Offener Brief des VHD an Monika Grütters und Anja Karliczek
„Der VHD hat angesichts der großen Herausforderungen, welche die Corona-Pandemie für die archivgestützte historische Forschung bedeutet, einen offenen Brief an die Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin und Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Monika Grütters, und an die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Anja Karliczek, gerichtet.
Unter dem Radar
Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer, …bitte rechnen Sie mit einer Bearbeitungszeit [ihrer Anfrage] von mehreren Monaten… Eine Benutzung ist … nur nach schriftlicher Bestätigung Ihres Termins möglich. Mit Wartezeiten von mehreren Monaten ist leider zu rechnen. Bitte sehen Sie von Nachfragen zum Stand der Bearbeitung ab, Sie werden nach Abschluss der Recherche unmittelbar benachrichtigt.
Die pandemiebedingte Umstellung auf digitale Lehrformen ist an den Universitäten auch aufgrund des großen Engagements aller Beteiligten überraschend gut gelungen. Vielleicht hat das dazu beigetragen, dass ein wachsendes Problem kaum Beachtung gefunden hat: Die stark eingeschränkte Öffnung der Archive, die für historisch arbeitende Promovierende, PostDocs und Wissenschaftler*innen insgesamt große Probleme aufwirft. Das gilt vor allem für jene Forschende mit befristeten Verträgen, aber auch für Studierende. Die Corona-Pandemie stellt den gesamten Wissenschaftsbetrieb vor große Herausforderungen, aber archivgestützte historische Forschung ist seit einem Jahr kaum noch möglich.
Die Lesesäle vieler Archive sind aus nachvollziehbaren Gründen geschlossen oder nur sehr eingeschränkt zugänglich, nicht zuletzt zum Schutz der Archivmitarbeiter*innen. Abhilfe könnte eine Digitalisierung der Archivalien schaffen, aber bislang sind nur etwa 1 % der Akten digital einsehbar. Da sowohl Anfragen an Archive als auch die Terminvergabe zur Benutzung mehrere Monate in Anspruch nehmen können, zum Teil knapp ein Jahr, ist eines der größten Probleme, dass befristete Projekte nicht zeitgerecht bearbeitet werden können und belastbare Arbeitspläne sehr schwierig werden. Unter dieser Situation leiden nicht zuletzt Wissenschaftler*innen, deren Qualifikationsarbeiten nicht abgeschlossen werden können. Probleme beim Zugang zur Forschungsliteratur oder ausgefallene Forschungsaufenthalte im Ausland kommen hinzu, ebenso mitunter die Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen bei geschlossenen Kindertagesstätten, Schulen bzw. Pflegeeinrichtungen. Auf viele wissenschaftliche Lebensläufe wird sich diese Situation nachhaltig negativ auswirken.
Insofern bitten wir Sie, im Hinblick auf die zahlreichen historisch ausgerichteten Forschungen in den Geistes- und Sozialwissenschaften folgende Lösungsvorschläge zu erwägen:
- Im Zuge der derzeit absehbaren Öffnung von Schulen und Bibliotheken sollte darauf gedrungen werden, dass auch Archive ihre Lesesäle öffnen. Dies war nach dem ersten Lockdown leider nur sehr eingeschränkt der Fall, einige blieben auch im Sommer 2020 geschlossen.
- Archive sollten, da die Wartezeiten immens sind und eventuell weitere Schließungen drohen, auf Antrag verstärkt digitale Akten zugänglich machen. Diese Digitalisierung trägt mit dazu bei, das Gedächtnis der Nation zu sichern. Hier könnte die Covid-Krise eine Chance sein, dies für die Zukunft zu sichern.
- Einzelne Stiftung bieten eine Verlängerung der Förderlaufzeit bei Covid-bedingten Härtefällen. Dies wird oft auf Kinderbetreuung oder geschlossene Labore bezogen. Geschlossene oder nicht zugängliche Archive sollten bei Förderinstitutionen ebenfalls als ein Grund akzeptiert werden für eine entsprechende Härtefallfinanzierung.
Eva Schlotheuber
Vorsitzende
Frank Bösch
Stellv. Vorsitzender“
Quelle: Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlabds, 10.3.2021