Mächtig ist der Stamm der „Dicken Buche“, wurzelt fest in der Erde. Ihre grün belaubten Äste und Zweige reckt sie in den Himmel. Sie hat schon einige Jahrhunderte auf dem „Buckel“ bzw. Stamm, und doch wirkt sie frisch und lebendig. Eine immerhin jahrzehntelange Tradition hat auch die Zeitschrift „Siegerland“ des Siegerländer Heimat- und Geschichtsvereins, deren neues Heft (Band 91/Heft 1) nunmehr druckfrisch erschienen ist. Die Zweige des stolzen Baumes könnten auch für die Themenvielfalt des neuen Heftes stehen, wobei sich diesmal ein klarer Themenschwerpunkt herauskristallisiert: Handel und Wandel über die früheren Grenzen des nassauischen Territoriums insbesondere in das kurkölnische Sauerland. Zwei Aufsätze befassen sich mit der „Siegener Landhecke“ und ihrer Historie. Hans-Ludwig Knau und Markus Poggel dokumentieren diese auch durch historische Karten und detaillierte Fotografien. Der „Dicke Schlag“ bei Freudenberg-Hohenhain, der Holzklauer Schlag nahe Oberholzklau oder der Welschen-Ennester Schlag lohnen ebenso einen Besuch – zum Beispiel im Rahmen einer Wanderung am Wochenende oder jetzt in den Sommerferien – wie die zahlreichen erhalten gebliebenen Grenzsteine. Die Schläge bzw. Grenzstationen dienten nicht zuletzt der Kontrolle der Handelswege, und so schließt der Beitrag von Dr. Andreas Bingener, dem Schriftleiter der Zeitschrift „Siegerland“, hier thematisch unmittelbar an und nimmt die „Südwestfälische Eisenstraße“ näher unter die Lupe, deren Geschichte zurzeit im Rahmen der „Regionale 2013“ durch eine kleine Arbeitsgruppe näher erforscht wird. Siegen und das Siegerland hatten beim Handel mit Eisenwaren schon im 14. Jahrhundert ihre besondere Bedeutung bis nach England. Siegen gehörte, wie historische Tabellen und Karten nachweisen, zu den bedeutenden europäischen Handelsstädten mit engem Kontakt zur Hanse.
Im Sommer 2011 verstarb unerwartet Dr. h. c. Ulrich Weiß. Der evangelische Theologe trat immer wieder durch Veröffentlichungen zur heimischen Religionsgeschichte hervor, und so gelangt im neuen Siegerland-Heft ein Beitrag über Johann Moritz Fürst zu Nassau-Siegen zum Abdruck, basierend auf einem Vortrag von Ulrich Weiß aus dem Jahre 2004. Leben und Wirken des Nassau-Siegener Landesherrn werden hier anschaulich dargestellt. „Das zerrissene Archiv“ – das waren die Nassau-Dillenburger Archivbestände, deren bewegte Geschichte Dr. Rouven Pons, Archivar am Hessischen Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, hier wiedergibt. Im 18. Jahrhundert wurden die Bestände zunächst im Schloss zu Dillenburg zusammengeführt. Als das Schloss im „Siebenjährigen Krieg“ 1760 durch französische Truppen zerstört wurde, begann die Odyssee der Bestände. Die Neuordnung der Archivalien durch verschiedene Archivare schildert Rouven Pons ebenso wie ihren heutigen Verbleib unter anderem in den Staatsarchiven Wiesbaden und Münster.Kaum ein Landstrich in Deutschland hat eine so turbulente Konfessionsgeschichte wie die heimische Region mit dem Gegen- und Miteinander von Protestanten und Katholiken. Dr. Erwin Isenberg ist schon mehrfach mit Beiträgen zum früheren Kloster Stift Keppel in Hilchenbach-Allenbach hervorgetreten. Unter anderem anhand der Stiftsorden der Keppeler Stiftsdamen dokumentiert er, dass sich die konfessionelle Differenzierung bis in das 19. Jahrhundert auswirkte. Das auf dem Medaillon dargestellte „katholische“ Lamm trug eine Fahne, das „evangelische“ ein Kreuz. Von besonderer Bedeutung im Zeitalter der Industrialisierung war für Kreuztal die „Kreuztaler Hütte“, deren Entwicklung Horst Grafe in einem mehrteiligen Aufsatz dokumentiert. Anhand von Fotos und historischen Plänen schildert er diesmal die Geschichte des Unternehmens bis zum Jahre 1900.Die Kunsthistorikerin Kirsten Schwarz hat es sich zur Aufgabe gemacht, in der Zeitschrift „Siegerland“ das Leben und Werk Siegerländer Künstler zu würdigen. In den Jahren 1959-1978 nahmen die Fotografen Bernd und Hilla Becher – Bernd Becher wurde in Siegen geboren und wuchs in Mudersbach auf – Siegerländer Fachwerkhäuser auf und hielten so in einer akribischen Dokumentation das charakteristische „Sparfachwerk“ für die Nachwelt fest.In jüngster Zeit sorgte eine Straßenbenennung im Wilnsdorfer Ortsteil Obersdorf-Rödgen für Kontroversen. Neben Dr. Hedwig Jung-Danielewicz (ursprünglich Jüdin und Gemahlin des Malers Carl-Jung-Dörfler, 1941 nach Minsk deportiert und dort vermutlich 1942 ermordet) fand hier der Obersdorfer Heimatdichter Wilhelm Schmidt eine entsprechende Würdigung, der 1933 ein lobendes Mundart-Gedicht über Adolf Hitler verfasst hatte (damals veröffentlicht in der Zeitschrift „Siegerland“). Raimund Hellwig fasst die Ereignisse zusammen. Günter Dick – gebürtig aus Weidenau, heute in St. Augustin bei Bonn lebend, aber seiner Heimat noch sehr verbunden – steuert mehrere kleine Aufsätze bei: er erinnert an den Weidenauer Maler Georg Bechtel, liefert einen Nachtrag zum Wirken des Metallbildhauers Prof. Otto Sticht und berichtet schließlich über die Anbringung einer Informationstafel zur Erinnerung an die frühere Gaststätte „Waldhaus“ in Weidenau. Der Jahresbericht von Dr. Andreas Bingener zur Vorstands- und Vereinsarbeit 2013/2014 sowie mehrere Buch-Rezensionen runden das Heft ab, das zum Preis von 9,50 Euro in den Geschäftsstellen der Siegener Zeitung und im heimischen Buchhandel erhältlich ist.
Zu Raimund Hellwigs Aufsatz zu dem Obersdorfer Wilhelm Schmidt:
Es ist sicher eine Überraschung, dass die Zeitschrift sich einmal für ein Thema öffnet, dass die regionale NS-Geschichte berührt. Wie diese Neuerung zu verstehen sein könnte, möchte ich hier gar nicht ansprechen, auch wenn sie es wert wäre. Mir geht es um ein paar sachliche Fehler in Hellwigs Aufsatz, die mir beim ersten Lesen in den Blick fielen:
– Hellwig nennt als Freund von Wilhelm Schmidt den Hilchenbacher Fritz Forschepiepe. Der wurde aber nicht, wie Hellwig schreibt, im Zuge der „Gleichschaltung“ aus dem Deutschen Jugendherbergswerk herausgedrängt. Der war Lehrer, Mitglied der NSDAP und zeitweise Blockleiter. Mit dem DJH hatte er nichts zu tun. Der Herausgedrängte war dessen Bruder Hermann Forschepiepe.
– Er beschreibt die Zusammenarbeit zwischen Schmidt und dem Heimatdichter und Lehrer Adolf Wurmbach. Dabei beruft Hellwig sich auf eine Schrift „Erich Koch, Adolf Wurmbach, Selbstverlag“. Verfasser und Titel gibt es nicht. Mag sein, Hellwig meinte den protestantischen Pfarrer Erich Schmidt. Der schrieb
a) „Deuter der Heimat – Mahner der Zeit. 15. Juli 1891 – 17. Januar 1968. Zur Erinnerung an seinen Geburtstag vor 100 Jahren. Ein Büchlein gegen das Vergessen“, 1991 erschienen im Verlag der Wielandschmiede in Kreuztal und
b) „Adolf Wurmbach als Pazifist. Das totgeschwiegene Jahrzehnt“, das leider nie erschien, sondern Manuskript blieb.
– Schmidt verschweigt bei aller Verehrung von Wurmbach nicht, dass dieser vor der Konversion zum Pazifisten 1924 einer der zeittypischen Chauvinisten war. Zwar wurde er 1934 zwangsweise in den mit Ruhegehalt ausgestatteten Ruhestand versetzt, aber seit 1938 gab es mit Unterstützung aus NSDAP und Gestapo Bemühungen zur Wiedereinstellung, die auch erfolgreich waren. Wurmbach wurde vollständig rehabilitiert. Bitte mal in die Entnazifizierungsakte gucken! Im Nationalsozialismus kehrte Wurmbach dorthin zurück, wo er 1924 unterbrochen hatte, um nach 1945 erneut Pazifist zu sein.
– Hellwig: Wurmbach sei „alles andere als lininentreu“ gewesen. Ach? Wurmbach war der klassische Wendehals. Im NS veröffentlichte er laufend in den regionalen Medien, vor allem aber in der National-Zeitung der NSDAP völkische und auch kriegspropagandistische Texte, oft in einem der „großen Zeit“ angepassten germanisierenden Duktus. Wurmbach und Schmidt passten, auf andere Weise als Hellwig suggeriert, gut zusammen, obwohl der erste der NSDAP nicht beitrat: „Mit ihren Leibern schirmen der Besten viel/Und heißem Herzen Marken und Heimstatt dir,/Damit sie leben oder sterben -/Segne der Himmel den Schwur! – für Deutschland.“ (Wurmbach, zum Kriegsbeginn 1939).
Raimund Hellwigs Beitrag verdient gewiss eine grundsätzlichere Reaktion als nur die Korrektur einiger seiner sachlichen Fehler. Soviel sei aber doch schon auf die Schnelle einmal mitgeteilt.
Gestern ging ich in meinem Beitrag zu Raimund Hellwigs Aufsatz Über „Die späte Entnazifizierung des Wilhelm Schmidt aus Obersdorf darauf ein, dass er Literatur einsetzte, die es nicht gibt und dass er Wilhelm Schmidt mit NS-Gegnern freundschaftlich verband, die es nicht gab, um den NS-Kritiker auch in Schmidt zu suggerieren.
Heute zunächst noch einmal zu formalen Mängeln.
Abgesehen davon, dass der ganz überwiegende Teil von Hellwigs inhaltlichen Aussagen bei mageren 17 Fußnoten unbelegt bleibt, ist das, was Fußnoteninhalt sein soll, durchweg ungeeignet, etwas zu belegen. Sei es,
– dass der Literaturangabe mindestens die Seitenangabe, aber zusätzlich vielleicht auch Verfasser, Erscheinungsort und Jahr fehlen (FN 7, 10, 11, 12, 13, 14),
– dass ein als „Nekrolog“ ausgewiesener, in eine Fußnote gesetzter Auszug aus einem Personenlexikon kein bisschen Nekrolog enthält (FN 11),
– dass der archivalische Ort komplett fehlt (FN 15),
– dass die Anmerkung die Aussage nur fortführt, ohne aber auf irgendeine Quelle zu verweisen (FN 6, 9, 16),
– dass die Aussage nicht belegen kann, weil die für NSDAP-Amtsträgernamen in den als Quelle pauschal angegebenen „Siegerländer Adressbücher“ Namen gar nicht enthalten oder nur solche der höheren Hierarchieebenen (FN 4) oder weil die genannte Literatur überhaupt nicht existiert (FN 8) oder
– dass ein Hauptstaatsarchiv Düsseldorf inzwischen nicht mehr existiert (FN 3).
Hellwig ruft mit dieser Arbeitsweise die von ihm verantwortete Neuauflage der älteren Schrift „Siegen unter dem Hakenkreuz“ von 2011 in Erinnerung. Der Rezensent Alexander Hesse stellte damals fest, dass die Fülle der Fehler enthülle, „dass der Text nicht nur schludrig geschrieben, sondern auch nie gründlich Korrektur gelesen wurde“. Damit fällt die mangelhafte bis ungenügende Form, die kräftig ins Inhaltliche durchschlägt, auf die Zeitschrift „Siegerland“ zurück, die das zuließ.
Was den Umgang mit Inhalten angeht, beschränke ich mich hier auf zwei Punkte:
1. Hellwig spricht von einer „völkischen Grundhaltung“ vieler westfälischer Heimatdichter, auch Schmidts „Oeuvre“ „völkisch angehaucht“. Das sehen die Schmidt-Kritiker auch so, meinen aber etwas anderes, denn zugleich bemerkt Hellwig, „von Wilhelm Schmidt sind politische Äußerungen nicht überliefert“. Der Leser darf demnach meinen, „völkisch“ sei so was wie „volkstümlich“, „besonders volks- und heimatverbunden“, habe aber jedenfalls nichts mit Politik zu tun. Dem ist nicht so, wenn Schmidt das „Ererbte“ dem „Fortschrittsgeist“ gegenüberstellt, Franzosen und „Tommies“ vor Übergriffen auf „deutsche Heimaterde“ warnt, in der die Geschichte „wurzele“ bzw. in die Wurzeln zu versenken seien, die „heilig“ ist und „Treue der angestammten Art“ gegenüber einfordert, zumal man „mit liebendem Herzen am Großdeutschen Reich“ baue usw.
Hellwig sollte sich vor Eintritt ins Thema erkundigt haben, was mit dem in der Diskussion um westfälische Heimatdichter zentralen Begriff des „Völkischen“ und auch mit „Völkischer Bewegung“ gemeint ist.
Dazu zwei Handbuchartikel: Günter Hartung, Völkische Ideologie, in: Uwe Puschner,Walter Schmitz,Justus H. Ulbricht (Hrsg.), Handbuch zur „Völkischen Bewegung“ 1871-1918, München/New Providence/London Paris 1996, S. 22-41, und Hellmuth Auerbach, Völkische Bewegung, in: Wolfgang Benz, Hermann Graml und Hermann Weiß herausgegebenen Enzyklopädie des Nationalsozialismus, Stuttgart 1997, S. 784.
Hartung: „…’völkisch’ hatte im allgemeinen Gebrauch bereits am Ende der Weimarer Republik seine neutrale Bedeutung fast völlig eingebüßt. … der Große Brockhaus (definierte) … ‚Verdeutschung des Wortes ‚National’ im Sinne eines auf dem Rassegedanken begründeten und daher entschieden antisemitischen Nationalismus.“ (S. 24)
Auerbach: „Der V[ölkischen Bewegung]. Liegen drei Hauptkomponenten zugrunde, die … nach dem Ersten Weltkrieg ins Extreme getrieben wurden: 1. die sozialdarwinistische Vorstellung vom ‚Kampf ums Dasein’, in dem sich der Starke, Wertvolle durchsetzt; 2. damit verbunden die Notwendigkeit eines Kampfes um Lebensraum für das germanische dt. Volk, v. a. im Osten Europas; 3. ein ‚rassisch’ begründeter Antisemitismus.“
Wilhelm Schmidt ist wie andere, bekanntere Exponenten der westfälischen Heimatbewegung (siehe: http://www.sauerlandmundart.de/daunlots.html, dort die Ausgaben 69-71 der „daunlots“ oder exemplarisch das folgende Gutachten: http://www.hamm.de/fileadmin/user_upload/Medienarchiv/Startseite/Dokumente/Gutachten_Steffen_Stadthaus_ueber_Luhmann_neu.pdf) der „Heimatkunstbewegung“ zuzurechen. Die war ein Segment der Völkischen Bewegung.
2. An keiner Stelle findet sich nach Hellwig bei Schmidt Antisemitismus. Das Gedicht „De Gummizitt“, das Schmidt der „nationalen Revolution 1933“ verehrte, spreche an keiner Stelle von der „Gummizeit“ als von einer „verjudeten Republik“. Hellwig scheint nicht geläufig zu sein, dass dort wo Antisemitismus gut verwurzelt ist, nicht ständig explizit von Juden die Rede sein muss, wenn Juden gemeint sind. Die sind nämlich auch so leicht zu erkennen/zu benennen.
1886 war in der antisemitischen Tageszeitung Siegerländer Volksfreund in einer „Volkserzählung“ die Rede von einem „dicken Herrn, aber mit nicht ganz geraden Füßen und einer dicken goldenen Uhrkette“. Oder 1892 von einem Ignatz Barteck, vermutlich, aber unbeweisbar „wucherische Geschäfte“ betreibend. Moral sei, so dieser „Ignatz“, „ein Ding wie ein Gummiband“. Man könne „heutzutage“ alles machen, wenn man dafür nur eine unschuldige Form finde. Lernen könne man das nicht. Man müsse „das Talent dazu im Blute haben“.
Dergleichen konnten die Siegerländer generationenlang lesen, das übt sich. Der Antisemtismusforscher Wolfgang Benz spricht von „Bildern in den Köpfen, die als abrufbare Codes funktionieren“ (Wolfgang Benz, Bilder vom Juden. Studien zum alltäglichen Antisemitsmus, München 2001, S. 11). Er ist auch überzeugt, der „antisemitische Code“ (Shulamit Volkov) lebe fort.
Jedenfalls dürfte er 1933 das Erkennen umstandslos ermöglicht haben, wenn es in der „Gummizeit“ z. B. hieß „Gummili hah och en Gott/deam sie deen beat Herz on Leppe/amer dä dm Socher sech/offenbart als Foererkreppe“ und die Aufforderung „Awer weg vahm ditsche Geist!/Ruß uß ohse ditsche Mensche!“ folgte.
Wobei zu sehen ist, dass für viele Antisemiten „die Definition über das ‚Blut’ … sekundär mit der des ‚jüdischen Geistes’ verbunden“ war, „als Herrschaftsinstrument des Judentums“ (Werner Bergmann in der Enzyklopädie des NS, S. 366). Das hätte Schmidt sicher nicht so geschrieben, verstanden hätte er den Satz sicher.
Mit ein wenig Aufwand müsste es dem Verfasser möglich gewesen sein, sich zu Themen kundig zu machen, zu denen er dann schrieb, ohne auch nur ein Grundwissen zu haben. Offenbar war – ungeachtet des Faktors Bequemlichkeit – anderes wichtiger als Kompetenz in der Sache. Darauf wird noch weiter einzugehen sein.