Dieter Bald fragte nach weiteren Informationen zu Dr. Paul Guder, der von 1889 bis 1925 Kreisarzt des Kreises Wittgenstein war, an. Sein derzeitiger Forschungsstand darf hier freundlicherweise veröffentlicht werden: Dr. Paul Guder Nachruf 1925 .
In den Beständen des Kreisarchivs selbst fanden sich keine einschlägigen Unterlagen, so daß an die Archive verwiesen werden musste, die sich aus dem bisher Ermittelten ergeben.
Sorry, er funktioniert doch…
Promotion an der Universität Berlin 1880. Ein Digitalisat der 39seitigen Dissertation „Experimente über die Chinin-Wirkung insbesondere auf das gesunde menschliche Gehörorgan“ ist unter
digital.bib-bvb.de/publish/content/41/4562995.html
zu finden, darin auf der letzten Seite auch ein kurzer Lebenslauf mit Angaben zu Schulbildung und Studium.
Im Fürstlichen Archiv Berleburg liegt als Regest vor (Sign. Ber.Uk-2891):
„Befundbericht des Medizinalrates Dr. Guder in Laasphe über die Leiche seiner Durchlaucht, des Hochseligen Fürsten Albrecht II. zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg“.
Ein Nekrolog lässt sich ermitteln in: Münchener Medizinische Wochenschrift 73 (1926), S. 576-577 (anscheinend nicht digitalisiert, könnte man über Fernleihe bestellen).
Als Kreisphysikus müsste Paul Guder etliche Spuren in der Überlieferung des Wittgensteiner Landratsamtes hinterlassen haben (Mikrofilme davon, wenn ich mich nicht irre, im Stadtarchiv Berleburg).
Vielen Dank für die Hinweise! Da kann man ja jetzt weiterrecherchieren.
Ich habe mir die Dreistigkeit erlaubt, den Lebenslauf aus der Dissertation hier einzustellen:
Nachtrag (gestern vergessen):
Die Universität Marburg selbst gibt für die Verleihung der Ehrensenatorenwürde das Datum 10.02.1923 an (nicht 1925). Die Ehrung erfolgte „als Anerkennung für die Zuweisung von wertvollem Sektionsmaterial und von Kranken mit seltenen Krankheitsbildern sowie für die Überlassung von wissenschaftlichen Werken an die Bibliothek“.
(www.uni-marburg.de/de/universitaet/profil/geschichte/ehrensenator-innen)
Es ist also denkbar, dass sich in der medizinhistorischen Sammlung der Uni Marburg (www.uni-marburg.de/fb20/museum-anatomicum) noch präpariertes Sektionsmaterial aus dem einstigen Besitz Guders befindet. Sollte Herr Bald Freude an solchen Konserven haben, wäre das vielleicht interessant.
Sehr geehrter Herr Kunzmann,
herzlichen Dank für ihre fundierten Hinweise, denen ich teilweise bereits nachgehen konnte. Nach Einsichtnahme in die Dissertation des Dr. Guder konnte ich eben den Nachruf in der Münchener Medizinischen Wochenschrift antiquarisch ermitteln, da mir eine Fernleihe zu aufwändig erschien. Insofern kann ich ihn jetzt auch digital zur Verfügung stellen:
„Paul Guder
Es erscheint mir nicht unbescheiden, wenn einmal an dieser Stelle auch über einen der tüchtigsten Aerzte aus der Zahl der praktischen Aerzte ein Nachruf veröffentlicht wird, wie es sonst nur bei hervorragenden Männern der Wissenschaft üblich ist. – Ein solcher, sich über das Niveau erhebender und hervorragender Mensch und Arzt war Paul Guder.
Paul Guder, der am 7. Dezember 1925 im 71. Lebensjahre starb, war, im Jahre 1881 approbiert, nach erfolgreicher Assistentenzeit, wo er Schüler von Flechsig und Binswanger war, an verschiedenen Heilanstalten tätig und ließ sich dann in Laasphe in Westfalen als praktischer Arzt nieder, wo er im folgenden Jahre zum Königl. Preußischen Kreisarzt für den Kreis Wittgenstein ernannt wurde. Sein ärztliches Arbeitsfeld war ein sehr umfangreiches und vielseitiges. Neben seiner großen allgemeinärztlichen Praxis, die ihn bis in die oft sehr weit entlegenen und schwer erreichbaren Dörfer des gebirgigen Wittgensteiner Landes (Sauerland) führte und an sein geburtshilfliches und chirurgisches Können und an seine diagnostische Begabung oft große Anforderungen stellte, hatte er einige Jahre später durch seine kassenärztliche Tätigkeit und durch sein Amt als Bahnarzt ein weiteres Gebiet, hier besonders für seine sozialen Bestrebungen, hinzugewonnen. Die Bevölkerung des Kreises Wittgenstein und der Stadt Laasphe hatte für ihre Bedürfnisse in Guder, dessen Arbeit von wirklich ärztlich humanem Geist durchdrungen war, einen verständnisvollen Berater. Er ließ seine dienstliche Stellung, seine wissenschaftlichen Bestrebungen und seine organisatorischen Fähigkeiten sich stets zum Nutzen der Bevölkerung auswirken, sei es in der Fürsorgetätigkeit, sei es für Schulen, sei es für die hygienischen Bedürfnisse der Gemeinden. In letzteren fehlte z.B. bei seinem Dienstantritt noch recht viel an hygienischen Einrichtungen: So sind auf seinen Antrag während seiner Dienstzeit allein 28 Wasserleitungen gebaut worden. Sein umfassendes Wissen, seine Kritik und seine Urteilskraft ließen ihn in der Verfolgung des einmal als richtig Erkannten nicht erlahmen; seine Erfahrung auf vielen Gebieten, seine stete wissenschaftliche Fortbildung machten ihn für Genossenschaften und Regierung zu einem anerkannten Gutachter.
Immer war Guder bemüht, sich wissenschaftlich weiterzubilden, er verblieb in Konnex mit der Wissenschaft; besonders pflegte er die Verbindung mit den Instituten und Kliniken der nahe gelegenen Universität Marburg. Diese Verbindung nutzte er zum Nutzen der Kranken. Guder war stets bemüht, seinen Kranken die Vorteile einer Krankenhausbehandlung zu verschaffen, und tat dies oft mit größter Energie und oft unter persönlichen Opfern. Er ließ Kranke aus den entlegensten Gebirgsdörfern in die Marburger Kliniken transportieren. Dieses Verhalten erkennt besonders rühmend der frühere hervorragende Direktor der chirurgischen Universitätsklinik in Marburg an. Herr Geheimrat Prof. Dr. Ernst Küster schreibt in seinem Buche: „Zwei Schlußjahre klinisch-chirurgischer Tätigkeit“ 1909 (Berlin, Aug. Hirschwald), als er auf S. 215 das weit ablehnendere Verhalten der Landbevölkerung gegen Operationen und die hierdurch veranlaßten Schwierigkeiten in der Behandlung verschleppter und zu spät operierter Fälle betont, daß gerade in der Ueberwindung solcher schwieriger Verhältnisse Guder eine nie erlahmende Energie, selbst unter persönlichen Opfern gezeigt habe, – Daß Guder die Ausführung von Operationen in seinem Hause und selbst in entlegenen Ortschaften, hier oft unter primitivsten Verhältnissen ermöglichte, ist bekannt: Die Aerzte der chirurgischen Klinik in Marburg waren ihm hierbei stets bereite Helfer. Ein ganz besonderes Verdienst hat sich Guder dadurch erworben, daß er den Kliniken der Universität Marburg Kranke zuwies und dem anatomischen und dem pathologischen Institut stets von seinen Sektionen reichliches Material zuschickte. Die Universität Marburg (Lahn) hat die großen Verdienste Guders um die Universität, um die medizinische Wissenschaft und die Kliniken dadurch anerkannt, daß sie ihn zum Ehrenbürger der Universität Marburg ernannte.
Guder hat sich verschiedentlich wissenschaftlich betätigt; er war früher Spezialist auf dem Gebiete der gerichtlichen Medizin. Sein im Jahre 1881 erschienenes Kompendium der gerichtlichen Medizin (Abels Medizin. Lehrbücher, Verlag Joh. Ambros.Barth, Leipzig) war früher ein viel gebrauchtes, durch seine klare Schreibweise und gute Dispostion ausgezeichnetes Buch. – Ein anderes von ihm bearbeitetes Gebiet betrifft den Zusammenhang zwischen Trauma und Tuberkulose (Vierteljschr. F. gerichtl. Med., 3. Folge VII, 1894). Die land- und forstwirtschaftlichen Unfälle im Kreise Wittgenstein hat er durch Franz Fischer 1901 in einer Dissertation zusammenstellen lassen. – Eine von Guder in Angriff genommene historische Darstellung auf dem Gebiete der Irrenanstalten ist leider nie zum Abschluß gekommen., obgleich er gerade auch anerkannter Fachmann durch seine irrenärztliche Tätigkeit war.
Guder stellte sich auch in den Dienst des ärztlichen Vereinswesens; er war für Zusammen-fassung und Zusammenschluß der Aerzte, um eine für den ganzen Stand nützliche Arbeitsgemeinschaft zu erzielen.
Die Hochhaltung kollegialer Gesinnung war einer seiner vornehmsten Bestrebungen. Infolgedessen war Guder eine weit über den Kreis seiner praktischen Tätigkeit nicht nur bei der Bevölkerung, sondern auch in großen Aerztekreisen bekannte und angesehene Persön-lichkeit. Er war Gründer und Vorsitzender des Aerztevereins des Kreises Wittgenstein und Ehrenmitglied des Marburger ärztlichen Vereins.
Guder war eine edle, in sich gefestigte, knorrige Persönlichkeit, unter deren rauher Außenschale sich eine Seele und ein anständiger Charakter dem Kundigen offenbarte. Eine solche Persönlichkeit wie Guder konnte sich abseits der Großstadt in einem uneingeschränkten Wirkungskreis voll entfalten. Mit Guder ist ein echter deutscher Mann dahingegangen, der auch in den schwersten Zeiten (im Kriege war er Leiter eines Vereinslazarettes) seiner Ueberzeugung treu blieb und sich mit seiner ganzen kräftigen Persönlichkeit für die Wiederaufrichtung des Volkes – hier durch stetiges Wirken und Werbearbeit beim einzelnen – einsetzte.
Paul Guder starb in Laasphe, nachdem er in der chirurgischen Universitätsklinik Marburg Heilung und Linderung seines Leidens vergeblich gesucht hatte. Er wurde unter großer Beteiligung der Bevölkerung, der Aerzteschaft, der Behörden, der Universität Marburg auf dem idyllischen Waldfriedhof bei Laasphe beigesetzt. Mit Guder ist einer der fleißigsten, pflichtgetreuesten Menschen und Aerzte dahingegangen.
Reinhardt – Leipzig“
…Ihre fundierten Hinweise…
Link zum Wikipedia-Artikel über Dr. Paul Guder: https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Guder
Hallo, zum Artikel über Dipl.Ing. Hermann Reuss: es befindet sich ein Gedichtband von ihm bei mir, von 1925. Bitte nehmen Sie Kontakt auf, mit freundlichem Gruß G. A.
1) s. a. Alma Kreuter: Deutschsprachige Neurologen und Psychiater. Ein biographisch-bibliographisches Lexikon von den Vorläufern bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts , München 1996, S. 490. Dort auch weitere noch nicht im Wikipedia-Eintrag ausgewiesene Veröffentlichungen Guders
2) Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I. HA Rep. 76[I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Ältere Medizinalregistratur, Personalakten und Personalunterlagen der älteren Medizinalregistratur, Buchstabe G (1850-1922)], VIII A Nr. 4401 Guder, Paul Martin Philipp; geb. in Modritz, 1880 – 1921