“ Nach dem Zweiten Weltkrig entstand mit Nordrhein -Westfalen ein neues Bundesland. Die Briten als Siegermacht schufen es 1946 aus eigenen Stücken. Weniger bekannt ist, dass sie sich dabei der Expertise deutscher Fachleute bedienten und auf Pläne zurückgriffen, die bereits mehr als 20 Jahre zuvor öffentlich diskutiert worden waren …. Dabei handelt es sich keineswegs um ganz neue Erkenntnisse, sondern lediglich um die Zusammenführung zweier historischer Komplexe, die bislang völlig unverbunden betrachtet worden waren.
Bei dem einen handelt es sich um die Diskussionen über eine „Reichsreform“ in den Jahren 1919 bis 1930. In denen es nach der Gründung der Weimarer Republik darum ging, das übermächtige Preußen aufzulösen und durch neue, mit den übrigen in etwa vergleichbare eigenständige Länder zu ersetzen. Es gab hierzu unzählige Kommissionen, Konferenzen, Modelle und Beschlüsse, die mit immer neuen Statistikenund Karten unterlegt waren. Vor allem Verkehrsingenieure und Wirtschaftsgeographen taten sich herbei hervor.
So auch der spätere Pressechef der Deutschen Reichsbahn, Hans Baumann, der in seiner 1925 erschienen Dissertation über das mitteldeutsche Braunkohlengebiet den Plan des Regierungsbaurates H. Rabe zur Neugliederung des Reiches in elf bzw. zwölf „Wirtschaftsgebiete“ aufgriff und leicht modifizierte. Baumann teilte die alte Rheinprovinz entlang der Grenze zwischen den Regierungsbezirken Köln und Koblenz, fügte den Kreis Wittgenstein Westfalen zu und gliederte Schaumburg-Lippe dem neuen Land „Niedersachsen“ an, während Lippe-Detmold ebenfalls zu Westfalen kommen sollte. Fertig war das Land „Rheinland-Westfalen“, mit der Hauptstadt Köln, nahezu exakt in den heutigen Grenzen von NRW zuzüglich der Kreise Altenkirchen und Waldeck. ….. Der Rabe-Baumann-Entwurf ließ sich nicht so sehr von dynastischen oder politischen Traditionen leiten, sondern wie viele andere Modelle jener Zeit von wirtschaftlichen, demographischen, sozialen und verkehrstechnischen Gesichtspunkten. …..Interessant sind die Bezeichnungen, die diese neuen Gebilde erhalten, obwohl sie auch weite Teile Westfalens einbeziehen „Niederrheinische Wirtschaftsprovinz“ oder schlicht „Niederrhein“.
Dieser Begriff taucht auch in einem Plan des Kreisauer Kreises über die Neugliederung des Reiches in zehn Reichsländer aus dem Jahr 1943 auf. Die Autoren, darunter die später im Zusammenhang mit dem Attentat des 20. Juli 1944 hingerichteten Widerstandskämpfer Fritz-Dietlof von der Schulenburg und Josef Wirmer, fassen ebenfalls Westfalen – bei Abtrennung der Kreise Minden, Warburg und Siegen-Wittgenstein [sic!] – und dem Nordteil der Rheinprovinzzusammen, und ergänzen diese Gebiete, wahrscheinlich aus konfessionellen Gesichtspunkten, jedoch um den Regierungsbezirk Osnabrück, deas Emsland und das Oldenburger Münsterland, allesamt katholisch dominierte und geprägte Regionen. Das so zusammengesetzte neue Land sollte übrigens „Niederrhein-Westfalen“ („NRW“!) heißen.
Sämtliche Vorschläge blieben folgenlos, aber sie waren – mit Ausnahme der Planspiele des Kreisauer Kreises – in den 1920er und 1930er Jahren öffentlich zugänglich und unter den Verwaltungsbeamten Preußens und des Reiches wohlbekannt …..“
Quelle: Guido Hitze [Historiker und Leiter der Planungsgruppe des Landtages „Geschichte, Politik und Demokratie Nordrhein-Westfalens]: „NRW – eine deutsche Idee?“, in: Rheinische Post, Magazin E 1, 16.3.2019 [mit Karten]