkeiten zwangsläufig eingeschränkt. Um im umfassenden Sinne neutral zu sein, müsste alles aufbewahrt werden.
Es geht vermutlich vielmehr um die Frage der politischen/wissenschaftlichen „Neutralität“ im Sinne von „sine ira et studio“. Dabei ist Transparenz m.E. ein Thema, das unbedingt in den Neutralitätskontext gehört. Generell beschäftigen wir uns zu selten mit dem, was Berufsethos konkret bedeutet. In Sonntagsreden hingegen kommt es dauernd vor…
Vielen Dank für den Kommentar! Dass Transparenz und Neutralität einander bedingen, ist richtig. Die Frage ist jedoch, ob bei aller Transparenz eine Bewertungsentscheidung neutral ist? Bei der Bewertung von Massenakten gibt es ja unterschiedliche Vorgehensweise (Überlerungs des Verwaltungshandelns, Statistische Auswahl oder Buchstabenauswahl). Ist es neutral, wenn ich mich bei der Buchstabenauswahl z. B. für die Buchstaben entscheide, die einen erhöhten Anteil von Nachnamen nichtdeutschen Ursprungs enthalten – selbst, wenn ich das Dokumentationsziel formuliere, Dokumentation von „Lebensgeschichten“ von Personen mit Migrationshintergrund ?
M.E. geht es im Beispielsfall nicht um Neutralität, sondern um „falsch“ und „richtig“. Da hilft Transparenz im Sinne von „Begründungsobjektivität“. Wenn ich ein Überlieferungsziel postuliere und einen Weg wähle, der dazu nicht passt, habe ich schlichtweg etwas falsch gemacht. Das lässt sich durch Transparenz objektiv überprüfen. Die Bewertungsentscheidung bleibt dennoch subjektiv.
Die Sache mit der scheinbaren Neutralität war ja auch bei der Bewertung nach Evidenz (Menne-Haritz) ein Thema. Es ist auch eine subjektive Wertsetzung, wenn man sagt, das Verwaltungshandeln müsse dokumentiert werden. Was auch immer das dann konkret bedeutet…
Wenn ich es recht sehe, dann ist bereits die Postulierung des Überleiferungsziel nicht neutral bzw. sublektiv, die Bewertungsentscheidungen sind es auch.
So sehe ich das auch! Das ist aber kein Freibrief! Deshalb: Transparenz…
Pingback: Siwiarchiv-Blogparade: Sind Archive neutral? | Archivalia
Erst wenn wir erkennen, dass wir eben nicht neutral sind, dass wir alle internalisierte -Ismen in uns tragen, wenn wir unsere Arbeit und unser tägliches Handeln regelmäßig hinterfragen und uns unserer Vorurteile bewusst sind, können wir unserer Aufgabe und unserer Verantwortung als mit der Auswahl, Sicherung und Vorlage historischer Dokumente angemessen nachkommen.
Danke für dieses wichtige Thema, das hier in Deutschland ganz dringend mehr Öffentlichkeit braucht. Ich werde versuchen, mich an der Blogparade zu beteiligen, da mich das Thema auch privat seit einiger Zeit umtreibt. Sehr gut passt aber auch der Beitrag aus dem Stadtarchiv Darmstadt zur Geburtstagsblogparade 2018 zu diesem Thema, den ich hier gerne noch einmal verlinke: https://dablog.hypotheses.org/338
Pingback: Blogparade #ArchiveSindNichtNeutral: Transparenz und Vertrauen – Stadtarchiv Darmstadt
Kurz vor knapp noch geschafft – der Beitrag aus dem Stadtarchiv Darmstadt ist online: https://dablog.hypotheses.org/11010
Vielen Dank! Der grundsätzliche Beitrag zur Bedeutung einer weitgehenden Transparenz der Archive zeigt, dass Archivar*innen nur so die Verlässlichkeit herstellen können, da sie eben nicht neutral sind.
Als altmodischer Archivbenutzer erlaube ich mir einen Einspruch. Ich erwarte nicht, dass das von mir in Anspruch genommene Archivpersonal seine Verlässlichkeit erst krampfhaft „herstellen“ muss, wenn ich zur Tür reinkomme, oder seine Neutralität auf mein Verlangen irgendwie nachweisen kann. Ich möchte Verläßlichkeit und Neutralität bei Menschen, die im Öffentlichen Dienst tätig sind, einfach stillschweigend voraussetzen können. Diese Menschen haben einmal durch Ablegen eines Gelöbnisses bzw. Eides zum Ausdruck gebracht, dass sie sich den ethischen Anforderungen des Dienstes für die Öffentlichkeit gewachsen fühlen und darüber keine Grundsatzdiskussionen führen müssen. Neutralität: Wenn man morgens den Archivkittel anzieht, legt man gleichzeitig für die nächsten acht Stunden die privaten Vorlieben, Abneigungen, Vorurteile usw. ab. Wer das wegen erfolgreicher Erziehung zur Egozentrik als schwer zu meisternde Herausforderung empfindet, würde in der sogenannten „freien“ Ellenbogen-Wirtschaft vielleicht eher seine Lebenserfüllung finden.
Das Dilemma der archivischen Bewertung ist objektiver Natur und lässt sich nicht lösen, da nun einmal Benutzer (wollen alles aufgehoben haben) und Archivträger (wollen Platz und Personal sparen) niemals unter einen Hut zu bekommen sind. „Transparenz“ auf Seiten der Archive ist gut und schön, hilft aber auch nicht viel weiter, weil Benutzer die Ergebnisse von Bewertungen in der Regel erst dann wahrnehmen, wenn die verantwortlich gewesenen Archivare gar nicht mehr für Stellungnahmen zur Verfügung stehen. Irgendwann werden Benutzer vielleicht naiv fragen, warum Archivarinnen und Archivare freiwillig unter Bergen überflüssiger Massenakten ersticken und immer noch am Tabu der Nachbewertung und -kassation festhalten. Die Antwort wird dann womöglich lauten: „Weil unsere Vorgänger sich etwas dabei gedacht haben.“ Haben sie das?
Das Unbehagen über die mangelnde bzw. nicht existente Beteiligung der Nutzer am Prozess der Überlieferungsbildung kann ich gut verstehen. Die Schweiz beschreitet derzeit ja andere Wege. Mal schauen, inwiefern dort das Angebot des Mitwirkens an Bewertungsentscheidungen angenommen und umgesetzt wird.
Was die Frage der Nachkassation anbelangt, bitte ich zu berücksichtigen, dass die Entscheidungen nicht objektiv sein können und immer zeitgebunden sind. Dies bedeutet, dass jede Nachkassation (= erneute Bewertungsentscheidung) genauso gut bzw. schlecht ist wie die vorherige. Denkt man den Nachkassationsgedanken zu Ende, dann würde man in arhythmischen Abständen immer wieder mit neuen Ideen und Perspektiven an die Bestände gehen (können) bis irgendwann (nach 100 Jahren?) vom Bestand nichts mehr übrig ist, denn jeder Bewertungsvorgang reduziert ja das Vorhandene und jede „Zeit“ hat ihre eigenen Forschungsströmungen, Wertvorstellungen etc.
…und Ihre Nachfrage, ob sich „unsere Vorgänger“ etwas dabei gedacht haben, wird durch die notwendige Transparenz der Bewertungsentscheidungen beantwortet. Sie ist halt das A und O…
Vielen Dank für den Kommentar! Ich bin wie Sie gespannt auf die Schweizer Ergebnisse. Bei der NAchbewertung bin ich bei Ihnen.
Danke für die sachliche Antwort! Das mit der Nachkassation meinte ich auch nicht so, dass nun jede neue Archivarsgeneration die übernommenen Bestände neu bewerten soll. Bei den ausufernden Massenakten frage ich mich allerdings, ob man die anhand formaler Kriterien getroffene Auswahl von Samples überhaupt als „Bewertung“ bezeichnen kann. Diese würde m.E. darin bestehen, über den zukünftigen Wert solcher ausschließlich für statistische Zwecke nutzbarer Akten zu spekulieren. Man könnte also fragen: Sind aus diesen Akten überhaupt noch Informationen zu gewinnen, die nicht schon längst (bevor das Archiv ins Spiel kam) z.B. von den statistischen Ämtern erfasst worden sind und zur Nutzung dauerhaft vorgehalten werden? Ist die „quantitative Sozialforschung“, deren Vertreter sich momentan vielleicht noch für den Nabel der Welt halten, so zukunftsträchtig, dass ihr zuliebe Archive die Grenzen ihrer Kapazitäten überschreiten? Sorry, das führt zu weit vom Thema ab. Die Gefahr bei der Beteiligung Außenstehender besteht jedenfalls darin, dass sich dann am Ende doch nur wieder die am lautesten Schreienden durchsetzen. Archivbenutzer haben es oft schwer, Archivarinnen und Archivare aber nicht minder!
M.E. führt das nicht vom Thema ab, sondern sogar mitten hinein. Was gibt uns unser Berufsethos bezüglich der Überlieferungsbildung vor? Was sind die Kriterien für die Bewertung? Inwiefern sind wir als Archivare der „Gesellschaft“ rechenschaftspflichtig? Diese Diskussionen sind längst überfällig und müssen jenseits der Sonntagsredenbekenntnisse auch mit unseren „Kunden“ geführt werden.
Eine diesbezügliche Selbstverständigung wird vom VdA-Arbeitskreis Bewertung demnächst in Angriff genommen. Vielleicht sorgt das für die erhoffte Diskussionsgrundlage!? Spätestens dann ist es an uns, diese Dinge auch ernsthaft (!) zu diskutieren…
Ergänzend möchte ich anmerken, dass auch nach Samples ausgewählte Massenakten mehr zu bieten haben, als die Verwendbarkeit für rein statistische Auswertungen. Es finden sich hier auch exemplarische Beispiele verschiedener Lebenswirklichkeiten und darüber hinaus ein Einblick in die Arbeitsweise der abgebenden Ämter, z.B. auch bei Personalnotstand und Wechsel der zuständigen Mitarbeiter*innen. Das ist durchaus auch für andere Forschungsgebiete von Bedeutung.
Lieber Kollege Kunzmann, ich habe ein wenig den Eindruck, dass Sie in Ihren engagierten Kommentar Gleichbehandlung mit Neutralität verwechseln. Archivierende sind nicht neutral, selbst bei aller Transparenz nicht. Wie Sie richtig schreiben stehen die Archivierenden im öffentlich-rechtlichen Raum für die freiheitlich-demokratische Grundordnung (FDGO). Dies ist eine Position, die den Zugang zu Archivgut verwehrt! Gemeint sind die Ränder der Gesellschaft, die sich in kritischer Distanz zur FDGO befinden. Allerdings gehört genau jenes Archivgut unbedingt zur archivischen Pflichtaufgabe, der Dokumentation der Lebenswirklichkeiten im jeweiligen Sprengel.
Ich stimme Ihnen zu, auch bei der Frage der Ränder sind wir mitten in der Thematik „Berufsethos“. Vielleicht liege ich falsch, aber mir scheint dieses grundlegende Thema unterbelichtet zu sein. Es wäre verheerend, wenn der Eindruck entstünde, unsere Tätigkeit sei beliebig…
Lieber Herr Wolf, obwohl ich nicht die Absicht habe, bei dieser Diskussion mehr als ein Zaungast zu sein, muss ich jetzt noch zwei Erwiderungen loswerden. 1. Die Institution „Öffentlicher Dienst“ ist mehr als 200 Jahre alt. Das Ideal des zugrundeliegenden Berufsethos leitet sich aus allgemeinen Menschenrechten ab; es ist nicht erst von der FDGO kreiert worden. Wenn sich junge (?) Leute unter den relativ gemütlichen Rahmenbedingungen der FDGO jetzt als Erfinder eines solchen Ethos inszenieren wollen, spricht das nicht für ihren historischen Sinn. Damit brüskieren sie nebenbei auch all jene, die schon unter ungleich schwierigeren Bedingungen versucht hatten, dieses Ideal in ihrem Berufsalltag nicht ganz untergehen zu lassen. (Ich bin sicher, es gab sie.) 2. Wenn im Archivarslatein „Neutralität“ etwas anderes als Gleichbehandlung (von Archivbenutzern und Registraturbildnern) bedeutet, klären Sie mich (und die übrigen irritierten Leser) doch bitte auf. Danke.
Hallo Herr Kunzmann,
es gibt, auch in Deutschland, Menschen, die schlechte Erfahrungen mit öffentlichen Institutionen und ihren Vertreter*innen gemacht haben. Auch diese Menschen dürfen öffentliches Archivgut nutzen und die Aufbewahrung dieser Unterlagen durch öffentliche Einrichtungen/Ämter kann hierfür, aufgrund der gemachten Erfahrungen, eine Hürde darstellen. Das ist fatal, denn gerade Archivgut öffentlicher Träger kann dabei teilweise auch zur Rechtswahrung beitragen. Ich erinnere hier nur mal an die Opfer der Verfolgung nach §175 StGB, die inzwischen einen Anspruch auf Entschädigung haben, diesen aber nachweisen müssen. Auch hier kommen Archive ins Spiel, die aber von den Betroffenen als Teil des Systems betrachtet werden können, dessen Opfer sie geworden sind. Wenn wir unserer Verantwortung als Archivar*innen gerecht werden wollen, müssen wir diesem Misstrauen u.a. durch die angesprochene Transparenz entgegenwirken. Gleiches gilt z.B. auch für Opfer von Missbrauch in staatlichen Einrichtungen oder Personen, die rassistischer Diskriminierung durch öffentliche Bedienstete ausgesetzt waren. Verständnis und Entgegenkommen erleichtern diesen Menschen den Zugang zu Archivalien und begründen damit auch die Bedeutung von Archiven in einer Gesellschaft, zu der auch die genannten Menschen gehören.
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