Heilstätte Hengsbach 19

Tagebuch einer Bestandsaufnahme

Ein neues Dokument in den Buchungsbelegen der Heilstätten-Kasse weckt Interesse. Text:

„Wir bescheinigen hiermit, von der Hengsbach-Heilstätte je 10.- DM (zehn Deutsche Mark) erhalten zu haben. Der Betrag wird gezahlt, da keine Richtfeier für den Neubau Schwesternwohnheim veranstaltet wurde.“

eine Liste von 15 Namen und Unterschriften

„Es handelt sich um alle Arbeiter, die an dem Neubau gearbeitet haben.

(…)

Eiserfeld, den 5.12.1966

                             Verwaltungsleiter       Bauleiter“

Zum Hintergrund:

Ein Richtfest (auch Bauheben, Weihefeier, Hebefest, o.Ä.) wird auf einem Neubau gefeiert, wenn der Dachstuhl errichtet und damit der Rohbau eines Gebäudes fertig erstellt ist. Das Richtfest findet immer während der Arbeitszeit der Handwerker und auf der Baustelle selbst statt.

Der Brauch lässt sich bereits im 14. Jahrhundert nachweisen und geht auf rituelle Formen der Abgeltung von Arbeitsleistung zurück, wie sie im Mittelalter nicht unüblich waren.

Das Dach des Rohbaus wird dabei mit einem Richtkranz oder einem Richtbaum geschmückt und einer der Zimmerleute hält eine kurze Ansprache, den Richtspruch. Der Richtspruch ist ein Dank an den Bauherren und eine Bitte um Gottes Segen für das Haus. Dann wird auf das Wohl des Hausbesitzers angestoßen und der Redner des Richtspruchs lässt sein Glas vom Dach fallen. Wenn das Glas am Boden zerspringt, bedeutet dies Glück für das Haus und seine Besitzer. Dann muss der Bauherr selbst noch einen letzten Nagel in´s Gebälk schlagen; dabei wird ihm oft ein kleiner Streich gespielt, z.B. dass er das falsche Werkzeug bzw. einen ungebräuchlichen Nagel bekommt. Im Anschluss an diese Rituale wird dann mit Essen und Trinken gefeiert (Richtschmaus).

Nun das hier Interessante: Da es sich beim Richtfest um einen alten Brauch und die Zimmerleute bekanntlich ein recht traditionsbewusstes „Völkchen“ sind, wird auch heute noch auf diese Richtfeier bestanden. Hat ein Bauherr für diesen Brauch nichts übrig kann es ihm passieren, dass er einen ganz besonderen Richtkranz an seinem Dachfirst vorfindet.

Da gibt es unterschiedliche „Ausführungen“ dieses besonderen Richtbaumes oder –kranzes, z.B. einen alten Besen, mit nur wenigen Borsten oder einen Stahlbesen; beliebt sind auch Salzheringe anstatt von bunten Bändern. Es wurden auch schon im Dachfirsten „gehenkte Stoffpuppen“ gesehen. Im schlimmsten Fall wird eine Flasche mit Loch im Giebel eingemauert, die dann ein durchdringendes Heulen erzeugt.

Da hat die Heilstätte ja damals noch mal Glück gehabt, das sie „nur“ mit einer „Sonderzahlung“ der Arbeiter davon kam!

Autorin: Dagmar Spies

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