Besonders den Schülerinnen und Schülern der Carl-Kraemer-Realschule und des Gymnasiums Stift Keppel war anzumerken, dass dies kein alltäglicher Moment war – die Gedenkstunde zur Enthüllung des Mahnmals zur Erinnerung an die jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger der Stadt Hilchenbach, die Opfer der NS-Diktatur wurden. Keine Unterhaltung, kein Lachen, sondern viele Fragen in den Gesichtern der jungen Menschen.
Nachvollziehbar erklärte eine Schülerin der Klasse 9 der Realschule: „Es war schwer für uns zu verstehen, dass die Menschen, die hier in Hilchenbach gelebt haben, sterben mussten aufgrund ihres Glaubens, ihrer Denkweise oder Rasse. Aus dem Unverständnis der Schülerinnen und Schüler entstand bei der weiteren Auseinandersetzung mit einer Zeit, „in der der Mensch, welcher nicht bestimmten Vorstellungen entsprach, ohne Rücksicht verfolgt und umgebracht wurde“, Betroffenheit.
Diese Betroffenheit drückten die Jugendlichen bei der Gedenkstunde auf beeindruckende und mitfühlende Weise aus. Zum Beispiel, als die Schüler der Jahrgangsstufe 9 des Gymnasiums Stift Keppel die Biografien und Einzelschicksale der 12 Hilchenbacher Juden vortrugen, die der NS-Diktatur zum Opfer fielen. Allein die Aufzählung der wenigen Dinge, die sie auf ihre Reise in den Tod mitnehmen durften, sorgte für Gänsehaut bei den Zuhörerinnen und Zuhörern, machte sie doch deutlich, wie generalstabsmäßig, bürokratisch und penibel die Vernichtung der Juden von den Nazis geplant und umgesetzt wurde.
Dass es auch überlebende Hilchenbacher/innen jüdischer Abstammung gab, die rechtzeitig in Sicherheit gebracht werden konnten, ließen die Jugendlichen nicht unerwähnt. 1933, also zu Beginn der NS-Diktatur, lebten immerhin noch 32 Juden in Hilchenbach. Aber im Mittelpunkt der Gedenkstunde blieben diejenigen, an die mit dem Gedenkstein vor der evangelischen Kirche in Hilchenbach nun öffenlich erinnert wird: die jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger der Stadt Hilchenbach, die Opfer der NS-Diktatur wurden.
Die Anregung dazu stammt von der Stadtführerin Rosel Six (im Foto oben bei der Enthüllung des Gedenksteins). In ihrer Ansprache rückte sie zunächst ihre große Dankbarkeit in den Mittelpunkt: „Was würde aus einer Idee, wenn man keine Unterstützer hat?“ Damit meinte sie nicht nur die Sponsoren, neben stillen Geldgebern die Stadtsparkasse Hilchenbach, die SMS Siemag, Hundt Grabmale und den Tourismus- und Kneippverein Hilchenbach sowie den Einsatz von Kirche, Kommunalpolitik und Stadtverwaltung.
Über 100 Gäste zeigen mit ihrer Teilnahme Unterstützung!
Die Gedenkstunde zeigte mehr als deutlich, dass in Hilchenbach viel mehr Unterstützung für das Erinnern auch oder besonders an die menschenverachtende Judenverfolgung vorhanden ist, denn über 100 Zuhörerinnen und Zuhörer nahmen teil. Rosel Six sieht den Gedenkstein als Mahnung und Aufruf zur Wachsamkeit. Der Stadtführerin ist es daher wichtig, dass die Form des Erinnerns in die Zukunft wirkt. Gerade bei den anwesenden Jugendlichen hatte sie mit diesem Anliegen die richtige Adresse gefunden.
Aus der „Erinnerung“ an das Geschehene hatten die Schülerinnen und Schüler für sich drei Schlagwörter für die heutige Zeit abgeleitet, nach denen man handeln und sein Leben führen sollte, damit solche grausamen Verbrechen nicht mehr geschehen können: ? Achtung, Toleranz, Verantwortung. Dazu bekannten sich die Jugendlichen mit folgenden klaren Botschaften:
„Wir wollen diejenigen achten, die nicht nur Nummern waren, sondern Menschen mit Namen, Träumen, Wünschen und Plänen für die Zukunft. Wir wollen unsere Mitmenschen achten, die heute mit uns hier in Hilchenbach leben.
Wir möchten tolerant gegenüber anderen Menschen sein und ihnen unseren Respekt erweisen, da Glaube, Meinungen und Herkunft nicht alleine etwas über einen Menschen aussagen. Stattdessen sollte der Mensch selbst in seinem Handeln und Leben im Vordergrund stehen.
Unsere Verantwortung und Pflicht ist es, an das Unrecht zu erinnern und diese Verantwortung zu übertragen in ein Gedenken an unsere Mitmenschen in Hilchenbach, damit wir sie nicht vergessen.“
Symbolisch setzten die Jugendlichen aus diesen Lebensleitlinien einen Davidsstern zusammen (Foto oben).
Zuvor hatte auch Bürgermeister Hans-Peter Hasenstab in seinem Grußwort an die zahlreichen Gäste die Bedeutung des Gedenksteins in gleichem Sinn beschrieben: „Er ist ein Zeichen gegen das Vergessen des schlimmsten Verbrechens der NS-Diktatur, das zum Ziel die Vernichtung eines ganzen Volkes hatte.“
Der Stellvertretende Bürgermeister Klaus Stötzel hatte die Ehre, das Grußwort des Israelischen Botschafters in Deutschland zu verlesen. Darin ruft Yakov Hadas-Handelsman dazu auf, die junge Generation in die Erinnerungsarbeit einzubeziehen, was in Hilchenbach an diesem Tag dank der beteiligten Schulen in bester Weise gelungen ist. Der Botschafter kommt in seinem Schreiben zu folgendem Ergebnis: „Das Wissen über die Vergangenheit und die Vermittlung von Werten wie Demokratie und Toleranz sind entscheidende Elemente, um dem leider nach wie vor existierenden Antisemitismus und Fremdenhass entgegen zu wirken. Hier ist die gesamte Gesellschaft gefordert.“
Pastor Rüdiger Schnurr von der Evangelisch-reformierten Kirchengemeinde Hilchenbach griff diesen Gedanken auf, als er von der „geschuldeten Solidarität“ mit Israel sprach, die leider heute oft fehlt. Er erinnerte an eine kurze amtliche Meldung vom 28. Februar 1943: „Hilchenbach ist judenfrei.“ Ein Satz, der verbirgt, welche auch heute noch erschreckenden und entsetzlichen Taten mit dieser Feststellung verbunden waren.
Hoffnung, dass so etwas nie wieder passieren kann, machten die Schülerinnen und Schüler mit ihren auf Plakaten niedergeschriebenen Gedanken:
„Wirklich tot sind nur die, an die sich niemand erinnert!
Wer auch nur einem Menschen das Leben gerettet hat, wird belohnt, als hätte er die ganze Welt gerettet!
Respektiere Dich selbst, respektiere andere und übernimm Verantwortung für das, was Du tust!
Wir sind nicht nur für das verantwortlich, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun!“
Und es blieben und bleiben Fragen, die die Schülerinnen und Schüler dem Publikum mit auf den Weg gaben:
„Welchen Beschäftigungen ging Arno Holländer in seiner Freizeit nach?
Was wäre, wenn diejenigen, die damals den Tod fanden, heute noch unter uns wären?
Mit welchen Freunden hätten Sie sich am Nachmittag getroffen?
Was würden sie gerade in diesem Augenblick tun?“
Eigentlich alltägliche Fragen, die im Zusammenhang mit der Judenvernichtung jede Alltäglichkeit verlieren.
Eine Antwort aus jüdischer Sicht ist möglichweise das Kaddisch, das Allon Sander von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Siegerland e.V. zum Abschluss der Gedenkstunde eindrucksvoll vortrug – zunächst in deutsch und anschließend im Original.
Denn in seiner Einleitung hatte er betont, dass dieses Totengebet die Fortsetzung des jüdischen Lebens symbolisiert.
Für den angemessenen musikalischen Rahmen sorgte zu Beginn Gerlinde Biedighäuser, die das Schofarhorn blies.
Die Gedenkstunde beendete das Bläser-Trio Günter Becker, Bernd Hoffmann und Sebastian Keckert mit ihrem Vortrag.
Der Dank der Veranstalter gilt allen Mitwirkenden, besonders der Carl-Kraemer-Realschule und dem Gymnasium Stift Keppel.
Nicht nur, dass beide Schulen das Programm mitgestalteten. Unter der Leitung der Lehrer Karl Fabian Kreutz, Sofien Nafati und Dietmar Pohl hatten die Schülerinnen und Schüler beider Schulen ihren gemeinsamen Auftritt zuvor abgestimmt und auch zusammen geprobt.