Bei ruhigem Herbstwetter war Netphen, ehemalige Urpfarrei und Zentralort des Kirchspiels Netphen, am 23. November 2019 das Ziel der Exkursion des Siegerländer Heimat- und Geschichtsvereins. Nach der Begrüßung durch Wilfried Lerchstein erläuterte Heinz Stötzel auf dem Marktplatz in Obernetphen zunächst die Hintergründe der sog. Schusterschlacht, die hier 1584 stattgefunden hat. Trotz des fehlenden Marktrechts waren hier regelmäßig Märkte durchgeführt worden, die der Siegener Schuhmacherzunft ein Dorn im Auge waren. Die Spannungen eskalierten damals schließlich in einer wilden Keilerei.
Vorbei an der von dem Künstler Bernd Heinemann 2014 fertiggestellten Gerberstatue und dem mittlerweile verschlossenen Eingang zu dem in den Kirchberg getriebenen Stollen ging es anschließend durch das schmiedeeiserne Kirchhoftor hinauf zur ev. Martinikirche. Dort angekommen, legte Heinz Stötzel, der hier 34 Jahre lang Kirchmeister war, anhand des mitgebrachten Nachdrucks der Patronatsurkunde vom 9. Juni 1239 dar, dass darin eine Kirche zu Nepphe und damit der Ort Netphen erstmals urkundlich erwähnt wurde. Graf Heinrich II. von Nassau, genannt der Reiche, hatte seinen Lehensmann Friedrich vom Hain, genannt der Trierer, mit dem vererblichen Patronatsrecht an der Kirche zu Netphen ausgestattet. Friedrich hatte auf seinem Grund und Boden ein Keppel (Capella) genanntes Prämonstratenserinnenkloster gestiftet. Er bat seinen Lehnsherrn, seine Rechte an der Netphener Kirche dem von ihm gegründeten Kloster Keppel zu überschreiben. Dies geschah am 6. Juni 1239 durch die Urkunde des Grafen Heinrich. Deshalb zählten auch der Arnsteiner Abt Theoderich (Dietrich) und der Prior Heinrich von Keppel zu den Zeugen dieser Urkunde. Die Kirche in Netphen verlor den eigenen Pastor und sämtliche Einkünfte und war nun von der wohlwollenden Unterstützung des Klosters abhängig. Es ist gut vorstellbar, dass deswegen zu Beginn des 14. Jh. die Kirche baufällig wurde und das Kirchenschiff abgerissen werden musste.
Ein Hinweis auf das Patrozinium des Heiligen Martin von Tours, das auf die Zugehörigkeit zur Erzdiözese Mainz verweist, ist für die Netphener Kirche erstmals in einem Schriftstück aus dem Jahr 1325 enthalten. Darin wurden der Kirche in Netphen auf dem Konzil von Avignon Ablassprivilegien gewährt, mit denen man dann bis 1350 den Neubau des Kirchenschiffes bezahlen konnte, das im wesentlichen der heutigen Kirche entspricht.
Das im Stil der westfälischen Hallenkirchen errichtete Gotteshaus erlebte im Rahmen der Reformation unter Graf Wilhelm von Nassau-Dillenburg, dem Reichen, in den 1530er Jahren die behutsame Einführung der lutherischen Lehre und unter dessen Sohn Johann VI., dem Älteren, seit den 1570er Jahren den Übergang zum reformierten Bekenntnis. Ein einschneidendes Ereignis war der Blitzeinschlag in den Kirchturm am 28. Juli 1590. Dieser wurde dadurch schwer beschädigt. Die anschließend neu errichtete „kurze“ Kirchturmspitze ragte nicht mehr so hoch in den Himmel wie vorher. Beide Glocken waren auf das Gewölbe gestürzt und zersprungen, so dass vor Ort eine neue Glocke gegossen werden musste. Nach der in den 1620er Jahren erfolgten Gegenreformation unter dem in Rom zur katholischen Kirche konvertierten Grafen Johann VIII. von Nassau-Siegen, dem Jüngeren, einem Urenkel von Wilhelm dem Reichen, sorgte erst der am 11. Dezember 1651 abgeschlossene Siegener Religionsvergleich mit dem für die Martinikirche vereinbarten Simultaneum für ein leidlich friedliches Nebeneinander beider Konfessionen. Erst nach der Einweihung der 1895 errichteten katholischen Kirche St. Martin in Netphen endete zwei Jahre später durch eine vertragliche Regelung das Simultaneum. Die vermutlich in der zweiten Hälfte des 17. Jh. erbaute Barockkanzel steht seit der 1968 abgeschlossenen Innenrenovierung wieder an ihrem ursprünglichen Ort auf der „Deuzer Seite“ der Kirche. Deren historische Schöffenbänke fielen dieser Renovierung bedauerlicherweise als nicht mehr zeitgemäß zum Opfer. Am 10. Oktober 1982 übergab der Künstler Wolfgang Kreutter aus Bad Berleburg-Dödesberg im Gottesdienst sein von der Gemeindehelferin Lena-Adelheid Schulz in Auftrag gegebenes Tafelkreuz als Kunstwerk zum Dienst an der Gemeinde. Das Tafelkreuz ist kein Bild im eigentlichen Sinne, sondern symbolische Darstellung der beiden Sakramente Heilige Taufe und Heiliges Abendmahl. Zugeklappt schmücken Worte aus dem Johannes-Evangelium das Kreuz.
Bei dem anschließenden gemeinsamen Gang über den historischen Kirchspielfriedhof, den inzwischen von einer 330 m langen Bruchsteinmauer umgebenen alten Teil des evangelischen Friedhofs, verwies Heinz Stötzel auf die ehemalige Grabstelle des in der NS-Zeit drangsalierten, seit 1932 bis zu seinem Tod in Netphen tätigen Pastors Adolf Steinle (1890 – 1944), an den der rechts neben den Kircheneingang versetzte Grabstein mit der darauf angebrachten Gedenktafel erinnert. Danach steuerte er das Grab der am 2. Dezember 1809 in Obernetphen geborenen, in ihrer Zeit bedeutenden Schriftstellerin und Dichterin Katharina Diez an, die auch in Netphen am 22. Januar 1882 gestorben ist.
Neben ihrem Geburtshaus steht „Wickels Hus am Maart“, das 2013/14 zur Begegnungsstätte umgebaute, im Eigentum des Heimatvereins Netpherland stehende und über 250 Jahre alte, früher als Hof Klöckner und Haus Spies bekannte Fachwerkhaus, wo „om Ollern“ das Mittagessensbuffet auf die Gäste wartete. Hier begrüßten Nico Eggers, der Vorsitzende des Heimatvereins Netpherland, und sein Stellvertreter Thomas Kuhn die Besuchergruppe.
Nach einem kurzen Aufenthalt in der kath. Doppelturmkirche St. Martin war die nächste Station das Heimatmuseum Netpherland. Hier erläuterte Wilfried Lerchstein die aus Anlass des 50-jährigen Bestehens des Vereins der Briefmarkenfreunde Netphen gemeinsam mit Harald Gündisch von ihm konzipierte Sonderausstellung über das Postwesen im Netpherland seit der vor über 200 Jahren erfolgten Eingliederung in das Königreich Preußen bis in die Gegenwart. In zwei Gruppen besichtigten die Besucher unter der Führung von Wolfgang Grebe und Karsten Werner danach die Dauerausstellung des Heimatmuseums, bevor es bei Kaffee und Kuchen Gelegenheit gab, die gewonnenen Eindrücke zu verarbeiten und miteinander ins Gespräch zu kommen.
Zum Abschluss des Tages erwartete Manfred Schröder die Besucher noch in der St. Peterskapelle in Niedernetphen. In einer Urkunde vom 21. September 1257 ist neben der Kirche in Netphen von einer von dieser abhängigen Kapelle im anschließenden Tale die Rede. Der Heimatforscher Josef Thyssen vermutet die Ursprünge der auf Einflüsse des Erzbistums Köln hindeutenden Peterskapelle in einem Hausaltar bzw. einer Privatkapelle des ortsansässigen Adels. Auch die Peterskapelle wurde seit 1651 simultan genutzt. Im Jahr 1704 als Ruine genannt, muss sie bald wieder erneuert worden sein. Um 1800 erfolgte als Fachwerkgebäude der Anbau einer Schule an die Kapelle. Am 13. Juli 1869 brach in Niedernetphen ein Großbrand aus. Durch den für sie günstig stehenden Wind blieb die Kapelle damals verschont. Schließlich war es kein Brandereignis, sondern der Artilleriebeschuss während der Kampfhandlungen in den ersten Apriltagen des Jahres 1945 am Ende des Zweiten Weltkriegs, der knapp 76 Jahre später doch noch für die Zerstörung der St. Peterskapelle sorgte. Weitere 42 Jahre später konnte auf Initiative des am 15. Februar 1983 gegründeten Vereins zur Erhaltung des St. Petersplatzes e.V. „det Kapellche“, wie es im Volksmund heißt, am alten Standort wieder aufgebaut und am 13. Juni 1987 feierlich eingeweiht werden. Seitdem wird sie von beiden Netphener Martini-Gemeinden für Gottesdienste, andere kirchliche Zwecke und Konzerte genutzt. Die selbständige ev.-lutherische St. Christophorus-Gemeinde in Siegen-Numbach und die örtliche Freie ev. Gemeinde genießen Gastrecht und laden ebenfalls in die St. Peterskapelle ein.
Nach einem gemeinsam gesungenen Kirchenlied und dem Segen von Pfarrerin Ann-Christin Brahms endete am frühen Abend ein aus Sicht aller Gäste rundum gelungener Tagesausflug.
Text: Wilfried Lerchstein, Tel. 02737/209527