Beschlussvorlage 78/2022 für die heutige Sitzung des Ausschusses für Kultur, Tourismus und Ehrenamt des Kreistags Siegen-Wittgenstein
„Sachdarstellung
Auf Antrag der FDP-Fraktion (Drucksache 149/2021) hat der Kreisausschuss in seiner Sitzung am 30.04.2021 die Kreisverwaltung um die Aufnahme von Gesprächen zur Auslotung der Chancen für die Planung und Realisierung eines Industriemuseums des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) zur frühindustriellen Geschichte im Siegerland gebeten.
In der Folge wurden hierzu intensive Gespräch mit Herrn Matthias Löb, Direktor des LWL, und der für die LWL-Kulturabteilung zuständigen Landesrätin, Frau Dr. Barbara Rüschoff-Parzinger, geführt. Seitens der Verwaltungsspitze des LWL wurde vermittelt, dass aufgrund der von den Gremien des LWL für dessen Kulturarbeit beschlossenen Strategien und Zielsetzungen auf absehbare Zeit kein Raum für die Entwicklung eines neuen Museumsstandorts des LWL gesehen wird. Dem LWL gehe es in seiner derzeitigen Ausrichtung darum, die von ihm in der Vergangenheit erfolgreich entwickelten und betriebenen Standorte zu stärken und auszubauen. Neben einer in diesem Sinne angelegten Weiterentwicklung der eigenen Einrichtungen wolle man vorrangig dezentrale Ansätze und Aktivitäten in Westfalen-Lippe mit einem dazu bewährten System von zielgerichteter Förderung und fachlicher Beratung und Begleitung sowie mit dem Ausbau von Netzwerken und regionaler Zusammenarbeit unterstützen. Die Inanspruchnahme dieser Leistungen und Angebote sei insbesondere an den Bedürfnissen von Museen und Kulturangeboten in kommunaler und ehrenamtlicher Trägerschaft orientiert. In diesem Kontext wurde auf das grundlegende „Kulturpolitische Konzept“ des LWL (siehe unter LWL | Kulturpolitisches Konzept – LWL- Kultur) hingewiesen.
Inhaltlich sieht der LWL das Siegerlandmuseum als wesentlichen Ankerpunkt des Museumslandschaft in Siegen-Wittgenstein und hat angeregt zu überlegen, wie in der Region vorhandene herausragende industriegeschichtliche Anlagen, Zeugnisse und Einrichtungen mit dem Siegerlandmuseum verbunden werden können.
Als besonders markantes und anschauliches Zeugnis der regionalen Industriegeschichte ist dabei vom LWL die in der Denkmalliste der Stadt Siegen eingetragene, aber vom Verfall bedrohte ehemalige Röstofenanlage der Eisensteingrube Storch & Schöneborg in Siegen-Gosenbach hervorgehoben worden, der Sicherung, Restaurierung und Ausbau zu einer Denkmalstätte als Außenstelle des Siegerlandmuseums mit finanzieller und fachlicher Hilfe des LWL auch Initialzündung für einen entsprechenden Prozess genutzt werden könnte (siehe hierzu das zur Information als Anlage 1 beigefügte Denkmalblatt Nr. 203 der Stadt Siegen: 203_Roestofenanlage).
In der Folge haben zu diesem Objekt erste Gespräche mit Vertreter*innen der Stadt Siegen, des LWL-Museumsamtes und der LWL-Archäologie stattgefunden, bei denen Überlegungen zur Erhaltung und Sicherung der Anlage im Vordergrund standen, die in weitere, zeitaufwendige Untersuchungen und Prüfungen – primär der Stadt Siegen in ihrer Eigenschaft als Untere Denkmalbehörde – münden werden. Angesichts des fortschreitenden Verfalls der Anlage und vor dem Hintergrund schwieriger Eigentumsverhältnisse kann derzeit nicht beurteilt werden, ob eine Erhaltung der Röstofenanlage und ihr Ausbau zur Dokumentationsstätte tatsächlich möglich sind. Bekannt ist aber, dass es auch im ehrenamtlichen Bereich Bemühungen zur Sicherung und zum Ausbau der Anlage gibt und ebenso, dass es private Interessen an dem betreffenden Grundstück gibt, deren konkrete Ausgestaltung noch unklar ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die in den letzten Monaten vorherrschende Pandemie-Situation die Kommunikation zu diesem Thema erschwert hat.
Daneben erscheint es sinnvoll, bereits vor geraumer Zeit einmal verfolgte Überlegungen zur Etablierung eines Netzwerks der Industriekultur im Siegerland und angrenzenden Gebieten wieder aufzugreifen und zu prüfen, wie vorhandene und überwiegend in kommunaler oder ehrenamtlicher Trägerschaft liegende herausragende Zeugnisse und Dokumentationsstätten in einer Art Satelittensystem mit einheitlichen Standards an das Siegerlandmuseum angegliedert und durch Wander- und Fahrtrouten nach modernsten, auch didaktischen und digitalen Gesichtspunkten attraktiv und erlebbar gestaltet werden könnten. Hierbei ist neben der Röstofenanlage Gosenbach insbesondere an Einrichtungen wie
▪ das Technikmuseum Freudenberg,
▪ das Stahlbergmuseum Müsen,
▪ den Rheinhold-Forster-Erbstollen,
▪ das Schaubergwerk Wodanstollen,
▪ das Museum Wilnsdorf,
▪ den Förderturm Grube Grimberg,
▪ die Ausgrabungsstätte Gerhardseifen oder – als entfernteren Ableger –
▪ das Schieferschaubergwerk Raumland
zu denken.
Diesen Gedanken vertiefende Gespräche sollen in den nächsten Monaten vertieft werden, zumal bekannt ist, dass bei einigen der für diese Einrichtungen verantwortlichen Träger interessante Überlegungen zur zukünftigen Ausrichtung und Weiterentwicklung bestehen, die teilweise auch in Vorschläge für Projekte zur REGIONALE 2025 gemündet sind.
Dabei ist aber gleichzeitig davon auszugehen, dass hierzu in den meisten Fällen umfassende fachliche, personelle und finanzielle Unterstützung erforderlich sein wird, unabhängig von der festzustellenden Ausgangssituation, dass Strukturen, die ein solches Netzwerk tragen und entwickeln könnten, derzeit nicht vorhanden sind.
Es wird deswegen vorgeschlagen, im Dialog mit den Trägern der genannten Einrichtungen, den kreisangehörigen Kommunen und natürlich dem LWL und seinen Facheinrichtungen und -ämtern diese Überlegungen in den nächsten Monaten zu erörtern und auf ihre Realisierbarkeit zur prüfen. Sollte erkannt werden, dass es hierfür eine gute Ausgangssituation gibt, wären die Überlegungen zu vertiefen und die dazu auszuarbeitenden Konzepte – für deren Erstellung es schon jetzt absehbar ebenfalls ergänzender externer fachlicher Unterstützung bedürfte – in der zu Einrichtung vorgesehenen Arbeitsgruppe zu erörtern, zu bewerten und zu Vorschlägen für die Beratungen im Ausschuss und im Kreistag weiter zu entwickeln.
Für den Kreis sind finanzielle Auswirkungen der vorgeschlagenen Beschlussfassung derzeit nicht zu erwarten.
Beschlussvorschlag:
Der Ausschuss für Ausschuss für Kultur, Ehrenamt und Tourismus nimmt den Sachstandsbericht zur Kenntnis.
Über die Bildung der zur Einrichtung vorgesehenen Arbeitsgruppe „Industriemuseum“ soll in Kenntnis der in den nächsten Monaten anstehenden Gespräche und einer Bewertung der daraus abzuleitenden Erkenntnisse in der 2. Jahreshälfte 2022 entschieden werden. “
Die Siegener Zeitung verwertete diese Vorlage am 9. März zu einem Artikel.
Heute erschien in der Siegener Zeitung folgender Artikel zum Verlauf der Kreiskulturausschusssitzung:
„Industriegeschichte europaweit bedeutend
Das Nein aus Münster war eindeutig: Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe wird kein eigenes Industriemuseum im Kreis Siegen-Wittgenstein einrichten. Im Kreiskulturausschuss stieß die Ablehnung vor allem bei der FDP-Fraktion, die die Idee eines solchen Museums auf den Tisch gebracht hatte, auf wenig Begeisterung.
FDP-Sprecher Guido Müller fand die Haltung des LWL „beschämend“ und wunderte sich über die „Entspanntheit“, mit der sowohl Ausschussvorsitzender Hermann Josef Droege (CDU) als auch Landrat Andreas Müller (SPD) auf die Ablehnung reagierten.
Guido Müller fand, dass man beim LWL die Bedeutung Siegen-Wittgensteins für die Industriegeschichte ganz Europas nicht verstanden habe. Die Röstöfen der Grube Storch &Schöneberg in Gosenbach, die vom LWL als ein bedeutendes Zeugnis angesehen wurden, „sind weder attraktiv für Besucher noch werden wir jemals Gelegeneheit haben, auf diesem Grundstück etwas einzurichten“, schimpfte der Liberale.
Der Landrat sah sich nicht als Adressat für die Schelte: „Das muss man in der Landschaftsversammlung formulieren.“. Hermann Josef Droege blieb entspannt: „Das kann man alles bedauern, aber man muss sich fragen, ob man sich weiter verkämpfen will.“ Droege plädierte dafür, die Idee eines virtuellen Museums zu verfolgen.“
Den u.a. Kommentar hatte ich bereits am 5.5.2021 der FDP- Kreistagsfraktion, Siegen-Wittgenstein auf ihrer facebook-Seite übermittelt, er blieb aber bisher recht gut versteckt unkommentiert.
Zum Bunkerprojekt bleibt noch nachträglich anzumerken, dass bei der „derzeitigen Krisenlage“ (Zeitwende !) die Vernichtung von „Schutzräumen“ doch recht unverantwortlich erscheinen.
hier mein fb-Kommentar vom 5.5.´21 zur FDP-Aktivität:
Die Betrebungen der FDP-Kreistagsfraktion sind ja recht anerkennenswert, jedoch stellt sich hier die Frage, warum die „Polit-Aktivisten“ sich bisher denn niemals um dieses schon jahrzehntealte Thema gekümmert haben. Ist denn niemandem bisher aufgefallen, dass es keinen authentisch historischen Ort innerhalb des Siegerlandes mehr gibt, wo noch irgendein Original Zeugnis der alten Montan-Industriekultur erhalten geblieben ist. Einen geeigneten verkehrsgünstigen historischen Ort für den erforderlichen Neubau, oder Ausbau eines Siegerländer-Industriemuseums kann man vielleicht ja u.U. noch finden (s.a. div. Vorschläge i.d. Literatur), aber man wird vom LWL oder der NRW-Landesregierung sicher keinerlei finanzielle Unterstützung erwarten können, wenn sich nicht zuvor die Kreisverwaltung Siegen-Wittgenstein mit der Stadt Siegen einig wird, um gemeinsam einen bestgeeigneten Ort für ein derartiges Industriemuseum als Außenstelle des Siegerlandmuseums im Siegerland (und nicht ausschließlich in der Stadt Siegen) zu finden.
Die latenezeitlichen Ausgrabungen in Niederschelden- Gerhardseifen liegen aber dafür wohl verkehrsmäßig etwas zu ungünstig.
Die Bestrebungen der Stadt Siegen den Burgstraßenbunker für eine Erweiterung des Siegerlandmuseums (Abt. Siegerländer Montan-Industriekultur) für über 16 Mio Euro mit Landes-Steuermitteln erst einmal publikumsbegehbar zu machen, ohne auch nur einen einzigen historischen örtlichen Bezug zum Thema und auch nebenbei ohne die erforderlich günstige Verkehrserschließung für Massenbesucher, die ein solches Museum bieten muss, sollte doch zumindest Herrn Landrat Müller und eigentlich auch der FDP-Kreitagsfraktion bekannt sein.
s.a. auch unter :
http://www.siwiarchiv.de/siegen-foerderverein-sammelte-2…/
( und den siwiarchiv-Eintrag vom 12.4.2016 )
Es wäre eigentlich recht schade, wenn sich diese begrüßenswerte Aktivität mehr oder weniger nur als eine Wahl-Werbung der Kreistags-FDP herausstellen sollte.
Hallo Herr Dick, habe Ihre Anfrage gerade durch Zufall erhalten. Gerne nehme ich dazu Stellung. Würde morgen, wenn ich wieder Zugriff auf einen Laptop statt Handy habe eine Antwort geben.
So, am PC lässt sich doch komfortabler schreiben. Sie haben recht, Herr Dick, dass viele bauliche Zeitzeugen nicht mehr existieren. Die verfallenen Gruben wurde aus Bequemlichkeit und Sicherheit in den 70er und 80er Jahren einfach abgetragen. Ich selbst war als Kind im Leimbaahtal unterwegs und sowohl die Arbeitersiedlung als auch die Grube Ameise waren für uns Abenteuerspielplätze und gerne zu erwandernde Ziele. Schaut man heute in Orte wie Gosenbach, glaubt man kaum, dass hier mal einst eine der größten Gruben Deutschlands stand. Die Kritik der FDP an den LWL richtet sich auch darauf. Der LWL hat nicht erkannt, dass hier im Siegerland das industrielle Herz Europas (und damit der alten Welt) geschlagen hat und in einigen Bereichen noch immer noch schlägt. Ich bin Prof. Schawacht, ehemaliger Museumsdirektor im Siegerland Museum, sehr dankbar für die vor allem von ihm initiierte Ausstellung zur Wirtschaftsgeschichte im Oberen Schloss. Seit den 90er Jahren ist die aber nicht einmal neu angepackt worden. Und ich stimme Ihnen Herr Dick zu, dass eigentlich an echten historischen Orten diese Geschichte erlebbar gemacht werden muss. Deshalb will sich der Kulturausschuss des Kreises jetzt dem Thema virtuell nähern. Ich hoffe, dass die bestehenden Ziele (Altenberg, Gerhardseifen etc.) dabei live erfahren werden können. Ich würde darüber hinaus gerne die Geschichte entlang der Eisenstraße historisch erlebbar machen. Der Kreis wird eine Arbeitsgruppe einrichten, der ich mich als studierter Historiker gerne anschließen werden. Ob Stadt und Kreis an einem Strang ziehen werden? Keine Ahnung, das bleibt abzuwarten. Aber eine „Plattenausstellung“ in einem Museumssaal wird dem Thema alleine sicher nicht gerecht.