In der Diskussion um die aktuelle Ausstellung von Werken Hermann Kuhmichels, die hauptsächlich die Rolle des Künstlers in der Zeit des Nationalsozialismus in den Blick nahm, finden sich in den Kommentaren von Ulrich F. Opfermann und Peter Kunzmann detaillierte Angaben zu den Rubensfeierlichkeiten 1940 in Antwerpen und 1941 in Siegen. Zuerst stand die Verleihung eines „Rubenspreises“ 1941 in Siegen an Kuhmichel im Mittelpunkt des Interesses.
Recherchen des Siegener Stadtarchivs in Verwaltungsakten und der. Siegener Zeitung vom 14.07.1941 ergaben: ” ….Die Stadt Siegen veranstaltete am 12. und 13. Juli 1941 eine Rubens-Gedenkfeier, die allerdings im zeitgenössischen Stil politisch gefärbt war. Es fand eine Ausstellung mit Werken von Rubens und anderen zeitgenössischen Künstlern im Siegerlandmuseum statt. Zudem empfing die Stadt Siegen eine Delegation aus Antwerpen, der auch drei Mitglieder des „flandrischen Kulturrats“ angehörten. Es handelte sich um einen Gegenbesuch, nachdem im Vorjahr eine Siegener Delegation zu einer Rubens-Gedenkveranstaltung nach Antwerpen gereist war.
Des Weiteren wurde vor dem Hintergrund des Rubens-Gedenkens eine mit 2.000 RM dotierte Rubens-Stiftung (an einer Stelle in den Akten auch als Rubenspreis bezeichnet) gestiftet. Die Mittel sollten alle zwei Jahre zum Ankauf von Werken der bildenden Kunst von Künstlern des westfälisch – niederrheinisch – niederländisch-flämsichen Kulturkreises eingesetzt werden. 1941 wurde Hermann Kuhmichel als erster Künstler mit der Rubens-Stiftung bedacht. . …. ”
Zu diesem Ankauf bemerkte Hermann Kuhmichel in einem Brief v. 18. Juli 1941 an einen befreundeten Soldaten:“ …. Inzwischen habe ich von der Stadt Siegen den sogenannten Rubenspreis bekommen. Samstag-Sonntag war hier eine ansehnliche Rubensfeier, die Antwerpener Militär- u. Civilverwaltung war hier u. mannhafte Flamen haben viel geredet. Ich kann mir denken, daß es der Stadtverwaltung große Überwindung gekostet hat, mich danach auszuzeichnen. Die Siegener Künstlerschaft fühlt sich, wie immer, zurückgesetzt und da ist auch nicht einer, der ein frdl. Wort an mich gerichtet hat, im Gegenteil, man hetzt u. verleumdet aufs Neue. Wäre ich doch nur aus diesem Kreis heraus. (zitiert nach Henrich, Frieder: Mit Hermann Kuhmichel durch das Siegerland. Eine dokumentarische Zwischenbilanz über das Leben und Werk des großen Künstlers, Siegen 2016, S. 91)
Drei Presseberichte gaben weitere Informationen zu den Feierlichkeiten in Siegen:
In der österreichischen Zeitschrift “Die Bühne” Heft 16 (1941) S. 12, findet sich folgende Notiz zu den Rubensfeierlichkeiten in Siegen: “Aus Anlaß der Rubens-Feier der Geburtsstadt Geburtsstadt Siegen findet im Museum des Siegerlandes in Siegen eine Gedächtnisausstellung mit Rubens-Stichen, Handzeichnungen flämischer Künstler aus der Rubens-Zeit, Holzschnitten, Schabblättern und Dokumenten zum „Fall Rubens“ statt. In der ausliegenden Rubens-Literatur finden die Schriften des holländischen Archivars Bakhuizen van den Brink, die die Erkenntnis, daß Siegen die Geburtsstadt Rubens ist, ans Licht gefördert haben, besondere Beachtung. Die eigene Sammlung von Rubens- Stichen konnte das Siegerländer Heimatmuseum durch wertvolle Neuanschaffungen bereichern. Weiter erwarb das Museum eine Rubens-Büste des Bildhauers Hermann Kuhmichel, von der die Lauchhammer-Werke einen Eisenguß angefertigt haben…..”
“Die drei Delegationsmitglieder” werden in einer kurzen Meldung über die Rubensfeier in der “Deutschen Zeitung in den Niederlanden” (Nr. 32 v. 6.7.1941) genannt:
Robert van Roosbroeck, Oscar Dambre und Achiel Stubbe. Jeder war mit einem Vortrag angekündigt.
Das in New York erschienene Journal “News from Belgium” druckte in seiner Ausgabe Nr. 19 vom 9.8.1941 (in engl. Übersetzung) einen Artikel aus der Kölnischen Zeitung vom 14.7.41 ab, in dem außer den drei oben genannten “Gelehrten” noch andere Delegierte des “Rubens festival at Siegen” aufgeführt wurden:
Leo Delwaide, Bürgermeister von Antwerpen; Jan Grauls, Gouverneur der Provinz Antwerpen; “certain military authorities of Belgium”, unter ihnen “Kriegsverwaltungschef Dr. Delius”. Bei letzterem handelte es sich um den in Siegen geborenen Walter Delius, Sohn des Siegener OB Anton Delius, 1940 bis 1942 Stadtkommissar bei der deutschen Militärverwaltung in Antwerpen.
Hintergrundinformationen zur Delegation aus Antwerpen
Der „flämische Kulturrat“ war ein von den NS-Besatzern Belgiens geschaffenes „Lenkungsorgan“ für die „Verflamung bzw. Germanisierung“ Flanderns und bestand aus besatzungsfreundlichen Personen aus Kultur, Wirtschaft und Politik. Insofern wäre es interessant, einmal die Namen der drei Delegationsmitglieder zu erfahren. An der Spitze des Kulturrats stand der Dichter und Feingeist Cyriel Verschaeve, dessen Nachfolger im Jahr darauf Antoon Jacob wurde. Sie beide waren germanophile militante „flamingants“, also niederländisch-niederdeutsche Völkische. Wegen Kollaboration wurde Jacob, der 1944 Mitglied einer flämischen „Exilregierung“ in Norddeutschland war, nach dem Ende der Besatzung festgenommen und inhaftiert, während Verschaeve zum Tode verurteilt wurde. Er hat freilich nach Österreich fliehen können. Später wurde er zu einem Helden und Idol des Vlaamse Militanten Orde, der 1983 verboten wurde. Dieser Zusammenschluss ist besonders durch eine Serie vor wie nach dem Verbot begangener z. T. mörderischer Attentate auf Migranten und Linke bekannt.
Leon Delwaide war der von den Besatzern eingesetzte OB von Antwerpen, ein Politiker einer katholisch-flämischer Partei, sowohl glaubensfester Katholik als auch zutiefst überzeugter Antisemit. Er wird in der belgischen Zeitgeschichtsschreibung für die Deportation von mehr als 3.000 jüdischen Antwerpenern mitverantwortlich gemacht. Es ist jener Delwaide, der nach den Aufzeichnungen des Sohns Kuhmichel 1936 in dessen Atelier besuchte. Dort dürfte er dann sowohl dessen christliche als auch dessen Nazi-Werke kennengelernt haben.
Siegen-Besuch 1940 in Antwerpen
Der Siegen-Besuch aus Flandern folgte einem Siegener Besuch zu einer „Rubens-Gedenkveranstaltung“ im Jahr zuvor in Antwerpen. Das dürfte die Verleihung des Rembrandt-Preises an Hendrik/Henry Luyten 1940 in Antwerpen aus Anlass des 300. Todestages von Peter Paul Rubens gewesen sein, getragen von der deutschen Militärverwaltung, der Hansischen Stiftung und DeVlag. Die Hansische Stiftung war eine Schöpfung des Propagandaministeriums, der Volksdeutschen Mittelstelle, von Hans Friedrich Blunck u. a. NS-Instanzen. 1941 ging der Preis an Raf Verhulst, „Dichter und Volkstumsaktivist“, der bereits im Ersten Weltkrieg als Kollaborateur zum Tode verurteilt worden war. Jede Preisvergabe, ob Rembrandt oder Rubens oder sonst wer, war an eine Genehmigung durch das Propagandaministerium gebunden.
„DeVlag“ war die Deutsch-Flämische Arbeitsgemeinschaft, gegründet von dem im Siegerland wohlbekannten NS-Kulturfunktionär Franz Petri (http://akteureundtaeterimnsinsiegenundwittgenstein.blogsport.de/verzeichnis/gesamtverzeichnis/#petri2), einem „Organisator der flämischen Kollaborationsbewegung“, dem das „germanisches Volkserbe in Wallonien und Nordfrankreich“ wichtig war und der gerne Belgien als „deutsche Westmark“ statt als „französische Ostmark“ gesehen hätte.
Zum Nachlesen: Burkhard Dietz, Ulrich Tiedau, Helmut Gabel (Hrsg.), Griff nach dem Westen, Teilband II, Münster 2003).
Es ist bekannt, dass Kuhmichel 1940 Eisenplatte anläßlich des 300. Todestags von Rubens für die Stadt Antwerpen gefertigt hatte.
Weiteres Vorgehen: Literatur und Archive – unvollständig
Ein Blick in lokale, biographische Literatur zu Peter Paul Rubens weist alleine für das Jubiläumsjahr 1940 folgende Publikationen aus:
Borke, Paul: Unsterbliches Leben aus Schuld gewachsen: Peter Paul Rubens aus Siegen, in: Siegener Zeitung Jg. 118, Nr. 125 v. 30.5.1940
Broschwitz, Werner: Siegener Rubenserinnerungen, in: Siegener Zeitung Jg. 118, Nr. 125 v. 30.5.1940
Kruse, Hans: Um Peter Paul Rubens Geburt, in: Siegerland Bd. 22, 1940, S. 2 – 10
Kruse, Hans: Drei Briefe von Maria Rubens. Zur Niederlassung der Rubens in Siegen, in: Siegerland Bd. 22, 1940, S. 17 – 24
Kruse, Hans: Rubens-Ehrungen in Siegen, in: Siegerland Bd. 22, 1940, S. S. 25/26
Kruse, Hans: Peter Paul Rubens´ Geburt. Zum 300. Todestag des Künstlers am 30. Mai 1940, in: Kölnische Zeitung Nr. 263 v. 26.5., Nr. 279 v. 4.6., Nr. 283 v. 6.6.1940
Kruse, Hans: Deutsche Heimat P. P. Rubens, in: Bremer Nachrichten v. 30.5.1940
Kruse, Hans: Das Drama im Hause Rubens. Zum 300. Todestag des großen Malers Peter Paul Rubens am 30. Mai 1940, in: Heimatblätter. Beilage des Dill-Zeitung, Jg. 13, 1940, S. 13 – 15
Kruse, Hans: Vortrag in Antwerpen zum 300. Todestag von Rubens, in: DEVLAG. Maandschrift van de Vlaems-Duitse Arbeidsgemeenschap, Zeitschrift der Deutsch-Vlämischen Arbeitsgemeinschaft, Jg. 3, 1940/41, S. 232 – 250.
Kruse, Hans: Peter Paul Rubens´ Geburt. Zum 300. Todestag des Künstlers, in: National-Zeitung Jg. 10, Nr. 125 v. 29.5., Nr. 126 v. 30.5.1940
Kruse, Hans: Rubens und das Haus Oranien, in: Dill-Zeitung, 1940, Nr. 272
Das Heft 1 (1941) der Zeitschrift „Siegerland“ gilt als Rubens-Sonderheft.
Die überregionale Literatur zu Rubens aus den Jahren 1940 und 1941 kann bequem über den Karlsruher Virtuellen Katalog recherchiert werden.
Einschlägiges Archivgut konnte bereits ermittelt werden:
Bundesarchiv Berlin, R 4902 (Deutsches Auslandswissenschaftliches Institut)/ 10416, Rubens, Peter Paul, Maler, Mai – Nov. 1940.
Neben dem bereits erwähnten Propagandaministerium scheint auf deutscher Seite ein Blick in die Bestände des politischen Archivs des Auswärtigen Amtes empfehlenswert.
Auf belgischer Seite sind sicherlich das Stadtarchiv Antwerpen und das zuständige Staatsarchiv zu konsultieren.
Ergänzungen zu Delwaide unter Punkt a) des Kommentars von Ulrich F. Opfermann an anderer Stelle: http://www.siwiarchiv.de/ausstellung-hermann-kuhmichel-leben-und-werk/#comment-84877
Das erste hab ich mal hierhin rübergesetzt und es ergänzt, um die Lesefreundlichkeit und den Informationsgehalt zu verbessern. Mir ging es um die Frage, in welchem Milieu man sich bewegte, wenn man von flämischen oder deutschen völkischen Heimatenthusiasten umgeben war:
a) Nachtrag zu dem belgischen Politiker [Dr.] Léon Delwaide, einem katholischen Glaubensbruder, dem nach dem Manuskript des Kuhmichel-Sohns der Künstler seinen Auftrag zu einer Rubens-Büste zu verdanken hatte und den er schon 1936 kennenlernte:
“We believe that Leon Delwaide carried the responsibility for the arrest, the deportation, and the death of more than 3.600 Jews from Antwerp. (Sylvain Brachfeld, A gift of life. The deportation and the rescue of the Jews in occupied Belgium (1940-1944), Jerusalem 2007, S. 31
Delwaide: “a blatant antisemite and xenophobe before the war and who became the mayor of Antwerp during the occupation (David Bankier, Israel Gutman (Hrsg.), Nazi Europe and the Final Solution, Jerusalem 2009, S. 486)
b) Dr. Robert van Roosbroeck arbeitete seit 1933 bei der Zeitung und gehörte zu jenen Mitarbeitern der Tageszeitung De Schelde, die dort eine prodeutsche Positionierung durchsetzten. Er trat dem völkischen Vlaamsch Nationaal Verbond bei und nahm Teil an den Aktivitäten von DeVlag (s. o). Nach der NS-Besetzung wurde er Leiter des Amts für Erziehung von DeVlag. Wie schon im Ersten Weltkrieg kollaborierte er mit der Besaatzungsmacht. 1940 tratt er der Allgemeinen SS Flandern bei und wurde Leiter des Nederlandsche Kultuurraad. 1942 wurde er unter Delwaide Beigeordneter für das Unterrichtswesen in Groß-Antwerpen und erhielt eine Hochschullehrerstelle. 1944 flüchtete er nach Deutschland und wurde Mitglied einer dort befindlichen flämischen „Exil-Regierung“.
Nach dem NS-Ende tauchte er in Antwerpen unter. In Abwesenheit wurde er zum Tode verurteilt und verschwand in die Niederlande. Da die westliche Politik bewährte Antikommunisten gut brauchen konnte, konnte er sich ab 1954 frei bewegen, ab 1970 auch in Belgien und unter zahlreichen Pseudonymen weiterhin Flämisch-Völkisches publizieren. (Armand van Nimmen, Rob Van Roosbroeck en tijdgenoten, Gent 2014)
c) Die westfälische Zeitschrift „Heimat und Reich erschien zwischen 1934 und 1943. Schriftleiter war Josef Bergenthal, Parteigenosse und SA-Mitglied, etwas später auch Landesleiter der Reichsschrifttumskammer. Herausgeber war der Siegerländer Altnazi und Landeshauptmann Karl-Friedrich Kolbow (http://akteureundtaeterimnsinsiegenundwittgenstein.blogsport.de/verzeichnis/gesamtverzeichnis/#kolbow). Das abgebildete Inhaltsverzeichnis sagt genug. Es nennt die Prominenz der westfälischen Heimat- und Nazi-Literatur (Westfälische Literatur im „Dritten Reich“, Die Zeitschrift Heimat und Reich. Eine Dokumentation. Herausgegeben und bearbeitet von Walter Gödden (Veröffentlichungen der Literaturkommission für Westfalen, Bd. 51, Bielefeld 2012)
d) Franz C/Klemens Gieseking: kommt noch.
Im Archiv des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe befindet sich im Nachlass der Franz Petri unter der Signatur 914/84 ein Aktenband, der Vorgänge aus dem unmittelbaren Tätigkeitsbereich der Militärverwaltung Belgien/Nordfrankreich vom 19. Juni 1941 – 17. Juli 1941, 9. August 1941 enthält. Für die Rubensfeierlichkeiten besonders interessant dürften folgende Schreiben sein:
– Vermerk von KVR Reese über eine Verfügung des MVCh zur Teilnahme an der Rubens-Feier der Stadt Siegen und derartigen Ausstellungen; o.O., 14.07.1941, (kult), S. 021
– KVR Reese an das Museum des Siegerlandes, Siegen: Absage einer Einladung zur Teilnahme an der Rubensfeier; o.O., 20.06.1941, (kult), S. 146