Was bedeutet Kultur? Die Kunsthistorikerin Tanja Praske hat ihre neueste Blogparade unter dieses Thema gestellt. Was also bedeutet Kultur für einen Archivaren?
Im Archiv arbeitet man mit den unterschiedlichsten kulturellen Ausprägungen – Schrift, Sprache, Technik, Bildende Kunst, Musik, Architektur, Agrikultur, Film, Literatur, Computerspiele ….Kultur ist daher für Archivmitarbeiter alltäglich. So ist es naheliegend, dass Archive mittlerweile wohl mehrheitlich den Kulturabteilungen ihrer jeweiligen Träger zugeordnet sind.
Die Archivierenden entscheiden darüber, welche der genannten kulturellen Äußerungen für die Nachwelt erhalten werden, da diese in der Regel im Kontext des Archivträgers entstanden sind bzw. dokumentiert wurden, handelt es sich um Einzelstücke. Jedes Stück, das als nicht archivwürdig bewertet wird, geht also unwiederholbar verloren. Diese verantwortliche Tätigkeit (Bewertung) verlangt nicht nur „Fingerspitzen- oder Bauchgefühl“, sondern auch eine intime Kenntnis aller, eben auch aller wichtigen kulturellen Vorgänge im Sprengel des Archivs, um die Lebenswirklichkeit des archivischen Zuständigkeitsbereiches möglichst vollständig abzubilden.
Die Bewertung verlangt aber auch Offenheit für alle kulturellen Formen. Mag man privat ein Freund der klassischen Oper sein, so muss man bei der Bewertung eines angebotenen Nachlasses einer regional wichtigen Punk-Band die musikalischen Vorbehalte zurückstellen. Nicht nur diese Vorbehalte sind zurückzustellen, sondern die weitere Erschließung (Verzeichnung, Katalogisierung, …..) des Bestandes verlangt eine vorurteilsfreie, tiefgehende Auseinandersetzung mit der Geschichte der in diesem Beispiel wohl eher fremden Materie. Denn das Archivgut der Punk-Band dokumentiert in einer multikulturellen Gesellschaft eben eine unverzichtbare lokale bzw. regionale Lebenswelt.
Als Archivar bereitet man das anvertraute archivische Kulturgut nicht nur inhaltlich auf, sondern man versucht auch die Archivalien möglichst lange – „für die Ewigkeit“ – im Originalzustand zu erhalten. Diese Tätigkeiten verbinden die Archive mit den übrigen Einrichtungen des kulturellen Erbes: Museum, Bibliotheken, Gedenkstätten , ……
Einerseits wird jede intensiv betriebene, menschliche Ausdrucksformen zur Kultur. Andererseits funktioniert Kultur nur in der Interaktion. Für Archive bedeutet dies eine möglichst breite Nutzung des Archivguts zu ermöglichen. Jede Archiv-Nutzung wird so zu einem kreativen Prozess und oft genug entsteht neues Kulturgut.
Kultur im Archiv bzw. für den Archivar ist alltäglich, vielgestaltig, einzigartig, arbeitsintensiv, intim, vorurteilsfrei, offen, unverzichtbar, erhaltenswert, vernetzend, kommunikativ und kreativ. So ist Kultur jedenfalls für mich.
Thomas Wolf
Pingback: Blogparade: "Kultur ist für mich ..." - Aufruf #KultDef
Lieber Thomas,
ganz hervorragend! Vielen herzlichen Dank für diesen erhellenden Beitrag über die Ethik des Archivierens und über dein persönliches Verständnis von Kultur, dass auch durch deine Arbeit geprägt ist.
Das Stichwort „vorurteilsfrei“ finde ich sehr treffend, kam bislang in der Blogparade noch nicht direkt vor, aber indirekt, wenn es auf das Sich-Einlassen-auf-fremde-Kulturen ging.
Vielen Dank und schönes Wochenende!
herzlich,
Tanja
Ein schöner Beitrag…Nur frage ich mich gerade, wer archiviert solch eine Blogparade? :)
Danke für die Reaktion! Manche Blogs werden von der Deutschen Nationalbibliothek archiviert – s. http://www.blog.de/thema/dnb/ . Literarische Blogs werden vom Deutschen Litaraturarchiv Marbach gesichert – s. http://www.dla-marbach.de/dla/bibliothek/literatur_im_netz/literarische_weblogs/.
Die technische Archivierung des Blogs ist demnach wohl kein Problem.
Aber wer sich für die große Anzahl regionaler, lokaler oder spezialwissenschaftlicher Blogs kümmert, ist noch nicht ausdiskutiert, geschweige denn, dass die zuständigen Archive, Bibliotheken oder Museen darüber überhaupt sprechen.
Ich könnte mir auch vorstellen, dass die Archivierung der blogspezifischen Elemente wie Blogparade oder auch Blogstöckchen Probleme darstellen, über die noch nicht (genügend) nachgedacht wurde.
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