Es sollte ein musikalischer Gottesdienst werden, aber zuerst wurde es am Sonntag ganz still in der Evangelischen Johanneskirche in Oberfischbach. „Lassen Sie uns leise werden und hören, wie es wohl war, als vor 200 Jahren zum ersten Mal die Orgel erklang“, sagte Pfarrer Michael Junk zu den zahlreich erschienenen Gottesdienstbesuchern. Denn bevor im Jahr 1820 das Instrument von Orgelbaumeister Georg Wilhelm Christian Roetzel in Dienst genommen wurde, war es musikalisch ziemlich ruhig in der Johanneskirche: Es gab nämlich keine Orgel. 200 Jahre später, am passenden Datum 2.2.2020, kehrte noch einmal gespannte Stille ein, bevor Organist Jürgen Poggel klanggewaltig mit „Herr Christ, der einig Gottes Sohn“ von Johann Sebastian Bach den Jubiläumsgottesdienst musikalisch eröffnete.
Die Roetzel-Orgel ist die älteste Orgel des Siegerlandes und die einzige Schleifladenorgel der Region. Orgelbauer Roetzel gestaltete das Instrument im klassizistischen Stil mit imposanten Säulen, gekrönt von einem goldverzierten Dach. Es folgte eine wechselhafte Geschichte: Während die Orgel die ersten 100 Jahre unversehrt blieb, wurden im Ersten Weltkrieg wie vielerorts Zinnpfeifen ausgebaut, für die Rüstungsindustrie eingeschmolzen und durch Pfeifen aus Zink ersetzt. Bei einer späteren Modernisierung wurden weitere Pfeifen ausgetauscht. Weil sie aber eingelagert wurden, konnte die Orgel Jahre später originalgetreu restauriert werden.
Den Geburtstag ihrer Orgel feierte die Evangelisch-Reformierte Kirchengemeinde Oberfischbach mit einem Gottesdienst unter dem Motto „Ein Stück vom Himmel“. „Ich denke, wir sind uns einig, dass es im Himmel Musik gibt“, sagte Monika Gieseler, die den Gottesdienst mit vorbereitet hatte. „Und ich denke, der Orgelklang kommt der Himmelsmusik schon recht nah.“ Kein anderes Instrument habe eine solch große Klangvielfalt. Dass die Orgel sich in der Johanneskirche zentral über der Kanzel befinde, zeige, dass Musik die biblische Botschaft ebenso transportieren könne wie das gesprochene Wort, betonte Gieseler. „Und Musik berührt unser Herz oftmals noch stärker.“ Ein eindrückliches Beispiel dafür bildete die Lesung der biblischen Geschichte von der Verklärung Jesu. Jesus geht darin mit drei Jüngern auf einen Berg, wo er den Propheten Mose und Elia begegnet. Die Lesung dieser übernatürlichen Erzählung untermalte Organist Poggel, der regelmäßig die Kantorei Siegen begleitet, passend mit sphärischen Klängen.
In der biblischen Geschichte werde den Jüngern ein Blick auf eine andere Seite der Wirklichkeit geschenkt, sagte Pfarrer Michael Junk in seiner Predigt. Petrus wolle das festhalten, indem er anbietet, Hütten für Jesus und die Propheten zu bauen. Es sei nur allzu menschlich, Momente der Klarheit, in denen Fragen, Zweifel und Sorgen verschwinden, festhalten zu wollen, sagte Junk. „Aber das bleibt ein Wunschtraum.“ Momente der Verklärung seien flüchtig. In der biblischen Geschichte beginne im Anschluss der Leidensweg Jesu hin zum Kreuz. Auch heute kehre nach Momenten der Klarheit nur allzu schnell der graue Alltag ein. „Aber wer einmal ein Stück vom Himmel sehen durfte, der wird seinen Alltag anders leben“, sagte der Pastor. Gipfelereignisse könnten nachklingen – nicht zuletzt in der Orgelmusik.
Die ganze Vielfalt ihrer Orgel erlebte die Gemeinde nach dem Gottesdienst in einer Matinee mit Orgelbaumeister Matthias Mebold, dessen Vater das Instrument in den 90er Jahren aufwendig restaurierte. In verschiedenen Klangbeispielen demonstrierten Mebold und Organist Poggel die verschiedenen Register der Roetzel-Orgel und zeigten, dass sie mal wie eine romantische Flöte, mal wie eine schmetternde Trompete klingt. Ein weiteres Register solle die menschliche Stimme imitieren, sagte Mebold und schränkte gleich ein: „Ehrlicherweise muss man sagen, dass dazu etwas Fantasie nötig ist.“ Tatsächlich erinnerte der Klang manche Zuhörer eher an einen Dudelsack. Auch das gehört zur Klangvielfalt der Roetzel-Orgel.
Jasmin Maxwell-Klein, Ev. Kirchenkreis Siegen, Nachrichten v.04.02.2020