Projekt mit dem Aktiven Museum Südwestfalen
“ … Die historische Bildung und Erziehung erfolgt jedoch nicht nur im Klassenraum, sondern auch an außerschulischen Lernorten, die fester Bestandteil des Curriculums sind. Schließlich kann somit die Beschäftigung mit ausgewählten Aspekten der Geschichte noch auf andere Art erfolgen, kann fühlbar und erlebbar gemacht werden. Die multiperspektische Auseinandersetzung mit Bildungsinhalten kann zudem im Sinne des freien und selbstgesteuerten Lernens nicht nur zur Orientierung der Schülerinnen und Schüler in ihrer Alltags- und Lebenswelt beitragen, sondern auch die Kompetenz einer selbstständigen Erschließung neuer Inhalte, Medien und Methoden, letztlich auch eigenverantwortliches Handeln sowie gesellschaftliche und kulturelle Teilhabe fördern. So können etwa mithilfe eines Besuchs der Wendener Hütte die komplexen Zusammenhänge der Industrialisierung erfahren und ihre Auswirkungen im regionalen Kontext, d.h. im unmittelbaren Lebensumfeld der Schülerinnen und Schüler, nachvollzogen werden. Trotz jeweils variierender historischer Kontexte und unterschiedlicher pädagogisch-fachdidaktischer Zielsetzungen gilt Ähnliches auch für Besuche des kulturhistorischen LVR-LandesMuseums Bonn, der Zeche Zollverein im Ruhrgebiet, dem NS-Dokumentationszentrum EL-DE-Haus in Köln oder auch dem Bonner Haus der Geschichte.
Natürlich bieten auch das Stift selbst mit seiner Historie sowie das nahegelegene Hilchenbach ebenso zahlreiche Anknüpfungspunkte. Daraus sind Kooperationen etwa mit dem Stiftsarchiv oder dem örtlichen Stadtarchiv erwachsen. So hat sich eine AG unter Leitung von Herrn Schäfer beispielsweise unter dem Stichwort Stolpersteine der Frage der Möglichkeiten lokaler Erinnerungskultur angenommen. Dass Schülerinnen und Schüler während des Besuchs eines außerschulischen Lernortes nicht nur Konsumenten sind, sondern auch aktiv an der Konstruktion von Erinnerungkultur mitwirken können, zeigt stellvertretend auch ein jüngeres Projekt, das im Rahmen der Fahrtenwoche 2022/23 mit Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe Q1 durchgeführt wurde: In Zusammenarbeit mit dem Aktiven Museum Südwestfalen wurde das Konzept der ‚Zweitzeugenschaft‘ erfolgreich erprobt. Vor dem Hintergrund, dass es mittlerweile kaum noch überlebende Zeitzeugen des Holocaust gibt, kommt dem Geschichtsunterricht hier eine zusätzliche Aufgabe zu. Wo noch vor kurzer Zeit kaum ein Jahrgang das Abitur absolvierte, ohne zuvor einen Holocaustüberlebenden erlebt zu haben, der aus eigener Erfahrung genauso fesselnd wie erschreckend die persönlichen Erlebnisse aus der Zeit des so genannten Dritten Reichs erzählen konnte, müssen nun in zunehmendem Maße neue Wege beschritten werden, um die Erinnerungen an die Verbrechen der Nationalsozialisten wachzuhalten und auch den zukünftigen Generationen eine Überzeugung von „Nie mehr!“ und eine daraus abzuleitende Handlungsorientierung gemäß „Wehret den Anfängen!“ zu vermitteln.
Eine Möglichkeit, die sich im Rahmen der Kooperation mit dem Aktiven Museum Südwestfalen bewährt hat, ist, dass Schülerinnen und Schüler an die Stelle von ehemaligen Zeitzeugen treten und über diejenigen berichten, die sich selbst nicht mehr äußern können. Sie übernehmen damit in gewisser Weise eine ‚Zweitzeugenschaft‘. Nachdem die Schülerinnen und Schüler u.a. im ‚Aktiven Gedenkbuch für die Opfer des Nationalsozialismus im Kreis Siegen-Wittgenstein‘ (https://aktives-gedenkbuch.de/a-z/) nach biographischen Informationen recherchiert haben, können sie jene Orte aufsuchen und mit ihren Smartphones fotografieren, an denen die Personen, mit deren Biographie sie sich beschäftigen, gelebt oder gewirkt haben. Dabei bietet sich unter Umständen auch an, über unterschiedliche Formen der Information zu Erinnerungsorten zu diskutieren. Nicht an alle Opfer des Nationalsozialismus erinnert schließlich ein ‚Stolperstein‘ und so kann etwa über die Alternative einer Informationstafel nachgedacht werden. In jedem Fall sollten auch die gegenwärtigen digitalen Möglichkeiten ausgeschöpft werden, die nicht nur eine Auseinandersetzung mit den Ergebnissen zu Hause oder ein ‚Weiterleiten‘ ermöglichen, sondern wohl auch noch die Bereitschaft und das Interesse steigern, sich mit Fragen der Erinnerungskultur an konkreten biographischen Beispielen zu beschäftigen. Einige Schicksale, die von Schülerinnen und Schülern der Q1 am Stift aufbereitet wurden, sind auf den Seiten des Aktiven Museums Südwestfalen sowie hier nachzuhören:
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- Alfred Janson, geb. 09.07.1906 in Berleburg; als Nachfahre von Sinti gest. 02.07.1943 im KZ Auschitz-Birkenau.
- Anna Ignatowitsch, geb. 15.09.1924 in der UdSSR; als Zwangsarbeiterin sowjetischer Staatsangehörigkeit gest. 16.01.1945 im Hilfskrankenhaus Siegen.
- Eduard Herrmann, geb. 10.05.1874 in Preußisch-Friedland (Westpreußen); gest. 25.11.1940 in Haifa. Seine Frau Lina wurde auf dem Hermelsbacher Friedhof beerdigt, Eduard kam bei der Sprengung des Fluchtschiffes ‚Patria‘ vor Haifa ums Leben.
- Fanni Rosenthal, geb. 06.04.1908 in Mannheim; unbekanntes Todesdatum im KZ Auschwitz-Birkenau.
- Isfried Buchthal, geb. 30.10.1903 in Anröchte; als Kaufmann in Siegen tätig. Von Siegen nach Zamosc deportiert.
- Mathilde Hochmann, geb. 14.12.1883 in Broszniow (Galizien); Todesdatum und -ort unbekannt. Von Siegen nach Zamosc deportiert.
- Paul Gerhards, geb. 25.04.1909 in Eiserfeld; gest. 22.02.1944 in Weilmünster. Aufgrund einer Behinderung im Rahmen des Euthanasie-Programms ermordert.
Quelle: Stift Keppel Gymnasium, Seite des Fachs „Geschichte“, (Aufruf: 14.12.2022)
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