Ausstellung „Geraubte Jahre. Alltag der Zwangsarbeit in Westfalen“

LWL-Museumsdirektor Prof. Dr. Jan Carstensen und Projektleiter Hauke-Hendrik Kutscher (v. l.) in der Sonderausstellung „Geraubte Jahre“. Foto: LWL/Jähne

LWL-Museumsdirektor Prof. Dr. Jan Carstensen und Projektleiter Hauke-Hendrik Kutscher (v. l.) in der Sonderausstellung „Geraubte Jahre“. Foto: LWL/Jähne

„Den Alltag der Zwangsarbeit in Westfalen stellt der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) unter dem Titel „Geraubte Jahre“ mit einer Sonderausstellung und über 20 Geländestationen ab dem 1. April in den Mittelpunkt der Saison in seinem LWL-Freilichtmuseum Detmold. Während des Zweiten Weltkrieges mussten über 13 Millionen Menschen in Deutschland Zwangsarbeit leisten. In Städten, aber auch auf dem Land arbeiteten Männer, Frauen und Kinder. Ihr Alltag unterlag immer dem Zwang und nicht selten der Willkür. Für die meisten Zwangsarbeiter waren es „Geraubte Jahre“. Das ist auch der Titel des Themenjahres 2015 im LWL-Freilichtmuseum Detmold.

„Es ist uns wichtig, mit dem Themenjahr zu zeigen, dass Zwangsarbeit auch in Westfalen zum Alltag gehörte. Wir möchten diesen Menschen, die 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nur noch wenigen Zeitzeugen in Erinnerung sind, ein Gesicht geben“, erklärte LWL-Museumsdirektor Prof. Dr. Jan Carstensen bei der Vorstellung des Themenjahres am Mittwoch (25.03.) in Detmold. Die Idee zu dem Themenjahr hatte das Museumsteam beim Sichten der rund 2.200 Glasplatten, die zusammen mit dem Fotoatelier Kuper aus Rietberg in den Bestand übernommen wurden. Seit 2010 ist das historische Tageslichtatelier aus Rietberg im LWL-Freilichtmuseum Detmold zu besichtigen. Abzüge der historischen Glasplatten waren schon mehrmals Grundlage von Ausstellungen. 2007 wurden beispielsweise unter dem Titel „Mach mich schön“ 100 Frauenporträts gezeigt, 2011 in der Ausstellung „Bitte recht freundlich!“ 100 Männer.

„Als wir die Glasplatten durchgesehen haben, war uns ziemlich schnell klar, dass es eine Reihe von Porträts und Gruppenaufnahmen gibt, die anders sind als die anderen“, beschreibt Carstensen den ersten Eindruck. In der Forschung ist bekannt, dass Zwangsarbeiter manchmal professionelle Fotografen mit der Anfertigung von Porträtaufnahmen beauftragten. Diese dienten als persönliche Erinnerungsbilder, wurden an Verwandte geschickt oder Freundinnen geschenkt. Dass es sich bei einigen der abgebildeten Männer um Kriegsgefangene handeln musste, war aufgrund der Uniformen offensichtlich. Bei näherer Betrachtung der Abzeichen auf den Uniformen konnten diese schnell als Franzosen identifiziert werden.

Bei den Frauen gestaltete sich die Sache etwas schwieriger. Durch eine sehr genaue Betrachtung jedes einzelnen Details der Fotos gelangten die Museumswissenschaftler zu der Annahme, dass es sich um Zwangsarbeiterinnen handelt. „Accessoires wie Schmuck und die kleine Handtasche wechseln wie Requisiten zwischen den Personen. Improvisiert wirken Teile der Kleidung: Mäntel sind zu groß, Kleider und Blusen sind nicht gebügelt“, berichtet Projektleiter und Ausstellungskurator Hauke-Hendrik Kutscher.

Durch einen Aufruf im Rietberger Stadtanzeiger erhoffte sich das LWL-Museumsteam einen Teil der Identitäten der porträtierten Frauen und Männer aufklären zu können. Zu drei Kriegsgefangenen wurden auf diese Weise nähere Informationen ermittelt, zu den porträtierten Frauen gab es bisher noch keine Rückmeldung. „Das liegt daran, dass es nur noch wenige Zeitzeugen gibt“, so Kutscher. Die Frauen haben vielleicht in einer Fabrik gearbeitet und waren möglicherweise gemeinsam in einer Sammelunterkunft untergebracht. „Dementsprechend hatten sie vermutlich nur wenig Kontakt zur Rietberger Bevölkerung“, erklärt Kutscher.

Die knapp 100 Porträts der Zwangsarbeiterinnen und französischen Kriegsgefangenen sind in der Ausstellungsscheune im Paderborner Dorf zu sehen. Darüber hinaus wird an über 20 Geländestationen der Alltag in den Familien und Sammelunterkünften thematisiert. Dabei sollen vor allem die individuellen Erfahrungen der Zwangsarbeiter im Mittelpunkt stehen. Wie erlebten sie Gefangenschaft und Arbeit in Westfalen? Wie verhielt sich die westfälische Bevölkerung in der Öffentlichkeit, am Arbeitsplatz und im privaten Umfeld? Welche Vorschriften gab es und welche Strafen drohten bei Nichteinhaltung? Ausstellungsstationen auf dem ganzen Museumsgelände gehen diesen Fragen nach. Ergänzt wird das Themenjahr durch ein Begleitprogramm, mit Führungen, Vorträgen und Workshops für Kinder und Erwachsene. ….“
Quelle: Pressemitteilung LWL, 25.3.2012

s.a. Ausstellungsseite des Freilichtmuseums
Link zum Ausstellungsflyer (PDF)

2 Gedanken zu „Ausstellung „Geraubte Jahre. Alltag der Zwangsarbeit in Westfalen“

  1. Passend dazu: „Vor 70 Jahren haben die Allierten das Siegerland erobert. Auch die Zwangsarbeiter wurden befreit. Allein in Dreis-Tiefenbach arbeiteten während des Zweiten Weltkriegs mehr als 1.000 Menschen unter anderem aus Russland, England und Frankreich. Sie wurden zum Beispiel bei der Siegener Eisenbahnbedarf eingesetzt – heute Bombardier. Die 94-jährige Hedwig Wilhelm arbeitete damals dort im Lohnbüro und erinnert sich: „Hier hatten die Wachleute abends auf dem Rückweg einen erschossenen Zwangsarbeiter hingelegt und den sollten wir uns angucken. Sie sagten, das ist das Resultat, weil sie geklaut haben. Aber die hatten sich nur gebückt, um was Essbares, vielleicht eine Kartoffel oder ein Stück Brot aufzuheben, und dann wurden sie erschossen.“ 16 russische Zwangsarbeiter und 17 Kinder sind auf dem Friedhof in Dreis-Tiefenbach beerdigt. Die meisten starben an Unterernährung.“
    Quelle: WDR Studio Siegen Nachrichten v. 8.4.2015

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