Nordrhein-Westfalen lässt missbräuchlichen Medikamenteneinsatz bei Kindern und Jugendlichen bis 1980 untersuchen. Sozialministerium vergibt Studie zur Arzneimittelgabe im Rahmen von Medikamententests oder zur Ruhigstellung.
Das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat eine Studie in Auftrag gegeben, um missbräuchlichen Medikamenteneinsatz bei Kindern und Jugendlichen aufarbeiten zu lassen. Die Studie untersucht Medikamententests in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, der Behindertenhilfe und der Psychiatrie von der Gründung des Landes im Jahr 1946 bis zum Jahr 1980.
Beauftragt wurde eine Gemeinschaft von Forscherinnen und Forschern verschiedener Hochschulen unter Leitung von Prof. Dr. Heiner Fangerau vom Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Das Land finanziert die Studie mit 430.000 Euro. Ergebnisse sollen in rund zwei Jahren vorliegen.
„Es ist gut, dass so renommierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Studie erstellen. Die bisher vorliegenden Forschungsergebnisse und Erlebnisberichte damaliger Opfer belegen in vielen Fällen, dass Kindern und Jugendlichen unsachgemäß und missbräuchlich Medikamente verabreicht wurden. Dieses dunkle Kapitel unserer Landesgeschichte muss aufgeklärt werden. Die Untersuchung soll ans Licht bringen, was damals geschehen ist und Verantwortliche klar benennen. Das sind wir den Betroffenen schuldig“, sagt Sozialminister Karl-Josef Laumann.
Die Studie soll Hintergründe und Ausmaß der Testung von Medikamenten in nordrhein-westfälischen Heimen aufdecken. Auch der Einsatz von Medikamenten zur Disziplinierung oder Ruhigstellung von Kindern und Jugendlichen soll untersucht werden. Das Forscher-Team will dazu beispielsweise in Archiven von Einrichtungsträgern und arzneimittelproduzierenden Unternehmen recherchieren. Ebenso sind Interviews mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen geplant.
„Es ist gut, wenn wir über die historische Analyse zu einer Aufarbeitung und Anerkennung des von Kindern erlebten möglichen missbräuchlichen Einsatzes von Arzneimitteln beitragen können“, sagt Prof. Dr. Heiner Fangerau.
Hintergrundinfos zum Forschungsteam
Prof. Dr. Heiner Fangerau von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf hat die im letzten Jahr abgeschlossene, von der Stiftung „Anerkennung und Hilfe“ in Auftrag gegebene Studie zu Leid und Unrecht, das Kinder und Jugendliche in Behindertenhilfe und Psychiatrie der BRD und DDR 1949 bis 1990 erfahren haben, koordiniert. Zudem ist er Projektpartner im derzeit noch laufenden Projekt zu „TESTIMONY – Erfahrungen in DDR-Kinderheimen. Bewältigung und Aufarbeitung“, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert wird.
Prof. Dr. Wolfgang Schröer von der Universität Hildesheim arbeitet seit 2018 in der Arbeitsgruppe der Institute Sozial- und Organisationspädagogik und Erziehungswissenschaft zur wissenschaftlichen Aufarbeitung von Übergriffen in der Kinder- und Jugendhilfe. Zudem leitet er seit 2013 Forschungsvorhaben im Zusammenhang mit sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in pädagogischen Kontexten.
Prof. Dr. Anke Dreier und Prof. Dr. Karsten Laudien von der Evangelischen Hochschule Berlin waren an der im letzten Jahr abgeschlossenen oben genannten Studie zu Leid und Unrecht, das Kinder und Jugendliche in Behindertenhilfe und Psychiatrie der BRD und DDR 1949 bis 1990 erfahren haben, beteiligt.
Quelle: Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales NRW, Pressemitteilung v. 3.7.2022