Stadtarchiv erinnert an die wechselhafte Gründungsgeschichte der Gesamthochschule Siegen vor 50 Jahren
In seinem „Klick in die Vergangenheit“ widmet sich das Stadtarchiv Siegen regelmäßig unterschiedlichen Episoden der städtischen Geschichte. Besondere Anlässe, historische Ereignisse, bislang unbekannte Aspekte oder bemerkenswerte Stücke aus den Archivbeständen sollen der Öffentlichkeit präsentiert werden. In der neuen Ausgabe werden die Umstände, Motive und Akteure, die den Hochschulstandort Siegen durch die Eröffnung der Gesamthochschule am 1. August 1972 begründeten, aber auch die kommunalpolitischen Kontroversen um die Standortfrage einer projektierten „Siegerland-Universität“ näher beleuchtet. Dabei fließen die gesellschaftspolitische Dynamik und Bildungsmisere in der Bundesrepublik Deutschland Ende der 1960er Jahre ebenso ein wie die Bemühungen der NRW-Landesregierung, nach jahrelangen Diskussionen endlich Impulse für eine erfolgreiche Hochschulpolitik zu setzen und eine adäquate Lehrerausbildung in Südwestfalen ermöglichen zu wollen.
„Einen Vorstoß zur Behebung der Missstände unternahm der sozialdemokratische NRW-Ministerpräsident Heinz Kühn mit seinem Bildungsplan im September 1969“, wie Christian Brachthäuser vom Stadtarchiv Siegen erklärt. „Aber die angekündigte Hochschulreform sollte neue Universitätsbereiche lediglich in Aachen, Bielefeld, Bochum, Dortmund, Düsseldorf, Köln, Bonn und Münster schaffen. Der Kreis Siegen blieb zunächst außen vor.“ Diese Position sorgte für heftige Turbulenzen und erhitzte die politischen Gemüter. Gar von einer Gefährdung des Wirtschaftsraums Siegerland und der Diskriminierung einer ganzen Region war die Rede. „Nicht uninteressant ist in diesem Zusammenhang sicher die Konkurrenz zwischen den Städten Hüttental und Siegen um die besten Gunstfaktoren für die Ansiedlung einer neuen Gesamthochschule im Kreis Siegen“, so Brachthäuser. Bestärkt wurden beide Parteien durch politische Gedankenspiele in Düsseldorf, in der strittigen Standortfrage unter Umständen eventuell doch darauf verzichten zu wollen, neue pädagogische Universitäten nur in den Ballungszentren von Nordrhein-Westfalen zu eröffnen. Diese Dezentralisierungsbemühungen sollten dem Kreis Siegen glücklicherweise in die Karten spielen. Nach dem Gesamthochschulplan der Bundesassistentenkonferenz in der Bundesrepublik Ende 1970 sollte Siegen als Standort einer von insgesamt 63 integrierten Gesamthochschulen fungieren, um pädagogische „Dünnzonen“ zu beseitigen und die Bildungsmobilität zu steigern sowie einen substanziellen Beitrag zur Strukturverbesserung des ländlichen Raums zu leisten. Um einen Zuschlag für den Kernraum Siegerland nicht zu riskieren, verzichtete Siegens Oberbürgermeister Karl Althaus schließlich zugunsten des „Rivalen“ Hüttental.
Die wichtigsten Etappen bis zur Eröffnung der Gesamthochschule vor 50 Jahren sowie die kontroversen Positionen der involvierten Entscheidungsträger hat das Stadtarchiv Siegen in Form einer Textdokumentation zusammengetragen, die auf der Website www.stadtarchiv-siegen.de abrufbar ist. Parallel dazu sind in einer Vitrine im Lesesaal des Stadtarchivs originale zeitgenössische Schriftstücke ausgestellt, die über die Gründungsinitiativen und Konfliktfelder des Vorgängers der heutigen Universität Siegen informieren. Der Eintritt ist frei, es gelten jedoch die coronabedingten Abstandsregeln sowie das Tragen einer medizinischen Maske.