Ein zufälliges Fundstück zur regionalen Mediengeschichte.
Bei einer Recherche fiel mir der Betreff ins Auge. In Anbetracht der gegenwärtigen Bemühungen im Bereich des digitalen Breitbandausbaus ist dies ein bemerkenswerter Blick in die Mediengeschichte der Region. Für deren weitere Erforschung geben die politische Anfrage und die Beantwortung erste Anhaltspunkte. Es folgt ein Auszug aus dem Protokoll der Kreistagssitzung vom 6.11.1964 (Quelle: Kreisarchiv Siegen-Wittgenstein, 1.0.1./37, fol. 239 – 241):
„ ….Hierzu gibt der Herr Oberkreisdirektor Kuhbier nachfolgende parlamentarische Anfrage des Kreistagsabgeordneten Elbracht [Anm. des Verfassers: CDU] bekannt: „Seit dem Jahre 1952 bis 1955 wird im Siegerland das erste Fernsehprogramm ausgestrahlt. Zurzeit besitzen etwa 50.000 Siegerländer ein Fernsehgerät. Sie zahlen hierfür die gleiche Gebühr wie alle übrigen Fernsehinhaber in der Bundesrepublik, obwohl sie nur ein Programm empfangen können. Was denkt sich die Deutsche Bundespost bei diesem Kundendienst? Ist es gerecht, dass die Siegerländer nur das erste Programm sehen und hören, während alle übrigen Fernsehinhaber in der Bundesrepublik für die gleiche Gebühr schon seit Jahren zwei Programme und darüber hinaus teilweise sogar drei Programme sehen und hören können? Ab wann kann auch endlich der Bundesbürger im Siegerland das zweite Fernsehprogramm sehen und hören?
Was gedenkt die Verwaltung zu tun, dass die von ihr betreuten Bürger nicht noch länger so ungleich behandelt werden?“
Herr Oberkreisdirektor Kuhbier teilt mit, dass die Deutsche Bundespost – Fernmeldeamt in Siegen – wie folgt Stellung genommen habe:
„1. Die Zahl der Fernsehteilnehmer beträgt im Kreise Siegen 22.000 (50.000 sind es im Bereich des Fernmeldeamtes Siegen, dass heißt in den Kreisen Siegen, Olpe und Wittgenstein).
2. Die Erteilung der Fernseh-Rundfunk-Genehmigung ebenso wie die Zahlung der Gebühr gibt keinen Anspruch auf Empfang. Es handelt sich bei dieser Gebühr um eine Genehmigungsgebühr und nicht um eine Benutzungs- oder Leistungsgebühr.
3. Mit dem Fernsehurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28.2.1961 wurde entschieden, dass ausschließlich die Deutsche Bundespost das Recht besitze, Fernsehanlagen zu errichten und zu betreiben. Von diesem Zeitpunkt an hat die Deutsche Bundespost nach und nach bis zum 1.3.1964 55 Fernsehsender und 34 Fernsehfüllsender (Umsetzer) für das zweite Programm in Betrieb genommen. Mit diesen Sendern können 74% der Bundesbürger mit dem zweiten Programm versorgt werden. Es trifft also nicht zu, dass außer den Siegerländer Bürgern schön alle anderen Bundesbürger und schon seit Jahren das zweite Fernsehprogramm empfangen können. Zur Versorgung der noch ausstehenden 26% der Bundesbürger mit dem zweiten Programm sind noch etwa 34 Fernsehsender und eine entsprechende Zahl Füllsender (Umsetzer) erforderlich.
4. Das Siegerland soll von einem Fernsehsender für das zweite Programm auf der Nordhelle bei Lüdenscheid versorgt werden, der aber frühestens im Jahre 1966 in Betrieb genommen werden kann. Für die Versorgung des Siegerlandes mit dem ersten Fernsehprogramm mussten 20 Umsetzer eingerichtet werden. Eine entsprechende Zahl wird für das zweite Programm erforderlich werden. Diese Umsetzer können jedoch erst nach Sendebeginn des „Muttersenders“ Nordhelle geplant werden, weil zur Standortplanung der Füllsender umfangreiche Messungen erforderlich sind, die sich auf die Ausstrahlung des Muttersenders beziehen.
5. Das Fernmeldeamt Siegen hat sich beim Bundespostministerium und beim fernmeldetechnischen Zentralamt um eine Ausnahmegenehmigung bemüht, um vor Einschaltung des Senders Nordhelle eine teilweise Versorgung des Siegerlandes mit dem zweiten Programm zu ermöglichen.
Danach wird auf dem Kindelsberg ein Fernsehfrequenzumsetzer für das zweite Programm errichtet, der das Fernsehprogramm nicht von dem eigentlichen Muttersender Nordhelle, sondern von einem Fernsehsender Witzhelden bei Düsseldorf empfängt. Der Umsetzer Kindelsberg wird voraussichtlich im Februar 1965 mit der Ausstrahlung des zweiten Programms beginnen. Für 1965 ist ein zweiter Umsetzer auf dem Heusling in Siegen geplant.“
Der Kreistag nimmt von der Beantwortung der Anfrage Kenntnis, bringt aber Verwunderung über die Ausführungen des Fernmeldeamtes unter Ziffer 2 zum Ausdruck.“
In der Abschrift wurde die Rechtschreibung beibehalten. Abkürzungen wurden aufgelöst, Einschübe und Nachträge kommentarlos eingefügt.
Da kann ich noch etwas zu beitragen: Mein Vater war immer ein Technik-Freak, gab es etwas Neues, musste er es haben. So hatte er sich zur Fußball-WM 1954 einen Fernssher angeschafft. Es war ein Gerät von Graetz mit ~47 cm Bildschirm-Diagonale. Nach dem Einschalten dauerte es knapp 2 Minuten, bis die Röhren aufgeheizt waren und ein Bild kam. Das Problem war aber, einen Sender zu empfangen, in Siegen gab es noch keinen Umsetzer. Das ARD – Programm konnte von Siegen aus vom Sender Koblenz (Kanal 6) empfangen werden. In der Tallage brauchte man dazu eine hohe Antenne (bei uns 4 m mit abgespanntem Mast; der beim Sturm einmal sogar abgerissen wurde). Da das Signal aus Koblenz sehr schwach war, musste zusätzliich noch ein Röhrenverstärker vorgeschaltet werden. Von der WM 1954 (ich damals 5 Jahre alt) kann ich mich nur noch an das Endspiel erinnern. Unser Wohnzimmer war voll mit allen Verwandten und Bekannten. Soweit ich weiß, gab es damals in Siegen insgesamt nur ca. 6 TV-Geräte. Ich erinnere mich noch an das Funkhaus Schwunck in der Kölnerstr., die einen hatten und Elektro-Happe am Kölner Tor (heute Bäckerei Schneider), von denen mein Vater den Fernseher auch bekommen hatte und die eine gleich hohe Antenne hatten wie, wie wir. Das „normale“ Fernsehprogramm begann damals um 17:00 mit der Kinderstunde, für uns damals das Größte. Bis zum Abendprogramm um 20:00 war danach Sendepause. Aber allein das häufig ausgestrahlte Testbild anzuschauen, war schon sensationell. Später konnte man das 1. Programm vom Giersbergsender empfangen. Als um 1967 dann das 2. Programm vom Häusling-Umsetzer ausagestrahlt wurde, benötigte man eine zusätzliche UHF-Antenne, eine 2. Antennenleitung und für die alten TV-Geräte einen zusätzlichen UHF-Tuner, den man oben aufs Gerät stellte. Übrigens gab es Ende der 70er Jahre in Siegen noch die Möglichkeit 2 belgische Programme (flämisch und wallonisch) zu empfangen, vom Umsetzer auf dem Fischbacherberg. Der Sender war für die Angehörigen der belg. Streitkräfte eingerichtet worden und konnte nur mit einer zusätzlichen UHF-Antenne empfangen werden, welche allerdings vertikal ausgerichtet werden musste. – Es waren damals schon abenteurliche Fernsehzeiten, als es noch kein Kabel, keinen Satellit und kein IPTV gab.
Danke für diesen inhaltsreichen Kommentar!
Der Eintrag wurde auch kürzlich im Rundfunkforum besprochen – u. a. mit Bildern der Sendemasten, die hier angesprochen wurden.
s. a. hier „Siegen-Wittgenstein INSIDE“ v. 12.8.2023: https://siegen-wittgenstein.1kcloud.com/ep164d9e81537f31/#12