Sakrale Raumordnung im Wittgensteiner Land
Hypthese: „Im Wittgensteiner Land kann eine hochgradig strukturierte Sakraltopographie nachgewiesen werden. Keltische Ringwallanlagen und Kirchen des Hessisch-Westfälischen Grenzlandes wurden auf präzise vermessenen Plätzen angelegt und in ein System geodätischer, geometrischer und astronomischer Beziehungen eingepasst.
Indizien für die regelhaften Anordnungen sind der Tierkreiswinkel 30° und das Mehrfache von 30°. In der Trigonometrie kommen die Winkel 30°, 60°, 90°, 120°, 150° etc. häufig vor, weil sie sehr praktisch sind und man mit ihnen bequem rechnen kann.“
Das Interesse und die Bemühungen für die regionale Geschichte sind sehr löblich, der methodische Ansatz aber leider unbefriedigend. Neben der anmutenden Beliebigkeit der ausgesuchten Bauwerke und deren Überbleibsel wurde das Problem der fehlenden Gleichzeitigkeit ja schon selbst genannt. Verschiedene Epochen und Kulturen in einen Topf werfen und schauen, was dabei herauskommt, hat den Beigeschmack von Kaffeesatzleserei.
Was des Weiteren nicht beachtet wird: Geometrisch betrachtet stellt die Erde ein Rotationsellipsoid dar. Jegliche durch künstliche Verebnung entstandene Karte ist ein Kompromiss zwischen Winkeltreue, Längentreue und Flächentreue. Selbst die abschnittsweise Verebnung durch Meridianstreifen bleibt fehlerbehaftet. Wenn Winkelspielereien betrieben werden, müssten diese am ehesten auf absolut winkeltreuen Seekarten erfolgen. Nur da wird’s mit den beliebten Wallburgen schwierig…
Als Autor der Homepage nehme ich gerne zu den drei Kritikpunkten Stellung.
Punkt 1 („anmutende Beliebigkeit der ausgesuchten Bauwerke“)
Alle keltischen Burgen Wittgensteins und des direkten Umfeldes wurden berücksichtigt. Vor allem die geometrischen Konstellationen direkt benachbarter Anlagen sind dargestellt.
Die Auswahl der Kirchen erfogte aufgrund der Bedeutung oder der direkten Nachbarschaft der Anlagen. Der Grund für die Bedeutung ist jeweils dargelegt.
Punkt 2 („verschiedene Epochen in einen Topf…“)
Auf einer Homepage-Seite werden isoliert die geometrischen Abhängigkeiten von benachbarten Kirchen untersucht (Elsofftal), auf anderen Seiten isoliert die Beziehungen von Burgen – im Ergebnis mit den gleichen Gesetzmäßigkeiten. Erst auf einer zweiten Stufe erfolgt die Kombination von alten Kirchen und keltischen Burgen – wieder mit den gleichen Regelhaftigkeiten.
Punkt 3 („Rotationsellipsoid Erde“)
Messungen über größere Entfernungen sind grundsätzlich fehlerträchtig und daher problematisch. Daher konzentrieren sich die Messungen des untersuchten Raumes auf eng beieinander liegende Objekte mit kurzen Distanzen. Die Toleranzabweichung ist erläutert.
Ist den Wittgensteiner Esoterik-Freunden schon aufgefallen, dass sie sich ziemlich genau auf der gleichen geographischen Breite wie Stonehenge befinden? (Berleburg 51°3′, Stonehenge 51°10′) Wenn die Druiden zur Tag- und Nachtgleiche auf ihren Hirschfellen im Steinkreis saßen, sahen sie die Sonne exakt über dem Wittgensteiner Land aufgehen. Daher der Spruch „Ex oriente lux“. Heute läßt sich das nicht mehr gut beobachten, weil inzwischen der Kölner Dom (50°56′) im Weg steht. Wunder über Wunder!
1. „Alle keltischen Burgen Wittgensteins und des direkten Umfeldes wurden berücksichtigt.“ – viele Wallburgen sind nicht datiert. Statt in keltischer Zeit landen sie womöglich auf einmal im frühen Mittelalter und damit im Kontext ganz anderer Kulturgruppen. Gleiches gilt für die These „Sakrale Raumordnung im Wittgensteiner Land“ – überwiegend ist die Bedeutung von Wallburgen noch gar nicht richtig erforscht. Inwieweit sie sakralen Zwecken dienten, bleibt zu erforschen. Und warum überhaupt Wittgensteiner Land – sie streifen doch auch das Hochsauerland mit Wormbach? Eine „hochgradig strukturierte Sakraltopographie“ und ein „System geodätischer, geometrischer und astronomischer Beziehungen“ macht vor modernen Ländergrenzen halt? Oder liegt es daran, dass TIM-online nur NRW basiert ist und sie deshalb nicht nach Hessen schauen?
2. „Vor allem die geometrischen Konstellationen direkt benachbarter Anlagen sind dargestellt.
Die Auswahl der Kirchen erfogte aufgrund der Bedeutung oder der direkten Nachbarschaft der Anlagen. Der Grund für die Bedeutung ist jeweils dargelegt.“ – Als Grund für die Bedeutung wird meistens Ihr gemessener Winkel angegeben. Aber das ist ja nicht der Grund, warum sie dieses oder jene Bauwerk ausgewählt haben. Warum z. B. nicht die Kirche Schwarzenau, Kapelle Altertshausen oder Christianseck? Wenn Gründe geliefert werden dann z. B. „Der Wilzenberg bei Schmallenberg ist der ‚heilige Berg des Sauerlandes‘ und ebenfalls Wallfahrtsort.“ Derartige Zitate sind unwissenschaftlich und es wird nicht deutlich, wer die Bedeutung, die sie bemessen, begründet – „die“ Kelten, „die“ Christen, die HSK-Tourismusbranche…? Für wen und warum ist die Kirche in Raumland bedeutend? Ich finde keinerlei Begründung.
Wie gesagt, super, dass sich mit Geschichte auseinander gesetzt wird und auch mal andere Überlegungen angestellt werden, aber methodisch ist es leider nicht haltbar. Nur weil bestimmte Zahlen schön ausschauen, kann man keine unterschiedlichen Kontexte, die zumal noch hunderte bis tausende Jahre auseinanderliegen können, in einen Topf werfen.
Die Frage ist doch, ob sich all die methodenkritische Mühe bei etwas lohnt, das sowieso niemand (außer den Vefechtern solcher Hypothesen selbst) für wissenschaftlich fundiert hält. Aber natürlich führt es auch zu nichts, sich über dieses Hobby lustig zu machen (Asche auf mein Haupt!). „Auch mal andere Überlegungen“ anzustellen, mag ja „super“ sein. Überlegungen aber, die seit ungefähr hundert Jahren (ausgehend von England) herumgeistern, sind so „anders“ längst nicht mehr. Unhöflich ausgedrückt: Schnee von gestern, nach dem außerhalb der New-Age-Anhängerschaft kein Hahn mehr kräht.
Im übrigen überraschen die Wittgensteiner „Forschungsergebnisse“ keineswegs. Wer auf der Landkarte Muster sucht, findet sie auch. Auf die mehr oder weniger keltischen Stätten kommt es dabei gar nicht an. Mit dem gleichen Erfolg lassen sich die Positionen von McDonald’s-Filialen oder öffentlichen Bedürfnisanstalten untersuchen. Man kann aber auch gleich eine Tüte Erbsen ausschütten und die Winkel der Verbindungslinien messen. 30°-Winkel und ihre Vielfachen tauchen zwangsläufig mit höherer Wahrscheinlichkeit auf als viele andere. Mit Geographie, Archäologie, Geschichte und sonstigen Realien hat das Phänomen nichts zu tun.
“ …. [Dr. Manuel Zeiler] ist in der Außenstelle Olpe des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe in der Archäologie-Abteilung tätig und untersucht weiterhin vor allem die Wallburgen auf ihre Anordnung. ….“ in: Westfälische Rundschau, 12.10.2016 (Link s.o.). Ob Zeiler New-Age-Anhänger ist oder sich nur mit alten Hüten beschäftigt, muss wohl noch geklärt werden, oder?
Wenn Sie so fragen: Nein, es muß nichts geklärt werden, was nicht behauptet worden war. Niemand beanstandet,dass sich Herr Dr. Zeiler, um den es hier überhaupt nicht ging, für die Thematik interessiert. Dass er die vorgelegten Hypothesen der (Zitat WAZ:) „Hobby-Forscher“ für bare Münze nehmen würde, läßt sich aus dem Zeitungsartikel nicht ablesen. Im Gegenteil: „Diese Untersuchungen stehen immer noch an ihrem Anfang und bilden ein weites Feld“. Ich glaube nicht, dass Herr Dr. Zeiler mit dem „weiten Feld“ die Niederungen esoterischer Phantastereien meint.
Mir ging es ja auch nicht so sehr um Zeiler, sondern um die Rolle der Wallburgen, die – leider kein alter Hut – offsichtlich noch der Bearbeitung harrt:
“ …. Ungeklärt ist auch die Rolle der vielen Wallburgen [im Siegerland].
Hier besteht noch viel Forschungsbedarf, der mit dem seit 2008 von der DFG geförderten interdisziplinär ausgerichteten Forschungsprojekt zum „Frühes Eisen
im Mittelgebirgsraum“ nachgekommen wird. ….“ in: Jennifer Garner, Der latènezeitliche Verhüttungsplatz in
Siegen-Niederschelden „Wartestraße“, in Metalla Nr. 17 Heft 1/2 (2010), Bochum, S. 91.
Vorweg: Mit Esoterik haben die Untersuchungen überhaupt nichts zu tun. Grundlage ist im Gegenteil (knallharte) Geometrie und Mathematik, die keinerlei Abweichung zulässt.
Dr. Zeiler interessiert sich für die Beziehungen der keltischen Burgen untereinander, eine Verquickung von Ringwallanlagen und alten Kirchen lehnt er kategorisch ab. Er ist im übrigen auf einem guten Wege, die kultische Bedeutung der keltischen Bauwerke zu beweisen. Es ist noch nicht allzu lange her, da wurden diesbezügliche Überlegungen ins Lächerliche gezogen.
Selbstverständlich gibt es auch Archäologen, die sich für keltische Landvermessung interessieren oder darüber hinaus sie detailliert untersuchen. Ein prominentes Beispiel ist Professor d´Aujourd´hui aus der Schweiz, mit dem ich korrespondiere.
Er stellt Forderungen an den Nachweis eines Vermessungssystems:
Orientierung, z. B. an den Haupthimmelsrichtungen
ein orthogonales System,
ein antikes Maß.
Die Punkte 1 und 2 sind bei der Anordnung der Bauwerke Wittgensteins und des direkten Umfeldes gegeben, an Punkt 3 arbeite ich. Hierzu gibt es aber schon gute Ansatzpunkte im hessischen Bereich (Burg Eisenberg, Burg Christenberg, Burg Rimberg). Die Verbindungen Kirche Bromskirchen-Kirche Frohnhausen (N-S-Richtung) und Elsoff-Birkenbringhausen (W-O-Richtung) schneiden sich exakt rechtwinklig auf dem Eisenberg bei Battenberg. Die Abweichung von den Haupthimmelsrichtungen ist minimal. Basislinie ist die Strecke Burg Eisenberg-Burg Christenberg mit einem exakten Winkel von 41° von der W-O-Richtung. Für die umliegenden Kirchen sind vielfach 30°-Winkel nachzuweisen. Wie richtig vermutet, scheitert eine kartographische Darstellung am nicht vorhandenen TIM-Online-System für Hessen.
Professor d´Aujourd´hui hält es im übrigen „für wahrscheinlich, dass es christliche Kirchen gibt, die auf antike Spuren zurückgehen“.
Um es noch einmal ganz deutlich zu formulieren: Alle keltischen Burgen Wittgensteins und des direkten Umfeldes wurden berücksichtigt, mit dem Wilzenberg, Burg Kahle, dem Hofkühlberg, Burg Obernau, Burg Rittershausen, Burg Rimberg und Burg Eisenberg auch direkt benachbarte Anlagen außerhalb Wittgensteins. Auch nahezu alle alten Kirchen Wittgensteins sind erfasst. Die Bauwerke in Schwarzenau und Christianseck sind jung, die Kapelle Alertshausen ist als sakrales Bauwerk im Elsofftal sehr wohl berücksichtigt. Ich habe eine Viezahl weiterer geometrischer Bezüge gespeichert, die im Rahmen einer Homepage unmöglich zu präsentieren sind.
Wissenschaftliches Arbeiten bedeutet für mich:
eine Hypothese aufstellen, Gesetzmäßigkeiten und Regelhaftigkeiten feststellen, die für jeden nach- und überprüfbar darzustellen, größmögliche Genauigkeit walten zu lassen und vor allem bei frappierenden Gesetzmäßigkeiten weitere Untersuchungen anzustellen, um zu verifizieren oder zu falsifizieren. Zum Abschluss: Viel Erfolg beim Versuch
fünf Erbsen (sinnbildlich für die benachbarten sakralen Bauwerke im Elsofftal) so auszustreuen, dass alle über 30°-Winkel erfasst werden (bitte absolut exakt), drei weitere daneben (für die Konstellation Kirche Wingeshausen-Burg Aue-Kirche Berghausen), so dass ebenfalls 30°-Winkel zustande kommen und zwei Abstände auf den Millimeter identisch sind.
Leider keine Antwort auf die Frage, wer welchen Bauwerken wann welche Bedeutung zuspricht. In dieser Hinsicht keine Nachprüfbarkeit gegeben und somit unwissenschaftlich. Es bleibt: Bauwerke werden ausgewählt, weil sie ein schönes Winkelmaß bilden, wie sie datieren, welchen Kontext sie besitzen scheint egal. Das ist schade.
Am Labor für technische Datenverarbeitung und Informationstechnik der FH Köln, Campus Gummersbach, gab es 2010 folgendes, regional relevantes Forschungsprojekt: „Topologische Aspekte von Wallburgsystemen“. Informationen dazu sind unter diesem Link downloadbar: http://tdi.gm.fh-koeln.de/dlbrowser/%3EAllgemein%3EInfos%20zu%20Projekten%3EWallburgen .
In der aktuellen Wittgenstein-Bibliographie von A. Krüger finden sich folgende Literaturhinweise zum Suchwort „Wallburg“:
Böttger, Hermann: Ausgrabungen an den Wallburgen bei Afholderbach, Aue, Laasphe und Niedernetphen, In: Siegerland, 1932, Heft 3 und 4, Seiten 42-45
Böttger, Hermann: Die Wallburgen und die Anfänge der Eisenindustrie im Siegerland Grund der Ausgrabungen 1932, In: Heimatland, Beilage zur Siegener Zeitung, Nr. 5, Jg. 8, 1933, S. 74-80
Born, Ernst: Uf der Wuhnige (Wallburg Aue), Wittg. Bd. 32/1968/H. 4/S. 197-198
Kraemer, Adolf: Die Wallburgen und „Burg-Berge“ in Wittgenstein
DschW. 1927/H. 2/S. 54-56
Kraemer, Adolf: Fundstücke aus Wittgensteiner Wallburgen im Museum zu Siegen, DschW. 1938 /Nr. 8/S. 57-58
Radenbach, Hans-Günter: Die eisenzeitliche Siedlungskammer südlich der Wallburg bei Aue, Wittg. Bd. 46/1982/H. 4/S. 131-139
Vitt, Fritz Was unsere Wallburgen erzählen, WHB 38/S. 7-14
Tang, Jürgen Die Wallburg „Burg“, ChronikHesselbach S. 41-43
Herrn Poggels letztem Kommentar ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Nur noch eine ergänzende Frage an Herrn Grebe, bevor ich mich zurückziehe: Was nutzt es Ihrer Hypothese, wenn Sie auf Karten einer Mittelgebirgslandschaft irgendwelche schönen Winkel einzeichnen können, die mit den im dreidimensionalen Gelände vorzufindenden Beziehungen unterschiedlich hoch gelegener Objekte nichts zu tun haben? Oder wollen Sie andeuten, die „alten Kelten“ hätten das Land aus der Vogelperspektive vermessen und anhand solcher Projektionen, quasi am Schreibtisch, den Raum geordnet? Dann könnten Sie freilich auch gleich die prähistorischen Besucher aus dem All ins Spiel bringen, die uns Erdlingen solche „Satellitenkarten“ als Gastgeschenk mitbrachten.
Babylonier, Ägypter, Griechen, Etrusker, Römer – alle haben auf hohem Niveau vermessen, nicht nur im Flachland.
Die Kelten pflegten enge Kontakte zu Griechen und Etruskern.
In den letzten drei Jahrzehnten hat sich die Einschätzung bzgl. der Kelten dank fächerübergreifender Studien stark gewandelt. Inzwischen stuft man sie als hohe Kultur mit teilweise überragenden Fähigkeiten ein.
Das ist eine vielsagender Epilog! Ich wünsche weiterhin fröhliches Forschen.