Literaturhinweis: „Region und außerschulische Lernorte im Geschichtsunterricht“

Ein Gastbeitrag von Matthias Opitz

Die Wahlergebnisse in Brandenburg, Sachsen und Thüringen werden vielfach als typisch ostdeutsch interpretiert. Mit dieser geografischen Deutung politischen Geschehens wird die Kategorie Raum zum Argument, die in der Wissenschaft eine wichtige Rolle spielt, aber im Schulalltag noch kaum angekommen ist. In dem vorliegenden Band werden die Diskussionen in Geschichtswissenschaft und Geschichtsdidaktik zum Raumbegriff aufgegriffen und auf den Geschichtsunterricht bezogen. Zentral ist dabei die Einsicht, dass der Raum, so natürlich er uns erscheinen mag, keine gegebene Einheit ist, sondern immer von Menschen geschaffen und gestaltet wird. Dies zeigt der Band an regionalen Beispielen und außerschulischen Lernorten, denn hier wird besonders deutlich, dass immer wieder darüber diskutiert und auch gestritten wird, welche Gebiete zu einer Region gezählt werden, welche Menschen dazu gehören, woran sich eine Region erinnern möchte und wie sie sich über ihre Vergangenheit definiert. „Region“ existiert nur, wenn Menschen etwas als ihre Region wahrnehmen und verstehen. Das Reflektieren über Region ermöglicht natürlich zugleich, die emotionaleren Aspekte von „Heimat“ mit zu thematisieren.

An regionalen Beispielen lassen sich sowohl Fragen und Themen der „großen“ Geschichte als auch Entwicklungen und eigene Geschichten des Lebensraumes der Schülerinnen und Schüler besprechen.

Zwei der Beiträge des Bandes seien hier näher vorgestellt.

Das Projekt ZEIT.RAUM Siegen, das hier vorgestellt und für den Unterricht nutzbar gemacht wird, ist eine Kooperation der Universität Siegen, des Siegerlandmuseums im Oberen Schloss und der Stadt Siegen. Mit dem Projekt werden regionale Erinnerungsorte ermittelt und diskutiert. Es geht um die Auseinandersetzung mit dem alltäglichen Lebensraum und seiner historischen Dimension. Die Menschen in der Region sollen dazu ermutigt werden, populäre Geschichtsdeutungen kritisch zu hinterfragen und neue Deutungsvarianten konstruktiv mitzugestalten. Das Projekt hat zwei miteinander verknüpfte Bausteine, die im Rahmen einer interdisziplinären Zusammenarbeit verschiedener Lehrstühle entwickelt wurden: Eine Online-Plattform (ZEIT.RAUM Wiki), auf der Bürgerinnen und Bürger jeden Alters regionale Erinnerungsorte erforschen können, sowie ein interaktives und multimediales 3D-Stadtmodell mit Standort im Siegerlandmuseum im Oberen Schloss. Dieses macht regionale Erinnerungsorte sichtbar, ja sogar greifbar. Im ZEIT.RAUM Wiki werden Informationen und Quellen zu den Erinnerungsorten und den gesellschaftlichen Debatten über ihre Bedeutung bereitgestellt. Gleichzeitig dient es als Diskussionsforum. Nutzerinnen und Nutzer können bestehende Einträge über ein Forensystem kommentieren und bearbeiten aber auch eigene Quellen, z.B. Fotos, Briefe oder persönliche Dokumente hochladen sowie eigene Beiträge erstellen. Eine besonders wichtige Zielgruppe sind Kinder und Jugendliche. Das Projekt soll ihnen ein Forum bieten, sich aktiv mit ihrer Region, ihrer Stadt auseinanderzusetzen und sich in die erinnerungskulturellen Debatten einzubringen. Der Besuch des Stadtmodells im Siegerlandmuseum ist nur eine von vielen Möglichkeiten, das Projekt für historisches Lernen in der Schule zu nutzen. Darüber hinaus können neue Erinnerungsorte erforscht und Einträge für das Wiki verfasst bzw. ergänzt werden. So weckt und nutzt das Projekt das Interesse von Schülerinnen und Schülern an der forschenden und handelnden Auseinandersetzung mit ihrer Lebenswelt und bringt vielfältige Möglichkeiten der „neuen“ Medien für Informationsbeschaffung und -präsentation in den Geschichtsunterricht.

Ein weiterer Beitrag knüpft an das Zeit.Raum Projekt an. Es widmet sich neben den Fragen „Was ist Widerstand?“ und „Wer hat im Dritten Reich Widerstand geleistet?“ der vielleicht noch spannenderen Debatte darüber, wie wir heute mit diesen Fragen umgehen. Die Erinnerung an Personen, die durch Nonkonformität in den Jahren 1933 bis 1945 in unser regionales Geschichtsbild eingeflossen sind – oder eben nicht – steht dabei im Mittelpunkt. Die Debatte, die besonders hinsichtlich der Forderung einer Ehrung für den kommunistischen Widerstandskämpfer Walter Krämer seit dem historischen Ereignis bis in die Gegenwart geführt wird, spielt in dem Unterrichtsentwurf eine wesentliche Rolle. Biografische Daten und Texte aus der Debatte sind über das Wiki von Zeit.Raum leicht zugänglich. Ziel ist es, am konkreten Beispiel die Gegenwartsrelevanz von Geschichte erfahrbar zu machen und die kritische Auseinandersetzung mit existierenden und – in diesem Fall – umstrittenen Geschichten zu fördern. Das Anliegen der Einheit ist es also, Schülerinnen und Schüler zu reflektierter und aktiver Mitarbeit an geschichtskulturellen Diskussionen und Entscheidungen (soll eine Straße nach Walter Krämer benannt werden?) zu befähigen. Neben den theoretischen und biografischen Zugängen ist in der Unterrichtsequenz die Einbeziehung außerschulischer Lernorte vorgesehen, um an verschiedenen Orten der Stadt der Erinnerung an den lokalen Widerstand auf die Spur zu kommen. Dieser Gang, von Siegerlandmuseum und Zeit.Raum Modell aus durch die Stadt verlegt den „Ort“ von Widerstand von Wolfschanze und Münchner Universität vor die eigene Haustür.

Zu beziehen ist der Band unter: https://www.roehrig-verlag.de/shop/item/9783861107439/region-und-auerschulische-lernorte-im-geschichtsunterricht

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert