LWL-Volkskundler sammeln Informationen zu mobilen Gewerben
„Lumpen, Alteisen!“, so klang es in den 1970er Jahren in den Straßen und Gassen vieler westfälischer Dörfer und Städte. Der Altwarenhändler machte mit einer schrillen Pfeife und einem mehr oder weniger melodischen Rufen auf sich aufmerksam. Wer Textilien oder Schrott loswerden wollte, der lief auf die Straße und warf alles einfach auf den offenen Pritschenwagen. Die Berichte und Fotos im Archiv für westfälische Volkskunde beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL), das seit dem Frühsommer auch online recherchierbar ist, erzählen noch von vielen anderen mobilen Gewerbetreibenden, die teilweise sogar bis in die 1980er Jahre hinein auf den Straßen Westfalens unterwegs waren und ihre Waren oder Dienstleistungen anboten. Samenhändler, Scherenschleifer, Eierhändler, Packenträger, Mausefallenkrämer, Schirmflicker, Korb- oder Kurzwarenhändler zogen auf der Suche nach Kunden von Ort zu Ort und von Tür zu Tür. „Vor allem in Orten, in denen es keine Geschäfte gab, waren die Wanderhändler höchst willkommen“, erzählt Jutta Nunes Matias, Archivleiterin der Volkskundlichen Kommission für Westfalen beim LWL. „Sie versorgten die auf abseits gelegenen Gehöften wohnende Bevölkerung nicht nur mit Waren oder Dienstleitungen, sondern fanden auch noch Zeit für ein Schwätzchen.“ Die Wanderhändler bekamen auf ihren Reisen Einblick in viele Haushalte und waren deshalb nicht selten auch Ansprechpartner wenn es galt, die richtige Braut für den Hoferben zu finden.
Unter den Wanderhändlern gab es natürlich auch Hierarchien: Da waren zum einen diejeni-gen, die über einen Wagen verfügten. Sie hatten sehr viel mehr Ware anzubieten als die Händler, die mit einer Kiepe oder mit dem Bauchladen über Land zogen. „Die Wagen der mobilen Händler waren höchst unterschiedlich. In den Berichten aus dem Volkskunde-Archiv ist von Karren die Rede, die von einem Esel oder einem Hund gezogen wurden. Gleichzeitig waren aber auch Händler mit Pferdewagen oder sogar mit motorisierten Gefährten unterwegs“, erläutert Nunes Matias. Frische Waren wie Eier konnten nicht über weite Strecken hinweg gehandelt werden. Anders war es mit Sensen oder Korbwaren, die aus Westfalen oder Hessen bis nach Russland gelangten.
„Viele Menschen denken, dass mobile Gewerbe einer längst vergangenen Zeit angehören. Das ist ein Trugschluss“, räumt Nunes Matias mit einigen Vorurteilen auf. „Wer mit offenen Augen durch die Welt geht, der sieht an allen Ecken Gewerbetreibende, die früher stationäre Dienstleistungen nun ambu¬lant anbieten.“ Angefangen mit dem Leezen-Doktor, der vor der Mensa am münsterischen Aasee Hilfe bei Fahrradreparaturen anbietet, über die Frisörin, die ins Haus kommt, bis hin zur Physiotherapeutin, die sich manch größere Firma zur Förderung der Gesundheit ihrer Angestellten ins Haus einlädt, gibt es eine wachsende Anzahl von Personen, die Mobilität zum Geschäftsprinzip erhoben haben.
„Im Archiv für westfälische Volkskunde sammeln wir Informationen über mobile Gewerbetreibende. „Ob Fotos oder Handzettel, schriftliche Berichte oder Zeitungsanzeigen: Wir sammeln alles, was mit diesem Thema zusammenhängt“, fasst Jutta Nunes Matias zusammen. „Als kulturwissenschaftliches Archiv sehen wir unsere Aufgabe auch darin, das gegenwärtige Gesellschafts- und Wirtschaftsleben zu dokumentieren. Wir wollen der Nachwelt nicht nur überliefern, wie es vor 50 oder 100 Jahren hier ausgesehen hat, sondern auch Informationen sammeln über das Arbeitsleben unserer Zeit“, so die LWL-Volkskundlerin weiter.
Aufruf: Wer kann Fotos oder Berichte beisteuern, wer steht für ein Interview zur Verfügung?
Wer zur Materialsammlung des Volkskundearchivs beitragen möchte oder in einem Interview Auskunft geben möchte, kann Dokumente, Fotos, Berichte oder eine Kontaktadresse an folgende Adresse senden:
Volkskundliche Kommission für Westfalen
Landschaftsverband Westfalen-Lippe
Scharnhorststraße 100
48151 Münster
Tel.: 0251/8324404
„All diejenigen, die erst einmal in Ruhe schauen wollen, was wir denn schon haben, sind natürlich eingeladen, sich in unserem neuen online-Archivportal unter www.lwl-volkskundearchiv.org zu informieren“, betont die Archivleiterin.