Zu Lothar Irle wurden hier bereits einige, auch biographische Beiträge publiziert. Irle als Pädagoge in der NS-Zeit ist bereits Thema wissenschaftlicher Publikationen gewesen, so dass der Fund in den Beständen des Landesarchivs NRW, Abteilung Westfalen, in Münster, eine Ergänzung darstellt.
Lothar Irle nahm als Vertreter der Lehrerinnen und Lehrer aus dem Kreis Siegen an der ersten Schulungswoche für „Vererbungslehre, Erbgesundheitspflege, Rassen- und Familienkunde“ teil. Der Lehrgang wurde vom dem preußischen Kultusministerium angeschlossenen Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht organisiert. Er fand vom 25. bis zum 30. September 1933 in Berlin statt. Die Multiplikatorenschulung sollte fachlich und ideologisch geeignetes Personal in die Lage versetzen, die Lehrerkolleginnen und -kollegen vor Ort in dieser Thematik zu schulen.
Die Schulabteilung der Regierung zu Arnsberg bat die Teilnehmenden aus ihrem Zuständigkeitsbereich um, einen Bericht über diese Fortbildungsveranstaltung. Lothar Irle kam dieser Bitte am 12. Oktober 1933 nach:
„Es wäre jedenfalls wertvoller gewesen, wenn der Lehrgang für Vererbungslehre, Erbgesundheitspflege, Rassen- und Familienkunde in einem Lager abgehalten worden wäre, verbunden mit gemeinsamen sportlichen Übungen, gemeinsamen Eintopfessen und militärischem Zusammenleben. Von den Teilnehmern aus dem Gau Westfalen-Süd wurden dem Leiter Ministerialrat Prof. Dr. Bargherr diese Wünsche angegeben, und in Zukunft werden vielleicht auch Kurse in dieser Art abgehalten. Ein solches Zusammenleben würde jedenfalls“ auch die unsozialen reaktionären Kräfte, die an dem Kursus in Berlin teilnahmen, fernhalten. Wir Südwestfalen waren verblüfft, als wir sahen, dass wir fast die einzigen uniformierten Nationalsozialisten waren und dass sich eine ganze Reihe Nichtnationalsozialisten in unserer Mitte befanden. Das zeigte sich auch in einer Aussprache im Anschluß an eine Lektion. Wir waren genötigt, unter Protest den Raum zu verlassen und eine Beschwerde beim Kultusministerium einzureichen, da der Ausspracheleit der nicht eingriff, als eine Dame zu sagen wagte, man müsse Rücksicht nehmen auf jüdische Mädchen, wenn man Rassefragen behandele.
Die Vorträge standen nicht auf gleicher Höhe. Bei den Parteigenossen Min. Rat Dr. Haupt, Min. Rat Dr. Bargheer, Dr. Brandt und bei dem Bauern Dr. Bohn ging man seelisch bereichert aus dem Vortrag. Auch von Min.Rat Dr. Benze und Dr. Burgdörfer konnte man manches Wertvolle mitnehmen. Sehr kümmerlich war die Behandlung der Familiengeschichte durch Dr. Gercke und die Lektion über die Einführung der Rassenkunde in einer Oberprima, in der nicht nur der Lehrer die meisten seiner Fragen vom Blatt ablas, sondern auch die Schüler ihre Antworten.
Die Erbbiologie wurde so behandelt, dass ein Nichtbiologe sich auf anderem Wege noch ganz gehörig einarbeiten muss, wenn er Vorträge über dieses Gebiet halten will. Bevölkerungspolitik und Erbgesundheitspflege wurden gut behandelt, während mit der Familiengeschicht jemand, der sich vorher nicht damit beschäftigt hat, nichts anzufangen weiss. Viel zu wenig wurde das gewürdigt, was bisher auf diesem Gebiet geleistet worden ist und viel zu wenig auf die Bedeutung der Sippenforschung eingegangen. In den rassekundlichen Vorträgen wurde zu wenig auf das Seelische eingegangen, auch wurde nicht gezeigt, wie man rassekundliche Untersuchungen selbst vornehmen kann. Andererseits wart die Besichtigung des Kaiser-Wilhelm-Instituts eine Bereicherung.
In der nächsten Zeit wird den Teilnehmern ein Auszug aus den Vorträgen gesandt, die einem erneute Vertiefung in den Stoff ermöglichen.
Ich habe Herrn Min. Rat Dr. Bargheer vorgeschlagen, dass dem NSLB die Propaganda dieser Gebiete übertragen wird, damit sich eine grössere Einheitlichkeit in der Vortragstätigkeit ermöglichen lässt. Diese Einheitlichkeit ist nicht leicht herzustellen, wenn Provinzialschulkollegium und Regierungen den gleichen Auftrag haben. Besonders deshalb ist es auch notwendig, weil die höhere Schule mehr die Biologen stellt und die Volksschule mehr die Rassenkundler und Familienforscher. Ich halte es für das Beste, wenn jeder der Gaupropagandastelle die Themen angibt, über die er sprechen kann. Er muss dann von den Kreisen oder Ortsgruppen über die Gaupropagandastelle angefordert werden. Die Themen, die ich bearbeite, habe ich bereits dem Gaupropagandawart mitgeteilt.
In Berlin wurde uns nichts darüber angegeben, auf welche Weise wir das uns gebotene Gut in unseren Gauen weiterverbreiten sollen. Es bleibt jedenfallsden einzelnen Stellen überlassen, wie sie die Verbreitung vornehmen.“
Quelle: Landesarchiv NRW, Regierung Arnsberg, Nr. 31778 [Schulpolitisches 1933-1935]
P.S.: Für das erste volkskundliche „Schulungslager für Junglehrer und Junglehrerinnen“, das das Zentralinstitut vom 8. bis 14. Juli 1934 im märkischen Bischofswerder ausrichtete, war Dr. Irle für die Mitarbeit vorgesehen.
Siehe auch den „Bericht über die 1. Schulungswoche …“ in:
Die Mittelschule 47 (1933), S. 591-594; als elektronische Ressource (Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung Berlin) unter http://goobiweb.bbf.dipf.de/viewer/resolver?identifier=BBF0753504&field=ALLEGROID
P.K.
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Wie kann es sein, dass noch Strassen nach diesem Mann benannt sind? Das ist mir unbegreiflich.
s. dazu: Steffen Schwab „Straßenschild für Unbelehrbaren. Erneute Kontroverse um Nazi-Funktionär und Heimatforscher Lothar Irle“, in: Westfälische Rundschau v. 15. Juni 2013:
„….. „Es wäre nicht das Schlechteste, ihn einfach verschwinden zulassen“, empfiehlt Dr. Elkar zum Umgang mit dem Heimatforscher, der sich nie von seiner NS-Vergangenheit distanzierte – wenn es denn nicht Menschen gäbe, die ihn stets aufs Neue verehrend würdigten. Für den aus seiner Sicht unwahrscheinlichen Fall einer Straßenumbenennung hatte Dr. Elkar zwei Vorschläge „Blaukehlchenweg“ für die vom Aussterben bedrohte Vogelart. „Oder einfach die Eisenhüttenstraße ein wenig länger machen.“ ….“