„Antisemitismus ist ein Problem in und für unsere Gesellschaft“

sagte Sylvia Löhrmann bei ihrem Vortragsabend an der Universität Siegen. Die Grünen-Politikerin hat das Amt der Beauftragten des Landes Nordrhein-Westfalen für die Bekämpfung des Antisemitismus, für jüdisches Leben und Erinnerungskultur übernommen.

Nur einen kurzen Fußweg vom Campus Unteres Schloss entfernt, steht das Aktive Museum Südwestfalen. An der Stelle, wo bis zum 10. November 1938 die Synagoge war. Sie wurden – in Siegen tatsächlich am Tag nach der Reichspogromnacht – von Nazis in Brand gesteckt. Zur Erinnerung und Mahnung findet jährlich an diesem Datum und an diesem Ort eine Gedenkveranstaltung statt. Eine Form der Erinnerungskultur, mit der fast die Hälfte der Menschen in Nordrhein-Westfalen nichts mehr zu tun haben will, wie eine Studie zur Verbreitung antisemitischer Einstellungen in NRW zeigt, die Sylvia Löhrmann bei einem Vortrag im Hörsaalzentrum der Universität Siegen vorstellte. Die frühere stellvertretende Ministerpräsidentin ist die neue Beauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen für die Bekämpfung des Antisemitismus, für jüdisches Leben und Erinnerungskultur. Löhrmann übernahm das Amt von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die diese Studie in Auftrag gegeben hatte.

Uni-Rektorin Prof. Dr. Stefanie Reese betonte in ihrer Begrüßungsrede, dass der Terrorüberfall der Hamas in Israel am 7. Oktober 2023 und der sich anschließende Nahost-Krieg einen Einschnitt bilden, nachdem die Frage nach antisemitischen Entwicklungen in der Gesellschaft noch einmal eine neue Relevanz bekommen habe. „Die Studie macht das empirisch fassbar und gibt Handlungsempfehlungen. Das ist es, was wir brauchen“, so Stefanie Reese. An der Universität Siegen sehe man die Bedeutung der Erinnerungskultur in diesem Zusammenhang und setze mit Veranstaltungen und Seminaren zum Thema klare Zeichen. „Bildung alleine schützt nicht vor Antisemitismus, aber es ist unsere Aufgabe, auf diese Weise in die Gesellschaft hinein zu wirken“, erklärte die Rektorin.

Antisemitismus ist ein altes Problem und eine neue Herausforderung“, stellte Sylvia Löhrmann klar. Laut der Studie haben bis zu 24 Prozent der Befragten in unterschiedlicher Form antisemitische Einstellungen. Rund ein Viertel der Befragten schließt sich der Verschwörungstheorie vom angeblich übermäßigen Einfluss „der Juden“ an. Rund die Hälfte stimmt tendenziell zu, dass es in einer Demokratie möglich sein sollte, „den Holocaust kritisch zu hinterfragen“. Bei der Studie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und der Universität Passau wurden 1.300 per Quotenverfahren ausgewählte Personen ab 16 Jahren befragt. Was dabei deutlich wurde: Migrationshintergrund hat keine signifikante Auswirkung bei Antisemitismus. „Festgestellt wurde aber, dass die Religiosität Einfluss auf judenfeindliche Haltungen hat – das jedoch konfessionsübergreifend“, so Sylvia Löhrmann.

Auch der auf Israel bezogene Antisemitismus ist ausgeprägt in NRW. So setzen 38 Prozent der Befragten die israelische Politik tendenziell mit der nationalsozialistischen gleich. „Man kann die Politik der israelischen Regierung kritisieren – das tut übrigens die israelische Bevölkerung regelmäßig mit großen Protestaktionen. Aber man kann nicht Jüdinnen und Juden in aller Welt für diese Politik verantwortlich machen und anfeinden“, machte Sylvia Löhrmann deutlich. Wie bei einem Hufeisen verbinde Judenfeindlichkeit mittlerweile extreme Linke und Rechte. Und in der Mitte? „Da werden antisemitische Vorurteile wieder anschlussfähig“, warnte die Antisemitismusbeauftragte.

Nach dem Vortrag entspann sich eine engagierte Diskussion, moderiert von Katja Knoche vom Haus der Wissenschaft, die den Vortragsabend organisiert hatte. Es war spürbar, dass es einen großen Redebedarf bezüglich der unterschiedlichen Aspekte gibt: Wie umgehen mit Antisemitismus in Schulen, in der Sozialarbeit, im privaten Umfeld? „Hinschauen und gegenhalten“, betonte Sylvia Löhrmann. „Wir brauchen einen langen Atem und werden den Kampf gegen Antisemitismus nur mit einer aktiven Zivilgesellschaft gewinnen.“

Link zur Studie

Quelle: Universität Siegen, Aktuelles, 12.11.2024

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