Archäologen finden Nachweis am Unteren Schlosss
„Die Bauarbeiten am Unteren Schloss in Siegen laufen nach Plan. Das sagt der Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW. Der Wittgensteiner Flügel ist entkernt worden. Dort suchen Archäologen den Boden nach Überresten aus dem 16. Jahrhundert ab.“
Quelle: Radio Siegen
Link zum Podcast von Radio Siegen v. 11.3.2015
s. a. Pressemitteilung der Uni Siegen v. 17.3.2015. Siegener Zeitung und Westfälische Rundschau berichteten ebefalls über die Funde.
“ ….. Ein David Joseph, Schutzjude aus Herborn (Von Achenbach, S. 694), ….. trieb … kräftig Handel mit dem Siegener Fürstenhaus. Er durfte noch bis 1735 mit der Erlaubnis der letzten beiden reformierten Fürsten,“im ganzen Land handeln und wandeln.“ David Joseph (ebd.) besaß zuletzt vermutlich ein Warenlager im Wittgensteinischen Flügel des Unteren Schlosses, wo er seine Waren aufbewahrte. Derselbe fand sich im Kirchenbuch der reformierten Gemeinde Siegens (Thiemann, S. 8). Somit haben David Joseph und seine Familie sich ebenfalls taufen lassen. um vielleicht den gesetzlichen Beschränkungen zu entgehen.
Über die alte Bezeichnung der Judengasse in Siegen, woher diese Bezeichnung rührt, für eine parallel zur Straße auf dem Graben verlaufenden Weg, gibt es bis heute nur Spekulationen. Während von Achenbach die Bezeichnung auf das o. a. Warenlager und Abstiegsquartier des Juden zurückführt, vermutet Walter Thiemann (ebd.) in seiner Schrift, daß dies vielleicht auch eine Flurbezeichnung aus dem 13. Jahrhundert sein könne, als in Siegen vielleicht die erste jüdische Gemeinde (s. vorheriges Kapitel) bestand. Jedenfalls wurden die herrschaftlichen Gebäude am Unteren Schloss 1825 abgerissen, damit verschwand auch die Judengasse. Eine endgültige Klärung wird sich wohl nicht mehr finden lassen. ….“ (Quelle: Klaus Dietermann: Jüdisches Leben in Stadt und Land Siegen,Siegen 1998, S. 15.)
Dietermanns Publikation (S. 9 – 19) stellt wohl den derzeitigen historischen Forschungsstand zur mittelalterlichen neuzeitlichen Geschichte der Juden in der Stadt Siegen dar. Ferner sind Walter Thiemann: Von den Juden im Siegerland, Siegen 1970 (2. Aufl.) und Heinrich von Achenbach: Geschichte der Stadt Siegen, 2 Bde, Siegen 1894 zu benutzen. Zur Ersterwähnung eines Juden in Siegen wird auf Bernhard Brilling: Urkundliche Nachweise über die ersten Ansiedlungen von Juden in westfälischen Städten des Mittelalters, in: Westfälische Forschungen 12 (1959) , S. 156, verwiesen. Rüdiger Störkel: Dokumentation zur Geschichte der Juden in Herborn, Herborn 1989, sollte weiteren Aufschluss über die Familie Joseph geben.
Zu den „sensationellen“ Funden der Archäologen sollten einige Fragen aus Sicht des Historikers erlaubt sein:
Warum taucht die Bezeichnung „Judengasse“ erst im frühen 19. Jahrhundert in einer schriftlichen Quelle auf, wenn doch eine jüdische Gemeinde bereits im 15. Jahrhundert existierte? Hat sich deren Existenz über gute vier Jahrhunderte im kollektiven Gedächtnis der Siegener bewahrt, um dann unvermittelt hervorzubrechen? Warum findet sich in den schriftlichen Quellen seit dem 15 Jahrhundert, die sämtliche Straßennamen der Stadt aufführen und in Form von Schatzungslisten, Feuerschillingsregistern, Einwohnerverzeichnissen etc. reichhaltig vorliegen, keine Erwähnung einer Judengasse?
Warum findet sich in den Schatzungsregistern des 15. Jahrhunderts kein einziger jüdischer Name, wo doch jetzt in der fraglichen Situation angeblich „der erste Nachweis für eine nennenswerte jüdische Siedlung“ (SZ vom 17.03.2015) gefunden worden sein soll?
Und dann die Stadtmauer! Wo bitteschön verlief denn diese? In der einschlägigen Literatur ist nachzulesen, dass sie im 15. Jahrhundert vom Löhrtor hinter dem späteren Krankenhaus quer über den heutigen Schlossplatz zum Dicken Turm bzw. Kölner Tor verlief, dabei aber just die später so genannte Judengasse von der Stadt ausschloss. Erst im frühen 16. Jahrhundert wurde der Bereich um die Martinikirche durch die Erweiterung der Stadtbefestigung in das städtische Areal einbezogen.
Fazit 1: Die Archäologen haben ausgegraben die Reste eines Kellerfußbodens, der höchstwahrscheinlich zu den Resten der „extra muros“ befindlichen Häuser der „aldestat“ gehörte. Diese wurden in den 1520er Jahren abgerissen, ihre Überbleibsel bei der Errichtung des Wittgensteiner Flügels überbaut. Für die Namengebung „Judengasse“ dürfte das von Dietermann erwähnte Warenlager des Schutzjuden David Joseph in der Remise des Wittgensteiner Flügels verantwortlich sein.
Fazit 2: Wir freuen uns, dass mal wieder Mittelalterarchäologen den Weg nach Siegen gefunden haben und eine städtischen „hotspot“ umgraben. Wir sind auch gerne bereit, unsere Stadtgeschichte anhand archäologischer „Sensationsfunde“ umzuschreiben. (Eine blühende jüdische Gemeinde innerhalb der Stadtmauer des 15. Jahrhunderts wäre sicherlich ein absolutes highlight in unserer an Sensationen nicht wirklich reichen Stadtgeschichte.) Dann aber bitte nicht aus ein wenig altem Fußboden und einigen Keramikscherben Spekulatives in die Welt setzen, sondern im Zusammenspiel von schriftlichen Quellen und Bodenfunden belegbare Fakten schaffen. Diesen Dialog haben die Archäologen des LWL in den neunziger Jahren beim Bau der Karstadt-Tiefgarage vorbildlich vorgemacht (siehe Siegener Beiträge – Jahrbuch für regionale Geschichte 1/1996 Ausgrabungen in Siegen).
Zum Diskurs zwischen Geschichte und Archäologie s. a. Westfälische Rundschau v. 24. März 2015
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