„Die CDU hat sich bereits im Juni für „Aufklärung statt Umbenennung“ positioniert. Daher bleiben wir bei unserer Haltung, die im Abschlussbericht in den Kategorien A und B genannten Straßen mit einer Hinweistafel zu versehen, mit dem Zusatz, dass nach heutiger Sicht eine Würdigung dieser Personen nicht mehr erfolgen würde“, so Alexander Patt, Vorsitzender der CDU Siegen. Aus Sicht der Christdemokraten ist diese Vorgehensweise mehr als ausreichend, zumal die betreffenden Personen nicht für ihr Wirken in der NS-Zeit geehrt wurden.
„Wenn wir nach aktuellem Zeitgeist alle geschichtlich kritisch zu hinterfragenden Personen von der Namensgebung entfernen, haben wir in Siegen noch viel vor uns“, so der Fraktionsvorsitzende Marc Klein.
Der jetzt von der FDP ins Gespräch gebrachte Vorstoß, auch noch die Graf-Luckner-Straße, die Hindenburgbrücke und den Herrengarten mal eben mit umzubenennen, zeige klar auf, welchen Weg einige politischen Kräfte in Siegen einschlagen wollen.
„Für solche Themen wurde seinerzeit extra ein Arbeitskreis ins Leben gerufen, deren Vorsitzender im ÜbrigenMitarbeiter der FDP-Ratsfraktion ist. Wir fragen uns, warum diese drei Namensgebungen dann nicht bereits dort diskutiert werden konnten“, so Klein weiter.
Alexander Patt zeigt sich enttäuscht, dass manche Fraktionen aus seiner Sicht, die Folgen für die betroffenen Anwohner und Gewerbetreibenden nicht in ihre Überlegungenmit einbezögen, sondern sie gar gleichgültig hinnähmen. „An derartigen Umbenennungsorgien, wie sie nun angestoßen werden sollen, wird sich die CDU jedenfalls nicht beteiligen“, so Patt weiter.
Die CDU-Fraktion wird in der Ratssitzung am Mittwoch ihren Antrag aus der HFA-Sitzung im Juni erneut stellen, in Siegen sukzessive alle nach Personen benannten Straßen und Plätze mit Hinweistafeln und QR-Codes über die Namensgeber zu versehen. Mit mehr Information und Aufklärung kann der Stadt und ihren Bürgern ein echter Mehrwert entstehen.“
Quelle: CDU Siegen, Pressemitteilung vom 17.102022
Somit scheint folgende Stimmenverteilung vorzuliegen:
-18 Stimmen für den über die Fraktionsgrenzen hinweg gemeinsam erarbeiteten, mehrheitlich beschlossenen Vorschlag des vom Rat eingesetzten Arbeitskreises,
– 15 Stimmen für einen Kompromiss (Umbenennung der nach Paul von Hindenburg, Adolf Stoecker und Lothar Irle benannten Straßen),
– 33 Stimmen gegen eine Umbenennung,
– 5 Stimmen unkalkulierbar
Linkliste zum Thema:
https://geschichtswerkstatt-siegen.de/2020/01/10/siegener-forum-43/ (Jan. 2020, Vortrag Pyta zu Hindenburg)
https://geschichtswerkstatt-siegen.de/2022/02/11/umbenennung-von-strassennamen/
https://geschichtswerkstatt-siegen.de/2022/09/15/strassennamen/ (13.9.)
https://geschichtswerkstatt-siegen.de/2022/10/10/siegener-forum-55/ (Hans Kruse)
https://57politik.org/2022/06/22/zur-debatte-umbenennung-von-strasennamen-in-siegen/
Auf siwiarchiv finden sich unter den Schlagworten „Erinnungskultur“ und „Erinnerungspolitik“ alle relevanten Einträge zum Thema
1. Wenn ich es richtig verstehe, befürwortet die Siegener CDU-Fraktion, einen überführten Sexualstraftäter (Graf Luckner) weiterhin durch eine Straßenbenennung zu ehren.
2. Wenn ich es richtig verstehe, würde die Siegener CDU-Fraktion theoretisch kein Problem damit haben, z.B. die 1945 erfolgte Umbenennung der Adolf-Hitler-Straße (heute Sandstraße) rückgängig zu machen, sofern nur eine über den Namenspatron hinreichend aufklärende Hinweistafel angebracht würde. Deren Schlußsatz: „Nach heutiger Sicht würde eine Würdigung dieser Person nicht mehr erfolgen“.
3. Ich bin mir absolut sicher, dass die Christlich-Demokratische Union deutschlandweit auch den einen oder anderen intelligenten und ehrenwerten Menschen zu ihren Mitgliedern zählt.
4. Brechreiz ist kein Thema für Siwiarchiv.
Danke für den Kommentar und Entschuldigung, dass Sie dadurch körperlich beeinträchtigt wurden! Erinnerungspolitische Themen – zumal, wenn sie, wie in diesem Fall ein Archiv der Region treffen (immerhin war der Leiter des Siegener Stadtarchivs quasi Geschäftsführer des Arbeitskreises, der den o.e. Abschlussbericht vorgelegt hat) – sind leider ein Thema für das Blog. Wo, wenn nicht hier?
Da haben Sie, lieber T.W., mich missverstanden. Selbstverständlich gehört das Thema in diesen Blog. Was m.E. nicht hineingehört, sind allzu weitschweifige Ausführungen über persönliche Befindlichkeiten – weshalb ich es heute Nacht auch bei der knappen Andeutung beließ, dass ich mich von der CDU-Fraktion verarscht fühle.
Danke für die Klarstellung!
Die Siegener Zeitung hat die Pressemitteilung bereits aufgegriffen. Der Artikel ist online und wird auf der Facebook-Seite der Zeitung bereits kommentiert:
Auch die Westfälische Rundschau berichtet dazu heute online und im Print.
Im Vorfeld der Sitzung des Siegener Stadtrats am 19.10.2022 hat mich ein in der SZ vom 13.10.2022 veröffentlichter, m.E. beschönigender und Falschinformationen enthaltender Leserbrief von Gisela Rauch veranlasst, hierauf in einem eigenen Leserbrief zu erwidern. Leider ist dieser bisher noch nicht in der SZ veröffentlicht worden, obwohl es dort seit meiner Einsendung bereits 2 Ausgaben mit Leserbriefen gegeben hat. Dankenswerterweise wurde mein Leserbrief heute in der WP / WR abgedruckt. Hoffentlich hat er noch Einfluss auf die Meinungsbildung bei den bisher noch schwankenden Siegener Politikern und Politikerinnen. Nachstehend der Wortlaut:
Zum Leserbrief „Schild soll bleiben“ in der SZ vom 13.10.2022
Mit Interesse verfolge ich die aktuellen Diskussionen zu den in Erwägung gezogenen Straßenumbenennungen in Siegen. Als ich noch in Siegen lebte, hatte die Straße, in der ich dort wohnte, in diesem Zeitraum drei verschiedene Namen, u.a. bedingt durch die kommunale Neugliederung. An ein Aufbegehren der davon betroffenen Anwohner hiergegen kann ich mich nicht erinnern.
Als Hobbyheimatforscher ist mir der Autor Lothar Irle kein Unbekannter. Zuletzt habe ich seinen Aufsatz „Der Brauerei- und Brennereibesitzer-Zweig Irle in Marienborn“, erschienen im August 1934 in Dortmund in der „Familienzeitung des Geschlechtes Irle“, Band 2 Heft 4, auf S. 33 – 40, gelesen. Dieser Aufsatz wird eingeleitet mit den Sätzen: „Blut und Boden sind zwei der wichtigsten Schlachtrufe aus dem Kampf um den sozialistischen Staat auf völkischer Grundlage. In diesem Kampf hören wir weder den einen noch den anderen Begriff allein, beide gehören zusammen wie die Begriffe Nationalismus und Sozialismus, Führer und Gefolgschaft, Mutter und Kind. Wenn man eins von dem anderen trennt, entstehen Unnatur und Zerrüttung geregelter Verhältnisse.“ Das Zitieren ähnlicher propagandistischer Entgleisungen dieses Akademikers möchte ich mir an dieser Stelle ersparen.
Als Dozent für Volkskunde an der Hochschule für Lehrerbildung Dortmund konnte der bekennende Antisemit Lothar Irle zahlreiche Lehrer und Lehrerinnen im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie indoktrinieren, die dann anschließend als Multiplikatoren vor den ihnen anvertrauten Schulklassen auftraten, um die deutsche Jugend ebenfalls in diesem Sinne zu infiltrieren und zu manipulieren.
Dass Lothar Irle nach dem Ende des Dritten Reichs „die wieder angebotene Lehrerstelle rigoros abgelehnt“ habe, wie die Leserbriefschreiberin anführt, deckt sich nach meinem Kenntnisstand übrigens nicht mit der Aktenlage, wonach Irle aufgrund seiner erheblichen NS-Belastung im Zuge der Entnazifizierung aus dem Schuldienst entlassen und nicht wieder eingestellt worden ist.
Als Vorsitzender des SGV-Bezirksverbands Siegerland durfte Lothar Irle während der 650-Jahr-Feier meines heutigen Wohnorts Grissenbach im Juli 1961 die anschließend in der angesehenen Zeitschrift „Siegerland“ im Wortlaut veröffentlichte Festrede halten. Wenn er darin u.a. bedauerte, wie klein im Siegerland die den Volkstanz pflegenden Gruppen gegenüber denen seien, die ‚den Tänzen der Primitiven huldigen‘, so zeigt dies doch mehr als deutlich, wie er sein völkisches, ja weiterhin braunes Denken ungestört in die bundesrepublikanische Siegerländer Gegenwart transportieren konnte.
Egal, welche „Verdienste“ um die Heimatkunde und Familienforschung im Siegerland man dem glühenden Nationalsozialisten Dr. Lothar Irle zuschreiben mag, der sich später nie öffentlich von seinen damaligen Überzeugungen distanziert oder diese bereut hat, seine Ehrung im öffentlichen Raum durch die in Siegen-Kaan nach ihm benannte „Lothar-Irle-Straße“ gehört zu Recht auf den Prüfstand und wird hoffentlich bald rückgängig gemacht.
Ich jedenfalls würde mich mit diesem Hintergrundwissen schämen, in einer Straße wohnen zu müssen, die nach einer solchen, bis an ihr Lebensende unbeirrbar ewig gestrigen Person benannt ist.
Wilfried Lerchstein aus Grissenbach
Danke für den Kommentar, mit den interessanten Informationen zu einem der in der Diskussionen stehenden Namensgebern!
Zu der prognostizierten Stimmenverteilung hätte ich gerne eine Quelle.
Da hat der Eintragende einmal die bisherigen Äußerungen mit der Ratszusammensetzung ins Verhältnis gesetzt. Ist natürlich nur eine Prognose bzw. Vermutung.
Die Reaktion der Volt Siegen-Wittgenstein:
Radio Siegen berichtete benfalls zum Thema: https://www.radiosiegen.de/artikel/rat-siegen-entscheidet-ueber-strassennamen-1458471.html
„Reaktion“ der Siegener Grünen:
Ergänzender Antrag von Volt und SPD zur heutigen Sitzungen:
– Hindenburgstr. und Irle-Straße, Bergfriederstr. werden umbenannt
– Die nach Adolf Stoecker benannt Straße wird umgewidmet . Die neue Namenspatronin wird Helene Stöcker.
– Die die übrigen Straßen (Wagner, Porsche, Diem), die umbenannt werden sollten, werden in den Arbeitskreis zur weiteren Arbeit zurücküberwiesen.
– Die Graf-Luckner-Str. wird durch den Arbeitskreis wegen neuer Erkenntnisse erneut geprüft.
– Den übrigen Empfehlungen des Arbeitskreises wird gefolgt.
Link: https://sitzungsdienst.kdz-ws.net/gkz090/sdnetrim/UGhVM0hpd2NXNFdFcExjZf2hrl5piAIfG50flRO9I5SSfYqI3Ta-4o5Yt-33r1FV/19.10.2022_Rat_Antrag_zu_VL_881_2022.pdf
Heute erschienen 2 Leserbriefe in der Siegener Zeitung (Print):
1) der bereits am 18.10. in der Westfälischen Rundschau erschienene Leserbrief zur Person Dr. Lothar Irle. In der SZ allerdings gekürzt.
2) der Leserbrief „Passender Fauxpas“, der eine Vornamensverwechslung eines Protagonisten in der Diskussion vermerkt. Ob es sich um die im Rahmen der Diskussion vorgeschlagene Benennung des „Hauses der Musik“ in Siegen nach Friedrich Deisenroth – „weit über die Region bekannten und beliebten Dirigenten und Komponisten“ – handelt, ist leider nicht erkennbar. Jedenfalls wurde dieser irrtümlich mit Hermann bezeichnet.
Deutlich zu spät ist heute, nachdem die Entscheidung im Siegener Stadtrat ja bereits gefallen ist, mein Leserbrief zur Lothar-Irle-Straße in Siegen-Kaan doch noch in der Siegener Zeitung in einer stark amputierten Kurzversion erschienen. Und mein letzter Satz wurde einfach mittendrin für beendet erklärt.
s. a. den gleichlautenden Instagram-Post der Siegener CDU: