Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung legt Publikation vor
Das Reichsarchiv Potsdam und seine Nachfolgeeinrichtungen Bundesarchiv und Deutsches Zentralarchiv der DDR stehen im Zentrum einer aktuellen Studie, die Peter Ulrich Weiß im Auftrag des Leibniz-Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF) vorlegt. In „Deutsche Zentralarchive in den Systemumbrüchen nach 1933 und 1945“ untersucht der Historiker die Durchsetzung diktatorischer und demokratischer Herrschaftsverhältnisse vor und nach 1945 und fragt nach den Auswirkungen, die sich für zentrale Archivbehörden und deren Personal ergaben. Die Studie, die das ZZF im Auftrag des Bundesarchivs verantwortet, leistet einen Beitrag zur Auseinandersetzung deutscher Behörden mit ihrer institutionellen Diktaturbelastung für einen spezifischen Bereich der staatlichen Verwaltung, der bislang weniger im Fokus gestanden hat.
„Es ist wichtig, dass nun eine wissenschaftliche Untersuchung insbesondere zur NS-Vergangenheit unserer Institution vorliegt“, sagte der Präsident des Bundesarchivs Michael Hollmann. „Gerade wir als zentrales Staatsarchiv der Bundesrepublik Deutschland, dem die Aufarbeitung des Nationalsozialismus ebenso wie der kommunistischen Diktatur in der DDR ein besonderes Anliegen ist, wollen uns unserer Geschichte stellen. Es war eine bewusste Entscheidung, eine unabhängige wissenschaftliche Erforschung dieses Themas zu ermöglichen. Es ist nun Sache von Historikerinnen und Historikern, das Ergebnis in den Gesamtkontext der Forschung einzuordnen“, so Hollmann.
Martin Sabrow, ehemaliger Direktor des Leibniz-Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam: „Peter Ulrich Weiß entfaltet ein großangelegtes Panorama an Biografien, Orten und politischen Geschehnissen über mehrere Systeme hinweg und verbindet ihre Darstellung mit stadt-, fach- und gesellschaftsgeschichtlichen Erörterungen. Dank dieser Melange liegt eine dichte Archivgeschichte für das ,Jahrhundert der Extreme‘ vor, die einen hohen zeithistorischen Erkenntniswert besitzt und Einsichten in ein bislang wenig erforschtes Feld bereithält.“
Für die NS-Zeit und die Zeit der SED-Diktatur wird in der Studie eine erhebliche Systemträgerschaft unter Archivarinnen und Archivaren belegt. Haltungen und Verhaltensweisen befanden sich in einer Grauzone zwischen Mitmachen und Verweigern. Liebe zum Beruf und Loyalität zur Behörde erweisen sich dabei als gewichtige und in ihrer Ausprägung durchaus archivspezifische Faktoren, wenn es um das Mitmachen und Anpassen ging. Das Beharren auf Fachautonomie und Expertenstatus konnte aber auch dazu führen, ideologisch motivierte Einflussnahmen abzublocken.
Die Entwicklung der Zentralarchive von der Weimarer Republik bis in die 1960er Jahre sieht der Autor zudem geprägt von permanenten Struktur-, Personal- und Zuständigkeitsveränderungen. Das widerspreche dem Narrativ einer mehr oder weniger ungebrochenen Kontinuität in Personal oder Archivbetrieb über Systeme beziehungsweise Systemwechsel hinweg.
Quelle: Bundesarchiv, Pressemitteilung v. 30.11.2022