Edmund Burkard ist der älteste Promovend der Uni Siegen. Seine Doktorarbeit schrieb er über das Thema „Der Hilfsverein der Deutschen Juden“.
Egal ob 18 oder 80 Jahre, egal ob es die erste oder die letzte ist: Prüfungen machen nervös. „Es war nicht einfach“, sagt Edmund Burkard nachdenklich. Jahrzehntelang fühlte er als Lehrer seinen Schülern auf den Zahn. Nun, mit 80 Jahren, muss der Mann aus dem Münsterland noch einmal die Rolle des Prüflings übernehmen. Nach zwei Stunden ist es geschafft. Edmund Burkard hat seinen Doktortitel in Erziehungswissenschaften. Er ist damit der derzeit älteste Promovend der Universität Siegen. Burkard ist selbst überrascht: „Ich bin der Älteste? Wirklich?“
Seine Doktorarbeit schrieb er über das Thema „Der Hilfsverein der Deutschen Juden. Überwindung von Armut durch Bildung“. „Ich wollte eigentlich gar nicht promovieren. Andere wollten das“, schmunzelt Burkard. Das Thema begleitete ihn schon seit seiner Staatsexamensarbeit und ließ ihn nicht mehr los. Er wurde zum Experten, hielt Vorträge und hatte engen Kontakt zu anderen Wissenschaftlern. Irgendwann traf er Prof. Dr. Sabine Hering, die bis 2012 an der Universität Siegen lehrte und zum Vorstand des Arbeitskreises Jüdische Wohlfahrt am Salomon Ludwig Steinheim Institut der Universität Duisburg/Essen gehört. „Sie meinte, ich solle doch promovieren“, erzählt Burkard.
So kam er zu seiner Doktormutter und an die Universität Siegen. Irgendwie schloss sich damit auch eine Art Lebenszirkel. Hier in Siegen, wo Burkard geboren wurde, aufwuchs und eine berufliche Laufbahn als unglücklicher, da – wie er selbst sagt – völlig unbegabter kaufmännischer Lehrling begann, sitzt er nun mit akademischem Titel. Dazwischen liegen aufregende, abwechslungsreiche Jahre. „Er ist einer, der immer weitermacht“, lächelt sein Frau Gisela und streicht ihm mit einer Mischung aus Stolz und Nachsicht über den Arm.
1959 verlassen die beiden Siegen und gehen ins Münsterland. Er sieht bei der Bundeswehr eine Chance, dem ungeliebten Kaufmannsleben zu entfliehen. Zwölf Jahre bleibt er bei der Luftwaffe. Nach zehneinhalb Jahren wird er zum Studium freigestellt. Er will Lehrer werden. „Das Pädagogische liegt mir im Blut“, sagt Burkard. Über den zweiten Bildungsweg wird er zunächst Grund- und Hauptschullehrer, später legt er die Prüfung zum Diplom-Pädagogen ab. Er arbeitet an einer Schule in Billerbeck, dann lockt ihn 1977 das Ausland. „Fünf Jahre haben wir in den USA, in El Paso, gelebt“, so Burkard. Zwei der drei Kinder gehen mit. Der Älteste macht in Deutschland Abitur. Edmund Burkard unterrichtet die Kinder von Soldaten, die in den USA stationiert sind. Es sind multikulturelle Klassen. Als er 1982 im Münsterland wieder an einer Hauptschule tätig ist, sind diese Erfahrungen wertvoll.
Er studiert zusätzlich evangelische Religion und hat bis 1992 einen Lehrauftrag in Politikwissenschaft an der Uni Münster. Und da Edmund Burkard ein Sucher und ein Wühler ist, einer, der sich in Archiven und Bibliotheken festbeißen kann, lässt ihn der Hilfsverein der Deutschen Juden nicht los. Bereits in Verbindung mit seinem Ersten Staatsexamen hat Burkard etwas Hebräisch gelernt, ist nach Israel gereist und hat in den Archivunterlagen der Hebräischen Universität in Jerusalem recherchiert. Nach seiner Pensionierung im Jahre 1997 hat er wieder mehr Zeit für weitere Forschungsarbeit.
Eigentlich wollte er ein Buch dazu schreiben, jetzt ist es die Promotion geworden. Edmund Burkard zuckt mit den Achseln. Der Titel an sich bedeute ihm nicht so viel. Bis auf seine Frau habe auch keiner etwas von der Promotion gewusst. Nur der Enkel habe zufällig mal was auf dem PC gefunden. „Aber er hat dichtgehalten“, schmunzelt Burkard. So wird der Doktortitel für den Rest der Familie eine große Überraschung.
Etwa dreieinhalb Jahre, unterbrochen von einer längeren Krankheitsphase, hat er daran gearbeitet. „Jetzt machst Du erst mal Pause“, sagt seine Frau. Aber Edmund Burkard wiegt lächelnd den Kopf. „Ich plane noch die Zusammenstellung aller Mitglieder des Hilfsvereins der Deutschen Juden – und das sind 27000.“ Dr. Burkard hat also noch reichlich zu tun.
Der Hilfsverein der Deutschen Juden
Der Hilfsverein der Deutschen Juden wurde 1901 in Berlin gegründet. Ziel war die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung von Juden in Osteuropa und im Orient. Durch Spenden konnten zahlreiche Kindergärten und Schulen in Palästina aufgebaut werden. Der Hilfsverein legte Wert darauf, dass dort modernes Hebräisch gelehrt und gesprochen wurde. Die Errichtung eines Lehrerseminars, einer Handelsrealschule, landwirtschaftlicher Kurse und eines Technikums sollte ein geschlossenes Bildungswerk schaffen. Da der Hilfsverein von Anfang an jüdische Auswanderer aus Osteuropa unterstützte, konnte er während der Nazi-Diktatur vielen deutschen Juden bei ihrer Flucht helfen. Er wurde vom Regime aber auch als Quelle für Informationen über vermögende Juden ausgenutzt und erst 1941 verboten.
Quelle: Pressemitteilung Universität Siegen, Sabine Nitz, 30.6.2016
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