Am 26. Mai wird zum neunten Mal das europäische Parlament gewählt. Was dabei kaum thematisiert wird: Vor 40 Jahren fanden erstmals Direktwahlen in der Europäischen Gemeinschaft statt. Ab dem 7. Juni 1979 waren die Wählerinnen und Wähler aus den damals neun Mitgliedsstaaten dazu aufgerufen, ihre Abgeordneten für das Parlament in Straßburg zu bestimmen, wobei die Europawahl in der Bundesrepublik Deutschland am 10. Juni erfolgte.
Der Kreis Siegen musste sich deshalb im September 1976 mit einer Rechtsfrage beschäftigen.
Im Vorfeld der Bundestags- und Europawahlen ging es um Folgendes: Ein Ingenieur aus Dresden hatte ein Jahr zuvor einen Zweitwohnsitz in Siegen angemeldet, da er bei einer im Kreis ansässigen Firma für die Abnahme von Produkten für die DDR zuständig war. Von Amts wegen wurde er in das Wählerverzeichnis der Stadt aufgenommen. Nun hatte ein Mitarbeiter in der Stadtverwaltung Zweifel, ob dieser Bürger aus der DDR tatsächlich wahlberechtigt sei und fragte beim Kreis nach. Der dortige Wahlleiter Haepp rief beim stellv. Landeswahlleiter Eckemann in Düsseldorf an, der zunächst keine eindeutige Antwort geben konnte. Erst am Nachmittag meldete sich dieser zurück und erklärte:
„Ein Bürger der DDR ist Deutscher im Sinne des Grundgesetzes Art. 116, Abs. 1.“
Da auch die sonstigen Voraussetzungen erfüllt waren (u.a. Wohnhaft im Bundesgebiet, Volljährigkeit), konnte der DDR-Bürger somit durchaus an den Wahlen teilnehmen.
Die Pläne für eine Europawahl standen seit 1976, allerdings kam es aufgrund von Unstimmigkeiten immer wieder zu Terminverschiebungen. Erstaunlich ist jedoch, dass die Frage nach dem Wahlrecht von DDR-Bürgern allem Anschein nach noch nicht früher aufgekommen ist. Anders lässt sich die anfängliche Ratlosigkeit von Stadt, Kreis und selbst dem Land NRW nicht erklären.
Im Gegensatz zu heute nahm die erste Europawahl noch keinen großen Stellenwert ein. Dies lässt sich besonders gut anhand der Berichte in den örtlichen Zeitungen nachvollziehen. Dort beschäftigte man sich mit der anstehenden Europawahl nur in wenigen Artikeln. Berichtet wurde beispielsweise über die Wahlkampfveranstaltungen von SPD und CDU in Siegen, bei denen die jeweiligen Spitzenkandidaten des Landes anwesend waren. Einzig die Anzeigen der beiden großen Parteien wurden immer größer, je näher die Wahl rückte. Darin wurde auf die Wichtigkeit der Europawahl hingewiesen und an die Bevölkerung appelliert, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Umso unverständlicher ist es dann, dass selbst der Bundestag erst zehn Tage vor der Wahl über die Ziele der Europapolitik debattierte.
Aus diesem allgemeinen Desinteresse resultierte wohl auch die geringe Wahlbeteiligung. Im Kreis lag diese zwar immerhin bei 65,82% (Bundesweit: 65,7%), damit allerdings immer noch deutlich unter der Wahlbeteiligung vorheriger Wahlen in der Bundesrepublik. Dabei hätte es am 10. Juni 1979 genug Zeit gegeben, um für eine der neun Parteien zu stimmen. Die Wahllokale waren an diesem Tag von 8.00 Uhr bis 21.00 Uhr geöffnet, was im Nachhinein von den Wahlbezirken heftig kritisiert wurde.
Das Gesamtergebnis im Kreis:
CDU: 43,5%
SPD: 44,6%
FDP: 8,8%
Sonst.: 3,1%
Quellen:
Kreisarchiv Siegen-Wittgenstein: Bestand 2.21.1, Nr. 121 und Nr. 127
Stadtarchiv Siegen, Zeitungsbestand: Siegener Zeitung Mai/Juni 1979
Westfälische Rundschau Mai/Juni 1979
Westfalenpost Mai/Juni 1979