Unterlagen und Akten öffentlicher Stellen des Bundes sollen zukünftig deutlich früher im Bundesarchiv archiviert und die Schutzfristen für das Archivgut verkürzt werden. Der Kulturausschuss billigte am Mittwoch den entsprechenden Gesetzentwurf der Bundesregierung (18/9633) in der durch den Ausschuss geänderten Fassung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen das Votum von Bündnis 90/Die Grünen. Die Linke enthielt sich der Stimme. Ziel der Gesetzesnovelle ist es, das Bundesarchivgesetz insgesamt nutzer- und wissenschaftsfreundlicher zu gestalten und an die Anforderung der digitalen Informationsgesellschaft anzupassen.
Nach der Gesetzesnovelle sollen alle öffentlichen Stellen des Bundes verpflichtet werden, ihre Akten und Unterlagen nach spätestens 30 Jahren dem Bundesarchiv zur Archivierung anzubieten. Zudem soll die Schutzfrist von personenbezogenen Akten von 30 auf zehn Jahre nach dem Tod der betroffenen Person verkürzt werden. Die personenbezogene Schutzfrist für Amtsträger und Personen der Zeitgeschichte soll ganz entfallen, wenn nicht schutzwürdige private Lebensbereiche betroffen sind. Von 60 auf 30 Jahre verkürzt werden soll zudem die Schutzfrist für Archivgut, das den Geheimhaltungsvorschriften des Bundes unterliegt.
Obwohl alle Fraktionen die Novellierung des Bundesarchivrechts nach 30 Jahren ausdrücklich begrüßen, herrscht zwischen der Koalition und der Opposition vor allem über die gesetzlichen Regelungen für die Nachrichtendienste Uneinigkeit. Diese müssen nach der Gesetzesnovelle ihre Unterlagen nur dann dem Bundesarchiv anbieten, „wenn sie deren Verfügungsberechtigung unterliegen und zwingende Gründe des nachrichtendienstlichen Quellen- und Methodenschutzes sowie der Schutz der Identität der bei ihnen beschäftigten Personen einer Abgabe nicht entgegenstehen“. Im ursprünglichen Gesetzesentwurf war von „überwiegenden Gründen“ die Rede gewesen. Doch die Koalitionsfraktionen verschärften die Passage durch einen Änderungsantrag, den der Ausschuss mehrheitlich annahm. Linke und Grüne lehnen Ausnahmeregelungen für die Nachrichtendienste jedoch prinzipiell ab. Die Formulierung im Änderungsantrag der Koalition sei nur „Kosmetik“, vermeintlich „zwingende Gründe ließen sich immer konstruieren“ und der NSU-Skandal habe gezeigt, dass die Nachrichtendienste „schamlos“ seien, wenn es um die Vernichtung von Akten gehe, monierten die Grünen im Ausschuss. Auch die Linksfraktion plädierte dafür, die Ausnahmeregelung für die Nachrichtendienste ersatzlos zu streichen. Das Bundesarchiv habe bewiesen, dass es in der Lage sei, geheim eingestufte Unterlagen entsprechend der gesetzlichen Auflagen zu archivieren. Es sei nicht Sache von einzelnen Bundesbehörden, darüber zu entscheiden, welche Unterlagen archiviert oder vernichtet werden sollen.
Union und SPD verteidigten die Regelung hingegen als Kompromiss zwischen dem Anspruch auf Transparenz und Kontrolle der Nachrichtendienste auf der einen Seite und dem Schutz von Mitarbeitern der Nachrichtendienste und den Interessen von Nachrichtendiensten anderer Staaten.
Grüne und Linke hatten zudem für eine generelle Verkürzung aller Schutzfristen auf zehn Jahre plädiert sowie weitergehende Auflagen für eine Pflichtarchivierung von deutschem Filmgut gefordert. Acht Änderungsanträge der Linksfraktion und ein Entschließungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen wurde vom Ausschuss mit der Stimmemehrheit von Union und SPD jedoch abgelehnt.
Auch der Innenausschuss des Bundestages hat am 14.12.2016 über das Archivgesetz nicht öffentlich beraten und einen Beschluss gefasst, von dem lediglich folgendes bekannt ist:
Seit gestern ist der Artikel „Demenz des historischen Gedächtnisses“ von Rudolf Neumaier in der Süddeutschen Zeitung zur Novellierung des Bundesarchivgesetz online: http://www.sueddeutsche.de/kultur/bundesarchivgesetz-demenz-des-historischen-gedaechtnisses-1.3318238
Der Artikel kann hier als PDF gelesen werden: http://www.vda.archiv.net/aktuelles/meldung/457.html .
„Darf der Staat seine Spuren löschen?“ – ein weitere Bezahl-Artikel von Frank Bösch und Eva Schlotheuber in der FAZ von heute zur Novellierung des Bundesarchivgesetzes: http://plus.faz.net/evr-editions/2017-01-06/41679/307109.html
Das Kulturmagazin perlentaucher.de paraphrasiert den Bericht wie folgt: “ …. Auch in der FAZ kommt das geplante neue Bundesarchivgesetz … nicht gut an. Die Historiker Frank Bösch und Eva Schlotheuber fürchten einmal, dass künftig wichtige Akten zu schnell geschreddert werden. Andere Dokumente, etwa von Bundeskanzlern, landen bei Stiftungen. „Der Gesetzentwurf sieht zudem neue Sonderregelungen für die Nachrichtendienste vor. Diese sollen Akten nur dann an das Bundesarchiv übergeben, wenn ‚überwiegende Gründe des Nachrichtenzugangs oder schutzwürdige Interessen der bei ihnen beschäftigten Personen einer Abgabe nicht mehr entgegenstehen‘. Wann das der Fall ist, entscheiden nach diesem Entwurf die Geheimdienste selbst. Eine zumindest nachträgliche demokratische Kontrolle ihrer Arbeit ist so schwerlich möglich. Die Selbstsicht der Behörde auf die eigene Tätigkeit wird zum Leitmotiv erhoben. Kann oder, besser gesagt, will sich eine Gesellschaft das leisten?“ …..“
Die Beitrag „Gelöschtes Gedächtnis? Kritik am neuen Bundesarchivgesetz“ von Christiane Habermalz für die Sendung „Zeitfragen“ des DeutschlandradiosKultur vom 11.1.2017 kann hier angehört werden: http://www.deutschlandradiokultur.de/kritik-am-neuen-bundesarchivgesetz-geloeschtes-gedaechtnis.976.de.html?dram:article_id=376115