Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen zur heutigen Stadtverordnetenversammlung
“ … [D]as Ende des von Deutschland begonnenen Zweiten Weltkriegs liegt nunmehr fast genau 80 Jahre zurück. Den Grünen in Bad Berleburg erscheint es nicht mehr zwingend und zeitgemäß, Straßen nach Militärs des vorletzten Jahrhunderts zu benennen. Daher beantragt die Fraktion von Bündnis 90/ Die Grünen in der Stadtverordnetenversammlung Bad Berleburg, dass die entsprechende städtische Straße nicht mehr nach dem Generalfeldmarschall Helmuth Karl Bernhard von Moltke, sondern nach seinem Urgroßneffen, dem Widerstandskämpfer im III. Reich, Helmuth James Graf von Moltke benannt ist.
Dieser Antrag hat also den Charakter der Umwidmung eines Straßennamens, bei der Maßnahmen wie Anschriften-Änderungen für Anwohner oder Austausch von Schildern durch die Stadtverwaltung nicht erforderlich sein werden. Daher betrachten wir die “Regelungen für die Benennung von Straßen, Wegen und Plätzen auf dem Gebiet der Stadt Bad Berleburg“ (Sitzungsvorlage 307 XI zur StVV am 28.03.2022) als in diesem Fall nicht einschränkend. Der Antrag soll, falls erforderlich, vor seiner Beschlussfassung in der Stadtverordnetenversammlung am 07.04.2025 im zuständigen Ausschuss (ggf. Ausschuss lt Planen, Bauen, Wohnen und Umwelt am 01.04.2025) behandelt werden.
Begründung:
Um der Bedeutung des Antrags aus grüner Sicht sowie der Person des möglichen neuen Namenspatrons für die Moltkestraße gerechtzu werden, Legt die Fraktion folgende diesmal etwas ausführlichere Begründung vor:
Die Bad Berleburger Moltkestraße trägt ihren Namen, ähnlich der Roonstraße, nach dem preußischen Generalfeldmarschall Helmuth Karl Bernhard von Moltke (26.10.1800 –
24.04J891), genannt Moltke der Ältere. Von ihm stammt folgendes Zitat:
‘Der ewige Friede ist ein Traum, und nicht einmal ein schöner, und der Krieg ist ein Glied in Gottes Weltordnung. In ihm entfalten sich die edelsten Tugenden des Menschen, Mut und Entsagung, Pflichttreue und Opferwilligkeit mit Einsetzung des Lebens. Ohne den Krieg würde die Welt im Materialismus versumpfen.“ (11. Dezember 1880 in einem Brief an Johann Caspar Bluntschli; wiedergegeben in: Bluntschli, Denkwürdiges aus meinem Leben, 3. Band, Nördlingen 1884, sowie in: ders., Gesammelte kleine Schriften. Band II, Nördlingen 1881 S. 271)
Er galt als Stratege der drei preußischen Einigungskriege gegen Dänemark, Österreich und Frankreich. Der Name von Moltke galt im 19. Jahrhundert als Garant für militärischen Erfolg.
80 Jahre nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges halten wir es für geboten, durch die Moltkestraße eines anderen Mannes zu gedenken:
Helmuth James Graf von Moltke (*11.03.1907 in Kreisau, + 23. Januar 1945 in Berlin-Plötzensee)
Er war der Urgroßneffe des preußischen Generalfeldmarschalls. Moltkes Herkunft, sein soziales Engagement, seine Ausbildung und die internationalen Kontakte führten ihn früh in Opposition gegen das NS-Regime. Aufgewachsen auf dem schlesischen Gut Kreisau, genoss er durch seine aus einer bürgerlichen südafrikanischen Familie stammende Mutter eine vorwiegend britische, liberale Erziehung. Schon früh übte der Jurist offen Kritik an Hitlers Aufstieg und verzichtete auf die Richterlaufbahn, um nicht der NSDAP beitreten zu müssen. Als Völkerrechtler im Oberkommando der Wehrmacht engagierte sich Moltke für die Einhaltung des Völkerrechts, für die Rechte von Kriegsgefangenen und gegen Geiselerschießungen – und erhielt so einen tiefen Einblick in die Verbrechen von NS-Staat und Wehrmacht. In den Briefen, die er an seine Frau Freya schrieb, stellte er die Frage, die sich viele Deutsche hinsichtlich der Verbrechen des Nationalsozialismus hätten stellen müssen: “Darf ich das erfahren und trotzdem in meiner geheizten Wohnung am Tisch sitzen und Tee trinken? Mach ich mich dadurch nicht mitschuldig?“
Helmuth James Graf von Moftke wurde vor 80 Jahren im Gefängnis Berlin-Plötzensee hingerichtet – mit 38 Jahren. Der schlesische Gutsbesitzer und Völkerrechtsexperte war ein führender Kopf des Widerstandes gegen die Nationalsozialisten. Seit 1940 hatte er zusammen mit Peter Graf Yorck zu Wartenburg die Widerstandsgruppe aufgebaut, die später von der Gestapo den Namen ‘Kreisauer Kreis“ bekam und Konzepte für ein ‘anderes Deutschland“, ein „föderales Europa“ und eine neue Wirtschaftsordnung jenseits von kapitalistischer Marktwirtschaft und sozialistischer Planwirtschaft entwickelte. Zu ihnen gehörten auch u.a. bekannte Personen wie Alfred Delp, Eugen Gerstenmeier, Julius Leber oder Adolf Reichwein. Mit Sozialdemokraten, Gewerkschaftern, Konservativen und Theologen entwirft Moltke bei zahllosen Gesprächen Pläne für ein neues Deutschland nach dem Sturz der Nazis.
Seinen beiden Söhnen Caspar und Konrad schrieb er am 11. und 17. Oktober aus der Tegeler Haft: „Ich habe mein ganzes ganzes Leben lang, schon in der Schule, gegen einen Geist der Enge und der Gewalt, der Überheblichkeit und der mangelnden Ehrfurcht vor Anderen, der Intoleranz und des Absoluten, erbarmungslos Konsequenten angekämpft, der in den Deutschen steckt und der seinen Ausdruck indem nationalsozialistischen Staat gefunden hat. Ich habe mich auch dafür eingesetzt, dass dieser Geist mit seinen schlimmen Folgeerscheinungen wie Nationalismus im Exzess, Rassenverfolgung, Glaubenslosigkeit, Materialismus überwunden werde ..“
Und weiter: Noch eines muss ich euch sagen, weil es euch sonst niemand sagen kann. Seitdem der Nationalsozialismus an die Macht gekommen ist, habe ich mich bemüht, seine Folgen für seine Opfer zu mildern und einer Wandlung den Weg zu bereiten. Dazu hat mich mein Gewissen getrieben und schließlich ist das eine Aufgabe für einen Mann.« (Abschiedsbriefe, S. 64 und 73)
Am 11. Januar 1945 wurde Moltke vom berüchtigten Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und am 23. des Monats in Plötzensee gehängt. Die Entwürfe des Kreisauer Kreises jedoch überdauern das Kriegsende unter den Dachsparren des Kreisauer Schlosses. Auf dem früheren Gutshof der Moltkes in Polen befindet sich heute eine europäische Begegnungsstätte, die sich für folgende Grundwerte einsetzt:
•Europäische Verständigung durch die aktive Auseinandersetzung mit der Geschichte von Widerstand und Opposition im 20. Jahrhundert
•Individuelles Verantwortungsbewusstsein als Voraussetzung füur eine demokratische, europäische Bürgergesellschaft
•Ethische Orientierung an den universellen Menschenrechten
•Einbeziehung und Teilhabe von Menschen unterschiedlicher sozialer; nationaler und ethnischer Zugehörigkeit, aller Altersgruppen, aller Geschlechter, politischer Überzeugungen, sexuellen Orientierung und mit unterschiedlichen Einschränkungen.
Im Gedenken an Helmuth James Graf von Moltke ist es 80 Jahre nach Kriegsende geboten, dem Straßennamen Moltkestraße einen zukunftsweisenden Sinn zu geben, indem wir an diesen Widerstandskämpfer und an seine ihn leitenden Werte und nicht an den kriegsverherrlichenden Generalfeldmarschall erinnern. Dazu ist keine Umbenennung im Sinne des Austausches von Straßenschildern nötig. Jedoch wäre neben dem Beschluss der städtischen Gremien jeweils ein Zusatzschild, welches entsprechende Hinweise enthält, angebracht.“
Sowohl die Siegener Zeitung (Bezahlschranke) als auch die Westfalenpost berichteten über diesen Antrag. Ein erster ablehnender Leserbrief „Hört endlichauf“ erschien in der Siegener Zeitung vom 28. März 2025.