Tagung der Historischen Kommission zur Erforschung des Pietismus, Freudenberg, 24./25.3.2022.
„Die europäische Übergangsperiode vom Ancien Régime zu den modernen Nationalstaaten ist gekennzeichnet durch erhebliche soziale, ökonomische, kulturelle und religiöse Transformationen. In komplexen und unterschiedlich geprägten Prozessen entwickelten nicht nur die Vertreter der Aufklärung und der Romantik, sondern auch Anhänger der Erweckungsbewegungen neue Ansichten über Mensch und Welt sowie über Religion und Zukunft.
Angestoßen und getragen wurde dieser Wandel durch eine Vielzahl von Akteuren. Gelehrte, Politiker, Geistliche, Handwerker und Frauen suchten Antworten auf die Herausforderungen ihrer Zeit und schufen zu diesem Zweck neue soziale Gemeinschaftsformen, wie Sozietäten, Gesellschaften und Vereine. In diesen Prozessen spielte – wie sich am Beispiel der Erweckungsbewegungen eindrücklich zeigen lässt – zudem die Entwicklung und Verwendung neuer kommunikativer Medien eine zentrale Rolle.
Die Erweckungsbewegungen erwiesen sich dabei als innovative gesellschaftliche Kräfte, denen es nachhaltig gelang, neue Kommunikationsformen und Medienstrategien zu entwickeln, mit denen sie beispielweise das kritisch rezipierte Erbe des älteren Pietismus in die Zeit der beginnenden Moderne einschrieben. Durch ihre überaus breit angelegten und zielgruppenorientierten medialen Praktiken zählen die Erweckten, die sich selbst gerne als Gegner der Moderne verstanden, zu den wichtigen Protagonisten und Beförderern der Modernisierungsprozesse des 19. Jahrhunderts. Zahlreiche Verfasser*innen und Verleger, Gruppen und Netzwerke, Gesellschaften und Vereine probierten nicht nur auf mannigfaltige Weise, der christlichen Botschaft neues Leben einzuhauchen, sondern beanspruchten weitgehende religiöse wie politische Deutungsmacht und etablierten sich – zumindest temporär – erfolgreich als einflussreiche Meinungsmacher.
Jenseits dieser allgemeinen Beobachtungen stellt das Thema „Medien in den Erweckungsbewegungen des 19. Jahrhunderts“ ein Forschungsdesiderat dar. Nur wenig ist bekannt über die von den Erweckten verwendeten Medien wie Lieder, Traktate, Zeitschriften, Bilder, Kalender, Zirkularkorrespondenzen, Artefakte usw. Aber auch ihre Produzent*innen und Vertriebswege sowie die ökonomischen Grundlagen sind ebenso wie Produktionsprozesse, Adressat*innen und die Rezeption erweckter Medien kaum rekonstruiert.
Ziel ist es deshalb, in einem breiten historischen Rahmen und mit Hilfe interdisziplinärer Zugänge die an den Erweckungsbewegungen Beteiligten in mediengeschichtlicher Perspektive präziser als bisher als Akteure und Rezipienten der Modernisierung zu erforschen. Um dieses zentrale Forschungsfeld der neueren Religions- und Mediengeschichte zunächst zu markieren, sollen im Rahmen einer Tagung der Historischen Kommission zur Erforschung des Pietismus, die am 24./25. März 2021 in Freudenberg im Siegerland stattfinden wird, ausgewählte Fallstudien präsentiert, diskutiert und anschließend publiziert werden.
Dem soll eine größere Konsultation zu diesem Themenbereich – möglicherweise 2023 im Greifswalder Krupp Kolleg – folgen. in einem breiten historischen Rahmen und durch interdisziplinäre Zugänge die an den Erweckungsbewegungen Beteiligten in mediengeschichtlicher Perspektive präziser als bisher als Akteure und Rezipienten der Modernisierung beschreiben zu können.“
Programm
Donnerstag, 24.3.
14.00–14.30 Begrüßung und Einführung
14.30–15.20 Rudolf Stöber (Bamberg): Kommunikation, Medien und Öffentlichkeit im 19. Jahrhundert
Panel 1: Produktionszentren erwecklicher Literatur (Moderation: Veronika Albrecht-Birkner)
15.20–16.10 Konstanze Grutschnig-Kieser (Stuttgart): Mit Bildern, Traktaten und Bibeln übers Land – die Tätigkeit der Stuttgarter Evangelischen Gesellschaft im 19. Jahrhundert
16.10 Kaffeepause
16.40–17.30 Thomas K. Kuhn (Greifswald): „Wiederherstellung und Verbreitung ächt christlicher Religiösität“ – Frommes Schrifttum aus dem Basel des frühen 19. Jahrhunderts
Panel 2:
Verlagsprogramme, Produktion und Verteilung erwecklicher Literatur (Moderation: Wolfgang Breul)
17.30–18.20 Ruth Albrecht (Hamburg): Judenmission und Heiligungsbewegung: Das Programm des Bethel-Verlags in
Hamburg-Wandsbek
18.30 Abendessen
20.00 Öffentliche Abendveranstaltung: Lieder und Texte der Erweckungsbewegungen des 19. Jahrhunderts
(Ev. Kirche Freudenberg)
Freitag, 25.3.
Fortsetzung Panel 2:
9.00-9.50 Rüdiger Kröger (Hannover): Die Verbreitung von Erbauungsschriften im Königreich Hannover (1814–1866)
Panel 3:
Nichtliterarische Medien der Erweckung (Moderation: Ruth Albrecht)
9.50–10.40 Christel Köhle-Hezinger (Esslingen): Maria, Martha und die „Geistliche Hausmagd“. Zur Popularisierung von Bildern in den Erweckungsbewegungen des 19. Jahrhunderts
10.40 Kaffeepause
11.10–12.00 Erik Dremel (Halle): “What a Friend we have in Jesus”. Musik als missionarisches Medium in den Erweckungsbewegungen des 19. Jahrhunderts
12.30 Mittagessen (Tillmann-Siebel-Haus)
13.30 Thomas Ijewski (Freudenberg) Stadtführung Freudenberg
15.00 Kaffeetrinken
Panel 4:
Internationale Vernetzung und Rezeption (Moderation: Markus Matthias)
15.30–16.20 Fred van Lieburg (Amsterdam): Siegerland und Niederlande: Kommunikationsstrukturen als Schlüsselfaktor im Vergleich zweier nordwesteuropäischer Erweckungen
16.20–17.10 Thomas Hahn-Bruckart (Rostock) / Jan Stievermann (Heidelberg): Erbauungsliteratur im Austausch zwischen deutschen und amerikanischen Traktatgesellschaften
17.10–18.00 Abschlussdiskussion mit Tagungsberichten von Pia Schmid und Jan Carsten Schnurr
Moderation: Veronika Albrecht-Birkner
19.00 Empfang
Grußwort: Vicco von Bülow (Evangelische Kirche von Westfalen)
Quelle: Tagungshomepage