Am 31.10.2021 ist Prof. Dr. Gerhard Hufnagel im Alter von 82 Jahren gestorben. Mit ihm verliert die Universität Siegen einen Politikwissenschaftler mit hoher Reputation, einen beliebten Lehrer und einen sehr engagierten, unprätentiösen, empathischen und freundlichen Kollegen.
Geboren wurde Gerhard Hufnagel 1939 in Völklingen an der Saar. Er studierte, gefördert durch die Bischöfliche Studienstiftung Cusanuswerk, Geschichte, Soziologie und Germanistik an den Universitäten Bonn und Tübingen. Nach der Promotion in Zeitgeschichte und Soziologie an der Universität Tübingen lehrte er von 1962 bis 1964 als Lektor für deutsche Literatur am St. John’s College der University of Cambridge (UK) sowie von 1966 bis 1967 an der University of East Anglia in Norwich (UK). Er arbeitete von 1968 bis 1974 als wissenschaftlicher Assistent am Institut der Universität Tübingen. 1974 nahm er den Ruf auf eine C3 Professur für Politikwissenschaft an der Universität Siegen an. Von 1991 bis 2004 war er außerdem Visiting Professor of German Studies am Connecticut College in New London, Connecticut (USA). Von 1993 bis 1995 war er ferner Mitglied der Internationalen Experten-Kommission zur Evaluation des Schwerpunktprogramms der Forschungsförderung der Schweizer Bundesregierung.
Gerhard Hufnagel hat seine Disziplin, die Politikwissenschaft, als Forscher und Lehrer in eindrucksvoller Breite vertreten und war zugleich ein souveräner Grenzgänger zwischen verschiedenen sozialwissenschaftlichen und geisteswissenschaftlichen Disziplinen, unter anderem Geschichte, Soziologie, Recht, Literatur, Religion und politische Philosophie. Welches dieser Gebiete sein besonderes Augenmerk genoss, lässt sich gar nicht so leicht bestimmen, zumal er die Interdisziplinarität liebte und sich bei seinen Arbeiten von der Enge der Disziplinen nicht einschränken ließ. Es ist aber nicht nur dieser weite Horizont des kultur- und sozialwissenschaftlichen Interesses, der die vielfältigsten persönlichen Verbindungen von Gerhard Hufnagel innerhalb und außerhalb der Universität Siegen gefördert hat, sondern auch seine Großzügigkeit im Denken und im persönlichen Umgang. An Fest- und Geburtstagen überraschte er Kolleg*innen mit kleinen, fein ausgesuchten Gaben, Bücher zumeist. Und in so manch einem Siegener Büro hängt einer der „Hufnägel“, die er im ironischen Spiel mit seinem Namen zu verschenken pflegte.
Neben der politischen Theorie galt das besondere Forschungsinteresse von Gerhard Hufnagel der lokalen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, wie insbesondere seine Schrift „Interesse und Verantwortung. Die Geschichte der Siegerländer Arbeitgeberverbände vom Kaiserreich bis zur Deutschen Diktatur“ aus dem Jahr 2000 eindrücklich dokumentiert. Die Verbindung von Universität und Region, die ihm sehr am Herzen lag, spiegelt sich auch in seinem Engagement für das Forum Siegen und die Mittwochsakademie, die sich als interdisziplinäre Vortragsreihen an die Stadtgesellschaft richten und die er mitbegründet und viele Jahre lang geleitet hat.
Gerhard Hufnagel gehörte von Beginn der Planungen an zum Gründungsteam und hat die Konzeption beider Formate maßgeblich beeinflusst. Leitend war dabei jeweils der Gedanke, die Bevölkerung des Siegerlandes mit der Universität und mit wissenschaftlichen Fragestellungen bekanntzumachen und so die junge Universität in das Siegerland zu integrieren. Während das Programm von Forum Siegen in den ersten Jahren von den Mitgliedern des Leitungsteams insgesamt verantwortet wurde, ging es danach mehr und mehr in die Hände von Hufnagel über. In den letzten Jahren bis zur Weitergabe an ein Nachfolger-Team war er dann sogar weitestgehend allein verantwortlich für das Programm. Es war immer wieder überraschend, wie sehr es Hufnagel gelang, für Forum Siegen nicht nur die wichtigen Zeit-Themen zu finden, sondern auch die jeweiligen fachlichen Kapazitäten von den unterschiedlichsten Universitäten der Republik nach Siegen zu holen. Auch seine Einführungen in die jeweiligen Einzelthemen und die Diskussionen im Anschluss an die Vorträge waren aufgrund seiner großen rhetorischen Begabung legendär. Insgesamt war Hufnagel nicht nur 35 Jahre für Forum Siegen und 30 Jahre für die Mittwochsakademie mitverantwortlich, sondern hatte auch an der Herausgabe der Ergänzungsreihen zu Forum Siegen und Mittwochsakademie wie Mittwochsreden und Forum-Siegen-Beiträge erheblichen Anteil. Auf Vorschlag von Teilnehmern an Forum Siegen und Mittwochsakademie verlieh ihm der Bundespräsident das Bundesverdienstkreuz.
Gerhard Hufnagel war außerdem wesentlich an der Entwicklung der konsekutiven sozialwissenschaftlichen Studiengänge beteiligt; er war viele Jahre Vorsitzender des akademischen Prüfungsamtes im einstigen Fachbereich 1 und engagierte sich nicht zuletzt aufgrund seiner umfangreichen internationalen Lehrerfahrungen insbesondere für die Belange und Probleme der internationalen Studierenden. In seinen Seminaren war ein geistreicher, kluger und ungeheuer belesener Hochschullehrer zu erleben, der neben dem eigentlichen Stoff auch politisches Weltwissen, Staatsbürgerkunde im besten Sinne, zu vermitteln wusste.
Auch nach seiner Emeritierung im Jahr 2007 blieb Gerhard Hufnagel den Kolleg*innen und Studierenden an der Universität Siegen eng verbunden. Wir werden die offene und zugewandte Art, mit der Gerhard Hufnagel auf Kolleg*innen und Studierende zugegangen ist, und die Intensität, mit der er sich ihnen widmete, sehr vermissen. Gerhard Hufnagel fehlt uns schmerzlich und wir trauern mit seiner Frau, seinen Kindern und Enkelkindern.
Prof. Dr. Sigrid Baringhorst, Dr. Sandra Nuy, Prof. em. Dr. Ingo Broer
Quelle: Universität Siegen, Aktuelles, 8.11.21