Siegener Straßenbenennungen in der NS-Zeit

und in der frühen Bundesrepublik

Marcus Weidner stellte vor einem „erstaunlichen“ Publikum am 15. März im Siegener Stadtarchiv seine aktuellen Forschungsergebnisse zu den Straßenbenennungen in Westfalen während der NS-Zeit und der frühen Bundesrepublik dar Link

Seine Ausführungen fussten dabei auf seine beiden bereits publizierten Aufsätze:

Weidner, Marcus: „Wir beantragen …. unverzüglich umzubenennen.“ Die Straßenbenennungen in Westfalen und Lippe im Nationalsozialismus, in: Frese, Matthias (Hg.): Fragwürdige Ehrungen !? Straßennamen als Instrument von Geschichtspolitik und Erinnerungskultur, Münster 2012, S. 41- 98,und

Weidener, Marcus: „Mördernamen sind keine Straßennamen.“ Revision und Beharrung in der Straßenbennungspraxis der Nachkriegszeit – Westfalen und Lippe 1945 – 1949, in: Frese, Matthias (Hg.): Fragwürdige Ehrungen !? Straßennamen als Instrument von Geschichtspolitik und Erinnerungskultur, Münster 2012 , S. 99 – 12.

Auf Siegen bezogen stellte er folgende Forschungsergebnisse vor:
1) Die Umbenennung der Sandstr. in Adolf-Hitler-Str. am 1. April 1933 ist beispielhaft für die Umbenennungen in der Fürhphase des nationalsozialitischen Staates. Noch während der Stadtrat über die Umbenennung beriet, brachten SA-Männer bereits die neuen Straßenschilder an. Als Teil der nationalsozialisitischen „Revolution von unten“ wurden solche Aktionen geduldet – und nicht zentral gesteuert.
2) Von 1933 bis 1939 fanden Westfalen-Lippe die meisten Straßennamenänderungen der Nationalsozialisten statt. Eine vom LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichtenoch im Aufbau befindliche, zukünftig online einsehbare Datenbank weist für Westfalen-Lippe zurzeit ca. 1.700 Umbenennungen mit ca. 600 unterschiedlichen Namen auf. Schwerpunktmäßig fallen ddie neuen Namen auf Vertreter des Nationalsozialaismus (allen voran Hitler und Göring), auf Namen aus dem Militärwesen (z. B. Hindenburg) und auf Namen ehemaliger und zukünftiger deutscher Gebiete (z. B. Ostmarkstr.). In Siegen fallen Benennungen nach Otto Planetta und Julius Schreck als seltene Benennungen auf.
3) Die Beibehaltung der Hindenburgstraße in Siegen entgegen den Bestimmungen der alliierten Besatzungsbehörden ist ein deutliches Beispiel für die Beharrungspraxis in der frühen Nachkriegszeit.

Straßennamen sind Teil der Geschichtspolitik, so dass sich stratigrafisch Umbenennungswellen untersuchen lassen. Straßenbenennungen sind Teil der Erinnerungskultur ihrer Zeit. Jede Generationen muss sich fragen, inwieweit sie mit den „ererbten“ Namen leben kann bzw. will. In Siegen ist, wie der Diskussion zu entnehmen war, der Anfang mit einem Arbeitskreis des Stadtrates gemacht, der sich mit den Namen im Stadtgebiet auseinandergesetzt hat.

20 Gedanken zu „Siegener Straßenbenennungen in der NS-Zeit

  1. Die mit dieser Veranstaltung wiederbelebte Diskussion wurde zuerst von der Linken Liste der Universität Siegen aufgegriffen. Die Siegener Straßenbenennungen wurde Thema ihrer Veranstaltung zum 8. Mai. Die Redebeiträge stehen hier als PDF-Dateien zum Download bereit: http://lili.blogsport.de/2012/05/08/redebeitraege-zum-8-mai/
    In ihrer heutigen Ausgabe widmet sich die „Westfälische Rundschau“ dem „Problemfall Hindenburgstraße“: http://www.derwesten.de/staedte/nachrichten-aus-siegen-kreuztal-netphen-hilchenbach-und-freudenberg/problemfall-hindenburg-id6680799.html

  2. Der Vollständigkeit halber: am 24. Mai 2012 vermeldete die „Westfälische Rundschau“: „Hilchenbach entdeckt Hindenburg“ . Die Diskussion um einen Umbenennung der dortigen Hindenburgstraße wurde vom Ehrenvorsitzenden des CDU-Stadtverbandes angeregt.
    Die für Juni angekündigte Behandlung einer Bürgereingabe Ruths im Hilchenbacher Hauptausschusses hat laut Ratsinformationssystem noch nicht stattgefunden. Der Ausschuss tatgt erst am 29. August wieder.

      • In der Print-Ausgabe der Siegener Zeitung vom 3.9.2012 findet sich der erste Leserbrief zur Nicht-Umbenennung der Hindenburgstraße, insbesondere zum Text der geplanten Hinweistafel („Völlig verfehlt“).

      • Heute findet sich in den Print-Ausgaben der Siegener Zeitung („Neutralität aufgehoben“) und der Westfälischen Rundschau („Sieger-Land“) ein gleichlautender Leserbrief des ehem. Hilchenbacher Stadtdirektors Dr. Hans Christhard Mahrenholz zur Beibehaltung der Hindenburgstraße in Hilchenbach. Tenor: Mahrenholz war bei seinem Amtsantritt 1962 in Hilchenbach verwundert über die Existenz einer Hindenburgstraße. Um die von ihm empfundene Unausgewogenheit ausgeglichen, schlug er vor eine Nachbarstraße nach Friedrich Ebert zu benennen.

    • Niederschrift der Hauptausschusssitzung v. 29.8.2012:
      “ ….. 4. Änderung des Straßennamens „Hindenburgstraße“
      Bürgereingabe von Herrn Wolfgang Ruth
      Vorlage Nr. 377
      Herr Hasenstab stellt den Sachverhalt kurz dar.
      Beschluss:
      Der Hauptausschuss macht sich die Sachdarstellung unter Ziffer 4. der
      Vorlage zu eigen und beschließt:
      1. Eine Umbenennung der Hindenburgstraße erfolgt nicht.
      Dabei macht der Hauptausschuss deutlich, dass die Beibehaltung des
      Namens nicht mit einer fortwährenden Ehrung der Person Hindenburg
      gleichzusetzen ist.
      Die Mitglieder sind sich der Fehler und Versäumnisse Hindenburgs
      vollauf bewusst.
      2. Auf einer Schrifttafel am Straßenschild ist auf die umstrittene
      Rolle Hindenburgs bei der Machtergreifung der Nationalsozialisten
      hinzuweisen.
      3. Auf die Behandlung der Thematik „Hindenburg“ im Rahmen des
      Geschichtsunterrichts der Hilchenbacher Schulen ist hinzuwirken.
      Abstimmungsergebnis: Einstimmig mit 12 Ja-Stimmen
      Ausschnitt an: 360, 147 ….“
      Quelle: https://sdnet.kdz-ws.net/gkz040/tops.do?tid=MnzMduEbsGSvGJ

    • In der Print-Ausgabe der Siegener Zeitung v. 7.9.2012 findet sich ein weiterer Leserbrief (Prof. em. Dr. Ulrich Penski) für die Beibehaltung der Hindenburgstraße und gegen die „verkürzte Sichtweise“ der beabsichtigten Hinweistafel. Folgender Aspekt ist neu: “ …. Umso mehr verwundert es, dass die Bürgereingabe zur Umbenennung nicht etwa von antifaschitischen Gruppierungen stammt, die in verbreiteten Netzwerken solche Umbenennungen betreiben, sondern aus der Mitte des politischen Spektrums. …..“:

      • Erneuter Anlauf zur Umbennung der Hindenburgstr. in Hilchenbach – allerdings: “ …. Die damals vermiedene öffentliche Debatte soll es auch 2018 nicht geben. Er werde „das Thema nicht nochmals in den Hauptausschuss bringen“, ließ Bürgermeister Holger Menzel den CDU-Politiker wissen. Der lässt das nicht auf sich beruhen und hat sich nun an den Landrat als Chef der Kommunalaufsicht mit der Frage gewandt, ob diese Entscheidung des Bürgermeisters „sachgerecht“ sei. …..“ Quelle: Westfalenpost, 24.5.2018.
        Kommentar Steffen Schwabs, Westfalenpost 24.5.2018 dazu: “ …. Die Hindenburgstraße trägt ihren Namen, weil die Nazis im Hilchenbacher Rat 1933 wollten, dass die Stadt sich an Hindenburg erinnert. Wenn sich der heutige Hilchenbacher Rat in dieser Gesellschaft nicht wohl fühlt, sollte er den Namen ändern.

        Solche Konsequenz wird aber nicht zu erwarten sein, weil sie weitere Folgen hätte. Denn da ist ja immer noch Bernhard Weiss, Vater des heutigen Eigentümers der SMS group, Heinrich Weiss, der der Stadt gerade den Kulturellen Marktplatz Dahlbruch ermöglicht. Und Weiss war nun einmal nicht nur hoch geschätzter Unternehmer und IHK-Präsident, sondern auch als Wehrwirtschaftsführer im Flick-Prozess des internationalen Militärgerichtshofs in Nürnberg wegen Sklavenarbeit verurteilt worden. Ein Vorbild? Wie Hindenburg?“

  3. In der heutigen Print-Ausgabe der Siegener Zeitung findet sich ein Leserbrief „Regisseur, nicht Akteur“ zur Rolle Hindenburgs als Militärbefehlshaber und Politiker in der Weimarer Zeit. Ein sich auf Wolfgang Pyta berufendendes Zitat: “Er sei nicht Akteur, sondern Regisseur des Untergangs [der Weimarer Republik] gewesen!”

    Anm:
    1) Pyta, Wolfram: Hindenburg. Herrschaft zwischen Hohenzollern und Hitler, Berlin 2007, 1117 S.
    2) Wolfgang Kruse: Rezension zu: Pyta, Wolfram: Hindenburg. Herrschaft zwischen Hohenzollern und Hitler. Berlin 2007, in: H-Soz-u-Kult, 28.01.2008, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2008-1-076 .
    3) Homepage Pytas an der Universität Stuttgart: http://www.uni-stuttgart.de/hing/mitarbeiter/pyta/

  4. Pingback: Vortrag: “‘Wir beantragen ? unverzüglich umzubenennen.’ ….. | siwiarchiv.de

  5. Im Januar 2017 hat der WDR intensiv zu Straßennamen in NRW recherchiert, u.a. mit folgendem Ergebnis: “ …. Trotz der zahlreichen Diskussionen um die Ehrwürdigkeit Hindenburgs, gibt es allein in NRW heute noch 65 Straßen und Plätze, die seinen Namen tragen. ……“
    Eine interaktive Karte mit problematischen Straßennamen verweist für das Kreisgebiet auf die Friedrich-Flick-Str. in Burbach, auf Hermann-Löns-Str. in Erndtebrück, Kreuztal, Netphen, Siegen, und Wilnsdorf, auf den Hindenburgplatz in Neunkirchen, die Hindenburgstr. in Burbach, Hilchenbach und Siegen und auf die Lothar-Irle-Str. in Siegen.
    Link zur Quelle: http://www1.wdr.de/wissen/strassennamen-historisch100.html

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  7. Die Umbenennung der Hindenburgstraße ist eine gute Idee und ich hoffe, dass der Rat der Stadt Hilchenbach sich mit dem Thema erneut beschäftigen muss
    und den Straßennamen einzieht.
    Der Antrag zur Umbenennung ist direkt mit dem Vorschlag eines neuen Namens verbunden Paul-Benfer-Straße.
    Wie viele Lehrer war auch Paul Benfer Mitglied der NSDAP, Mitgliedsnummer
    5490101, die Aufnahme erfolgte am 1.5.1937. Bereits am 1.5.1933 wurde er Mitglied im NSLB.
    Mit diesen beiden Mitgliedschaften ist er meiner Meinung nach nicht geeignet
    eine Ehrung im öffentlichen Raum in Form eines Straßennamens zu bekommen.
    http://akteureundtaeterimnsinsiegenundwittgenstein.blogsport.de/a-bis-z/gesamtverzeichnis/#benfer3

    • Vielen Dank für den Hinweis: Hier noch der Link zu BBF/DIPF/Archiv, Gutachterstelle des BIL – Preußische Volksschullehrerkartei
      Regierungsbezirk Arnsberg, GUT LEHRER (Personalunterlagen von Lehrkräften), 16717 (Paul Benfer)

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