Ausstellung: „Hermann Kuhmichel – Leben und Werk“

4Fachwerk-Museum erinnert an bedeutenden Siegerländer Künstler

Foto: Bernd Brandemann, Museum

Das Freudenberger 4Fachwerk-Museum setzt seine Reihe „Erinnerungen an Siegerländer Künstler“ mit einer Präsentation zu Leben und Werk von Hermann Kuhmichel (1898 – 1965) fort.
Hermann Kuhmichel war ein hoch talentierter Künstler mit einer überaus vielfältigen Schaffenspalette. Von ihm entstanden Eisengussplatten und -skulpturen, Steinskulpturen und -reliefs, solche aus Holz und Metall, Wandputzbilder (Sgraffitos), Glasmalereien, Monotypien, Holzschnitte, Kohlezeichnungen oder sogar Wandteppiche.
Die Ausstellung wird am Freitag, 8. November 2019, 19:00 Uhr mit einführenden Worten von Dr. Ingrid Leopold eröffnet. Für die musikalische Umrahmung werden Daniela Hofer (Querflöte) und Thomas Höfer (Gitarre) sorgen. Die Kuhmichel-Exponate sind bis zum 12. Januar 2020 in der Freudenberger Altstadt zu sehen.

Das ehrenamtlich geführte Museum ist mittwochs, samstags und sonntags von 14:00 Uhr bis 17:00 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 3 Euro.
Sonderführungen werden nach Absprache gerne angeboten.
4Fachwerk-Mittendrin-Museum
Mittelstraße 4-6, 57258 Freudenberg
www.4fachwerk.de

53 Gedanken zu „Ausstellung: „Hermann Kuhmichel – Leben und Werk“

  1. Unglaublich. Ein Nazikünstler, der wie kaum ein anderer im Siegerland, auf das seine Bekanntheit sich beschränkte, für die enge Symbiose von „Heimat“bewegung und NS-Bewegung steht, wird drei, vier Generationen später wieder von heimat- und bildungsbegeisterten Bürgern gefeiert. Als sei nichts geschehen. Auch nichts an Aufarbeitung, ein Bildungsbeitrag, der nie ankam, inzwischen vergessen ist oder nun verworfen wird.

    Mit Festreden, einen Tag vor dem Jahrestag der reichsweiten Ausschreitungen gegen die jüdische Minderheit und der Brandstiftung der Synagogen.

  2. „Über die reizvolle Verwirklichung bestechender Einfälle hinaus zum Wesentlichen vorgedrungen ist auch Hermann Kuhmichel. … (Er) hat in seinem Porträt ‚Infanterist‘, dem er die Züge eines Westwallkameraden lieh, das Gesicht des deutschen Soldaten als Symbol des Kampf- und Siegeswillens der Nation gültig geprägt. Seine Fähigkeit zur Erspürung und Belichtung des Seelischen kommt ferner in dem scharf umrissenen ‚Kopf eines Offiziers‘ von jenem schalkhaften Zug umspielten anderen des verewigten Betreuers der Siegerländer Künstlerschaft Dr. Kruse zum Ausdruck. … In dem … bewegten figürlichen Motiv ‚Stukas!‘ ist dem Künstler die Symbolisierung der Schreckwirkung beim Einsatz dieser Waffe auf den Gegner gut gelungen.“ (Otto Heifer, Siegener Zeitung, 13.6.1942)

  3. „… lenken sofort das Hauptaugenmerk die Werke des Bildhauers Hermann Kuhmichel auf sich. … Von ihm kann man am ehesten berichten, daß er feines Anpassungsvermögen an die aus dem Volke kommenden Wünsche besitzt, ohne sich auch nur im geringsten selbst dabei aufgeben zu müssen. … Die Geltung der Einzelseele, auf die sich die Kunst in früheren Jahren aufbaute – wobei allzuoft Verwechslungen von Seele und Intellekt vorgekommen sind – dankte sie ihre Haltlosigkeit, die völlige Abhängigkeit vom Unzulänglichen im Menschlichen.[Originalsyntax] Heute ist die tragende Kraft der Volksseele zum Durchbruch gekommen, jenes Unveränderlichen, Stetigen, Klaren und Starken, das dem schwankenden Individuum erst die seelischen Kräfte verleiht. Die Kräfte des Blutes, die in dieser Seele lebendig sind, müssen auch in der Kunst durch den Künstler sprechen. Was kümmert es uns, wenn in irgendeinem Werk ein gepeinigtes Herz aufschreit – wir hören es nicht. Aber wenn der Spiegel unseres geheimen Sehnens und unseres Seins uns vorgehalten wird, dann berührt das Bild, in das wir schauen uns mit mächtigem Leben. Wenn Kunst aus solchem Drange entsteht, dann ist sie an die Landschaft gebunden, dann können wir bei uns auch von Siegerländer Kunst sprechen. Und so sehen wir auch Hermann Kuhmichel als den Siegerländer Künstler. Das Bild des Menschen, das er schafft, ist ernst, stark, fromm, mit einem ganz nach innen gekehrten Blick, es ist dem Siegerländer Menschen zutiefst verwandt. … Daß Kuhmichel nicht an die Überlieferung in der thematischen Gestaltung gebunden ist, bewies er mit den Umschlagdeckeln für die beiden Ehrenbürgerbriefe der Stadt Siegen für Hindenburg und Adolf Hitler.“ (Otto Dinkela, Siegener Zeitung, 21.12.1934)

    Na, da lässt sich der eine oder andere Gedanke zur Eröffnung oder für begleitende Gespräche als überzeitliche Wahrheit und Weisheit vielleicht noch nutzen?

  4. Ich bin erschrocken, wie anmaßend und gnadenlos Ulrich Opfermann über den vielseitigen Siegerländer Künstler Hermann Kuhmichel urteilt. Er verurteilt einen Mann, der niemandem geschadet oder etwas zu Leide getan hat. Kuhmichel hat den Ersten Weltkrieg mit gesundheitlichen Schäden überstanden und am Zweiten zunächst im Sanitätsdienst und 1944 an der Front in Frankreich teilgenommen. Sein Atelier wurde im Krieg zerstört. Er war im „Dritten Reich“ als freischaffender Künstler tätig, der eine Familie zu versorgen hatte. Wie hätte sich Ulrich Opfermann in der Nazidiktatur verhalten? Hätte er die Existenz seiner Familie aufs Spiel gesetzt? Hermann Kuhmichel war kein Anhänger der Nazis. Um einen Einblick in seine politische Einstellung zu erhalten, empfehle ich, die Ausführungen dazu im 2016 erschienenen Bildband von Frieder Henrich nachzulesen. Dr. Hans H. Hanke (LWL) schreibt in seiner Rezension: „Man kann Henrich in dieser nun gut belegten Position durchaus folgen – zumal Kuhmichel nicht der einzige Künstler war, dessen mentaler und künstlerischer Spagat zwischen NS-Gegnerschaft und NS-Aufträgen bewiesen ist. […] Da steht keine heldische, angriffslustige Figur, muskulös und statisch aufgerüstet, wie man es von Thorak, Breker, Meller und vielen anderen willfährigen NS-Größen der Kunst kennt.“ Im Übrigen wurden Kuhmichels Kunstwerke über die Region hinaus im ganzen Bundesgebiet geschätzt.

  5. Die Aussagen mancher Reaktionäre sind immer wieder erstaunlich:

    Kuhichel war kein Anhänger der Nazis.
    (Traute Fries)
    Wlaimir Putin ist ein lupenreiner Demokrat.
    ( Gerhard Schröder)
    Die Welt ist eine Scheibe.
    Pabst Urban VIII

  6. Dies kann man heute wissen.
    Auszug aus den regionalen Persönlichkeitslexikon (Internet)

    Kuhmichel, Hermann
    * 4.3.1898 Eiserfeld, gest. 21.9.1965 Weidenau, bildender Künstler, nach Machtübergabe u. a. zahlreich ns- und kriegspropagandistische Beiträge, darunter Kassetten für Ehrenbürgerbriefe der Stadt Siegen für Hitler und Hindenburg, die Plastiken „Judas“ (1933), „Der Bonze“ (1934), „Die Familie“ (1934), Ausgestaltung des „Kameradschaftshauses“ der Fa. Schmidt & Melmer, Weidenau („Führerbüste“ neben Gründerporträts, kriegsmotivische Reliefs; 1938), „Infanterist“ (1942), „Offizier“ (1942), „Wehrmachtssoldat“, „Stukas!“ (1942), „Feldwebel Wrede“, gemeinsam mit Hans Achenbach durch den Kreispropagandal. Theobald Meiswinkel als einer der heimatlichen „Künstler“ gewertet, die „ihr Schöpfertum betont in den Dienst der Zeit gestellt“ hätten (1942), siehe auch die regionalen Kunstexperten Otto Heifer und Josef Zimmermann

    „… lenken sofort das Hauptaugenmerk die Werke des Bildhauers Hermann Kuhmichel auf sich. Er ist in seinem Schaffen ungemein fruchtbar, … . Neben dem Rubensbrunnen der Stadt Siegen und dem demnächst zur Ausstellung gelangenden Kriegerdenkmal der Gemeinde Netphen entstand eine Reihe anderer Werke,. die von der ruhigen Fortentwicklung des in sich gefestigten Künstlers sprechen. Von ihm kann man am ehesten berichten, daß er feines Anpassungsvermögen an die aus dem Volke kommenden Wünsche besitzt, ohne sich auch nur im geringsten selbst dabei aufgeben zu müssen. … Die Geltung der Einzelseele, auf die sich die Kunst in früheren Jahren aufbaute – wobei allzuoft Verwechslungen von Seele und Intellekt vorgekommen sind – dankte sie ihre Haltlosigkeit, die völlige Abhängigkeit vom Unzulänglichen im Menschlichen.[Syntax so!] Heute ist die tragende Kraft der Volksseele zum Durchbruch gekommen, jenes Unveränderlichen, Stetigen, Klaren und Starken, das dem schwankenden Individuum erst die seelischen Kräfte verleiht. Die Kräfte des Blutes, die in dieser Seele lebendig sind, müssen auch in der Kunst durch den Künstler sprechen. Was kümmert es uns, wenn in irgendeinem Werk ein gepeinigtes Herz aufschreit – wir hören es nicht. Aber wenn der Spiegel unseres geheimen Sehnens und unseres Seins uns vorgehalten wird, dann berührt das Bild, in das wir schauen uns mit mächtigem Leben. Wenn Kunst aus solchem Drange entsteht, dann ist sie an die Landschaft gebunden, dann können wir bei uns auch von Siegerländer Kunst sprechen. Und so sehen wir auch Hermann Kuhmichel als den Siegerländer Künstler. Das Bild des Menschen, das er schafft, ist ernst, stark, fromm, mit einem ganz nach innen gekehrten Blick, es ist dem Siegerländer Menschen zutiefst verwandt. … Daß Kuhmichel nicht an die Überlieferung in der thematischen Gestaltung gebunden ist, bewies er mit den Umschlagdeckeln für die beiden Ehrenbürgerbriefe der Stadt Siegen für Hindenburg und Adolf Hitler.“ (Otto Dinkela, Siegener Zeitung, 21.12.1934)

    „Über die reizvolle Verwirklichung bestechender Einfälle hinaus zum Wesentlichen vorgedrungen ist auch Hermann Kuhmichel. … (Er) hat in seinem Porträt ‚Infanterist‘, dem er die Züge eines Westwallkameraden lieh, das Gesicht des deutschen Soldaten als Symbol des Kampf- und Siegeswillens der Nation gültig geprägt. Seine Fähigkeit zur Erspürung und Belichtung des Seelischen kommt ferner in dem scharf umrissenen ‚Kopf eines Offiziers‘ von jenem schalkhaften Zug umspielten anderen des verewigten Betreuers der Siegerländer Künstlerschaft Dr. Kruse zum Ausdruck. … In dem … bewegten figürlichen Motiv ‚Stukas!‘ ist dem Künstler die Symbolisierung der Schreckwirkung beim Einsatz dieser Waffe auf den Gegner gut gelungen.“ (Otto Heifer, Siegener Zeitung, 13.6.1942)

    „In den Kreis der Modernen gehört auch Hermann Kuhmichel mit seinen Holzschnitzereien von starker Kraft der Aussage (‚Juden an der Klagemauer‘, ‚Flüchtlinge‘ usw.) und seinen beiden Farbstickereien ‚Der Schatzgräber‘ und ‚Die große Sünderin‘, expressiven Kunstwerken eigener Art und Farbgebung.“ (1952)

    Dietermann; Irle 1974, 197; Abb.: SHK 1939, nach 124, 1941, 39; SNZ, 18.4.1934, 17.3.1936; SZ, 2.11.1929, 21.12.1934, 8.7., 24.10.1938, 13.6.1942; WP/Rt, 5.11.1952

  7. Inwieweit die Kunstwerke Kuhmichels nationalsozialistisch sind, ist ein interessante Frage. Es sind Auftragsarbeiten für nationalsozialisitische Stellen ausgeführt und gezeigt worden. Aus welchen Gründen Kuhmichel diese Aufträge angenommen hat, darüber lässt sich trefflich diskutieren. Auf der einen Seite kann man eine Nähe Kuhmichels zum Nationalsozialismus vermuten, auf der anderen Seite wird man betonen, dass Kuhmichel ja auch seinen Lebensunterhalt bestreiten musste.
    Auffallend bei Kuhmichel sind auch Werke, die militärische Themen zeigen. Hier ist die von Opfermann in die Diskussion gebrachte Schnittmenge zwischen dem in diesem Fall nationalsozialistischen Kunstverständnis und dem Kuhmichelschen Oeuvre recht hoch. Dies berichtigt zwar m. E. noch nicht dazu, Kuhmichel als Nationalsozialisten zu kennzeichnen. Aber ein Unbehagen gerade bei diesen militaristischen Werken bleibt bei mir.

  8. In jeder Diktatur hängen die Künstler ihre Fahne in den Wind der jeweils mächtigen Auftragsgeber.
    Zahlreiche Marx- bzw. Leninbüsten im Osten zeugen heute noch davon.

    Es gibt jedoch kein Gesetz zur Verpflichtung als Künstler.
    Man darf auch schlichtweg Arbeitnehmer sein.

    • Ich hatte ihn als „Nazikünstler“ bezeichnet. Dass er Kunst für Nazis, das Nazisystem und – bitte nicht vergessen – den Nazikrieg gemacht hat, scheint mir unbestreitbar zu sein. Dass er das für Geld gemacht hat auch. Ob und inwieweit er dabei selbst völkischen Überzeugungen anhing und die Nazis prima fand, ist ein bisschen schwierig zu beantworten, aber auch egalitarianism . Wie er künstlerischen Ausdruck in kantig-monumentalen unzweifelhaft militaristischen Wehrmachtsgestalten suchte, das spricht m. E. schon für mindestens eine große Offenheit und Bereitschaft, mit „künstlerischer“ Propaganda einen überall wahrnehmbaren Beitrag zu leisten. Und für seine Kompetenz, das NS-glaubwürdig hinzukriegen. Wie schon oben zu lesen, er hätte auch was anderes machen können, wenn er nur gewollt hätte. Wenn es auch weniger einträglich gewesen und weniger öffentliches Lob eingebracht hätte. Nein, es hat wenig Wert, diesen Herrn nach dem Modell von 1949 zu entnazifizieren und ihm einen Schein „innerlich kein Nazi“ auszuschreiben.

      Was haben diese Feststellungen mit „gnadenlos“ zu tun? Das ist eine in der Sache gänzlich unberechtigte, eine unangemessene, maßlose Verurteilung. So artikuliert sich das Heimatsentiment? Na, danke.

      Hat eigentlich, diese Frage noch zum Abschluss, K. jemals eine Scham, eine Reue, eine Distanzierung zu seiner Nazikunst artikuliert und sei es, dass er einfach nur erklärt hätte, es täte ihm leid, er habe ja doch nicht anders gekonnt, man möge ihn bitte verstehen? Ist mir bei meinen Untersuchungen zur ja hoch NS-belasteten regionalen Heimatszene bislang noch nie begegnet, aber vielleicht ist er die Ausnahme? Ich bin gespannt.

  9. Die in dem von Detlef Koppen zitierten Artikel angegebenen Arbeiten von Kuhmichel nennen die beiden monumentalen Kasernenverschönerungen leider nicht, das sollte dort mal nachgetragen werden:
    „Johann der Mittlere von Nassau“, 4,50 m, an der Graf-Johann-Kaserne auf dem Heidenberg (1936) und ein „Wächter aus Stein“, das heißt ein Wehrmachtssoldat unterer Ränge, 3 m, an der Herzog-Ferdinand-Kaserne auf dem Wellersberg (1936).
    Natürlich ordnet sich der Kasernenbau vor allem anderen in die Vorbereitung eines Weltkriegs ein. Die Klügeren warnten schon lange: „Hitler bedeutet Krieg“. Leider waren sie – schon gar im Siegerland – eine eher kleine Minderheit. Kuhmichel in das damalige Meinungsspektrum einzuordnen fällt leicht. Zu leicht für eine heutige Darstellung, die vor allem aus dem besteht, was nicht gesagt wird, die nicht die politischen und die moralischen Implikationen seines Tuns anspricht, und die dennoch ja wohl überzeugen will. Das muss daneben gehen, wenn das Licht angemacht wird.

    Die Grafen-Skulptur und mit ihr Kuhmichel wurden in der Parteizeitung der NSDAP 1936 so kommentiert:
    „Der Soldat soll wissen, warum er Soldat ist, soll die Verbundenheit zur Heimat gewinnen und seine Bindungen an sie erkennen lernen. Dazu hilft die Kunst, die sie in mannigfacher Weise auf den heimatlichen Gedanken Gedanken und seine Verbindung mit dem Dienst des Soldaten abstimmen kann. Hier ist durch Hermann Kuhmichel … ein Standbild geschaffen, das die in Siegen dienenden Soldaten an … den Gründer Siegener Militärakademie erinnern soll, einen Mann, der durch sein Werk den Soldatenstand emporgehoben und ihm seine Ehre gegeben hat. Den Bürger erinnert das Denkmal an einen Schützer des Wohlstandes und Friedens.“ (SNZ, 26.8.1936)
    Das ist eine aufschlussreiche Aussage zur Verschränkung der Heimat- mit der Militaristenszene dieser Jahre, die eine breite Schnittmenge reaktionärer Inhalte repsräsentierten, grau, braun und noch ein paar andere Tönungen.
    Inzwischen konnte ja der durch Kasernenabriss gefährdete „Wächter“ von einer großen Heimatkoalition noch mal gerettet werden. Ausgerechnet dorthin setzte sie ihn, wo die Toten dieses verbrecherischen Krieges liegen. Dazu passt diese Freudenberger Ausstellung bestens.

    Der oben zitierte Artikel geht auch nicht ein auf die deutschnationalen und NS-affinen sog. Kriegerdenkmäler, die Kuhmichel in mehrere Dörfer stellen durfte. Ihr allgemeiner Inhalt war nicht zuletzt die Erinnerung an die „Schmach von Versailles“ und der Appell zur Revision der Ergebnisse dieses Kriegs. Das bekannteste „Kriegerdenkmal“ lag in Netphen. Es gelangte „zu trauriger Berühmtheit“ (Klaus Dietermann) über die Grenzen des Gebirgskessels hinaus, weil es inhaltlich über das Übliche hinausging: „Netphen baut als erste Gemeinde Deutschlands ein gemeinsames Ehrenmal für die gefallenen Helden im feldgrauen und braunen Kleid … und Bildhauer Kuhmichel entledigte sich glänzend seiner gestellten Aufgabe.“ (SNZ, 17.1.1934) Motto des „Ehrenmals“: „Und ihr habt doch gesiegt.“
    An dieser Stelle sei in Erinnerung gerufen, dass Klaus Dietermann 1985 eine Dokumentation zum Thema publizierte. Sie und ihr Inhalt (wie alles, was er publizierte: „Aufarbeitung der NS-Vergangenheit“) gerieten inzwischen offenbar in Vergessenheit. Der Mitte-Diskurs verschiebt sich nach rechts. So sieht’s doch aus, wenn man unter den Strich guckt.

  10. Mir scheint, dass für Kuhmichel alle Quellen „auf den Tisch“ müssen. So fand bzw. findet in die Diskussion bisher keinen Einzug: Henrich, Frieder:
    Mit Hermann Kuhmichel durch das Siegerland. Eine dokumentarische Zwischenbilanz über Leben und Werk des großen Künstlers, 2016 – Link zur Renzension von Hans Hanke: https://www.whb.nrw/367-download/Heimatpflege/2017/HiW_6_2017_RZ_INet.pdf .
    Im Frühjahr 2008 stellte die Westfälische Rundschau ein Frühwerk des Künstlers vor: „Wat wärn de Hänn soe waich“ oder Haferflockensuppe mit Salz. Siegerländer Bildhauer Hermann Kuhmichel gestaltete 1931 das „Arbeitslosen-Häuschen“ in der Hitschelsbach mit einem Relief.“ Ein Hinweis darauf, dass m.W. ein erschöpfendes Werkverzeichnis bislang fehlt. Ein solches wäre wünschenswert, um das künstlerische Schaffen Kuhmichels differenziert bewerten zu können.
    In der Datenbank der Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste fand sich ein Werk Hermann Kuhmichels – die Plastik „Meine Eltern“ – , das vom zuständigen Propagandaministerium im Rahmen der „Entartete Kunst“-Aktion 1937 oder 1938 von einem Wittener Museum nach Berlin geschafft wurde. Die Spur des Werkes verliert sich 1945 in Güstrow. Leider liess sich über diesen Vorgang nichts Weiteres ermitteln.
    Das hier zitierte Online-Personenlexikon weist keine archivischen Quellen auf; hat man bisher nicht in den Archivien recherchiert (Bundesarchiv ?) Ich bin gespannt.

  11. Kurznachtrag zu meinem Kommentar weiter oben: Mit „egalitarianism“ wollte ich mich nicht wichtig machen. Das hat mir ein Thesaurus da reingesetzt. Ich hatte einfach geschrieben: „Ob und inwieweit er … völkischen Überzeugungen anhing und die Nazis prima fand, ist … egal.“

  12. Na ja, „Emil Nolde war Antisemit und glühender Nazi.“ (Die Welt, 4.5.2019) Er fiel in die Kategorie „entartete Kunst“, was ihn sehr schmerzte. Das eine muss das andere demnach nicht ausschließen. Was diese Einordnung – für ein einziges bislang bekanntes – Werk für Kuhmichel bedeutete, wissen wir nicht. Sagen lässt sich, dass dieses Urteil oder das Werk ein Ausrutscher gewesen sein müssen: entweder eines ziemlich einsamen NS-Dogmatikers, denn das wiederholte sich nicht, schon gar nicht dort, wo man ihn so gut kannte, oder von ihm, denn das passierte ihm bis 1945 bei kontinuierlich guter Auftragslage nicht wieder.
    Und was ist bewiesen oder widerlegt mit dem „Arbeitslosen-Häuschen“? Oder mit der „Ausschauenden“ von nach dem NS-Ende, die nach den eher eckigen Formen nun mit fließenden aufwartete und gemessen an den drei oder mehr als vier Meter hohen Klötzen an den Kasernen nun Kleinformat hatte. Außer natürlich, dass anderes nicht mehr so in die Zeit gepasst hätte. Wie schon gesagt, ein Scham- oder Reuebekenntnis für sein NS-Engagement über mindestens zwölf Jahre ist bislang noch nicht bekannt. Auch die genannte Schrift und deren Rezension können dazu nichts mitteilen.

  13. Ein Diskussionsbeitrag von Dr. Ingrid Leopold:
    Das Streitgespräch, veranlasst durch einen Kommentar zur Kuhmichelausstellung in Freudenberg, habe ich verfolgt und wollte mich eigentlich nicht einmischen, da mir diese Art von Polemik zuwider ist. Aber um dem Künstler gerecht zu werden sehe ich die Notwendigkeit, einiges zu korrigieren und klarzustellen.
    In der Diskussion werden als Beweislast für die Einstellung Kuhmichels zum Nationalsozialismus ausschließlich Auszüge aus der öffentlichen Presse des Dritten Reiches angeführt, die sich durch entsprechenden Wortlaut und Pathos auszeichnen.
    Aus der damaligen Interpretation der Kunstwerke werden Rückschlüsse auf den Menschen gezogen und Anschuldigungen ausgesprochen, ohne ausreichend recherchiert zu haben. Unter wissenschaftlicher Arbeit versteht man eine andere Vorgehensweise.
    Es gibt handschriftliche Dokumente aus den Jahren 1941 bis Kriegsende in Form persönlicher Briefe von Hermann Kuhmichel an seinen Freund Alfred Henrich, der als Soldat im Russlandfeldzug eingesetzt war.
    Sie geben die Betroffenheit und Verzweiflung des Künstlers über die damalige Situation wieder. Kriegsführung und das Schicksal der Soldaten bezeichnet er als „Ausweglosigkeit“ und „Schlamassel.“
    Die Briefe sind im Besitz des Sohnes des Empfängers und bei Bedarf im Original jederzeit zugänglich.
    Für den Künstler war sein Leben in der NS – Zeit stets eine Gratwanderung zwischen Anerkennung und Diffamierung, zumal er nicht Mitglied der NSDAP war.
    Bereits 1935 drohte ihm ein Ausstellungs – und Schaffensverbot wegen sozial – kritischer und christlich – religiöser Motive in seinen Kunstwerken. Durch Fürsprache des Direktors des Siegerlandmuseums Dr. Hans Kruse konnte die Verfügung abgewendet werden.
    Im Rahmen der Aktion „Entartete Kunst“ der Reichskulturkammer in Deutschen Museen wurden 1937 nicht nur eines als „Ausrutscher“, sondern drei Kuhmichel – Arbeiten beschlagnahmt: die Holzschnitte „Untersuchung“ und „ausgesperrt“, sowie die Holzskulptur „meine Eltern.“
    Die Begründung lautete: „Hermann Kuhmichel verherrlicht in seinen Werken Kulte des Weltjudentums und vernachlässigt trotz nachdrücklicher Einlassungen örtlicher Parteimitglieder seine Pflicht, all sein Können in die Verewigung des arischen Menschen zu stellen.“
    Hermann Kuhmichel war in zwei Weltkriegen als Soldat an der Front eingesetzt. Über 2 Jahre war er im Lazarett und 1945 in amerikanischer Gefangenschaft mit Entlassung in das zerbombte Siegen. Themen seines Kunstschaffens in der Nachkriegszeit waren Entbehrungen und menschliches Leid, Vertreibung und Flucht, Gefangenschaft und Tod.
    Er war geprägt von tiefer Religiosität. In seinem künstlerischen Schaffen stand stets der Mensch im Mittelpunkt.
    Als er 1965 starb fand man folgenden Kommentar in der Siegener Zeitung:
    „Demut, Hingabe und Liebe waren die erregenden und tröstenden, die helfenden und heilenden Kräfte, die in ihm wirksam waren. Ein Wahrheitssucher, dessen bildende Hand mit einer für die Menschen der Gegenwart unfassbaren Geduld den Werkstoff formte.“

  14. Über das NS-Propagandaministerium erreichte die Preußische Akademie der Künste im Juli 1933 eine Eingabe des Wuppertales NSDAP-Reichstagsabgeordneten Hermann Schroer zwecks Förderung des Bildhauers Hermann Kuhmichel in Siegen. Die Antwort der Akademie fiel wie folgt aus:
    „Hermann Kuhmichels Werke, die mir in einer Photographie und schlechten Drucken vorliegen, interessieren zunächst durch ihren starken Ausdruck und die naive Einfachheit ihres Aufbaus. Bei näheren Zusehen muss man leider feststellen, dass seine Einfachheit und Monumentalität nicht aus geistiger Überlegeneheit, sondern aus dem Mangel an Formgefühl und Können geboren wurden. Wenn es ihm nicht gelingt diese seine Schwächenzu überwinden, wird er sich kaum aus der Gruppe jüngerer Bildhauer, die auf gleichen Wegen wandeln, herausheben. Um ein zuverlässiges, abschließendes Urteil über seine Möglichkeiten abzugeben, müsste man ihn länger beobachten.“
    Quelle: Akademie der Künste, Berlin, Archiv, Sig. PrAdK 0941, Bl. 87 rv, Link

  15. Den einen ist Polemik „zuwider“, den anderen Personenkult. Das ist nun mal so und hat immerhin eine recht interessante Kontroverse provoziert.
    Polemik ist oft ein Ergebnis von Verbitterung. Ich will hier nicht den Opfermann-Versteher raushängen lassen (das hat U.F.O. nicht nötig), aber es ist für mich gut nachvollziehbar, dass der Blick auf den deutschen Homo sapiens während der vergangenen ca. 75 Jahre oder allgemein den internationalen über die Jahrtausende seiner angeblichen Höherentwicklung hin genug Anlass für Kulturpessimismus gibt, was dann gelegentlich sehr rigoros und polemisch artikuliert wird. Für abgehärtete Zeitgenossenen ist das erträglich, oft erfrischend, jedenfalls allemal respektabler als unreflektierte Mythologisierungen. Es mag sein, dass gelegentlich mit Kanonen auf Spatzen (Kuhmichel, Wurmbach u.a.) geschossen wird, die einfach nur auffallend widerspruchsvolle und somit irritierende Personen waren und zum Streit zwischen Kritikern und Verehrern herausfordern. Problematisch für die Geschichtsschreibung ist es aber, wenn unberührt von allen sachlichen Argumenten mit den armen Spatzen zugleich auch den Geiern Absolution erteilt wird. Zum Beispiel voraussichtlich in den kommenden Wochen, wenn wieder einmal ein gewisser Nazi-Bürgermeister (wörtlich im August 1944: „Ich bin ein getreuer Gefolgsmann des Führers.“) als Siegener Lichtgestalt vergöttert wird, obwohl man es seit 1934 besser wissen könnte.

  16. „Den einen ist Polemik ‚zuwider’, den anderen Personenkult.“ Ja, gewiss, dieser kühlen Feststellung ist nur zuzustimmen. Wenn ich von der Zuschreibung „gnadenlos“ einmal absehe, weil sie in eine andere Kategorie als die der Polemik einzuordnen wäre, finde ich zum meinem Glück weder das eine noch das andere in dieser kleinen Diskussion. Insofern sehe ich auch keinen Anlass, nach einem Widerspruch gegen die Hinweise weiter oben ins Verbittern zu fallen. Bin sehr froh, davon bislang verschont geblieben zu sein.

    ● Der Widerspruch gegen eine Überbewertung des Bildhauers
    Kuhmichel,
    ● die Frage, wo im Spektrum von Opportunismus und Überzeugtheit
    er mit seinen zahlreichen NS-Arbeiten einzuordnen wäre,
    ● die Erinnerung an die zahlreichen Belege seiner NS-Auftragstätigkeit
    spätestens seit 1934,
    ● die Thematisierung des Schweigens (https://westfalen.museum-digital.de/index.php?t=objekt&oges=2225) sowohl der
    Heimatbewegung wie auch von ihm selbst zu den NS-Jahren,
    ● des Schweigens auch über die große öffentliche Wertschätzung, die
    ihm durch NS-Sprecher und NS-offizielle und -affine Medien wie die
    SNZ und die SZ erfuhr (und die durch Wortlaut und Pathos ihre
    Bedeutung nicht verlieren, ganz im Gegenteil),
    ● die Nachfrage nach einem Scham- und Reuebekenntnis von K.
    ● der Widerspruch gegen die Umdeutung von K. zu einem verfolgten
    Künstler,
    was hat das mit Polemik zu tun? Es sind Überlegungen und Fragen, die schon viele Male bei Staatskünstlern gestellt wurden, weshalb soll das hier „Polemik“ sein? Das sind doch Anmerkungen und Fragen, die unbedingt zu stellen sind, wenn man an einer Aufarbeitung der Nazi-Zeit auch im regionalen Raum interessiert ist? Da kann es doch nicht reichen, bei der einen oder anderen Gelegenheit im Jahresverlauf moralische Bekenntnisse vorzutragen? Es geht doch um Aufklärung?

    Und noch ein kurzes PS in diesem Sinn:
    An einer Stelle der Diskussion kamen Hinweise auf die von K. als „Schicksal der Soldaten“ beschriebenen Zustände „Ausweglosigkeit“ und „Schlamassel“, die er auf sie zukommen sah. Leider fehlt die Zeitangabe. Vielleicht lässt sie sich noch nachtragen? Wäre interessant. Bekanntlich gab es die Erwartung eines militärischen Fehlschlags nach ersten „Erfolgen“ für die NS-Wehrmacht, die Waffen-SS usw. im, wie es in Übernahme der damaligen Bezeichnung heißt, „Rußlandfeldzug“ schon bald für viele.
    Und das im engsten Kreis zum Ausdruck zu bringen, war nichts, was jemand zum Systemgegner gemacht hätte (immer vorausgesetzt die private Überlieferung trügt nicht). Dass ein solcher Pessimismus sich auch aus der Kenntnis der Massenverbrechen speiste und nicht zuletzt Angsterwartungen entsprach – man hatte ein alliiertes Strafgericht zu fürchten -, ist schon vor Jahren quellengesättigt gründlich fachlich erarbeitet worden. Man sprach selten über die Massenverbrechen, kannte sie aber und die Führung nutzte die Angst vor Strafe, um zum Weitermachen zu motivieren. War erfolgreich, auch bei Schriftstellern, Künstlern und sonstigen Vertretern des Bildungsbürgertums als der frühen festen Basis der NSDAP und anderer völkischer Zusammenschlüsse, dem bei aller „Bodenständigkeit“ gewiss auch K. zuzurechnen ist.

    Es heißt an einer anderen Stelle, der Leiter des Siegerlandmuseums habe sich bei Nazi-Instanzen für K. und gegen ein Berufsverbot eingesetzt. Mag sein oder auch nicht. Belege für diesen Vorgang gibt es, wenn ich richtig sehe, bislang keine. Dass aber der Museumsleiter auf etwaige Gegner von K. Einfluss hätte ausüben können oder Einfluss ausübte, ist plausibel, denn auch dieser Heimatakteur war wie K. oder noch darüber hinaus dem NS eng verbunden (http://akteureundtaeterimnsinsiegenundwittgenstein.blogsport.de/a-bis-z/gesamtverzeichnis/#kruse3).

    „Heimat“ gilt als etwas besonders Schönes und Wertvolles. Aber man sollte sie m. E. nicht überzuckern. Die Heimatszene jedenfalls des 20. Jahrhunderts war auch im Siegerland ein Sumpf. Mindestens dafür steht auch Kuhmichel.

  17. Zur Verleihung des „Rubenspreis“ 1941 ergaben Recherchen des Siegener Stadtarchivs: “ ….Die Stadt Siegen veranstaltete am 12. und 13. Juli 1941 eine Rubens-Gedenkfeier, die allerdings im zeitgenössischen Stil politisch gefärbt war. Es fand eine Ausstellung mit Werken von Rubens und anderen zeitgenössischen Künstlern im Siegerlandmuseum statt. Zudem empfing die Stadt Siegen eine Delegation aus Antwerpen, der auch drei Mitglieder des „flandrischen Kulturrats“ angehörten. Es handelte sich um einen Gegenbesuch, nachdem im Vorjahr eine Siegener Delegation zu einer Rubens-Gedenkveranstaltung nach Antwerpen gereist war.
    Des Weiteren wurde vor dem Hintergrund des Rubens-Gedenkens eine mit 2.000 RM dotierte Rubens-Stiftung (an einer Stelle in den Akten auch als Rubenspreis bezeichnet) gestiftet. Die Mittel sollten alle zwei Jahre zum Ankauf von Werken der bildenden Kunst von Künstlern des westfälisch – rniederrheinisch – niederländisch-flämsichen Kulturkreises eingesetzt werden. 1941 wurde Hermann Kuhmichel als erster Künstler mit der Rubens-Stiftung bedacht. Er schuf nämlich eine Rubensbüste, die von der Stadt Siegen erworben wurde. ….“ Quellen: Siegener Zeitung vom 14.07.1941 und der Verwaltungsakten.
    Übrigens, Kuhmichel hat sich selbst ebenfalls zum „Rubenspreis“ geäußert. Dazu werfe amn einen Blick in die hier bereits erwähnte Publikation Henrichs.

  18. Das mehrfach erwähnte Buch von Frieder Henrich ist für die hier aufgeworfene Thematik eher unergiebig. Die abgedruckten Auszüge aus Kuhmichels Briefen (1941-44) nehmen nur ca. 3 Seiten ein. Zur konkreten Frage: Das Wort „Schlamassel“ benutzte er am 18.7.1941: „Meine Gedanken sind … bei Ihnen [Alfred Henrich an der Ostfront] und allen Freunden u. Bekannten, die in dem Schlamassel drinstecken.“ Dann am 13.6.1942: „So langsam ist uns hier klar geworden, was wirklich in Russland vor sich geht u. wie ungeheuer die Leistung der Front gewesen ist.“ Am 14.10.1944 aus Gotha von der Flak-Ausbildung: „Diese verspätete Rekrutenzeit geht auch vorüber, ich sehne mich nach frischer Luft u. nach einem einzigen anständigen Kerl, mit dem ein Wort zu reden ist. Das Verhängnis kettet mich nun schon fast ein Jahr an Menschen, mit denen mich nichts verbindet als die schlechte Luft, die ich mit ihnen teilen muß. Na, es wird mal wieder anders kommen.“ Frustration über den Kriegsverlauf und die persönlichen Beschwernisse: Sicher. Verzweiflung über den Krieg an sich oder pazifistische Gedanken würde ich in die sehr wenigen vorliegenden Dokumente dagegen nicht hineininterpretieren. Wie repräsentativ die sind, lässt sich natürlich ohne Kenntnis des „Privatarchivs Henrich“ und vielleicht noch anderer unveröffentlichter Sammlungen nicht sagen.
    Zum Rubenspreis: „Inzwischen habe ich von der Stadt Siegen den sogenannten Rubenspreis bekommen. Samstag-Sonntag war hier eine ansehnliche Rubensfeier, die Antwerpener Militär- u. Civilverwaltung war hier u. mannhafte Flamen haben viel geredet. Ich kann mir denken, daß es der Stadtverwaltung große Überwindung gekostet hat, mich danach auszuzeichnen. Die Siegener Künstlerschaft fühlt sich, wie immer, zurückgesetzt und da ist auch nicht einer, der ein frdl. Wort an mich gerichtet hat, im Gegenteil, man hetzt u. verleumdet aufs Neue. Wäre ich doch nur aus diesem Kreis heraus!“ Zur Preisverleihung müsste sich eigentlich im Siegener Stadtarchiv Material finden lassen.
    Auch bemerkenswert: „Mein Widersacher, der Oberbürgermeister, hat sich ein Loch in den Bauch geschossen u. wird mir fernerhin kein Leid mehr zufügen.“ (13.6.1942. Alfred Fissmer kehrte allerdings nach dem Suizidversuch und vorübergehender Beurlaubung in sein Amt zurück.) Wenn ausgerechnet Kuhmichel für die von seinem Widersacher so heiß geliebten Kasernen mit der „Kunst am Bau“ beauftragt worden war, wären natürlich die Hintergründe interessant. Vielleicht können die umfangreichen Kasernen-Bauakten im Stadtarchiv Hinweise darauf liefern. (OB Fissmer war von der Wehrmacht als Kommissar für die örtliche Aufrüstung eingesetzt worden, deshalb das viele militärbezogene Material im kommunalen Archivbestand. Das erklärt übrigens auch seine Aktivitäten außerhalb der Stadtgrenzen – v.a. in den Ämtern Weidenau und Freudenberg – zu denen er als Siegener OB nicht legitimiert gewesen wäre.)

        • Kleiner Nachtrag zum Rubenspreis: In der österreichischen Zeitschrift „Die Bühne“ Heft 16 (1941) S. 12, findet sich folgende Notiz zu den Rubensfeierlichkeiten in Siegen: „Aus Anlaß der Rubens-Feier der Geburtsstadt Geburtsstadt Siegen findet im Museum des Siegerlandes in Siegen eine Gedächtnisausstellung ­ mit Rubens-Stichen, Handzeichnungen flämischer Künstler aus der Rubens-Zeit, Holzschnitten, Schabblättern und Dokumenten zum „Fall Rubens“ statt. In der ausliegenden Rubens-Literatur finden die Schriften des holländischen Archivars Bakhuizen van
          den Brink, die die Erkenntnis, daß Siegen die Geburtsstadt Rubens ist, ans Licht gefördert haben, besondere Beachtung. Die eigene Sammlung von Rubens- Stichen konnte das Siegerländer Heimatmuseum durch wertvolle Neuanschaffungen bereichern. Weiter erwarb das Museum eine Rubens-Büste des Bildhauers Hermann Kuhmichel, von der die Lauchhammer-Werke einen Eisenguß angefertigt haben…..“

  19. Nach dem Erscheinen der Broschüre „Kanonen und Kuhmchel“ wandte sich Julius Kuhmichel, der Sohn Hermann Kuhmichels, am 28.10.1985 an die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Siegerland. Der Brief enthält u.a. eine von Julius Kuhmichel erstellte Chronik der Jahre 1930 bis 1956, für diese hatte er Tagebuch(!)aufzeichnungen und Zeitzeugenberichte verwendet. Mit dieser Zusammenstellung wollte er die deutliche Kritik an Kuhmichels Wirken während der NS-Zeit entkräften. Das Schreiben befindet sich mittlerweile im Kreisarchiv Siegen-Wittgenstein unter der Signatur 3.19. (Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Siegerland) Nr. 76 . Die Chronik kann nun hier eingesehen werden: Chronik
    Dank an die CJZ für die Genehmigung!

  20. Dank an das Stadtarchiv für die Zusammenstellung einiger interessanter Angaben zu dieser „Rubens-Gedenkfeier“.
    Dort wird der „flandrische Kulturrat“ genannt, der 1941 zur Rubens-Ausstellung, zur Begründung einer Rubens-Stiftung/eines Rubens-Preises und zur Präsentation von Kuhmichels Rubens-Büste eingeladen und in Siegen vertreten war. Dazu ein paar Sätze.

    Der, wie er hieß, „flämische Kulturrat“ war ein von den NS-Besatzern Belgiens geschaffenes „Lenkungsorgan“ für die „Verflamung bzw. Germanisierung“ Flanderns und bestand aus besatzungsfreundlichen Personen aus Kultur, Wirtschaft und Politik. Insofern wäre es interessant, einmal die Namen der drei Delegationsmitglieder zu erfahren. An der Spitze des Kulturrats stand der Dichter und Feingeist Cyriel Verschaeve, dessen Nachfolger im Jahr darauf Antoon Jacob wurde. Sie beide waren germanophile militante „flamingants“, also niederländisch-niederdeutsche Völkische. Wegen Kollaboration wurde Jacob, der 1944 Mitglied einer flämischen „Exilregierung“ in Norddeutschland war, nach dem Ende der Besatzung festgenommen und inhaftiert, während Verschaeve zum Tode verurteilt wurde. Er hat freilich nach Österreich fliehen können. Später wurde er zu einem Helden und Idol des Vlaamse Militanten Orde, der 1983 verboten wurde. Dieser Zusammenschluss ist besonders durch eine Serie vor wie nach dem Verbot begangener z. T. mörderischer Attentate auf Migranten und Linke bekannt.

    Der Siegen-Besuch aus Flandern folgte einem Siegener Besuch zu einer „Rubens-Gedenkveranstaltung“ im Jahr zuvor in Antwerpen. Das dürfte die Verleihung des Rembrandt-Preises an Hendrik/Henry Luyten 1940 in Antwerpen aus Anlass des 300. Todestages von Peter Paul Rubens gewesen sein, getragen von der deutschen Militärverwaltung, der Hansischen Stiftung und DeVlag. Die Hansische Stiftung war eine Schöpfung des Propagandaministeriums, der Volksdeutschen Mittelstelle, von Hans Friedrich Blunck u. a. NS-Instanzen. 1941 ging der Preis an Raf Verhulst, „Dichter und Volkstumsaktivist“, der bereits im Ersten Weltkrieg als Kollaborateur zum Tode verurteilt worden war. Jede Preisvergabe, ob Rembrandt oder Rubens oder sonst wer, war an eine Genehmigung durch das Propagandaministerium gebunden.

    „DeVlag“ war die Deutsch-Flämische Arbeitsgemeinschaft, gegründet von dem im Siegerland wohlbekannten NS-Kulturfunktionär Franz Petri (http://akteureundtaeterimnsinsiegenundwittgenstein.blogsport.de/verzeichnis/gesamtverzeichnis/#petri2), einem „Organisator der flämischen Kollaborationsbewegung“, dem das „germanisches Volkserbe in Wallonien und Nordfrankreich“ wichtig war und der gerne Belgien als „deutsche Westmark“ statt als „französische Ostmark“ gesehen hätte.

    Nein, um Kuhmichel ging es jetzt nur am Rande, schon aber auch um das Beziehungsgeflecht, das existierte und in dem er, ob etwa am Rande oder anders positioniert, sich bewegte und das bei allen internen Differenzen, die es wie überall auch hier gab, durch und durch nazistisch war. Dass die internen Meinungsunterschiede nach dem NS-Ende genutzt werden konnten und fleißig genutzt wurden, sich zu einem NS-Gegner oder gar -Verfolgten zu machen, Biografien umzuarbeiten und zu glätten, soll nicht weiter erstaunen. Es war das Übliche und sicher in vielen Fällen erforderlich, um möglichst ungestört weitermachen zu können. Es ist schon bemerkenswert, wie wenig Eingeständnisse, etwas falsch gemacht zu haben, aus dieser ja flächendeckend dichten NS-Bevölkerung anschließend und über Jahrzehnte hinweg zu hören waren und wie hoch der Anteil der nun plötzlich als NS-Gegner Auftretenden war, die niemand vorher je in dieser Rolle gekannt hatte und die, wenn es sie gegeben hätte, tatsächlich das System hätten gefährden müssen. Wovon die Forschung nicht ausgeht, wenn sie von einer „Konsensdiktatur“ spricht.

    (zum Nachlesen: Burkhard Dietz, Ulrich Tiedau, Helmut Gabel (Hrsg.), Griff nach dem Westen, Teilband II, Münster 2003)

    • „Die drei Delegationsmitglieder“ werden in einer kurzen Meldung über die Rubensfeier in der „Deutschen Zeitung in den Niederlanden“ (Nr. 32 v. 6.7.1941) genannt:
      Robert van Roosbroeck, Oscar Dambre und Achiel Stubbe (Vornamen von mir nach ein bißchen Googelei ergänzt). Jeder war mit einem Vortrag angekündigt. (Das nur spontan und in Eile. Gründlichere Recherchen überlasse ich dem Rest der Menschheit. Wenigstens bei Roosbroeck dürfte es sich lohnen.)

      • @ Peter Kunzmann, @ Ulrich F. Opfermann: Vielen Dank für die Hinweise zum „Rubenspreis“ 1941! Das schreit ja förmlich nach einer kleinen Miszelle.

        • Nun doch noch eine Ergänzung.
          Das in New York erschienene Journal „News from Belgium“ druckte in seiner Ausgabe Nr. 19 vom 9.8.1941 (in engl. Übersetzung) einen Artikel aus der Kölnischen Zeitung vom 14.7.41 ab, in dem außer den drei oben genannten „Gelehrten“ noch andere Delegierte des „Rubens festival at Siegen“ aufgeführt wurden:
          Leo Delwaide, Bürgermeister von Antwerpen; Jan Grauls, Gouverneur der Provinz Antwerpen; „certain military authorities of Belgium“, unter ihnen „Kriegsverwaltungschef Dr. Delius“. Bei letzterem handelte es sich um den in Siegen geborenen Walter D., Sohn des Siegener OB Anton D., Anfang der 1940er Jahre Stadtkommissar bei der deutschen Militärverwaltung in Antwerpen.

          • Leon Delwaide war der von den Besatzern eingesetzte OB von Antwerpen, ein Politiker einer katholisch-flämischer Partei, sowohl glaubensfester Katholik als auch zutiefst überzeugter Antisemit. Er wird in der belgischen Zeitgeschichtsschreibung für die Deportation von mehr als 3.000 jüdischen Antwerpenern mitverantwortlich gemacht. Es ist jener Delwaide, der nach den Aufzeichnungen des Sohns Kuhmichel 1936 in dessen Atelier besuchte. Dort dürfte er dann sowohl dessen christliche als auch dessen Nazi-Werke kennengelernt haben.

            Es ist an dieser Stelle Anlass, auf die mit zahllosen Biografien belegbare Tatsache zu verweisen, dass Christlichkeit und Nazigläubigkeit sich überhaupt nicht ausschließen mussten. Bekanntlich war der heutige Kreis S/W auch deshalb eine Nazi- Hochburg, weil er eine protestantische Hochburg war. Delwaide aber zeigt an, dass schon bald auch die andere große Konfession angefressen war.

            Nach dem NS-Ende wurde im Zuge der Entnazifizierung der Mythos aufgebaut, bürgerliche Christlichkeit habe gg. Nazitum geradezu immunisiert. Auch Kuhmichel bediente sich dieses Mythos. Wie zu sehen, entfaltet er immer noch einen Nutzen.

  21. Im Bestand „Kreis Siegen, Landratsamt“ befinden sich unter der Nummer 2258 Anträge zur Verleihung des Ehrenkreuzes für Kriegsteilnehmer im ersten Weltkriegs und unter der Nummer 2301 Anträge zur Verleihung des Ehrenkreuzes für Frontkämpfer im ersten Weltkriegs. Diese Ehrenkreuze wurden 1934 und 1935 verliehen. Anträge Kuhmichels liessen sich nicht ermitteln.

  22. Franz Klemens Gieseking schreibt in seinem Artikel: „Westfälische Kunst der Gegenwart. Ein Nachwort zur Großen Westfälischen Kunstausstellung in Dortmund“ in „Heimat und Reich“ Jg. 1935, H. 11, S. 433-438 folgendes zu Kuhmichel: “ …. Überhaupt waren in dieser Ausstellung die Bildhauer zwar nicht zahlreich, aber leistungsmäßig ausgezeichnet und mit ausgeprägten Eigenarten vertreten. Von Hermann Kuhmichels gehaltvoller und überaus gekonnter Gruppenplastik „Liebespaar“ , einer der besten Arbeiten der ganzen Ausstellung, ……“ (zitiert nach: Walter Gödden (Hg.): Westfälische Literatur im Dritten Reich. Die Zeitschrift „Heimat und Reich“. Eine Dokumentation. Teil 1: 1934 – 1937, Bielefeld 2012, S, 198)

  23. Pingback: Rubensfeiern in Antwerpen 1940 und Siegen 1941 | siwiarchiv.de

  24. 2. Diskussionsbeitrag von Dr. Ingrid Leopold:
    „Dem Archivar möchte ich meinen Dank aussprechen für Veröffentlichung des Briefes, den Julius Kuhmichel im Oktober 1985 als Reaktion auf das Erscheinen der Broschüre „Kanonen und Kuhmichel“ an die Gesellschaft für christlich – jüdische Zusammenarbeit verschickte.
    Die Chronik, bestehend aus Tagebuchaufzeichnungen und Zeitzeugenberichten aus den Jahren 1930 bis 1956, enthält Daten und Fakten aus dem Leben des Künstlers, die betroffen machen.
    Hermann Kuhmichel war in der Nazizeit Repressalien und Bedrohungen ausgesetzt, die seine und die Existenz der Familie gefährdeten.
    Kontakte zu „ Volksfeinden“ brachten ihn in große Schwierigkeiten.
    Da war der Nachbar, ein „Kommunist“, dem er zur Hilfe kam, – der „britische Imperialist“, der einen Holzschnitt – Zyklus von ihm erworben hatte,
    oder der bekannte „sowjetische Schriftsteller Maxim Gorki“, mit dem er seit einem gemeinsamen Aufenthalt in der Lungenheilstätte St. Blasien 1927 einen Briefwechsel pflegte.
    Mit seinen Plastiken und Holzschnitten zu alttestamentarischen Themen verherrlichte er „das Weltjudentum.“
    Angedrohte Strafmaßnahmen wie „Ausstellungs – und Schaffensverbot“ oder „Einsatz in einem Strafbataillon an der Ostfront“ konnten durch Einwirkung einflussreicher Freunde abgewendet werden. Sie rieten ihm, sich vorsichtig zu verhalten, und bei seinem künstlerischen Schaffen das Kunstverständnis der damaligen Zeit zu berücksichtigen und sich anzupassen.
    So kamen die Monumentalplastiken bei der Ausgestaltung öffentlicher Bauten zustande.
    Bei den Entnazifizierungsmaßnahmen nach dem Krieg wurde Hermann Kuhmichel im März 1948 als „Entlasteter“ eingestuft.
    Im Oktober 1985 wurde er im Siegerland als „Nazi“ an den Pranger gestellt.
    In der aktuellen Diskussion wird dem Künstler unter anderem vorgeworfen, er habe sich in der Nachkriegszeit nie für seine Mittäterschaft im Dritten Reich entschuldigt.
    Ich frage: „Wofür sollte er sich entschuldigen?“
    Aus meiner Sicht war es Aufgabe und Pflicht der Gegenpartei, – der Kritiker, -nach Kenntnisnahme der Chronik aus dem Leben Kuhmichels die Verleumdungen einzustellen und eine Entschuldigung auszusprechen. Bis heute ist nichts dergleichen erfolgt. „

    • Zwischen 1) Biographieforschung im engeren Sinne (Frau Fries, Frau Dr. Leopold u.a.) und 2) Rezeptionsforschung (hier v.a. U.F.O.) sollte sorgfältig unterschieden werden. Beide Ansätze verfolgen unterschiedliche Fragen, deren Vermengung leicht zu vermeidbaren Frustrationen führt.
      1a) War H.K. Nationalsozialist? Nein.
      2a) Wurde H.K. von den nationalsozialistischen Machthabern vereinnahmt? Ja.
      1b) Warum hat er das zugelassen? Materielle Notlage, Sorge um seine Familie, als sozialer Außenseiter ein leichtes Opfer für Erpressung …
      2b) Spricht ihn das von seiner Verantwortung als Künstler frei? Nein, denn für die Wahrnehmung von Kunst im öffentlichen Raum spielt die persönliche Tragik des Künstlers keine Rolle. Ob z.B. ein Kriegerdenkmal freiwillig von einem glühenden Militaristen oder im gleichen Stil unter Zwang von einem heimlichen Pazifisten geschaffen wurde, ist für die Betrachter gleichgültig; sie sehen darin ein „Vorbild“ des propagierten Zeitgeistes und werden davon ggf. in dessen Sinne beeinflusst.
      1c) Wie stand H.K. nach 1945 zu seiner vorangegangenen Schaffensphase? Vielleicht wird sich das aus den Lebensdokumenten nie erschließen; vielleicht gab es im engsten privaten Kreis Bekundungen von Scham und Reue; vielleicht war es ihm einfach zu peinlich, öffentlich dazu Stellung zu nehmen; vielleicht war ihm die öffentliche Wahrnehmung seiner Person egal … — manches ist denkbar.
      2c) Eignet sich der ambivalente H.K. nach 1945 als Vorbild? Sicher nicht — was aber zu der allgemeineren Frage führt, warum „prominente“ Menschen, die ebenso widerspruchsvoll sind wie jeder „Namenlsose“, überhaupt als Vorbilder in Anspruch genommen werden sollen. H.K. stand, wenn ich mich recht erinnere, vor einigen Jahren auf der Kandidatenliste für die Wahl des „größten Siegerländers aller Zeiten“ (oder der letzten 200 Jahre). Solche an den Heroenkult vergangener Epochen erinnernde Veranstaltungen scheinen mir wenig hilfreich für die Schärfung des historischen Blicks zu sein.

      • Danke für den Beitrag! Ein kleine Richtigstellung sei aber erlaubt: Hermann Kuhmichel stand nicht auf der Kandidatenliste der „20 Größten“ anlässlich des 200jährigen Jubiläums des Kreis Siegen-Wittgenstein.

          • Alles gut. Ich habe selber zur Vorsicht einmal nachgesehen. Es gab ja ein umfangreichere Liste, aus der die 20 Vorschläge ermittelt wurden. Übrigens wurde dieser längere Liste weiterbearbeitet, u.a. mit der Rubrik „Zwielicht“. Sie können sicher erraten, wer darin Platz gefunden hat. Ich meine berechtigterweise, wie die laufende Diskussion zeigt.

  25. a) Kleiner Nachtrag zu dem belgischen Politiker Léon Delwaide, einem katholischen Glaubensbruder, dem nach dem Manuskript des Kuhmichel-Sohns der Künstler seinen Auftrag zu einer Rubens-Büste zu verdanken hatte und den er schon 1936 kennenlernte:
    „We believe that Leon Delwaide carried the responsibility for the arrest, the deportation, and the death of more than 3.600 Jews from Antwerp. (Sylvain Brachfeld, A gift of life. The deportation and the rescue of the Jews in occupied Belgium (1940-1944), Jerusalem 2007, S. 31
    Delwaide: „a blatant antisemite and xenophobe before the war and who became the mayor of Antwerp during the occupation (David Bankier, Israel Gutman (Hrsg.), Nazi Europe and the Final Solution, Jerusalem 2009, S. 486)

    b) Ob Rubens-Büste, Ehrenbriefkassette, die verschiedenen Soldaten-/Offiziersdarstellungen oder später die Ausschauende oder „Das Wirtschaftswunder: Was K. mit „entarteter Kunst“ zu tun gehabt haben könnte, ist einfach unbegreiflich. Seine bislang öffentlich bekannten Kunstwerke sind ausnahmslos von einer derart biederen und für einen Künstler derart durchschnittlichen und unauffälligen, geradezu antimodernen Machart, dass auf diese Idee selbst der bösartigste völkische Kritiker unmöglich kommen kann. Wie sich das zusammenreimen könnte, ist absolut rätselhaft.

  26. Im Anschluss an
    http://www.siwiarchiv.de/rubensfeiern-in-antwerpen-1940-und-siegen-1941/#more-21736
    das Fazit gerne hier:
    Die Heimatszene, in der Kuhmichel sich bewegte, arbeitete und erfolgreich war, war offen, nicht für „entartete Kunst“, sondern für völkisch-heimatliche, die den völkischen Zusammenhalt stärkte. In Westfalen, dem das Siegerland bekanntlich entgegen seiner Geschichte zugeschlagen wurde, wie in Flandern. Sie war bei Licht betrachtet allerdings ein Sumpf. Die umfangreiche öffentlich bekannte NS-Produktion von Kuhmichel, die nach Aussagen Jahrzehnte später angeblich das „Verhungern“ der Familie verhindern sollte, belegt das.

  27. Pingback: Führung durch die Ausstellung “Hermann Kuhmichel – Leben und Werk” | siwiarchiv.de

  28. Heute habe ich mir die Kuhmichel Ausstellung in Freudenberg angesehen.
    Das vielfältige künstlerische Schaffen von Kuhmichel wird durch die verschiedenen Exponate eindrucksvoll dargestellt und hat mich schon beeindruckt. Über den künstlerischen Gehalt lässt sich diskutieren, die Wahrnehmung von Kunst bleibt etwas Individuelles.
    Neben den Exponaten der Ausstellung gab es viele Bilder von Kuhmichels
    Kunst im öffentlichen Raum z. B. der Skulpturen in der Wenscht.
    Es fehlten allerdings die Fotos seiner militärischen Figuren oder der von ihm gestalteten Ehrenbriefkassette von 1933. Die kurze Darstellung der Zeit von 1933 – 1945 auf dem ausliegenden Flyer reicht nicht aus, um die Rolle Kuhmichels in dieser Zeit ausreichend dar zu stellen. Die Zeitungsartikel zur Rubenspreisverleihung von 1941 sind leider ohne Kommentierung bezw. einer Einordnung in den hist. Kontext ausgelegt. Das ist so zu wenig.
    Kuhmichel mag dem NS vielleicht abgelehnt haben, arrangiert hat er sich aber mit ihm. Bestimmt hätte er seine Familie mit anderen künstlerischen Tätigkeiten über Wasser halten können aber er ging den Pakt mit dem Teufel ein und hat geliefert wie gewünscht! Genau dieses Mitläufertum hat dem Faschismus Halt gegeben und seine Macht gefestigt, besonders wenn es sich um bekannte (hier regional bekannte) Personen handelte. Dazu bedurfte es keiner innerlichen Akzeptanz des NS oder einer Parteimitgliedschaft.
    Leider kommt dies alles in der Ausstellung nicht vor und hier kann ich nur aus dem ersten Beitrag von Dr. Opfermann zitieren „…wird drei, vier Generationen später wieder von heimat- und bildungsbegeisterten Bürgern gefeiert. Als sei nichts geschehen.“ Liebe AusstellungsmacherInnen in Freundenberg ich schätze ihre Arbeit sehr, die Ausstellungen zu Adolf Sänger und Karl Jung-Dörfler haben mir sehr gut gefallen, aber so wie in dieser Ausstellung zu Kuhmichel geht es einfach nicht!

  29. 1. Danke für den Bericht über den Ausstellungsbesuch und die konstruktive Kritik.
    2. Ich muss allerdings anmerken, dass auch Saenger ein – um Ton der Kuhmichel-Kritiker zu sprechen – Nazi-Künstler war. Auch Saenger hat Aufträge für NS-Ministerien in Berlin ausgeführt – s. a. http://akteureundtaeterimnsinsiegenundwittgenstein.blogsport.de/a-bis-z/gesamtverzeichnis/2/#saenger. Nicht das hier ein falscher Eindruck entsteht.

  30. Der Kuhmichel-Artikel im Regionalen Personenlexikon wurde inzwischen ergänzt (http://akteureundtaeterimnsinsiegenundwittgenstein.blogsport.de/verzeichnis/gesamtverzeichnis/#kuhmichel1). Das Regionale Personenlexikon ist kein Verzeichnis großer regionaler Persönlichkeiten, sondern eins zu Personen, die in der und für die NS-Bewegung, bei der und für die Machtübergabe und während der Geschichte des nachfolgenden Herrschaftssystems in der Region eine Rolle spielten. Es nennt viele personengebundene Daten, die im regionalen Nach-NS-Narrativ häufig fehlten und die z. T. immer noch nicht aufgenommen sind. Ich zitiere von dort:

    „… ein hoch talentierter Künstler mit einer überaus vielfältigen Schaffenspalette. Von ihm entstanden Eisengussplatten und -skulpturen, Steinskulpturen und -reliefs, solche aus Holz und Metall, Wandputzbilder (Sgraffitos), Glasmalereien, Monotypien, Holzschnitte, Kohlezeichnungen oder sogar Wandteppiche …“ (Werbetext des Veranstalters, des 4Fachwerk-Mittendrin-Museums, für die Ausstellung [November/Dezember 2019]), das heißt: keine zeitlichen Verweise

    „Sein erstes Siegerländer Atelier entsteht 1929 in einem stillgelegten Fabrikgebäude in der Siegener Flurenwende, das später den Krieg nicht übersteht. Den Neuanfang nach dem 2. Weltkrieg wagt Kuhmichel 1953 mit dem Umzug in ein eigenes Haus mit Atelier am Weidenauer Schneppenberg. … Die Ausstellung ermöglicht einen fundierten Überblick über die große Bandbreite seines Schaffens von monumental wirkenden Standbildern bis hin [zu] berührenden fadenfein ausgeführten Textilbildern.“ (Freudenberg online, Werbetext des Veranstalters, undat. [November/Dezember 2019])

  31. Ich bin schon sehr erstaunt über die Energie, sich über die Neigung eines längst Verstorbenen Künstlers zum Faschismus auszutauschen.
    Und würde mir wünschen, dass mit der gleichen Verve gegen heutige Hass schürende Mitbürger vorgegangen würde. Dafür ist aber leider schon wieder ein Maß an Zivilcourage erforderlich. Und nicht so billig zu haben.
    Ich glaube im übrigen aus eigener Erfahrung niemandem, der behauptet, Auftragsarbeiten nicht entgegen genommen zu haben! Dafür steht mir zu sehr der opportunistische vorauseilende Gehorsam meiner Kollegen in einem hierarchischen Gefüge vor Augen

  32. Es hat mich ebenfalls gewundert, dass die Kuhmichel-Diskussion hier bei der Ankündigung entstanden ist. Aber der Verve ist doch begrüßenswert. Denn Kuhmuchels Werk ist ja nicht Vergessen, sondern integraler Bestandteil aktueller Siegener Erinnerungskultur – Rubensbrunnen am Oberen Schloss, Ausschauende am Unteren Schloss, Wächter auf der Kreisgedenkstätte in Siegen-Gosenbach. So wird die vermeintlich akademische Diskussion m. E. sehr aktuell.

  33. Ein bisschen Eergie ist tatsächlich erforderlich, um sich über das private Gespräch hinaus gegen den Mainstream artikulieren zu können. Die wenigsten von uns verfügen schließlich über einen nennenswerten öffentlichen Einfluss oder sind gar Eigner von Medien. Ich hatte anfang des Monats einen Leserbrief an die WR (mit der WP und anderen Medien Teil der „Funke-Gruppe“) geschrieben, der zur dort angesprochenen Kuhmichel-Kontroverse Stellung nahm. Leider erschien er nicht. Er ging so:

    „Als Klaus Dietermann, der spätere Gründer der heutigen Siegener NS-Gedenkstätte 1985 mit seiner Schrift „Kasernen und Kuhmichel“ an den Künstler erinnerte, ging es ihm darum, eine Lücke im kollektiven Gedächtnis zu schließen. Die Nazis hatten Mitglieder, Unterstützer und Helfer wie überall so auch im Siegerland auch im christlichen Bildungsbürgertum gehabt. Nein, weder Dietermann noch irgend jemand sonst hat je behauptet, dass Kuhmichel selbst ein eingeschriebener Nazi gewesen sei. Ob das so war oder nicht, wie weit die Schnittmenge Kuhmichels mit nazistischen Überzeugungen etwa beim Abarbeiten der Nazi-Aufträge tatsächlich reichte, ist bis heute nicht hinreichend geklärt. Es ging einfach um die Tatsache von Kuhmichels Auftragskunst für das NS-System. Die war damals vielen unbekannt.

    Die Freudenberger Ausstellung kehrt leider in ihren biografischen Verweisen explizit zu den Auslassungen der 1950er bis 1980er Jahre zurück. Sie revidiert den erreichten Kenntnisstand, vertritt einen regionalen Geschichtsrevisionismus. Anders als Dietermanns Schrift klärt sie nicht auf, sondern deckt zu. Dem schwierigen Bemühen des Siegerländer NS-Gedenkens arbeitet sie nicht zu, sondern entgegen. Das ist sehr bedauerlich.“

    • Der gestrige Vortrag von Frau Dr. Ingrid Leopold im 4Fachwerkmuseum Freudenberg straft das Gesagte von Herrn Opfermann Lügen.

      Es wäre nach wie vor interessanter zu wissen, was man in der Gegenwart tun kann, um dem neu erwachten rechten Gedankengut die Stirn zu bieten, damit dies nicht zum „Mainstream“ werden kann.

      • Die Diskussion einer regionalen bzw. lokalen Person der Kunstgeschichte bzw. der Zeitgeschichte ist in unserem regionalarchivischen Weblog nicht ungewöhnlich. und liefert durchaus Ansätze, „um dem neu erwachten rechten Gedankengut die Stirn zu bieten“. Es geht hier wie dort um Differenzierung auf der Grundlage umfassender Fakten(recherche).

  34. Es wird ja niemand davon abgehalten, das zu tun. Hier aber lautet aus Anlass dieser Ausstellung das Thema „Kuhmichel“. Wie von den Auststellungsmachern mit der NS-Vergangenheit Kuhmichels umgegangen wurde, ist oben nachzulesen. Sie selbst sind es die sprechen.

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