Dr. Thomas Bartolosch forscht zur Regionalgeschichte von Siegerland und Westerwald. Im aktuellen Querschnitt erklärt der Historiker, warum man die Welt oft besser verstehen kann, wenn man den Blick auch auf die eigene Region lenkt.
Die „große“ Geschichte spielt sich immer auch im Kleinen ab, und im Alltag der Menschen spiegeln sich historische Ereignisse wider. So sieht es Dr. Thomas Bartolosch , Lehrkraft für besondere Aufgaben im Fach Geschichte (Fakultät I) an der Uni Siegen. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Regionalgeschichte. Die Region – das sind das Siegerland und der Westerwald, wo Bartolosch lebt und aufgewachsen ist. Spannende Themen findet er hier immer wieder.
Querschnitt: Im Herbst planen Sie ein Projekt zum Hauberg. Bei dem Thema schlägt das Herz des Siegerländers höher, oder?
Bartolosch: Ja, wahrscheinlich. Man meint immer, das wäre eine Erfindung der Siegerländer, aber der Hauberg ist gar kein regionales Phänomen. In anderen europäischen Ländern und Regionen, zum Beispiel den Pyrenäen, gab es diese Form der Waldbewirtschaftung auch. Daran sieht man, dass regionalgeschichtliche Themen immer in einem großen Zusammenhang zu sehen sind, man vieles aber besser verstehen kann, wenn man den Blick erstmal auf das lenkt, was vor der Haustür passiert ist.
Können sich Studierende denn auch dafür begeistern?
Ja, sicherlich. Wobei es bei den Seminaren auch darauf ankommt, wie man sie verkauft. Ich habe mal ein Seminar angeboten über historische Ansichtskarten. Klingt jetzt nicht so spannend, aber der Titel „Ein Gruß aus dem Kreis Altenkirchen“ hat dann doch ganz viele Studierende neugierig gemacht.
Nur die Studierenden, die tatsächlich hier ihre Heimat haben?
Nein, das kann man so pauschal nicht sagen. Manche regionalgeschichtliche Themen findet ein Student aus Asien wahnsinnig interessant, wogegen der gebürtige Siegerländer gelangweilt abwinkt. Mit Heimattümelei habe ich gar nichts am Hut. Bei der wissenschaftlichen Betrachtung geht es darum, eine kritische Distanz zu wahren. Das ist für die vielen Heimatfreunde und Heimatkundler der Region nicht immer leicht zu verstehen. Früher hat man manche Themen ohnehin ganz ausgeklammert. Die Zeit des Nationalsozialismus zum Beispiel. Das hat sich – auch durch die Universität – geändert, denn engagierte Professoren und Studierende haben in ihren Arbeiten ganz bewusst solche Fragestellungen behandelt.
Wie ist die Zusammenarbeit mit den Vereinen jetzt?
Das läuft gut. Viele Bürger interessieren sich für die Projekte, die an der Uni entstehen. Vorträge und Ausstellungen zu regionalgeschichtlichen Themen sind immer sehr gut besucht. Das ist ein schöner Erfolg für die Studierenden, aber auch gut für die Profilierung und Verankerung der Hochschule in der Bevölkerung. Mittlerweile sind einige Absolventen in der Leitung historischer Institutionen und Verbände tätig. Wenn jetzt Studierende zu einem Thema recherchieren, finden sie überall kompetente Unterstützung. Da hat sich ein funktionierendes Netzwerk gebildet, weil regionalgeschichtliche Themen gerade in den 80er- und 90er Jahren eine große Rolle spielten.
Und heute nicht mehr?
Das Interesse ist nach wie vor da, aber die Studienordnungen haben sich so geändert, dass leider kein Platz bleibt für Projektseminare, die über mehrere Semester gehen. Obwohl ich das gerade für die Lehramtstudenten sehr wichtig finde, denn sie sind doch diejenigen, die später den Schülern Geschichte spannend vermitteln sollen, und wie ginge das besser als mit Beispielen, die man vor Ort kennen lernen kann. Geschichte, die vor der Haustür passiert, packt Kinder und Jugendliche viel schneller und stärker.
Haben Sie sich als Schüler für Regionalgeschichte interessiert?
Eigentlich nicht, obwohl sich mein Vater in der Richtung engagiert hat. Er hat nach dem Krieg aus den zerstörten Häusern in Betzdorf einige Unterlagen gerettet und ein kleines Archiv zu Hause angelegt. Ich bin aber erst im Studium auf viele Themen aufmerksam geworden, weil ich als freier Mitarbeiter für die Siegener Zeitung gearbeitet habe. Durch die Lokalberichterstattung lernt man viele Menschen und die Region kennen und wird mit der Nase auf Sachen gestoßen, bei denen man sich fragt: Wieso hat sich das im Siegerland und Westerwald so und nicht anders entwickelt? Und als ich nach dem Lehramtsstudium keine Stelle bekam, hat man mir angeboten, das Kreisarchiv in Altenkirchen zu betreuen. Meine Doktorarbeit habe ich dann auch über ein regionalgeschichtliches Thema geschrieben: Das Textilgewerbe im Siegerland.
Welche Themen würden Sie jetzt noch reizen?
Es wäre sehr spannend, sich mal die 20er Jahre genauer anzuschauen oder auch die 68er Bewegung im Siegerland. Wie hat man diese politische Aufbruchstimmung hier wahrgenommen und welche Rolle spielte die Pädagogische Hochschule? Da gibt es genügend Zeitzeugen, die sicherlich interessante Dinge erzählen können.
Das Interview führte Sabine Nitz.
Dieser Artikel ist im Querschnitt 4/2013 erschienen.