Umbenennung der Alfred-Fißmer-Anlage in Siegen

Tagesordnungspunkt 4.3 des Haupt- und Finanzausschusses der Stadt Siegen, 30.5.2018

Die Anregung gemäß § 24 der Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen zur Umbenennung ist am 27. März 2018 eingegangen. Im Schreiben „beantragt der Petent, dass der Platz neben der Nikolaikirche in Zukunft nicht mehr nach dem früheren (Ober-)Bürgermeister Siegens, Alfred Fißmer, benannt werden soll. Zur Begründung führt der Petent an, dass sich die Sichtweise auf die Rolle aus dem heutigen Blickwinkel verändert habe, insbesondere vor dem Hintergrund seiner Tätigkeiten …. während des Nationalsozialismus.“
Der Verwaltung formuliert nun in ihrer Vorlage 1894/2018 folgenden Beschlussvorschlag: „Der Haupt- und Finanzausschuss des Rates der Universitätsstadt Siegen beschließt, eine endgültige Entscheidung über die Anregung, die Alfred-Fißmer-Anlage umzubenennen, soweit zurückzustellen, bis eine sach- und fachgerechte Beurteilung der Rolle des ehemaligen (Ober-)Bürgermeisters insbesondere in der Zeit von 1933 bis 1945 möglich ist.“
Dazu heißt es in der Vorlage: “ ….. Diese Gesamtbetrachtung könnte durch das Archiv der Stadt Siegen in Kooperation mit der Universität Siegen übernommen werden. Beide Partner planen zum Wintersemester 2018/2019 eine Ausstellung mit dem (Arbeits-)Titel „Die Verwaltung der Stadt Siegen in der Zeit des Nationalsozialismus“. In diesem Zusammenhang sind auch umfangreiche Recherchearbeiten zur Person Alfred Fißmer avisiert, auch anhand von neueren Akten, darunter auch seine Entnazifizierungsakte, die derzeit gesichtet und zumindest als Abschrift dem Stadtarchiv Siegen überlassen werden sollen.
Deshalb schlägt die Verwaltung vor, die Ergebnisse der Recherchearbeiten abzuwarten, um sich dann ein Gesamtbild über die Person Alfred Fißmers machen zu können. Danach ist vermutlich eine fundierte Aussage erzielbar, aus der möglicherweise weitere Schritte abgeleitet werden können. ….“

aus: Deutsche Verlustlisten Liste Pre[eußen] 662, Ausgabe 12 14 v. 18.10.1916, S. 15622 via http://wiki-de.genealogy.net/Verlustlisten_Erster_Weltkrieg/Projekt

Zur Umbenennung der Alfred-Fißmer-Str. 1947 s. Marcus Weidner, Datenbank der Strassenbenennungen in Westfalen-Lippe 1933 – 1945, Eintrag Stadt Siegen

siwiarchiv hat für eine erste Information über die Person Alfred Fissmer Links, Literatur und Zeitungsartikel zusammengestellt:

Links:
Regionales Personenlexikon des Nationalsozialismus für die Altkreise Siegen und Wittgenstein, Eintrag Alfred Fissmer, Aufruf: 24.5.2018 [Anm: Eintrag enthält weitere hier nicht mehr aufgeführte Literatur und Quellen]
Seite „Alfred Fissmer“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 14. April 2018, 20:42 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Alfred_Fissmer&oldid=176506542 (Abgerufen: 24. Mai 2018, 05:35 UTC) [Anm: Eintrag enthält weitere hier nicht mehr aufgeführte Literatur und Quellen]
Internet-Portal „Westfälische Geschichte“, Eintrag Alfred Fißmer, Aufruf: 24.5.2018
Zeit.Raum Siegen (Wiki), Eintrag Alfred Fißmer, Aufruf: 24.5.2018
„Geehrte Täter – belastete Straßennamen im Siegerland und Wittgenstein´schen“, Eintrag Alfred Fißmer, Aufruf: 24.5.2018

Links zum Bunkerbau:
Zeit.Raum Siegen (Wiki), https://wiki.zeitraum-siegen.de/orte/hochbunker, Aufruf: 25.5.2018
Altkemper, Daniel: Die Stadt Siegen und ihre Bunker, Regioport Siegerland, Aufruf: 25.5.2018

Literatur:
Bäumer, Herbert: Von der Wehrmacht zur belgischen Garnison. Der Militärstandort Siegen in Wort und Bild. Dokumentation aus Anlass des Abrisses der Kasernengebäude, Siegen 2001, S. 13ff
Dröge, Martin (hg.): Die Tagebücher Karl Friedrich Kolbows (1899 – 1945). Nationalsozialist der ersten Stunde und Landeshauptmann der Provinz Westfalen, Paderborn 2009, S. 499, 578
Irle, Lother: Siegerländer Persönlichkeiten- und Geschlechter-Lexikon, Siegen 1974, S. 89
Mecking, Sabine: „Immer treu“. Kommunalbeamte zwischen Kaiserreich und Bundesrepublik, Essen 2003.
Opfermann, Ulrich Friedrich: Siegerland und Wittgenstein im Nationalsozialismus.Personen, Daten, Fakten. Ein Handbuch, Siegen 2001, S. 222 [Registereintrag mit den Fundstellen im Text]
Pfau, Dieter: Christenkreuz und Hakenkreuz. Siegen und das Siegerland am Vorabend des „Dritten Reiches“, Bielefeld 2000, S. 246 [Registereintrag mit den Fundstellen im Text]
Pfau, Dieter (Hg.): Oberbürgermeister Alfred Fißmer (1878-1966)in: Kriegsende 1945 in Siegen. Dokumentation der Ausstellung 2005, Bielefeld 2005, S. 138-139.
Schawacht, Jürgen H.: Sollten Flieger kommen, wir sind gewappnet!, in: Dietermann, Klaus/Schawacht, Jürgen H.: Die Zerstörung einer Stadt – Siegen 16. Dezember 2.1944, Siegen 1994, S. 15ff
„Siegens Stadtoberhäupter von 1815 bis 1945“, in Unser Heimatland 41 (1973), S. 96 – 98
Siegerländer Heimatkalender 1968, S. 152
Stahl, Joachim: Bunker und Stollen für den Luftschutz im Raum Siegen. Kreuztal 1980

Zeitungen:
Siegener Zeitung:
„Oberbürgermeister Alfred Fißmer. Zu seinem 60. Geburtstag“, Jg 116, Nr 39 v. 16.4.1938
[Carl Steingaß:] „25 Jahre Oberbürgermeister Alfred Fißmer“, Jg 122, Nr 191 v. 16.8.1944.
„In Krieg und Frieden ein Vater der Stadt“, 16.4.1953
„Alfred Fißmer wurde Ehrenbürger“, 17.4.1953
„Stadtoberhaupt in schwerer Zeit. Zum 80. Geburtstag v. Alt-Oberbürgermeister Alfred Fißmer“ Jg. 136, Nr 88 v. 16.4.1958
16.4.1963
„Oberbürgermeister i.R. Alfred Fißmer. Im alter von 88 Jahren starb Siegens „volkstümlichster Bürger“, 15.12.1966
„Siegen nahm Abschied von Alfred Fißmer“, 20.12.1966

Westfalenpost/Siegerländer Ztg.
7.2.1947, 17.4.1965
[Frank Schürmann:] „Ein Weg vom Mäckes zum Ehrenbürger. Siegen trauert um Alfred Fißmer“ Jg 21, Nr 291 v. 16.12.1966
21.12.1966

Westfälische Rundschau: 16.12.1966, 20.12.1966

Freiheit/Regionalteil: „Umbenennung der Straßen“ [Siegen: Alfred-Fißmer Str. zu Walter-Krämer Str. oder zu Hubertusweg], 18.2.1947

Zur aktuellen Umbenennungsdiskussion in den Medien s.
Westfalenpost, 19.1.2018, 24.5.2018 [Hinweis: Auf der Facebook-Seite der Westfalenpost wird dieser Artikel diskutiert],
Siegener Zeitung, 24.5.2018 [Hinweis: Auf der Facebook-Seite der Siegener Zeitung wird dieser Artikel diskutiert], 25.5.2018 [nur Print: Leserbrief „Schäbiger Versuch“]

Zu Umbenennungen von Hindenburgstraßen in Siegen und Hilchenbach s. https://www.siwiarchiv.de/siegener-strasenbenennungen-in-der-ns-zeit/
Zur Benennung eines Weges nach Wilhelm Schmidt in Wilnsdorf s. https://www.siwiarchiv.de/strassenbenennung-nach-wilhelm-schmidt-in-wilnsdorf/

159 Gedanken zu „Umbenennung der Alfred-Fißmer-Anlage in Siegen

      • Das Geburtsjahr ist im o. g. Eintrag korrigiert.
        Im Zusammenhang mit dem Siegener Synagogenbrand bin ich auf ein Zitat aus dem Aufsatz Kurt Schildes „NS-Verbrechen „vor der Haustür“ – Novemberpogrome 1938 Vergleich der juristischen Aufarbeitung 1948 in Felsberg und Siegen“, in: Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte (2011), Band 12, Seiten 91-116 aufmerksam geworden. Im Wikipedia-Artikel zu Fissmer – https://de.wikipedia.org/wiki/Alfred_Fissmer – heißt es: „…..Von der Siegener Staatsanwaltschaft wurde Fissmer 1948 zu dem Novemberpogrom 1938 befragt; gegen ihn selbst lagen dabei keine entsprechenden Beschuldigungen vor. Er sagte aus, dass er von der Aktion nicht in Kenntnis gesetzt worden sei und erst am Vormittag des 10. November von dem Brand der Synagoge Siegen erfahren habe. Danach habe er in seiner Funktion als „Polizeiverwalter der Stadt Siegen“ Polizei und Feuerwehr verständigt. Aus der Befragung ging nicht hervor, ob Fissmer selbst vor Ort war.“ Als Quelle wird S. 106 des Aufsatzes genannt.

        Die regionalhistorische Forschungen (Klaus Dietermann, Kurt Schilde [Siegener Beiträge 2003], Ulrich F. Opfermann) terminiert den Brand der Synagoge auf den späten Vormittag (ca. 12:00) und geht von einer Zerstörung der Synagoge bis auf die Grundmauern aus s. a. https://de.wikipedia.org/wiki/Synagoge_Siegen .

  1. Heute erschienen in der Print-Ausgabe der Siegener Zeitung zwei Leserbriefe, die sich gegen eine Umbenennung aussprechen: „Ideologisch motiviert“ und „Vollkommen absurd“

    • Mit diesen Leserbriefen hat eine Diskussion begonnen, die in ihren ersten Beiträgen an lokalpatriotischer Kleinkariertheit nicht zu übertreffen ist. Hauptvorwurf gegen den offenbar in Netphen beheimateten Siegerländer Bürger, der den Wunsch nach einer Umbenennung äußert: Er komme ja doch aus Netphen. Wie könne er sich da erdreisten usw. Ein dorfgemeinschaftlicher Appell soll die ortsfremden Überlegungen fernhalten.
      Na, ohne hier groß auf Fissmer (so schrieb er selbst sich, mit doppeltem „s“. Wer die Quellen kennt, der weiß das) eingehen zu wollen. In Netphen war Andreas Vomfell ein Zeit- und Amtsgenosse von Alfred Fissmer. Vomfell war Mitglied des Zentrums und anders als Fissmer ein NS-Opponent und Verteidiger der Weimarer Verfassung. Bei ihm fanden 1933 Hausdurchsuchungen durch die SA inklusive Übergriff gegen die Tochter statt. Vomfell wurde von den Nazis aus seinem Amt vertrieben.
      Gerade von Netphen also lässt sich zur Zeitgeschichte etwas dazulernen: Es ging auch anders. Auch in den 1920er/30er Jahren musste man im Siegerland nicht zum Nazi werden.

      • Heute erschien in der Printausgabe der Siegener Zeitung ein Leserbrief – „Fass ohne Boden“ – , der auf den o. g. Bezug nimmt und kritisch auf die Finanzierung des Projekt blickt, das die Namensdiskussion auslöste.

    • Liege ich sehr falsch mit der Annahme, es handele sich bei den Leserbriefen quasi um inoffizielle Stellungnahmen des Siegener Kriegervereins? (Ich weiß, der hat sich irgendwann mal umbenannt.) Dass die beiden Autoren (Ex-Pressereferent + Schützenkönig) sich fürsorglich vor ihren alten Vereinskameraden Fissmer stellen, ist menschlich nachvollziehbar und ein Ausdruck von Loyalität. Die abstrusen Inhalte zu kommentieren, wäre Energieverschwendung. Man muss Prioritäten setzen.

  2. In einem der Leserbriefe wird als postnationalsozialistischer Unterstützer und Leumundszeuge von Fissmer ein Wilhelm Langenbach genannt, der 1954 Fissmer lobte, weil dieser als Bunkerbauer „die Zeichen der Zeit rechtzeitig verstanden habe“, sprich, erkannt habe, dass Hitler Krieg bedeutete. So sagten es allerdings bereits vor 1933 die NS-Gegner. Sie warnten damit vor der völkischen Machtergreifung durch die NSDAP und Bundesgenossen. Während von Fissmer, der sich ihnen insofern hätte anschließen können, in dieser Richtung kein Wort überliefert ist, wohl aber, dass er mit der Kriegsvorbereitung nach 1933 umgehend anfing: Garnison, Kasernen, Wehrmachtsdepot, Bunker für die Volksgemeinschaft und manches mehr.
    Leumundszeuge Langenbach dürfte darin nichts Schlimmes gesehen haben. Zu den NS-Gegnern gehörte er ebenso wenig wie Fissmer. Der städtische Fürsorgesekretär war seit den 1920er Jahren Mitglied der Deutschvölkischen Freiheitspartei, einer engen Nachbarin der NSDAP, im Stahlhelm und in der Gesellschaft Deutsche Freiheit des Antisemiten Reinhold Wulle. Obwohl erst 1936 in die NSDAP aufgenommen – ein Ehrenzutritt während der allgemeinen Aufnahmesperre –, erhielt er den Titel „Alter Parteigenosse“, eine Auszeichnung.
    Fissmer als Dienstherrn störte das nun nicht. Langenbach war nicht der einzige Verfassungsfeind in städtischen Diensten. Unter Fissmers Augen recherchierte Langenbach nach „Asozialen“, das waren für ihn gern Kombinationen aus den Vorstellungswelten „Zigeuner“ und „Kommunist“. Die von Langenbach erarbeitete umfangreiche kommentierte Liste ging anschließend an die Rassenhygienische Forschungsstelle in Berlin. Die listete einschlägige rassische Risikoträger für ihre spätere Deportation auf. Die der als „Zigeuner“ Verfolgten führte nach Auschwitz.
    Langenbach war ein Gegner der Beseitigung von „Asozialen“ und „Zigeunern“ auf dem Weg ihrer Sterilisierung. Er vertrat eine anderes Konzept. Er gab zu bedenken, „daß, selbst wenn die weitere Fruchtbarkeit solcher asozialer Schädlinge eingedämmt würde, sie selbst nach wie vor am Leben bleiben und noch auf Jahrzehnte hinaus der Gesamtheit zur Last fallen.“ (Volk und Rassse. Illustrierte Monatsschrift für deutsches Volkstum, H. 1, 1939)
    Spätestens 1949 leitete er übrigens das Wiedergutmachungsamt der Stadt Siegen und erhielt noch wieder später für seine Leistungen das Bundesverdienstkreuz.

  3. Leserbrief der VVN-BdA Siegerland-Wittgenstein, erschienen in der SZ und der WP am 30.5.2018

    Es ist sehr zu begrüßen, das sich der Haupt- und Finanzausschuss der Stadt Siegen mit der Namensgebung der öffentlichen Grünanlage in der Oberstadt befassen wird und sich mit der Person und der Vita von Alfred Fissmer auseinandersetzten muss. Leider geschieht dies nicht aus Eigeninitiative der gewählten Ratsmitglieder und ihrer Gremien, sondern wieder einmal bedurfte es des Anstoßes von „Außen“ um sich mit einem belasteten Namensgeber im öffentlichen Raum zu befassen.
    Es ist sinnvoll, sich vor Augen zu führen, was ein Straßenname, oder die Benennung einer öffentlichen Anlage eigentlich bedeutet. Straßennamen sind immer Teil der Erinnerungskultur einer Gesellschaft und somit identitätsstiftend, dies gilt auch für die regionale Erinnerungskultur. Straßennamen nach Personen sollten also nur in den Kanon der Erinnerung aufgenommen werden, wenn die Integrität der Person geeignet ist, als Vorbild für nachfolgende Generationen zu dienen. Die Ehrung einer Person im öffentlichen Raum, zum Beispiel durch einen Straßennamen, ist eine der höchsten, die eine Gesellschaft vergeben kann.
    Wie verhält es sich nun im Fall der Fissmer-Anlage?
    Der Namensgeber Alfred Fissmer war nach bisherigem Kenntnisstand immer deutschnational gesinnt, von dieser Gesinnung bis zur Mitgliedschaft in der NSDAP war es nicht weit, was sein Aufnahmeantrag von 1933 belegt, durch den Aufnahmestopp konnte er erst 1937 Parteimitglied werden. Er tritt aber 1933 als förderndes Mitglied der verbrecherischen SS bei.
    Es sind diese beiden Mitgliedschaften, die ihn für eine Ehrung im öffentliche Raum ausschließen, gleich aus welchem Grund sie erfolgten, gleich welche Verdienste er sich auf anderen Gebieten erworben haben mag.
    Es sollten keine Straßen oder Plätze nach Mitgliedern der NSDAP oder ihrer Untergliederungen benannt werden! Sie gehören nicht in den Kanon der
    öffentlichen Erinnerung unserer Stadt und Region.
    Keine Ehrung von Mitgliedern der NSDAP im öffentlichen Raum!
    Dieser Satz sollte eine allgemeingültige Handlungsmaxime sein.
    Der Vorschlag, eine umfassende Biographie Fissmers durch MitarbeiterInnen des Stadtarchivs und der Universität Siegen erarbeiten zu lassen, um so eine Entscheidungsgrundlage zu erhalten ist ebenfalls zu begrüßen und diese Verfahrensweise sollte in Zukunft zum Standard der Universitätsstadt Siegen gehören und bestehende, nach Personen benannte Straßennamen, sollten entsprechend überprüft und gegebenenfalls umgewidmet werden. Ebenso sollte eine öffentliche Diskussion mit BürgerInnen und Organisationen angeregt werden.

    VVN-BdA Siegerland-Wittgenstein

  4. Ton und Inhalt des Gesprächs scheinen sich zu versachlichen, daher an diesem Ort aus der historiografischen Perspektive einige Anmerkungen zum Fall Fissmer und zu den Jahren vor 1933.
    Der damalige OB hat in einem postnationalsozialistischen Narrativ, das seit den ausgehenden 1940er Jahren in der Erlebnisgeneration aufkam, eine Rolle als exemplarischer Vertreter einer lokalen „deutschnational“ oder auch „national-konservativ eingestellten Elite“. Mit diesen Zuschreibungen veredelt kann er dann im Grunde seines Herzens nur ein Gegner der Nazis gewesen sein. Und seine Anhänger und Unterstützer mit ihm.
    Es ist gut zu verstehen, dass ein Bedürfnis nach einer solchen Ausdeutung auch dieses Akteurs der regionalen NS-Geschichte nach den Massenverbrechen und nach dem Weltkrieg aufkam, nur passt sie nicht auf das, was die Quellen und die Literatur mitteilen.

    Einen Beleg dafür, dass Fissmer je Mitglied der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) war, gibt es nicht. Die einzigen Parteien, für die eine Mitgliedschaft belegbar ist, sind NSDAP und CDU.
    „Deutschnational“ oder „national-konservativ“ ließe sich auch ohne Mitgliedschaft im Sinne starker Affinitäten zu dieser Partei und ihrem Umfeld verstehen. Was hieße das dann?
    Es würde auf die Nähe zu einer politischen Formation hinauslaufen, die im heutigen Kreis Siegen-Wittgenstein in der Kaiserzeit aus der antisemitischen „christlich-sozialen Bewegung“ des aufgrund seines radikalen Antisemitismus und seiner oft tumultuarischen Auftritte weithin berüchtigten protestantischen Predigers Adolf Stoecker (daher auch: „Stoecker-Bewegung) hervorging. 1918 schloss sie sich dem explizit antisemitischen Teil der neu gegründeten völkischen DNVP an.
    Das besondere Merkmal des christlich-sozialen Antisemitismus war seine antikapitalistische Tönung („Enteignung jüdischer Warenhäuser“, ehrbarer kerndeutscher Kaufmann vs. jüdischen Wucherer usw.), deren Demagogie der Sozialdemokratie die Wähler abspenstig machen sollte. Die christlich-soziale Mischung ethnisierte die soziale Frage und führte fort von ihr. So machte es später auch die NSDAP. Es ist also nachzuvollziehen, wenn der Siegener Chefredakteur des christlich-sozialen Parteiblatts, das keinen Tag ohne Beiträge gegen die jüdische Minderheit erschien, 1934 darauf bestand, dass die „Stoecker-Bewegung“ ein „Vorläufer des Nationalsozialismus“ gewesen sei.
    Im Siegerland fanden sich die völkischen Vertreter rassistischer Ideologie, einer Revision der Kriegsergebnisse, der Verherrlichung des Militärs, einer Abkehr von der verhassten Weimarer Verfassung usw. im „vaterländischen Lager“ zusammen. Dort waren dann DNVP, NSDAP, Kriegervereine, Antisemitischer Schutz- und Trutzbund (Selbstbezeichnung: „Siegerländer Hakenkreuzer“), SA, Stahlhelm, Kriegervereine, Bismarckjugend etc. pp. vereint am Werk, der demokratischen Republik den Garaus zu machen.
    Das führte naturgemäß zu Konflikten mit deren Verteidigern. Das waren im großen und ganzen die damaligen Vorläufer der heutigen Mitteparteien und, ja, die KPD.
    Drei Beispiele aus den Jahren vor der Machtübergabe:
    • 1924 lud Fissmer einige Monate nach dem Hitler-Ludendorff-Putsch am 9. November 1923 zu einem städtischen „Deutschen Tag“ des völkischen Lagers mit Ludendorff als führender Figur nach Siegen, die der preußische Innenminister als verfassungsfeindlich verbot. Bereits verboten war die NSDAP, die den völkischen Festtag wesentlich organisierte (und deren Siegener Abgeordneten die Ratsfraktion der DNVP als Hospitant aufgenommen hatte).
    • 1927 waren einerseits Fissmers Aktivitäten zum Reichstreffen der völkischen „Bismarckjugend“ und andererseits dessen Passivität im Vorfeld der jährlichen Verfassungsfeier ein öffentliches Thema. Die Stadträte von Zentrum, SPD, KPD und DDP werteten in einem gemeinsamen Antrag sein Verhalten als verfassungsfeindlich. Ohne große Auswirkungen, die Republikaner waren im Siegerland eine Minderheit.
    • Seit den 1920er Jahren waren unter Fissmer ausgemachte Verfassungsfeinde im öffentlichen Dienst der Stadt anzutreffen, Mitglieder von NS-Organisationen oder ihrer allernächsten Nachbarn. Als im November 1932 der Gewerkschafter und Stadtverordnete Willi Kollmann von der SPD zur KPD wechselte, musste der den städtischen Dienst verlassen. Das war der Fissmersche deutschnationale Toleranzbogen.

    Um an dieser Stelle zu schließen, Zuschreibungen wie „deutschnational“, „national-konservativ“ oder auch die Verschönerung „Elite“ sind nicht geeignet, aus dem Antidemokraten einen Demokraten zu machen. Der war Fissmer bei aller Leutseligkeit im Gespräch mit dem „Mann von der Straße“, die ihm ebenfalls nachgesagt wird, weder vor noch nach 1933.

  5. Über die Ausschusssitzung berichten die Medien:
    1) Siegener Zeitung, 1.6.2018 (Print): „Einstiger OB polarisiert. Wegen Bürgerantrag: Zu Alfred Fissmer bahnt sich Grandsatzdebatte an“. Zwei Zitate seien erlaubt:
    – “ …. Alle HFA-Mitglieder waren sich einig, erst einmal Leben und Werken des einstigen Oberbürgermeisters ….von den Profis vom Stadtarchiv und Universität Siegen wissenschaftlich aufarbeiten zu lassen. ….“
    -“ ……Zu Alfred Fissmer bahnt sich eine Grundsatzdebatte an, die auch andere belastete“ Namen von Straßen und Plätzen ausstrahlen könnte (Hindenburg, Bonatz, Stoecker usw.)“
    2) Westfalenpost Siegen, 1.6.2018, Hendrik Schulz „Siegener Politik diskutiert über die Person Alfred Fißmers“: Link: https://www.wp.de/staedte/siegerland/siegener-politik-diskutiert-ueber-die-person-alfred-fissmers-id214454337.html

  6. In der heutigen Siegener Zeitung (Print) findet sich ein weiterer Leserbrief einer ehemaligen Sekretärin der Siegener Stadtverwaltung, die den OB persönlich erlebt hat, zum Thema: „Integrer Mann“.

    • Heute erschien in der Siegener Zeitung (Print) der unmittlebar auf den Bericht der Zeitzeugin bezugnehmender Leserbrief „Beeindruckend“

    • Die Siegener Zeitung veröffentlicht heute einen Nachruf auf Helene Wildenberg, die u. a. seit 1939 als Sekretärin des Leiter der Schutzpolizei näheren Kontakt zu Fissmer hatte.

  7. In der heutigen Siegener Zeitung (Print) erschien der Leserbrief „An Albert Speer gedacht“, der sich u. a. auch mit der Namensgebung der Fißmer-Anlage auseinanadersetzt.

  8. Zur Rolle des OB zwischen 1933 und 1945

    1.
    Mit Antritt der Regierung Hitler aus NSDAP, DNVP und Stahlhelm begannen 1933 in Siegen im “Braunen Haus”, der früheren Alten Försterei, die systematischen Folterungen von politischen Gegnern durch SA und SS. Die Opfer wurden im Anschluss vor die Türe gesetzt und schleppten sich durch die Stadt nach Hause. Es handelte sich um öffentlich wahrnehmbare und wahrgenommene Vorgänge. “Es reden”, wie der katholische Pfarrer Wilhelm Ochse von der Mariengemeinde in einer schriftlichen Stellungnahme an Alfred Fissmer feststellte, “schon die Kinder über diese Dinge.“
    Was waren „diese Dinge“? Dazu nur ein kurzer Auszug aus einer längeren Schilderung eines Zeitzeugen:
    Der Siegener Elektriker Erich Schutz wurde von einem SA-Kommando ins Braune Haus verschleppt und dort mit Gummiknüppeln und Gewehrkolben schwer misshandelt. Die Gallenblase riss, sie musste später entfernt werden. Es wurden ihm schwere Darmverletzungen zugefügt. Der Siegener Arzt Dr. Walter Nöll verweigerte ebenso die Behandlung von Erich Schutz wie der Siegener SS-Arzt Dr. Ferdinand Pahl, der ihm statt Behandlung etwas Morphium gegen die Schmerzen gab. Pfarrer Ochse sorgte dann dafür, dass Schutz im katholischen Marienhospital aufgenommen wurde. Von dort konnte er erst mehr als ein halbes Jahr später entlassen werden. Bis 1938 blieb er arbeitsunfähig.
    Die Polizei war zum Zeitpunkt der Ereignisse noch nicht zentralstaatlich, sondern kommunal, und in Siegen war Alfred Fissmer nicht nur Chef der Verwaltung, sondern auch der Polizei. In die Polizei eingegliedert waren seit Februar 1933 auch die SA und die SS als Teil der SA. Fissmer wusste von den Vorgängen im Braunen Haus. Er wusste, wen er förderte, als er 1933 Förderndes Mitglied der SS wurde.
    Das oben zitierte Schreiben von Ochse an Fissmer war an den Polizeichef gerichtet. Ochse forderte Fissmer dazu auf, die Folterungen abzustellen. Fissmer schwieg. Später warf er Ochse vor, die NS-Bewegung verächtlich zu machen. Das war ein Straftatbestand des “Heimtückegesetzes”. Weil er es wiederholt verletzt habe, wurde Ochse 1935 festgenommen und von einem Sondergericht zu acht Monaten Gefängnis verurteilt.

    2.
    1933 wurde der bei der städtischen Sparkasse tätige Stadtinspektor Friedrich Vetter auf Fissmers Initiative nach dem NS-Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums zwangspensioniert. Vetter hatte nachdrücklich finanzielle Unregelmäßigkeiten gegenüber höheren Instanzen beklagt. Davon ließ er auch nach seiner Entlassung nicht ab und verbreitete seine Angaben in der städtischen Bevölkerung. Es folgten Hausdurchsuchungen, eine Verurteilung zu neun Monaten Gefängnis und eine weitere zu fünf Monaten und anschließender Internierung als „geisteskrank“ in der Heilanstalt Eickelborn, wo er ein Jahr und vier Monate verbrachte. Als die beiden entscheidenden Triebkräfte seiner Verfolgung betrachtete er den OB und den Gauinspektor Walter Heringlake, dessen umfangreicher Arisierungserfolg viele Städter nicht überraschte und später ein Überprüfungsverfahren durch die Partei auslöste.

    3.
    Nach Aussage des jüdischen Siegeners Hugo Herrmann wurden bereits am Vormittag des 9. November 1938 zahlreiche begüterte Männer aus der jüdischen Gemeinde, so auch er, festgenommen. Sie wurden in Siegen im Polizeigefängnis festgehalten, bevor sie nach dem Pogrom – in Siegen am Mittag des 10. November – in das KZ Sachsenhausen deportiert wurden, um ihren Familien ihre Immobilien und Geschäfte abzupressen. Die reichszentralen Pogrom-Aufforderungen zu diesem Zweck gegen die jüdische Minderheit ergingen in der Nacht des 9. November, und der Befehl des Gestapochefs Heinrich Müller “etwa 20-30.000” jüdische Männer festzunehmen, folgte ihnen erst in dieser Nacht um 23.55 h.
    Mit anderen Worten, wenn die Angaben des Zeitzeugen stimmen, dann kann es sich bei der Siegener Aktion nur um einen vorzeitigen und für die Region untypischen lokalen Festnahmealleingang gehandelt haben. Das wäre insofern nichts grundsätzlich Ungewöhnliches, als untere NS-Behörden sich oft proaktiv und nach oben impulssetzend verhielten, so bei anderen Themen auch im heutigen Kreisgebiet. Auszugehen ist bei den Siegener Festnahmen, dass sie auf Fissmers persönliche Initiative oder doch jedenfalls nicht ohne Absprache der Siegener Polizei mit ihrem höchsten Vorgesetzten, auf keinen Fall aber an ihm vorbei erfolgten.
    Was Hugo Herrmann angeht, so konnte er sich nach der KZ-Entlassung und dem Verlust des größten Teils seines Vermögens 1939 durch Flucht nach Palästina retten. Dass Fissmer als Fluchthelfer aufgetreten wäre, ist nicht bekannt und würde wenig zu ihm gepasst haben. Den billigen Erwerb des Grundstücks der ausgebrannten Synagoge von der jüdischen Gemeinde bewertete er “als eine wertvolle Ergänzung unseres Besitzes”.
    Für die in der aktuellen Diskussion vorgetragene Aussage, Fissmer habe gelegentlich Menschen aus der jüdischen Minderheit unterstützt und sie geschützt, würde der Verifizierung, sprich konkreter Belege – Namen, Zeitpunkte, Anlässe –, bedürfen, um sie ernst nehmen zu können. Die gibt es bislang nicht. Fissmer selbst hat sich dazu nie geäußert, auch nicht in seinem Entnazifizierungsverfahren, als das “Untragbar” des ersten Durchgangs (Stadtausschuss) angesichts drohenden Pensionsverlusts solche Verweise dringlich gemacht hatte.

    4.
    Aussagen zu Hilfe für Verfolgte durch Nichtverfolgte finden sich immer wieder vor allem in den regionalen Entnazifizierungs- und Entschädigungsakten. Beide Quellenkategorien sind inzwischen in einem hohen Maß recherchiert und ausgewertet worden. Aussagen über angebliche oder nachgewiesene Unterstützungsleistungen durch Fissmer für aus politischen, rassischen, sozialen oder religiösen Motiven Verfolgte liegen dort bislang nicht vor, wohl aber Aussagen gegen ihn. Pauschale Behauptungen, wie sie in der politischen Diskussion seit dem Regimeende dennoch auftreten, führen nicht weiter.

    Verifizierende Belege und die Einordnung von Vorgängen in die jeweiligen zeitlichen Kontexte:
    Das sollte in allen Fragen gelten. Dass Fissmer ein “NS-Gegner” gewesen sei, der „die Nazis wie die Pest gehasst“ habe, wie man aus „vertraulichem“ Umgang mit ihm wisse, kann man behaupten, wie man alles behaupten kann. Allerdings ist es eine Behauptung ohne Basis, ohne Beweiskraft. Die würde sich an Handlungen festmachen lassen müssen und dazu wiederum genügen ein paar Sätze gegen einen obsolet gewordenen Nero-Befehl in der allerletzten Stunde vor dem großen Kollaps nicht, wie sie in einem Beitrag behauptet wurden.
    Was reale NS-Gegner (und NS-Verfolgte) als solche ausweist, lässt sich an den Fällen Hugo Herrmann, Wilhelm Ochse, Erich Schutz, Friedrich Vetter oder Andreas Vomfell erkennen. Es ist schon erforderlich, in einem Spektrum der Verhaltensweisen und Entscheidungsoptionen klärende Unterscheidungen zu treffen und Abgrenzungen vorzunehmen, wenn das Wort vom “NS-Gegner” nicht eine Hülse diffusen Inhalts und ohne eine nachvollziehbare Aussage sein soll.
    Ebenfalls nicht weiter, vielmehr zurück in die entlastenden Narrative der fünfziger Jahre führen völkisch inspirierte Vergemeinschaftungsversuche, die “den” Siegenern, Netphenern oder Siegerländern in pauschaler Vereinheitlichung kollektiv diese oder jene Sichtweise auf die regionalen NS-Akteure unterstellen und ihre Adressaten auf diesem Weg zu vereinnahmen suchen. Offenkundig gingen und gehen durch die Zeiten die Meinungen in der Siegener und Siegerländer Bevölkerung zur NS-Bewegung, zu deren Wegbereitern und zum etablierten NS-Regime sach-, interessen- und persönlichkeitsbezogen weit auseinander.
    (Quellenangaben auf kurzem Weg: siehe die Verweise in den entsprechenden Artikeln der Personenverzeichnisse der VVN-BdA)

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  12. Nachdem ein privater Mailaustausch mir dazu Anlass gibt, komme ich noch wieder öffentlich auf Alfred Fissmer mit ein paar zusätzlichen Feststellungen zurück.
    Die Annahme trat auf, dass die in Berlin in den vormaligen BDC-Beständen (Bundesarchiv Berlin, Best. 3.100 (NSDAP-Zentralkartei) befindlichen Unterlagen noch nicht ausgewertet seien. Das ist unzutreffend, es geschah bereits vor etwa zwei Jahrzehnten. Leider aber sind die Ergebnisse dieser Auswertung, die etwa Eingang in einen Bericht der Westfälischen Rundschau und in mein 2001 erschienenes Buch Siegerland und Wittgenstein im Nationalsozialismus. Personen, Daten, Literatur fanden, immer noch nicht recht in die öffentliche Überlieferung eingegangen.
    Vor allem gilt das für Eintrittsgesuch von Fissmer in die Nazi-Partei kurz nach der Machtübergabe. Mit Datum vom 1.5.1933 wurde er unter der Mitgliedsnummer 3.128.057 in die Ortsgruppe Siegen-Altstadt aufgenommen. Das stieß in der Ortsgruppe nicht nur auf Zustimmung, die Meinungen waren gespalten und ein Teil der Ortsgruppe versuchte, die Sache rückgängig zu machen.
    Fissmer war zwar – wiewohl bis dahin nach den bis heute geltenden Annahmen parteilos – in den Weimarer Jahren ein entschiedener und gegenüber der sozialdemokratisch geführten preußischen Regierung konfliktbereiter Parteigänger des verfassungsfeindlichen gegnerischen „vaterländischen Lagers“ gewesen, hatte aber in diesem parteiübergreifenden Rechtsbündnis mit DNVP, NSDAP, Kriegervereinen usw. die NSDAP nicht besonders bevorzugt. Darauf kamen Gegner, die er in dieser Partei hatte, zurück und bewirkten, dass mit Datum vom 26.10.1934 seine Mitgliedschaft widerrufen wurde. Die Gauleitung war auf seiner Seite gewesen. Erst 1937 nach Ablauf der 1933 (gegen „Märzgefallene“ gerichteten) vierjährigen Aufnahmesperre konnte auf einen erneuten Antrag hin aufgenommen werden. Neue Parteinummer: Nr. 5.889.595.
    Es gab, wie sich denken lässt, auch in der Nazi-Partei Rivalitäten und unterschiedliche Interessen und Einschätzungen. Dass sie keine homogene Größe war, ist ja in der Zeitgeschichtsforschung unbestritten. Das war sie wie überall auch im Siegerland.
    Immerhin aber war es Fissmer schon 1933 gelungen, in die Förderorganisation für die SS aufgenommen zu werden. Die Reichsorganisationsleitung gab der „FM-Organisation“, wie sie hieß, „für den Bestand der Schutzstaffel größte Bedeutung“. Sie dürfe in ihrer Arbeit durch keine andere Dienststelle gestört werden (1943).

    Das nach dem Ende des Regimes aufgekommene Fissmer-Narrativ stellt seinen Protagonisten als langjährigen und verdienstvollen Amtsträger dar, der irgendwie unpolitisch-konservativ gewesen sei, also der politischen Mitte zuzuordnen, eine honorige lokale Größe, durch Jovialität auch populär („volkstümlich“).
    Zeitzeugen mindestens seiner frühen Parteimitgliedschaft, die es gegeben haben müsste, weil es ja in der NS-Altstadtgruppe diesen Konflikt gab, meldeten sich zu keinem Zeitpunkt. Das muss nicht überraschen.
    Was dann aber schon etwas überrascht, ist eine sehr viel jüngere Gedächtnislücke. Als 2005 eine viel beachtete Ausstellung „Kriegsende 1945 in Siegen“ im früheren Kaufhof-Gebäude stattfand, zu der ein Ausstellungsbuch („Kriegsende 1945 in Siegen. Dokumentation der Ausstellung“) erschien, fehlten sowohl in der Ausstellung als auch in dem Begleitbuch im Fissmer-Kapitel der frühe Eintritt in die NSDAP wie auch die SS-Fördermitgliedschaft.
    Ich gehe davon aus, dass das Team, das Ausstellung und Buch verantwortete, seriös und gründlich in Archiven und Literatur recherchierte. Das heißt, dass es m. E. ist auszuschließen ist, dass die beiden hier in Rede stehenden Sachverhalte in diesem Kreis unbekannt waren, dass sie vielmehr bewusst verschwiegen wurden. Man könnte auch sagen, ersetzt wurden, nämlich durch einen angeblichen „ersten Machtkampf“ 1933 von Fissmer gegen die NSDAP. Den dieser gewonnen habe. Ob bzw. wie der einen politischen Inhalt gehabt haben könnte, dazu nichts. Unter den gegebenen Bedingungen. Von einem zweiten oder weiteren Machtkämpfen ist dann nicht weiter die Rede.
    Fissmer sei „zeitweise“ NS-„skeptisch“ gewesen. Belege selbst zu einem solchen absoluten Minimum an Distanz fehlen. Gesichert lässt sich sagen, dass von Fissmer durch die Jahrzehnte (Weimar/NS-Regime/BRD) kein abwertendes Wort zur NSDAP, ihrer Politik und ihrer Anhängerschaft überliefert ist.
    Mit anderen Worten, es wurde 2005 einmal mehr am Überleben jenes entlastenden Narrativs gebosselt, das m. E. exemplarisch für Gang und Form der „Bewältigung“ der Nazizeit steht und das in der „großen“ Historiografie inzwischen kräftig unter Druck geraten war.
    Ich nutze die Gelegenheit auf einen von Fissmers Zeitgenossen, ebenfalls eine zeitgeschichtlich interessante Figur, zu verweisen, der dem freundlichen Fissmer-Narrativ viel Unterstützung zukommen ließ und bis heute von Fissmer-Unterstützern dafür in Anspruch genommen wird, den damaligen SPD-Regierungspräsidenten Carl Friedrich Fries, einen klassischen „Wanderer zwischen den Welten“(http://widerspruchundwiderstandimnsinsiwi.blogsport.de/verzeichnis/biografische-skizzen/#fries1, http://akteureundtaeterimnsinsiegenundwittgenstein.blogsport.de/a-bis-z/gesamtverzeichnis/#fries3).

    • Fissmer hatte seine Position ja selbst und sicherlich ohne Erklärungsnot auf den Punkt gebracht. Wörtlich bei der Feststunde anläßlich des 25. Dienstjubiläums als Bürgermeister im August 1944: „Ich bin ein getreuer Gefolgsmann des Führers“ (Mitschrift der Ansprache in seiner Personalakte, Stadtarchiv Siegen, D 525; veröffentlicht in Nationalzeitung 18.8.44). Aber sogar solche eindeutigen Bekundungen lassen sich natürlich, wenn es gewollt wird, schönreden und ins Gegenteil verkehren. Etwa so: „Im Herzen war er ein glühender NS-Gegner, mußte aber nach dem 20. Juli Loyalität heucheln, um von sich abzulenken und weiter im Geheimen das gehasste Regime bekämpfen zu können.“ Blödsinn, aber wie alle Verschwörungstheorien nicht zu widerlegen. Es ist nun mal so: Die Herren Fissmer, Flick usw. haben nach wie vor ihre treuen Fangemeinden, die sich in ihrer Anhänglichkeit durch Fakten und Argumente nicht beeindrucken lassen. C’est la vie (leider).
      Zu Fritz Fries kann auf eine interessante Akte im Nachlass Bruno Jenners verwiesen werden (RWN 0110, Landesarchiv NRW/Abt. Rheinland), die neben Dokumenten zum „Disziplinarverfahren gegen den Regierungspräsidenten von Arnsberg, Fritz Fries“ auch solche zu seinem – milde ausgedrückt – etwas seltsamen Verhältnis zur Siegener Gestapo enthält.

  13. Ich saß in Duisburg im Landesarchiv und las dort die Mitteilung von Peter Kunzmann, so dass Gelegenheit war, die Akte gleich mal kommen zu lassen (Danke für den Hinweis!).

    Es handelt sich dabei um einen von zwei nicht so umfangreichen Bänden eines kleinen Nachlasses von Hans Bruno Jenner, 1945-46 Stellvertreter von Fries in Arnsberg (Regierungsvizepräsident), ab 1946 bis 1949 Ministerialdirektor im Innenministerium in Düsseldorf. Er hatte damals eine Akte „Fall Fries“ angelegt. Leider fehlen, wie sich zeigte, einige Seiten.

    Fries stand mindestens seit Juni 1946 stark unter Druck. Gerüchte liefen im Siegerland um. Er war von anderen Sozialdemokraten beschuldigt worden, mit „Stimmungsberichten“ der Gestapo zugearbeitet zu haben. Dafür sei er mit Zigaretten und Fleisch- und Buttermarken entgolten worden. Mit dem für ihn zuständigen Gestapo-Beamten Bültmann habe er Geschenke ausgetauscht. Ausweislich seines Parteiabzeichens am Revers, das die Sprecher häufiger bzw. „täglich“ gesehen hätten, gingen sie von einer Mitgliedschaft von Fries in der NSDAP aus. Davon habe er auch geschäftlich Vorteile gehabt. Es gab weitere Hinweise und einige pikante Angaben, auf die ich nicht eingehen muss.

    An Fries’ Seite jedenfalls stand Alfred Fissmer, der ihn mit einer umfangreichen Stellungnahme entlastete. Dabei bekundete Fissmer auch, „bei mir wurden alle Neuigkeiten [aus der regionalen NSDAP] abgeladen, genau wie alle Zwistigkeiten unter den Parteimitgliedern“.
    Diese Selbstbeschreibung Fissmers vom August 1946 sollte eigentlich vollständig genügen zu beschreiben, wie man in seiner Partei das städtische Oberhaupt sah. Zu einem Partei-„Skeptiker“ wären diese Gesprächspartner kaum mit ihren Neuigkeiten und Zwistigkeiten gekommen.
    Es sei denn ein Betrachter geht davon aus, dass die Nazis in ihrer Partei irgendwie und eigentlich nur eine Minderheit darstellten. Genau das aber ist der Inhalt jenes Entlastungsnarrativs, das nach kurzem Schreck seit der zweiten Hälfte der 1940er Jahre aufkam und bis heute entgegen allem besseren Wissen/aufgrund besseren Wissens schweigend gepflegt werden kann. Diese Vorstellungswelt ist es, die in dem gelegentlichn Wort vom „Fliegenschiss“ Ausdruck findet.

  14. In einem Nachlass tauchte vor einigen Wochen eine handschriftliche Mitgliederliste des Kyffhäuserbundes Siegen auf. Die Liste umfasst die Jahre 1958,1959 und 1960. Sie enthält Namen und Vornamen der Mitglieder, Geburtsdatum und Adresse, das Eintrittsjahr in den Bund und ob das Mitglied eine Ehrung für langjährige Mitgliedschaft erhalten hat.
    Die Liste ist alphabetisch geordnet. In dieser Liste ist auch Alfred Fissmer aufgeführt. Eintrittsjahr 1920, geehrt für 25jährige Mitgliedschaft.

  15. Nachtrag zur Literatur:
    Mecking, Sabine: Erstklassige Verwaltungskarrieren bei zweitklassigen Voraussetzungen. Die städtische Funktionselite der westfälischen Gauhauptstadt Münster, in: Schmiechen-Ackermann, Detlef/Kaltenborn, Steffi: Stadtgeschichte in der NS-Zeit. Fallstudien aus Sachsen-Anhalt und vergleichende Perspektiven, Münster 2005, S. 66 – 78. Fissmer wird auf S. 71 erwähnt. Zitat zur Situation westfälischer Großstädte waährend des Nationalsozialismus: “ ….. Statistisch betrachtet wechselte in jeder größeren Stadt einmal der Amtsinhaber. ….“

  16. Die FDP-Fraktion im Siegener Stadtrat unterstützt zurzeit ein Nachdenken über Fissmer – https://www.facebook.com/groups/372599270383625/ – , um ein möglichst komplettes Bild Fissmers zu erhalten , wird hier an dieser Stelle auch auf die Rolle Fissmer beim Schutz des Rheinischen Kulturgüter hingewiesen. NAch dem Erscheinen des Hollywood-Films“ Monuments men“ wurde dieser Aspekt der Stadtgeschichte ja näher beleuchtet, aber meiner Erinnerung nach trat dabei Fissmer nicht explizit in Erscheinung. „immerhin“ wird des Aspekt des Fissmer´schen Wirkens an exponierter Stelle – im Park am Oberen Schloss in Siegen – gedacht:

    Zur Rolle Fissmers bei der Unterbringung der Kulturgüter gab zuletzt Auskunft: Josef Lambertz: Siegen und die Odyssee des Aachener Domschatzes im Zweiten Weltkrieg, in: Siegener Beiträge 16 (2011), S. 129-144. Die dort gemachten Aussagen stützen sich u. a. auf: Erich Stephany: Die Schicksaledes Aachener Domschatzes während des Kriegs 1939 – 1945, in: Wilhelm Neuß (Hg.): Krieg und Kunst im Erzbistum Köln und Bistum Aachen, Mönchengladbach 1948 [Stephany war als Aachener Domvikar mit der Verbringung des Domschatzes nach Siegen betraut]. Lambertz erwähnt ein zufälliges Treffen Fissmers mit dem rheinischen Landeskonservator Wolff-Metternich auf einer Zugfahrt, der Siegen als Bergungsort in die rheinischen Überlegungen gebracht habe. Daher scheint eine Auswertung der einschlägigen Bestände des LVR-Archivberatungs- und Fortbildungszentrum in Pulheim-Brauweiler in Hinblick auf die Rolle Fissmers angezeigt.

  17. In diesem Zusammenhang warten einige Fragen noch auf gründlichere Erörterung durch die Biographen:
    1. Der Hainer Stollen war als Schutzraum für Menschen, nicht für Gegenstände ausgebaut und dafür ausgewiesen worden. War die Zweckentfremdung zur Unterbringung der Kunstwerke, um die sich Fissmer aus eigenem Antrieb so eifrig bemüht hatte, legal? (Oder wäre sie es heute?)
    2. Für die Kunstwerke wurde eine beträchtliche Fläche des Stollens in Beschlag genommen. (Die genaue Quadratmeter-Zahl habe ich vergessen, ist aber in der Literatur zu finden.) Diese Fläche hätte eine Anzahl von Menschen im dreistelligen Bereich aufnehmen können. Wie viele Schutzsuchende sind bei den Luftangriffen im Stadtzentrum ums Leben gekommen, weil sie am Hainer Stollen wegen dessen vorzeitiger Überfüllung abgewiesen wurden und so schnell keine anderen Räumlichkeiten mehr ansteuern konnten?
    3. Hatte Fissmers Übereifer (um nicht zu sagen Sammelleidenschaft) womöglich verhindert, dass für die Unterbringung der Kunstwerke bessere Alternativen gesucht worden wären? Es ist ja überliefert, dass etliche Gegenstände durch die Aufbewahrung in dem dafür klimatisch völlig ungeeigneten Stollen beschädigt oder vernichtet wurden (z.B. Gemälde durch Schimmelbefall).
    Überhaupt bieten Leben und Wirken Fissmers Anlass zu vielen Fragen. Manche werden sich wegen verschollener Quellen (z.B. der persönlichen Handakten von 1944/45) nicht mehr beantworten lassen, andere nach intensivem Aktenstudium aber sicher doch. Für Interessierte gäbe es viel zu tun … (Das sollten aber die Siegener Eingeborenen und nicht Zugezogene erledigen.)

  18. Zwei weitere biographische „Baustellen“ + weitere Literatur:
    1) Fissmer als „Autor“:
    In der regionalen Bilbgraphie von H. R. Vitt ist nur ein Text Fissmers aufgeführt: „Die Entwicklung des städtischen Gemeinwesens in den letzten hundert Jahren“, in Siegener Zeitung v. 10. Januar 1923.
    Ferner ist ein Geleitwort Fissmers in der von Hans Kruse herausgegebenen Festschrift „Siegen und das Siegerland 1224/1924“ (Siegen 1924) belegt.
    2) Fissmers Rede anlässlich der 725-Jahr-Feier der Stadt Siegen am 1./2. Oktober 1949. Neben Fissmer haben wohl der amtierende Oberbürgermeister Ernst Bach, Regierungspräsident Fritz Fries und der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Karl Arnold gesprochen – s. http://www.inside-siegen.de/onlinenews2.php?id=7307&s= . Ein Grußwort in der Festschrift der 725-Jahr-Feier ist ebenfalls vorhanden.
    3) Gerhard Hufnagel: Interesse und Verantwortung. Die metallindustriellen Arbeitgeberverbände des Siegerlandes vom Kaiserreich bis zur Deutschen Diktatur, Siegen 200, S. 349, 391

  19. Wenn man in die Zeitung schaut, muss man sich fragen, ob es wirklich noch sinnvoll ist, sich zu Fissmer um Aufklärung zu bemühen. Dort findet sich neuerdings die mit nichts belegte und belegbare Behauptung, Fissmer sei nach einem Ausschluss aus der Nazi-Partei nach einem Schwarzmarktprozess um das Hotel Kaisergarten dieser Partei wieder beigetreten. Wie kann man irgendwo beitreten, wenn keiner einen will? Nein, 1937 – das hat also mit dieser Schwarzserviergeschichte nichts zu tun – wurde nach jeweils vorausgegangenem Aufnahmeantrag und nach der Zustimmung durch die Parteioberen Fissmer ein zweites Mal aufgenommen. Den ersten Antrag hatte er vor dem Mai 1933 gestellt. Das gefiel dem Gau Westfalen-Süd, wenn auch nicht der Ortsgruppe Siegen-Altstadt. Die mochte ihn mehrheitlich nicht und meldete sich, nachträglich. Warum die Ortsgruppe etwas einzuwenden hatte, ist unbekannt. Politische Differenzen müssen es nicht gewesen sein. Fissmer fiel – wie viele Beitrittsaspiranten – daraufhin unter die von 33 bis 37 geltende allgemeine Beitrittsperre. Was ihn nicht hinderte, der Förderorganisation der SS beizutreten und großzügig über die systematische Misshandlung der Nazi-Gegner im Keller des Braunen Hauses hinwegzusehen, auf die Pfarrer Ochse ihn ansprach.

    Nein, es ist wohl einfach so, dass die Fissmer-Mythen gezielt gepflegt und verbreitet wurden und immer noch werden und dass man sich gern öffentlich als ihr Freund zu erkennen gibt, weil sie tatsächlich immer noch ein geeignetes Mittel der Selbstdarstellung sind, sich nämlich als konservative Mitte und Heimatfreund ins Spiel zu bringen. Das schließt dann mit ein, dass man einen schwarzbraunen Politiker, der provokativ noch im Entnazifizierungsverfahren mit dem Hitler-Gruß auftrat, zu einer „national-konservativen“ Ortsgröße veredelt und alles infrage stellt, was diese Darstellung aufklärend infrage stellt.

    Das ist leider eine Sorte von Beschäftigung mit der Zeitgeschichte, die nicht ernst genommen werden kann. Oberflächlich geklitterte Geschichte, keine Überraschung.

    • Wieder so steile Thesen ohne Grundlage und Belege. Der Schriftwechsel über die Wiederaufnahme liegt vor und wird demnächst veröffentlicht. Zitat aus dem Schreiben der Parteikanzlei vom 1.6.1943: Die Mitgliedschaft des Oberbürgermeisters Fissmer ist nach Mitteilung der Gauleitung Westfalen-Süd wiederhergestellt.“ Wie kann man historisch gegen etwas argumentieren, wenn man die Quellen nicht kennt?

      • Das ist leider eine Sorte von Beschäftigung mit der Zeitgeschichte, die nicht ernst genommen werden kann. Oberflächlich geklitterte Geschichte, keine Überraschung.

      • Bislang liegt gar nichts vor. Das unterscheidet diese Anmerkung und etwa auch die Beleglage bei dem Hugo-Herrmann-Zitat, das alternativ zu Klaus Dietermanns begründete Zitierung von Hugo Herrmann gesetzt war und sich von diesem bei aller Ähnlichkeit im Inhalt beträchtlich Unterschied, von dem, was hier unter Verweis auf die Literatur und Primärquellen (wie beim Regionalen Personenlexikon) anzutreffen ist. Bislang fehlen die Belege. Na, ich bin mal gespannt.
        Im übrigen: Selbst wenn es sich bei dem oben Gesagten um Thesen handeln würde, so wären sie doch nicht „steil“, sondern passten vollständig ins Bild.

        Auf kurzem Weg hier aber noch einmal die Belege für Fissmers zwei Anträge auf und Mitgliedschaften in der Nazipartei: Kartei der NSDAP-Mitgliedschaften im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde.
        Beleg für den „Deutschen Gruß“/Hitler-Gruß an den Entn. – Ausschuss: in der Ent. – Akte im Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland in Duisburg. Bestand und Signatur jeweils im Regionalen Personenlexikon. Man kann sich Kopien auch schicken lassen.

        Nein, es geht nicht um Thesen, sondern um gesicherte Sachverhalte.

        • Na dann schon jetzt mal die Zitierung: Das zitierte Dokument ist unter der Signatur Bundesarchiv Berlin, R 1501/142146 verzeichnet und enthält das Schreiben der Parteikanzlei an das Reichsinnenministerium.

          • Es ist insofern schwierig, die Zitierung auf die nun angegebene Quelle zu beziehen, als man leider nicht genau weiß, wo das Zitat beginnt, weil das Anführungszeichen fehlt. Ich setze jetzt mal eins, so wie es sein könnte und komme damit dann zu einer Mitteilung der Parteikanzlei vom 1.6.1943 an das Reichsinnenministerium, mit der eine gleichlautende(?) vorausgegangene Mitteilung der Gauleitung wiedergeben wird:
            [„]Die Mitgliedschaft des Oberbürgermeisters Fissmer ist nach Mitteilung der Gauleitung Westfalen-Süd wiederhergestellt.“
            Anzunehmen wäre, dass die Mitgleitschaft nach der Schwarzwarengeschichte um das Hotel und Restaurant Kaisergarten durch entweder einen Ausschluss oder eine Suspendierung beendet worden war. Nun wurde sie wiederhergestellt.
            Was hatte das aber mit einer Einschätzung von F. als schwarzbraunem Protagonisten einer völkischen, rassistischen und kriegstreiberischen Politik zu tun? Was hat das mit seiner Gegnerschaft gegen den widerständigen Pfarrer Ochse und F.s Drohung mit dem „Heimtücke-Gesetz“ zu tun? Was mit seiner Rolle bei der Synagogenbrandstiftung oder dem Erwerb des Synagogengrundstücks durch die Stadt „als eine wertvolle Ergänzung unseres Besitzes“ (Fissmer)?
            Einen „Fund“ wie diesen in diese Kontexte irgendwie auch nur grob einordnen zu können, scheint mir unmöglich.
            F. hatte sich früh schon entschieden, der Nazipartei beizutreten und blieb ihr Mitglied bis 1945, bevor er dann im Anschluss in die CDU wechselte so wie andere in die FDP (Ernst Achenbach) oder in die SPD (etliche spätere Wittgensteiner Landräte z. B.).

            So sieht das nun mal aus mit der westdeutschen Nach-NS-Geschichte, im ganzen Land und auch nun eben im Siegerland. Das festzustellen, hat nichts „Steiles“, sondern ist eine Binse.

            Unbeantwortet blieb noch die Nachfrage nach der Quelle für die Hugo-Herrmann-Zitierung. Ich finde sie deshalb wichtig, weil sie in ihrem Inhalt im Widerspruch zu der Zitierung von Klaus Dietermann steht, der notierte, was Herrmann ihm sagte. Der Widerspruch bezieht sich auf den Tag der Inhaftierung. Wenn sie am 9. November 1938 am hellen Tag stattfand (wie Herrmann drei Mal sagte), muss F. sie wenn vielleicht auch nicht angeordnet, so doch mindestens unterstützt haben. Der frühe Zeitpunkt wäre insofern nicht ungewöhnlich, als es im benachbarten Hessen (und andernorts) mit den Ausschreitungen und Festnahmen schon am 8. November losging. Davon mag er wohl erfahren haben.

  20. An anderer Stelle wurden die Vergabe des Bundesverdienstkreuzes an F. und die im Landesarchiv in Duisburg dazu vorfindlichen Unterlagen angesprochen. Ich bin ja hier nicht weit von dieser Fundstelle entfernt, muss aber sagen, mir reicht vollständig die Vergabe, muss nicht wissen, was dazu verzapft wurde. Es ist eine Ehrung von mutmaßlich vielen tausend, die in Westdeutschland an alte Nazis gingen, beantragt von irgendwelchen ortsprominenten Heimatfreunden mit ähnlichen Biografien und begründet mit irgendwelchen Ortsmythen, die bis heute hochgehalten werden. Heute von jüngeren Politikvertretern, die sich davon immer noch Applaus versprechen und denen es Wurst ist, ob diese Mythen belegbar sind oder nicht. Es geht um die Wirkung auf den Wähler. Dem können die Duisburger Unterlagen nichts hinzufügen. Zeitverschwendung.

    Es genügt m. E., was auf dem Tisch liegt. Der Fall F. ist exemplarisch, zeitgeschichlich und rezeptionsgeschichtlich/“erinnerungskulturell“ und F. unter dem Strich und aufs Ganze bezogen ein kleines Licht. Einer der mit seinen reaktionären Auffassungen jeweils bestens in die Zeit passte. Als die Nazis das Siegerland zu einer ihrer Hochburgen machten durch deren aktive Tolerierung und „vaterländische“ Begleitung, dann durch aktive Unterstützung als ihr Vertreter und prominenter Sprecher und schließlich durch seine Ortsprominenz und durch sein Ich-bereue-nichts im anschließenden Kalten Krieg, der nach Typen wie ihm rief. Das waren dann Krieger, wie man sie brauchen könnte, nun natürlich in anderen Parteien.

  21. 2011 gab es nach dem Magazin Der Spiegel knapp eine Viertelmillion BVK-Träger, unter ihnen auch nicht wenige nichtdeutsche Empfänger wie etwa der letzte absolute Kaiser der Welt Haile Selassi oder der kubanische Diktator Fulgencio Battista. Maßgabe war „die persönliche Bindung der Tüchtigsten an den Staat“ und da konnte F. ja allerhand vorweisen, wenn auch nicht gerade in seinem Bezug zum Weimarer Verfassungsstaat, den er gemeinsam mit seinen „vaterländischen“ Kameraden tatkräftig kippen half.
    Dem Großen BVK, das er nach obligatorischer Überprüfung übrigens durch auch den westdeutschen Verfassungsschutz erhielt, gingen daher das Kriegsverdienstkreuz 2. und dann 1. Klasse voraus, jeweils „mit Schwertern“. Das war auch schon wegen persönlicher Bindung der Tüchtigkeit an den Staat vergeben worden.
    Ins Verhältnis ist die Vergabe des BVK zu den Zeitverhältnissen zu setzen. Da waren ja die Ex-Nazis in Politik, Gesellschaft und Beruf häufig noch aktiv anzutreffen. Auch als „Netzwerker“, wie es heut gern heißt. Von den nicht ganz 50.000 BVK-Empfängern des Jahres 1961 – täglich kamen 14 dazu – dürfte ein hoher Anteil aus der NSDAP gekommen sein.
    Ein weitaus höherer Anteil als im Schnitt der westdeutschen Gesellschaft, hier geht es ja um Führungsqualitäten und -kontinuitäten.
    Bis heute ist das alles, wie die Diskussion anzeigt, unzureichend bearbeitet und unzureichend angekommen. Die „Gnade der späten Geburt“ lässt unbefangen nach bewährten Mitteln symbolischer/demagogischer Politik greifen, und mit dazu gehört die freundliche Öffnung gegenüber der verstorbenen schwarzbraunen Altherrenschaft.

    • Der gegenwärtige Forschungsstand zu Fissmer lässt in der Tat nicht mehr bahnbrechend Neues erwarten. Aber für diejenigen, die Fissmers lebensrettenden Bunkerbau für öffentlich ehrenwert halten, ist „leider“ eine möglichst lückenlose Auswertung aller einschlägiger Quellen erforderlich, um sich nicht den Vorwurf der mangelnden Gründlichkeit gefallen zu lassen.

      • Einen Hinweis hat die aktuelle Diskussion noch einmal in Erinnerung gerufen, der so m.W. in den online verfügbaren biografischen Texten nicht vorhanden ist: Fissmer war Mitglied der Nordischen Gesellschaft, ein Mitgliedsmarke findet sich in den Fissmer-Erinnerungen.

      • Ja, sicher, gegen Gründlichkeit einer Recherche gibt es kein stichhaltiges Argument.
        Was Fissmer angeht, ist er m. E. hinreichend ausrecherchiert, wiewohl mit der Zugehörigkeit zur völkischen Nordischen Gesellschaft noch wieder ein weiterer Tupfer das Bild ergänzt.
        Was den Weg vom KVK zum BVK angeht, da finde ich, zeigt sich noch wieder ein bemerkenswerter Hinweis auf die die „Stunde Null“ überspringende Kontinuität vom NS- zum westdeutschen Nachfolgestaat. Geht man nur mal das Regionale Personenlexikon durch, das ja ein paar tausend Kurzbiografien versammelt, stellt man fest, dass Fissmer keine seltene Ausnahme war. Ich bin nur bis zum Buchstaben L gegangen. Es waren viele vormalige Nazis bis hin zu Alten Parteigenossen, die später BVK-würdig waren. Ich nenne hier nur exemplarisch Ernst Achenbach, Ernst Bald, Erich Böhne, Friedrich Flick, Konrad Kaletsch, Otto Krasa, Wilhelm Langenbach. Es fiel mir bei diesem Durchgang auf, dass diese BVK-Träger häufig Wirtschaftsbosse oder eng mit der Wirtschaft liiert waren und dass sie häufiger, als es diese kleine Partei erwarten ließ, in der FDP waren.
        Hier öffnet sich für die regionale Geschichtsforschung noch wieder ein weites Feld, real- wie rezeptionsgeschichtlich. Lässt sich m. E. nur ohne parteimäßige Befangenheiten und nur in Freiheit von der Ressourcenfrage(!) bearbeiten. Dafür scheinen mir zur Zeit die Voraussetzungen nicht gegeben. Irgendwelche Debatten mit je anderthalb Sätzen in den als „soziale Medien“ betitelten Mitteilungsformen mögen ein Optimum an Aufmerksamkeit herbeiführen, sind in der Sache aber wenig geeignet. Sehr gut finde ich das Angebot der Kreisarchive, an geschichtliche Fragen heranzugehen. Auch zu Fissmer findet man hier nahezu alles, was man braucht, um zu einer Meinung kommen zu können. Hier wäre der Ort für eine ernsthafte Diskussion.

        • „Nahezu alles“: Mag sein, und das ist sicher eine ganze Menge. Was übrig bleibt und nur im überregionalen Rahmen (Berlin, Koblenz) recherchiert werden könnte, ist m. E. von nicht geringerer Brisanz. Vor allem zwei Fragen drängen sich auf:
          1. Ging die Initiative zur Militarisierung Siegens 1934 (mit all ihren späteren Konsequenzen) von Fissmer aus oder war er „nur“ Erfüllungsgehilfe der Reichswehr? Dokumente zu seinen anfänglichen Geheimverhandlungen im Kriegsministerium sind meines Wissens bisher nicht bekannt (womöglich auch gar nicht mehr erhalten).
          2. Sofern das Gerücht zutrifft, dass sich im Kulturbauamt im Hermelsbacher Weg eine V2-Leitstelle befunden hat: Welche Rolle spielte Fissmer dabei, dass dieselbe in Siegen und noch dazu in einem Städtischen Verwaltungsgebäude eingerichtet wurde? (Solche der SS unterstehenden Leitstelllen dienten der anfängllichen Funk-Fernsteuerung der V-Waffen nach ihrem Abschuss, u.a. auch der, die am 16.12.1944 im Zentrum Antwerpens einschlug.)

          • Danke für die Anregungen! War das Kulturbauamt nicht Kreissache? Also war dieses städtische Gebäude dann „nur“ vermietet?

  22. Herr Kunzmann liegt m. E. richtig. Ich habe dazu eine Notiz meines Vaters Wilhelm Fries, vermutlich von 1985, die er anlässlich der Erinnerung an die Garnisonswerdung der Stadt Siegen 1935 aufgeschrieben hat: „Bau der Kasernen in Siegen.
    Die Baugenehmigung der ersten Kaserne in Siegen (1933) am Wellersberg geht auf das Jahr 1931/32 zurück. Mein Bruder Karl Fries (Anstreichermeister), der an den Kasernen gearbeitet hat, konnte dies auf den Zeichnungen feststellen. Wirtschaftlich war der Bau der Kasernen bei der damaligen großen Arbeitslosigkeit positiv. Wie später festgestellt werden konnte, hat sich der damalige Oberbürgermeister von Siegen, Alfred Fißmer, für den Standort Siegen sehr bemüht.
    Bei dieser Gelegenheit denke ich an die Unterhaltung, die Wilhelm Steinbrück und ich Anfang der 30er Jahre mit dem damaligen (ehemaligen!) Ministerpräsidenten von Sachsen, Dr. Erich Zeigner, anlässlich von Vorträgen für die Friedensgesellschaft im Hotel Monopol in Siegen bis nachts 3 Uhr hatten. Zeigner gab uns damals einen Überblick über die geheime Organisation der deutschen Wehrmacht. Fritz Fries zog die Angabe von Dr. Zeigner sehr in Zweifel. Dr. Zeigner sprach damals in einer öffentlichen Versammlung für die DFG bei Langenbach in Siegen, Wilhelmstraße.“
    Das Thema der Versammlung am 19. Mai 1931 lautete: „Kommen Hitler und Hugenberg an die Macht?“ Der Pressebericht der Sieg-Rheinischen Volkszeitung dazu ist in meinem Buch über die Deutsche Friedensgesellschaft im Bezirk Sieg-Lahn-Dill wiedergegeben.

    • Danke für den Hinweis! Deckt sich so zumindestens nicht mit der einschlägigen Literatur (H. Bäumer), wenn ich mich recht erinnere.

      • Ob H. Bäumers Elaborat zur Kasernengeschichte „einschlägig“ ist, sei dahingestellt. Auf die historischen Hintergründe der Garnisonwerdung Siegens geht er kaum ein, schwelgt dafür ausgiebig in Erinnerungen an die Militärmusik, in deren Genuss die Siegener ab 1935 endlich kamen. Schwamm drüber.
        Fissmer (wie auch seine Amtskollegen in anderen Garnisonstädten) hatte in den 1940er Jahren auf Bitten der Wehrmacht eine Geschichte der Garnison geschrieben (Manuskript im Stadtarchiv Siegen vorhanden). Demnach war die Belebung der lokalen und regionalen Wirtschaft ein angenehmer Nebeneffekt (den man m. E. nicht überbewerten sollte, da die Wehrmacht als Bauherr sicherlich ihre eigenen Kriterien für die Auftragsvergaben hatte); das Hauptmotiv war definitiv, so Fissmer, frühzeitig die Kriegsfähigkeit Deutschlands wieder herzustellen, ohne formal gegen die Auflagen des Versailler Vertrages zu verstoßen. Dafür bot sich die Stadt Siegen an: Verkehrsknotenpunkt, militärisch brauchbare Industrieeinrichtungen und vor allem: Nicht weit vom Rhein aber gerade noch außerhalb des entmilitarisierten 50-km-Korridors gelegen.
        Neben der von Fissmer verfassten „Geschichte“ lassen auch seine vor dem Krieg und während desselben wiederholt aber vergeblich an die Wehrmachtsführung gerichteten Anträge auf Verlegung weiterer militärischer Einrichtungen keinen Zweifel an seinen Intentionen. Frei nach dem sogenannten US-Präsidenten: „Make Siegen and The Reich great again!“
        Herrn Wolfs Frage zum Kulturbauamt ist wohl berechtigt. Über eine Einrichtung des Kreises hätte theoretisch der Landrat seine schützende Hand halten müssen. Wie es sich in diesem Fall verhielt, müssten weitere Recherchen ergeben. Erwähnenswert ist vielleicht, dass Alfred Fissmer seine Aufrüstungsaktivitäten außerhalb der kreisfreien Stadt Siegen nicht als Oberbürgermeister derselben verfolgte (das wäre Amtsmissbrauch gewesen), sondern dafür vom Wehrmachtsfiskus 1935 als Kommissar eingesetzt worden war. (Ernennungsurkunde im Stadtarchiv Siegen.) Mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet, hatte er freie Hand, z.B. um ca. 400 ha Haubergsgelände in den Ämtern Weidenau und Freudenberg für den Truppenübungsplatz zu roden und die Trupbacher Haubergsgenossen zu enteignen, weil sie ihm ihr Land nicht verkaufen wollten. Konflikte mit den jeweils amtierenden Landräten, die sich gelegentlich vor vollendete Tatsachen gestellt sahen, waren vorprogrammiert.

  23. Derzeit ist in der lokalen Diskussion die Feststellung zu hören, die Fissmer unterstellte kommunale Polizei sei in die Festnahmeaktion der jüdischen Männer im Kontext der Synagogenbrandstiftung im November 1938 nicht involviert gewesen, und zwar deshalb, weil die Polizei „nicht gewollt“ habe. Mit anderen Worten: weil Fissmer das nicht gewollt habe. Daraus leite sich eine positive Facette im „Gesamtbild“ von Fissmer ab.
    Basis dieser Schlussfolgerung ist eine Zitierung von Hugo Hermann, einem der Festgenommenen. Leider ist nicht angegeben, woher sie genommen ist (und auch nicht angegeben, wo sie endet, denn im Fließtext fehlt das Abführungszeichen). Sie ähnelt der Zitierung Hugo Herrmanns durch Klaus Dietermann in dessen Broschüre „Die Siegener Synagoge“ (S. 4). Zu den Unterschieden gehört, dass bei Dietermann Hugo Herrmann die Festnahme dreimal in dem kurzen Text auf den 9. November legte, morgens, was heißen würde, dass es sich um eine Verhaftungsaktion viele Stunden vor der zentralen Anweisung in der Nacht vom 9. auf den 10. November und weit vor den reichsweit sich ereignenden Festnahmen gehandelt hätte. Das wiederum hieße, dass es eine lokale Initiative gewesen wäre und die könnte nicht am Oberbürgermeister vorbei gelaufen sein. Dafür wäre dann Fissmers Wort entscheidend gewesen.
    Möglich ist natürlich auch, dass Hugo Herrmann trotz des dreimaligen Verweises auf den 9. November einem Irrtum unterlag. Er war als „Zeitzeuge“ gefragt, und auch Zeitzeugen können irren. Das weiß jeder etwas Ältere ohne nähere Erklärungen. Das besondere Maß an Glaubwürdigkeit, das dieser Quelle im allgemeinen Verständnis zugesprochen wird, ist grundsätzlich nicht gerechtfertigt, auch wenn man die Perspektive nicht auf den „Zeitzeugen als den Feind des Historikers“ zuspitzen muss. Distanz zur Quelle ist also auch hier angebracht.
    Wäre der 10. November der Tag gewesen, an dem sich sowohl die Brandstiftung als auch die Festnahmen nach den zentralen Vorgaben ereignet hätten, wäre Folgendes zu berücksichtigen: Es wäre zwischen der Sicherheitspolizei, also Kripo und Gestapo, einerseits und der „grünen“ uniformierten Polizei, die Fissmer unterstand, andererseits zu unterscheiden. Die beiden hatte jeweils unterschiedliche Kompetenzbereiche. Die Verhaftungsaktion war Gestaposache und lag außerhalb der Entscheidungskompetenz von Fissmer. Die Kripo, die an der Brandstelle im Auftrag der Staatsanwaltschaft präsent war, ebenfalls. Aus dem Verhalten von Gestapo und Kripo lässt sich also zu Fissmer nichts ablesen. Kommunale Polizeikräfte schickte er los, um Plünderungen zu verhindern – es sollte von dem, was anschließend vom Reich requiriert werden sollte, nichts wegkommen –, was nicht ganz gelang. Es kam auch zu Plünderungen. Innerhalb der Brandstiftergruppe war mindestens mit dem SS-Mann Schmidt auch die Stadtverwaltung vertreten. Von Reaktionen darauf durch Fissmer ist nichts bekannt.
    Die oben zitierte Schlussfolgerung zugunsten des OB geht demnach umfänglich in die Irre.

  24. Zur Rolle Fissmers bei der Etablierung des Landgerichts Siegen s. Walter Irmer/Gerhard Schnautz: Siegens Kampf für sein Landgericht, in: Landgericht Siegen (Hg.): Recht im südlichen Westfalen. Festschrift zum 50jährigen Bestehen des Landgerichts Siegen, Siegen 1983, S. 13 – 19

  25. Hugo Herrmann in seiner Rede am 9. November 1962 in der Geisweider Friesenhalle: „In Siegen geschah weiter nichts. Während man in fast allen Städten und Dörfern sich nicht damit begnügte, die Synagogen zu zerstören, plünderte man dort die Geschäfte und demolierte die Wohnungen der Juden.
    Das haben die Siegener Juden dem damaligen Oberbürgermeister Fißmer zu verdanken. Derselbe soll erklärt haben, daß er an der Vernichtung der Synagoge und der Verhaftung der Juden nichts ändern könne. Aber für die Ruhe und Ordnung in der Stadt Siegen habe er zu sorgen. So kam es, daß in unserem Privathaus am Giersberg die ganze Nacht ein Kriminalbeamter gewacht hat. Wohl einmalig in Deutschland. Anderntags fand man in unmittelbarer Nähe Haufen von Flaschen und Steinen.“
    Wilhelm Fries hat bezeugt, dass im Geschäft der Familie Frank in Weidenau weder geplündert noch irgendetwas zerstört wurde. SA-Männer haben den Eingang bewacht.
    Empfehlenswert: Wolfgang Benz – Gewalt im November 1938 – Die „Reichskristallnacht“. Initial zum Holocaust, Bonn 2018, Sonderausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung
    Darin wird beschrieben, dass neben Plünderung und Zerstörung Menschen brutal gequält und getötet wurden.

  26. Hinzuzufügen wäre freilich, dass der wegen Teilnahme an der Synagogenbrandstiftung angeklagte und dann verurteilte Obersturm[bann?]führer der SS Walther Schleifenbaum im Verfahren 1947 erklärte, er habe in Siegen bei den „Ausschreitungen gegen die Juden im November 1938 … auch das zertrümmerte Schaufenster eines jüdischen Geschäftes gesehen.“ Das war eine Aussage, die nicht ent-, sondern belasten konnte.
    Mir erzählte als Besucherin der Siegener NS-Gedenkstätte am 7. November 2010 eine ältere Dame (* 1931), ihren Namen lasse ich mal weg, die Kölner Straße in Siegen sei zumindest in einem Teilbereich am Pogromtag mit Scherben übersäht gewesen, wie sie gesehen habe. Gegenstände seien aus Läden auf die Straße geflogen.
    Hugo Hermann bezog sich mit dem was er zu Fissmer vortrug und wofür die Siegener Bevölkerung diesem Dank schulde, wie er meinte, auf ein Hörensagen, auf eine umlaufende Entlastungsgeschichte. In der Fissmerschen Entnazifizierungsakte ist tatsächlich dazu Aussage zu finden: 1948 erklärte Fissmer, er habe im November 1938 „Doppelpatrouille mit Karabiner“ durch die Polizei angeordnet, um Plünderungen zu verhindern. Das war eine Aussage, die nicht be-, sondern entlastete. Wäre es so gewesen, was mit der Behauptung von Fissmer natürlich nicht bewiesen ist, würde er nur den Vorgaben von oben entsprochen haben, denn, wie schon gesagt, die Reichsführung hatte im Sinn, statt durch spontan ablaufende Plünderungen sich des Eigentums der jüdischen Minderheit systematisch in einem zentral organisierten geschlossenen Ausplünderungsverfahren anzueignen.
    Dass die Siegener Bevölkerung vielleicht sogar stärker als die Bevölkerung anderer Städte der Versuchung zu plündern ausgesetzt war, dafür sprechen die Siegener Vorerfahrungen von 1921, die ja noch in guter Erinnerung gewesen sein werden. 1921 war es vor allem, aber nicht nur auf dem Siegberg im Zuge von Straßenunruhen zu umfangreichen Plünderungen zahlreicher Läden in jüdischer Inhaberschaft gekommen. Fissmer, der schon damals OB, wird das bewusst gewesen sein. Für die Annahme, dass es ihm um das Wohl der jüdischen Bevölkerung gegangen sein könnte, falls er wie von Herrmann behauptet Plünderungen zu unterbinden versucht haben sollte, dafür gibt es keine seriösen Belege.
    Und noch einmal zu Hugo Herrmann und zu dessen Erklärung „So kam es, daß in unserem Privathaus am Giersberg die ganze Nacht ein Kriminalbeamter gewacht hat. Wohl einmalig in Deutschland.“ Ob einmalig, muss naturgemäß offen bleiben, die Kripo war auf Anruf gekommen, nachdem ein dicker Stein durch das Fenster des Kinderzimmers geflogen kam, das Steinwerfen hörte daraufhin auf, die Kripo ging wieder, das Steinwerfen wurde fortgesetzt, erneut Kripo (Klaus Dietermann, Die Siegenener Synagoge, S. 24). Wer die zentralstaatliche nichtkommunale Polizei geschickt hatte, ist unbekannt. Gesichert lässt sich sagen, dass nach dem NS-Ende dieser Vorgang ebenso wie die Legende von der Nicht-Plünderung dem Fissmer-Mythos hinzugefügt wurde.
    Nein, die Zeitgeschichte hat sich in Siegen so ereignet wie an vielen anderen Orte, der NS-Bürgermeister verhielt sich so wie andere Bürgermeister an anderen Orte auch. Die Stadt war nicht die Ausnahme von der Regel. Was ist daran so schwer zu akzeptieren?
    Und schließlich: nichts, von dem, was hier zu lesen ist mit Ausnahme der Angabe der älteren Dame ist neu. Was sich sagen lässt, ist, dass mühsam erarbeitetes gesichertes Wissen dabei ist, zugunsten der Mythen der 1950er bis 1970er Jahre revidiert zu werden. Das ist nach einer ähnlichen Diskussion im vergangenen Jahr erneut das Problem.

  27. Einverstanden! Allerdings fehlt eine wissenschaftliche Biographie, die z. B. die im Stadtarchiv Siegen befindlichen Diensttagebücher Fissmers auswertet. Ein Ego-Zeugnis zwar, dass sicher präzise bearbeitet werden muss. Aber der Fund der Mitgliedschaft in der Nordischen Gesellschaft, rechtfertigt m.E. die Mühe, diese Auswertung dem bisherigen Kenntnisstand hinzuzufügen. Ob sich dadurch die Politik zu einer eindeutigen Entscheidung hinsichtlich der Fisser-Anlage hinreißen lässt oder gar die uneingeschränkten Fissmer-Befürworter eine kritischere Haltung einnehmen, ist für mich zweitrangig

  28. Zu viele Aufschlüsse sollte man aber gerade von den persönlichen Handakten nicht erwarten. Darin hatte Fissmer eben allmögliches abgeheftet, womit er sich den lieben langen Tag lang beschäftigte. Naturgemäß finden sich da viele (im Rückblick) Banalitäten. Man gewinnt den Eindruck eines Oberbürgermeisters, der seine Augen im Dienst und nach Feierabend überall hatte, dem der gute äußere Eindruck „seiner“ Stadt wichtig war und der sich deshalb über so weltbewegende Mißstände echauffieren konnte wie z.B. Grasbüschel, die auf dem Rathausplatz zwischen den Pflastersteinen wuchsen. Und, wie oben erwähnt, fehlen in dieser Serie die Akten aus den letzten Kriegsjahren. (Warum?)
    Von größerem Interesse könnte (den Titeln nach zu vermuten) im Stadtarchiv z.B. eine ganze Reihe von Akten zu Behandlung, Unterbringung und im kommunalen Bereich erfolgtem Arbeitseinsatz von Kriegsgefangenen und zivilen Zwangsarbeitern sein, deren Dienstherr der OB war. Wenn er so ein großer Menschenfreund war, wie die Legende behauptet, müsste sich das ja dann auch in solchen Dokumenten widerspiegeln. (Ich habe da meine Zweifel, aber als Gast in Siegen, der ich erst seit 22 Jahren bin, halte ich mich zurück.)

    • Wenn die Güte eines Arguments, wie vor wenigen Tagen zu erleben, in Wortmeldungen der Paralleldiskussion wortwörtlich danach abgewogen wurde, ob ein Sprecher innerhalb oder außerhalb des Gebirgskessels zu situieren ist, stößt man auf Qualitätskriterien mit Tradition. Die bringen, ließe sich sagen, in der Sache nichts, aber das stimmt nur halb, sie bringen filzigen Regionaltraditionen, die da eine Weile ein Problem hatten, verlorene Anerkennung. Die sind eben doch immer noch ein gutes Klebemittel.
      Sagt jemand, der nicht ganz vier Jahrzehnte Aufenthalt nachweisen kann, was ja so viel nicht ist, und nach seiner Rückkehr an den Ausgangsort („außerhalb“) die Annahme bestätigt fand, dass es dort auch nicht anders zuging und zugeht. Es könnte etwas mit dem ganzen Land zu tun haben, dem „Innerhalb“ aller Gesprächsteilnehmer.

  29. Ich frage mich gerade, ob die Diskussion zwei Ebenen hat ,die gerne miteinander verwoben werden? Eine (erinnerungs)politische Ebene, die hier wie überall in der Bundesrepublik traditionsbehaftet verläuft, und eine geschichtswissenschaftliche, wobei gerade die bis jetzt noch nicht bzw. wenig bekannten Kleinigkeiten nicht uninteressant ist. Der von Fissmer mit Argusaugen überwachtet Strassenzustand in Siegen, dessen Vorschlag zum Weihnachtsmarkt oder dessen Hartnäckigkeit bei der Ansiedlung des Landgerichts sind Mosaiksteine, die zusammengefügt eine präzisere Biographie ergeben werden, die nicht unbedingt Einfluss auf die erinnerungspolitische Diskussion haben wird.

  30. Das trifft m. E. gut den sarkastischen Ton an Stellen der letzten zwei Beiträge (wenn ich nicht nur mich, sondern auch Peter Kunzmann richtig verstanden habe). Es ist natürlich richtig, noch wieder auf das Thema zu verweisen. Wenn wir dann dabei sind, noch wieder zu sammeln, nämlich Bearbeitungsdefizite, dann komme ich noch wieder auf das Regionale Personenlexikon zurück. Dort finden sich die folgenden Stichworte im Fissmer-Artikel zu Fissmers Rolle in der Weimarer Republik:

    „ohne enge Parteibindung stets an der Seite des völkisch-nationalistischen Lagers (Selbstbezeichnung: „vaterländisches Lager“) von DNVP, NSDAP, Kriegervereinen, Antisemitischem Schutz- und Trutzbund (Selbstbezeichnung: „Siegerländer Hakenkreuzer“), Bismarckjugend usw., daher wiederholt Konflikte mit Oberbehörden wegen städtischer Toleranz für antirepublikanische Aktivitäten (so 1924 wegen Unterstützung der zunächst als verfassungsfeindlich verbotenen Großveranstaltung „Deutscher Tag“ mit führenden Beiträgen aus der verbotenen NSDAP), nie an der Seite von DDP, SPD, KPD oder des Zentrums in deren Kampf gegen die vereinte Rechte, daher deren gemeinsamer Protest gegen parteiliche und verfassungsfeindliche Politik und Praktiken des OB (1927), schon vor 1933 verbotswidrige Beschäftigung von stadtbekannten Vertretern der äußersten Völkischen im städtischen öffentlichen Dienst (z. B. Wilhelm Langenbach, Deutschvölkische Freiheitsbewegung, Albert Link, NSDAP, Theo Steinbrück, NSDAP) und Entlassung Linker (Willi Kollmann 1932 nach dessen Wechsel von der SPD zur KPD), F. zur Machtübernahme (1933): „Heute weht in [dem Regierungsbezirk] Arnsberg ein anderer Wind.“

    Darunter dann Hinweise auf die Quellen. Der Weg ist also vorbereitet, dem gründlicher nachzugehen.

  31. In der Print-Ausgabe der Siegener Zeitung vom 13.6.2020 finden sich zwei Leserbriefe („Eine PR-Aktion“ und „Scheinheiligkeit“), die sich mit dem FDP- Vorhaben der Umbenennung der Fissmer-Anlage ausinandersetzen.

    • Für mich ist es wichtig, dieser interessanten Diskussion noch zwei oder drei Dinge hinzuzufügen:
      Das auf facebook veröffentlichte Zitat von Hugo Hermann ist dem Buch „Jüdisches Leben in Stadt und Land Siegen“ entnommen (ich unterstelle, dass sich die Frage darauf bezog, das war jetzt nicht so klar formuliert). Klaus Dietermann beruft sich bei der Wiedergabe auf die Tonbandprotokolle. Ich vertraue ihm in dieser Beziehung mehr als anderen, die hier vielleicht anderes lieber sehen würden. Es ist ein Zitat, das mit Einordnung in den Kontext von Nutzen sein kann. Es dient nicht zur Exkulpierung, sondern ist ein Ansatz zu weiteren Recherchen. Welche Zitierung der Kommentator meint, verrät er uns interessanterweise nicht.
      Die Fundstelle aus dem Bundesarchiv wurde gewünscht, ich hab` sie geliefert, und nun ist es doch wieder nicht richtig, geschweige denn wichtig. Tatsache ist, dass die Fundstelle die Behauptung gegenstandslos macht (Bei der Gelegenheit: In des Kommentators Beiträgen gibt es viele Behauptungen, die nicht belegt sind.) Das Zitat gehört auch zur Biografie Fissmers dazu, weil es unter anderem zum Verhältnis Fissmers zum Gauleiter aussagekräftig ist.
      Zweitens finden sich hier in dieser Gesamtdiskussion so viele Details, dass man vermuten darf, ein Gesamtbild könnte die Stadtforschung in Siegen – und nicht nur die Fissmer-Forschung – einen großen Schritt voranbringen. Ein solches Gesamtbild muss natürlich ergebnisoffen erforscht werden. Man darf aber nicht vom gewünschten Ergebnis her rückwärts ermitteln, um sich dann selber augenzwinkernd zu bestätigen.
      Dankbar bin ich für die Hinweise von Peter Kunzmann auf die Aktivitäten Fissmers bei der Akquise zusätzlicher Militäreinrichtungen. Fissmer dürfte sich mit seiner Wirtschaftsförderungsstrategie in die Reihe anderer Garnisonsstadt-Oberbürgermeister würdig eingefügt haben (dazu sei auf die Geschichte der Bielefelder und Herforder Garnison verwiesen) Richtig ist auch, dass die Qualität der Handakten Fissmers ohne Kontext nicht wirklich gut nutzbar sind. Recht hat Herr Kunzmann natürlch auch mit seinen Verweisen auf das Bundesarchiv. Ergänzt werden müsste hier ein Hinweis auf die Qualität der Entnazifizierungsakte von Fissmer im Speziellen und die von Entnazifizierungsakten im Allgemeinen. Erhellend finde ich die ergänzenden Hinweise von Traute Fries zu Hugo Hermann und erlaube mir dazu den Hinweis, dass auch die Rolle Fissmers bei der Vermarktung der Villa Hermann auf dem Giersberg an General Hollidt (zum Einheitswert von, ich glaube 34000 RM) irgendwie aus der Betrachtung herausgefallen ist. Spannend fände ich es auch, einige der hier aufgeworfenen Fragen – etwa zur Entlassung und dem Schicksal des Sparkassenangestellten Friedrich Vetter in den Kontext zu stellen – dass nämlich die Situation der Siegener Sparkasse aufgrund eines bereits zehn Jahren schwelenden Skandals um ein allzu spekulatives Großinvestment nicht ganz einfach war und dass Fissmer damals vom NS-Gauleiter Wagner wegen seiner Rolle in der Sparkassen-Affäre als Oberbürgermeister als „nicht haltbar“ bezeichnet wurde und zum freiwilligen Rücktritt aufgefordert wurde. Kontext und Duktus spannend sein, wenn Fissmer zur Beschleunigung der Siegener Hochbunkerbauten zusätzliche Zwangsarbeiter forderte.
      Damit sehe ich der Diskussion im Siegener Rat um die Umbenennung der Fissmer-Anlage sehr gespannt entgegen, wobei ich nicht mit historisch tiefgreifenden Erörterungen rechne. Ebenso gespannt bin ich darauf, ob es – ähnlich wie hier an manchen Stellen – den Versuch geben wird, die notwendige Diskussion auf Fissmer-Freunde und Fissmer-Gegner, auf gute Meinung oder schlechte Meinung zu reduzieren, wie das heute in den Seichtgebieten unserer Diskursgesellschaft Mode geworden ist. Genau das soll es nicht sein. Den Vorwurf der Geschichtsfälschung an Dieter Pfau und sein Team im Zusammenhang mit der Ausstellung im Krönchen-Center 2005 empfinde ich in diesem Kontext als zumindest grenzwertig.
      Für mich persönlich nehme ich in Anspruch, dass ich eigentlich nur an dem interessiert bin, was wirklich war, und auch, dass die Stadt mit einem solchen Anstoß den Neueinstieg in eine neue Erinnerungskultur schaffen kann, nachdem bisher in der Tat Erinnerungen, Anekdoten und Mythen eine ziemlich große Rolle spielten. Ich muss auch niemanden verteidigen, vielleicht auch deshalb, weil ich die Fissmer-Frage eher historisch als politisch betrachte.

    • Tatsache ist: Es handelt sich um einen Bürgerantrag aus dem Jahr 2018, der im Rat diskutiert wird, und nicht um einen Anstoß der FDP-Fraktion. Die Zeitungsberichterstattung war insofern grob fehlerhaft.

      • Der unausgewiesenen Zitierung von Hugo Herrmann bei facebook stellte ich das Herrmann-Zitat bei Dietermann, Die Siegener Synagoge (1996, 2. Aufl.), S. 4, deshalb gegenüber, weil dieses sich von der facebook-Zitierung an einer ganzen Reihe von Stellen unterschied. Nun sind die Dinge ja geklärt. Ein Vergleich mit der jetzt vorgenommenen Fundstelle für facebook (Dietermann, Jüdisches Leben in Stadt und Land Siegen, 1998, S. 97) ergibt, dass tatsächlich beide Zitierungen Herrmanns durch Klaus Dietermann erstens an etlichen Stellen auseinandergehen und die erste auch sehr viel umfangreicher ist, und dass sie zweitens die Gemeinsamkeit aufweisen, dass der Zitierende beide Male erklärt, er zitiere Herrmann wortwörtlich. Daraus sollte hinreichend deutlich werden können, dass meine Nachfrage unvermeidlich war, solange die Quelle für die facebook-Zitierung fehlte.
        Ein Punkt ist aber nicht zu übersehen, eine nun vorgenommene Veränderung durch den Einsteller. Er schreibt auf facebook:
        „Der 10. November 1938 um 9:00 Uhr war das Geschäftshaus noch voller Leute, und ich wohnte damals mit meiner Familie oben im Geschäftshaus im obersten Stock, dem siebten. …“
        Original:
        „Um 9 Uhr war das Geschäftshaus noch voll Leute, und ich wohnte damals mit meiner Familie oben im Geschäftshaus im obersten Stock, im 7. …“

        Die dietermannsche fette Überschrift („Der 10. November 1938“) für das Brandstiftungskapitel machte er zu einem Teil seines auch wegen anderer sichtbar werdender Veränderungen fragwürdigen „Zitats“. Ich enthalte mich jedes Versuchs einer Erklärung für diese Umarbeiten, komme aber an der Feststellung nicht vorbei, dass diese eine Einfügung eines Tattags von ganz besonderer Bedeutung ist, denn sie widerspricht Herrmann. Dieser platzierte in dreifacher Betonung die Verhaftungsaktion auf den 9. November und damit viele Stunden vor das Heydrich-Fernschreiben vom 10. November, 1.20 h, in allen Bezirken „insbesondere wohlhabende Juden“ festzunehmen und dazu Kontakt wegen Unterbringung mit den KZ-Leitungen aufzunehmen. Dietermann, dem der Pogrom-Kalender aus der Literatur bekannt gewesen sein wird, hatte keine Zweifel, dass es in Siegen so war, wie von Herrmann mitgeteilt: „Alle jüdischen Männer wurden an diesem Tag [9.11.] verhaftet und ins Rathaus gebracht.“ (Siegener Synagoge, S. 23)
        Der Verweis auf den 10. November stellt das infrage, und das ist deshalb hervorzuheben, weil Siegen mit dem 9. November als Verhaftungstag eine Ausnahme darstellt, die nicht ohne mindestens einen wesentlichen Verantwortungsanteil des OB F. als lokalem Polizeichef für diese Verhaftungen erklärbar ist. Plausibel würde sie durch die lokalen Aktivitäten, wie sie sich im benachbarten Hessen, zahlreich in Nordhessen, aber auch andernorts, bereits am 7. und am 8. November ereignet hatten (ich habe in „Mit Scheibenklirren und Johlen“ ausführlich darauf hingewiesen).

        Damit sind wir dann beim Kern des Themas. Wenn F. der Diskussion ausgesetzt ist, wenn er als Namengeber infrage gestellt ist, dann geht es dabei um seinen Anteil am Aufstieg, an der Etablierung und an der Sicherung/Erhaltung der Naziherrschaft, um seine Verantwortlichkeiten und um seine Integration in die Naziverhältnisse. Seine Mitgliedschaft in der NSDAP, die durch nichts bestreitbar ist, ist nur ein Ausdruck dafür. Seine Weigerung, sich jemals dazu selbstkritisch zu äußern, ein weiterer. Seine Praxis als NSDAP-OB in Fragen, die den verbrecherischen Charakter der NS-Politik berühren, das ist zu klären, nicht sein Sachbeitrag zur Ausstattung der kommunalen Schulen, zur Regelung der Müllabfuhr oder zum Straßenbau. Diese Form von Aufrechnung geht so daneben wie etwa der Autobahnbau, der wie erinnerlich gern von der Zeitzeugengeneration jahrzehntelang kompensatorisch für „die guten Seiten“ der Nazizeit angeführt wurde. Das ist inzwischen abgeklungen, sollte diese Form der Argumentation nun fürs Siegerland wieder aufgegriffen werden?

        • Gerade nicht. Ich wiederhole mich gerne. Es geht nicht darum, Fissmer zu exkulpieren, sondern ein historisch stimmiges Gesamtbild zu präsentieren, das die Stadtforschung insgesamt weiterbringen wird. Und wenn Fissmer am Ende fundiert als belastet, als Mittäter betrachtet werden kann (ich glaube auch, dass viele Indizien dafür sprechen), dann ist das so. Seine Nachkriegshaltung zu seiner Rolle in der NS-Zeit ist relevant. Seine Rolle als Leiter der Polizei in der Weimarer Republik gegenüber Nazis und Völkischen ist ebenso relevant. Genau das ist ja das Ziel historischer Forschung, dass man ein stimmiges Gesamtbild hat. Und genau da ist der alte Fissmer eben nicht auserforscht, Herr Peter Kunzmann hat auf die möglichen Quellenfunde in überregionalen Archiven bereits hingewiesen, Traute Fries auf die Nachkriegsbeiträge von Hugo Hermann zu Fissmer, die natürlich immer nur Ausgangspunkt für weitere Fragestellungen sein können. Und dass in der Siegener Erinnerungskultur manches von Mythen und Hörensagen überlagert wird – geschenkt. Das ist das tägliche Brot des Historikers, Licht hineinzubringen.

  32. Zitat, datiert vom 28. Mai 1937, aus einer Personalakte des Siegener Rechtanwaltes und Notars Fritz Bause: “ …. Seit der Errichtung des Landgerichts und der Garnison in Siegen sowie dem Wiederaufblühen des Siegener Wirtschaftsleben sei in den Notariaten ein derartiger Aufschwung zu verzeichnen, dass für weitere Notarstellen Platz vorhanden sei, ….“
    Link: http://www.siwiarchiv.de/fritz-bause-1943-beginn-einer-recherche/#comment-96012 .
    Eine Frage an die Wirtschaftshistoriker: Waren Garnison und Landgericht nur teilweise verantwortlich für das Wiedererstarken der Siegener Wirtschaft?

  33. Verwaltungsvorlage v. 15.6.2020 zur „Umbenennung der Fissmer-Anlage“ für die Sitzung des Rates der Stadt Siegen:
    Beschlussvorschlag:
    Der Rat der Universitätsstadt Siegen stellt fest, dass die Grünanlage neben der Nikolaikirche weiterhin den Namen „Alfred FissmerAnlage“ trägt. Darüber hinaus beschließt der Rat, eine Informationstafel zur Person Alfred Fissmer analog bisheriger Hinweise (Acrylausführung) anzubringen. Darüber hinaus werden auf der Webseite https://unser-siegen.com weitergehende Informationen zur Verfügung gestellt.

    Sachverhalt / Begründung:
    Ausgelöst durch eine Bürgeranregung hat sich der Haupt-und Finanzausschuss in seiner Sitzung am 30.05.2018 mit der Umbenennung der Alfred-Fissmer-Anlage befasst. In der Vorlage dazu (Nr. 1894/2018) wurde seitens der Verwaltung schon damals beschrieben, dass die Einordnung des ehemaligen Siegener Oberbürgermeisters difizil ist und unterschiedliche Blickwinkel betrachtet werden müssen. Damals wurde ausgeführt, dass über eine Ausstellung und die damit vorbereitenden Informationszusammenstellung möglicherweise weitere Erkenntnisse gewonnen werden können. Zunächst ist festzuhalten, dass aus unterschiedlichen Gründen die Ausstellung nicht umgesetzt worden ist.

    Gleichwohl sind seitens der Verwaltung weitere Recherchen angestellt worden. Unter anderem wurden die Akten zum Schwarzschlächter-Prozess gesichtet wie auch Einblick in die angesprochene Entnazifizierungsakte genommen. Als Ergebnis vorweg kann festgestellt werden, dass auch hieraus und aus weiteren Quellen keine finale Beurteilung Fissmers in die eine wie die andere Richtung vorgenommen werden kann.

    Das Stadtarchiv Siegen liefert in der Anlage eine biografische Skizze über die Person Alfred Fissmer. Wie schon in der Vorlage 1894/2018 ausgeführt, dürfte auch hier bei der Lektüre deutlich werden, dass das Thema Fissmer äußerst facettenreich ist. Insofern bietet auch das Biogramm im Detail keine Gewähr für Vollständigkeit, sondern es ist als ein Überblick zu verstehen. Nichtsdestotrotz dürften alle wesentlichen –insbesondere kritischen – Aspekte in der Vita des ehemaligen Oberbürgermeisters thematisiert sein.

    Auf wertende Bemerkungen wurde verzichtet bzw. an diskutablen Stellen wurde versucht, auch gegenläufige Meinungen einfließen zu lassen. Das Biogramm stellt daher einen möglichst wertneutralen Abriss der Vita Fissmers dar. Insgesamt wird aber auch daran deutlich, dass eine Entscheidung „Für“ und „Wider“ abzuwägen ist.

    Insofern wird noch einmal auf den Beitrag von Matthias Frese verwiesen, der ausführt, dass Straßennamen und Plätze eine Form von Geschichtspolitik darstellen. Sie würden den Erinnerungswunsch an die den Namen verleihenden Personen zu einem bestimmten Zeitpunkt abbilden. Von daher würden Straßenumbenennungen in die Erinnerungskultur eingreifen. Damit bestehe die Gefahr, dass einzelne Personen, Ort, Ereignisse aus dem Geschichtsbild einer Stadt getilgt und so kulturgeschichtliche und gesellschaftliche Zusammenhänge zerstört würden. Abhilfe könne hier eine transparente Aufklärungsarbeit leisten.

    Im Rahmen dieser Aufklärungsarbeit und im Kontext der Ausführungen des Herrn Frese schlägt die Verwaltung vor, dass der Name beibehalten, in der Anlage mit einem Hinweisschild die Person Alfred Fissmer auf Basis des Biogramms beschrieben und weitere Informationen auf der Internetseite https://unser-siegen.de [sic!] veröffentlicht werden. Denkbar ist darüber hinaus, im Rahmen einer Veranstaltung die Person Alfred Fissmer zu betrachten.

    Nachrichtlich sei noch darauf hingewiesen, dass die Umgestaltung der Alfred Fissmer Anlage gegenwärtig nicht mehr weiter verfolgt wird, so dass auch hierdurch die Anbringung der In-formationstafel möglich ist.“
    Quelle: Ratsinformationssystem der Stadt Siegen

  34. Ein Kommentar zu diesem Schlag ins Gesicht aller ernsthaften Historiker kann sich auf ein einziges Wort beschränken: „Peinlich.“ (Nämlich für die Stadt Siegen.) Und das soll nun auch mein letztes in dieser ganzen Angelegenheit sein.

    • Ich persönlich bin auch etwas irritiert bei dem, was die Stadt da „herausgefunden“ hat. Eine Basis für eine Entscheidung ist das jedenfalls nicht.

  35. Vorgelegt wurde, was in Auftrag gegeben wurde, ein Gesamtüberblick über die Vita, aber das ist nicht das, worum es geht.

    Thema war, ist und bleiben F. s Integration in die Rechtsaktivitäten gegen die Weimarer Republik innerhalb des von Deutschnationalen und Nazis einträchtig formierten „Vaterländischen Lagers“ und, nachdem das Ziel erreicht war, dessen Integration in das Naziregime und nach 1945 der Umgang damit.
    Dass er der Sohn eines bürgerlichen Industriellen war, dass er Jurist war usw., das ist in einer vertiefenden Beschäftigung mit seiner Entwicklung von Schwarz nach Braun sicher interessant, aber für die Platzbenennung nicht von Bedeutung.

    Die städtische Schlussfolgerung „unbelastet“ geht über das Entscheidende hinweg, deckt es zu, klebt am Mythos der 1950er Jahre.
    Und bedient sich bei der Weißwaschung ausgerechnet eines so windigen Sozialdemokraten wie dieses Fritz Fries, eines Vorläufers der späteren „Betonfraktion“, dem die eigene Partei den Stuhl vor die Tür setzte, weil er unerträglich geworden war.

    Nein, diese seit Jahren laufende Diskussion wird mit dem Täfelchen, einem Armutszeugnis, nicht beendet werden können. Sie wird weitergehen. Gut so, denn die schwarzbraunen Beiträge zum Aufstieg der Nazis und zu den sich anschließenden Verbrechen des Regimes, das sie durchgedrückt hatten und von dem ja auch F. sich nie wieder distanzierte, bleiben so in der Diskussion. Das ist wichtiger als drei feierliche Sätze an einem Gedenktag.

  36. In der heutigen Print-Ausgabe der Siegener Zeitung findet sich ein Leserbrief zur Umbenennung der Fissmer-Anlage mit der Überschrift „Angemessene Würdigung“.

  37. Pingback: Zur Benennung einer Straße nach Alfred Fissmer in Siegen, 1947 | siwiarchiv.de

  38. Zur gestern stattgerfundenen Ratssitzung, in der auch über Umbenennung diskutiert wurde, erschienen heute zwei Presseartikel:
    1) Hinter der Bezahlschranke: Hendrik Schulz Siegener Fissmer-Anlage behält Namen – Aufarbeitung angeregt, Westfälische Rundschau, Link: https://www.wp.de/staedte/siegerland/siegener-fissmer-anlage-behaelt-namen-aufarbeitung-angeregt-id229384466.html
    2) Hinter der Bezahlschranke: Mi(chael) R(oth) ?: Debatte um Fissmer ist erst der Anfang. Arbeitskreis soll über politisch strittige Namen von Plätzen und Straßen in Siegen diskutieren, Siegener Zeitung, Link: https://www.siegener-zeitung.de/siegen/c-lokales/strittige-namen-von-plaetzen-neu-diskutieren_a203149

  39. Und die Grünen so:

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    Rat beschließt Arbeitskreis zur Erinnerungskultur In die Debatte um die Namensgebung verschiedener Plätze und Straßen in unserer Stadt kommt Bewegung. Insbesondere die Person Alfred Fissmers wird schon lange Jahre kontrovers diskutiert. Der Rat der Stadt Siegen beschloß am 24.6.2020 nachfolgenden von uns formulierten Antrag mit großer Mehrheit: 1. Der Rat der Stadt Siegen beschließt eine Informationstafel zur Person Alfred Fissmer analog bisheriger Hinweise (Acrylausführung) an der Anlage anzubringen. 2. Form und Inhalt der Informationstafel werden dem Fachausschuss zur Beratung und Beschlussfassung vorgelegt. 3. Darüber hinaus werden auf der Webseite https://unser-siegen.com weitergehende Informationen zur Verfügung gestellt. 4. Der Rat der Stadt Siegen beschließt die Wiedereinsetzung eines Arbeitskreises, der sich mit den kritischen Namensgebungen von Straßen, Orten und Plätzen in unserer Stadt befasst und Leitlinien für eine Erinnerungskultur entwickelt und ggf. Empfehlungen zu neuen Namensgebungen oder Informationstafeln zur kritischen Würdigung der Personen vorschlägt. Neben der Bewertung kritischer Namensgebungen sollen Vorschläge erarbeitet werden wie sich die Stadt Siegen grundsätzlich eine Erinnerungskultur vorstellt. Dabei geht es natürlich auch um Namensgebungen, aber eben auch darum die zum Teil widersprüchlichen Verhaltensweisen von Persönlichkeiten, nach denen in unserer Stadt Plätze und Straßen benannt worden sind, zu beleuchten und sie in den Kontext ihrer Zeit zu stellen.

    Ein Beitrag geteilt von Bündnis 90/ Grüne Siegen (@gruene_siegen) am

    • Es war ein gemeinsam besprochener Antrag von Grünen und FDP, dem der verbliebene Teil der Jamaika dann doch nicht mehr zustimmen konnte. Die vermeintliche Urheberschaft der Grünen ist also, sagen wir mal, eher vom Wunsche getrieben.Nicht so schlimm. Was aber bemerkenswerter ist: Auch in diesem Antrag ist – ebenso wenig wie in der Verwaltungsvorlage – überhaupt keine Rede mehr vom inzwischen zwei Jahre alten Bürgerantrag, der formal und tatsächlich noch nicht beschieden ist.

      • Die Urheberrechtsfrage mögen die Fraktionen unter sich klären. Tatsächlich interessant ist, dass, wenn der Antrag von 2018 noch nicht erledigt, dann muss doch da irgendetwas passieren. Man hat jetzt den Eindruck, dass die Angelegeneheit mit der Ratsentscheidung seinen Gang geht. Erlaubt die Geschäftsordnung des Rates ein solches Vorgehen? Wenn nein, dann müsste formal der alte Antrag als hinfällig beschlossen werden.

  40. In der heutigen Print-Ausgabe findet sich ein Leserbrief, der eine Umbennung der Fissmer-Anlage als „[a]llenfalls peinlich“ bewertet. Der Brief enthält keine neuen Informationen, verweist aber auf die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes – ein Grund mehr, die m. W. noch nicht ausgewertete Ordensakte einzusehen.

  41. In der heutigen Print-Ausgabe findet sich ein Leserbrief, der das „[e]rhellende Biogramm (!)“, das der Verwaltungsvorlage – s.o. beigegeben war, lobt und die persönliche Wahrnehmung der Ratssitzung schildert.

  42. In der vergangenen Woche (Montag o. Dienstag) erschien in der Westfälischen Rundschau der Leserbrief „Fissmer – eine neue Legende“, der u. a. unbelegte Rechtfertigungsversuche pro Fissmer kritisiert.

  43. Das Geleitwort zur der von Paul Fickeler erstellten Publikation „Waldrich Siegen 1840-1955. Zur Geschichte der Stadt Siegen und des deutschen Werkzeugmaschinenbaues. Festschrift Dr.-Ing. E. H. Oskar Waldrich zum 75. Geburtstag“ (Siegen 1955) stammt von Alfred Fissmer, der als Oberbürgermeister i. R. und Ehrenbürger der Stadt Siegen unterzeichnet – und nicht als Mitglied des Aufsichtsrats, so dass man annehmen darf, dass Fissmer zu diesem Zeitpunkt noch nicht dem Aufsichtsrat angehörte.

    • Vielleicht ist ja der Titel des Alt-Oberbürgermeisters unter dem Geleitwort weihevoller gewesen als der des Aufsichtsrats, der ja gewissermaßen sein Heu im eigenen Stall frisst, wenn auch aus der ersten Klasse. Ich kann es gerade nicht belegen, aber irgendwo habe ich den Hinweis gelesen, dass er damals bereits Aufsichtsrat war.

      • Ich bin über die Nicht-Erwähnung des Aufsichsratstitel am Ende des Geleitwortes gestolpert. Alle bisherigen biografischen Darstellungen erwähnen leider nicht, wann Fissmer in den Aufsichtsrat eintrat. Daher ist jede Präzisierung willkommen.

  44. In dem bereits mehrfach erwähnten Biogramm der Stadtverwaltung heißt es:
    „….Darüber hinaus erfuhr das Museum im Oberen Schloss eine Neukonzeption und Modernisierung. …“ (S. 1) Differnzierter (?) schildert dies Martin Griepentrog in „Kunsthistorische Museen in Westfalen (1900 – 1950): Geschichtsbilder. , Kulturströmungen, Bildungskonzepte, Paderborn 1998, S. 107, 119, der dort die Neukonzeption des Museums als eine – weitere ?- Auseinandersetzung zwischen Fissmer und Hans Kruse darstellt.

  45. Ein Literaturfund zum Kaisergartenskandal:

    aus: Klaus Hoppmann-König: Mehr Gerechtigkeit wagen. Autobiographische Collage, Berlin 2006, S. 82

  46. In der heutigen Print-Ausgabe der Siegener Zeitung erschien ein Leserbrief unter der Überschrift „Namen beibehalten“ – nomen ist omen.

  47. Zum Thema Aufarbeitung ungute Bezeichnungen öffentlicher Orte entnehme ich gerade einer anderen Tageszeitung eine Nachricht von jenseits des Gebirgskessels:

    In Trier hat gerade der Stadtrat mit 29 zu 17 Stimmen bei vier Enthaltungen die Umbenennung der dortigen Hindenburgstraße beschlossen. Ein neuer Name ist erst noch in der Diskussion. Vordringlich war jedenfalls, dass der alte entfernt werden konnte.

    Hindenburg war ja wohl ebenfalls einer dieser deutschnationalen/nationalkonservativen Ehrenmänner, die dafür sorgten, dass der Führer durch Kasernen-, Bunker- und Straßenbau die durch den Ahnenpass ausgewiesenen „Volksgenossen“ wieder in Lohn und Brot bringen könnte. Die erfreut selbstverständlich erfreut waren. Bis hin zu manchen ihrer Enkel.

  48. Funde zum Kaisergartenskandal und Fissmer:
    1) Samstag, den 13. Dezember 1941, trägt Karl Friedrich Kolbow folgendes in sein Tagebuch ein: “ …. In dem Kaisergartenskandal in Siegen (Uebertretungen der KRiegswirtschaftsverordnungen) seien sowohl Kreisleiter Burk wie auch Oberbürgermeister Fißmer persönlich so sehr verwickelt, daß seines Erachtens [Anm.: gemeint ist Paul Giesler] ihr Weg am Gefängnis nicht vorbeiführen würde, was für Fißmer´s lange Beamtenlaufbahn entsetzlich sei. Besonders Herrn Heringlake [Anm.: In der Abschrift findet sich „Herrn Heminglake“] würde es an den KRagen gehen. …..“
    in: Dröge, Martin: Die Tagebücher Karl Friedrich Kolbows 1899 – 1945. Landeshauptmann der Provinz Westfalen, Paderborn 2009, S. 499

    2) Am 13. Juni 1942 schreibt Hermann Kuhmichel an Alfred Henrich:
    „…. Mein Widersacher, der Oberbürgermeister, hat sich ein Loch in den Bauch geschossen u. wird mir fernerhin kein Leid mehr zufügen. Ich hätte ihm trotz allem einen besseren Abgang gewünscht. …..“
    in: Henrich, Frieder: Mit Hermann Kuhmichel durch das Siegerland. Eine dokumentarische Zwischenbilanz über Leben und Werk des großen Künstlers, Siegen 2016, S. 93

    3) Auf der Homepage von Karl Heupel ein Pressebericht sowie eine Dokumentenpräsentation der Ausstellung „Justiz im Nationalsozialismus“ im Siegener Landgericht aus dem Jahr 2009. Die Präsentation enthält auch Angaben zum Verfahren gegen Fissmer.

    Gerade die Dramatik des Selbstmordversuchs verdeutlicht quasi im Brennglas, dass unterschiedliche Sichtweisen auf ein und diesselbe Handlung möglich sind. War das Motiv das verletzte Ehrgefühl eines preußischen Beamten und Offiziers, schiere Existenzangst oder ein Schuldeingeständnis?

    Neben tieferen Erkenntnissen zur Persönlichkeit Fissmersscheint eine Beschäftigung mit dem Kaisergartenskandal auch einen Blick auf das Zusammenwirken der NS-Funktioneliten mit den maßgeblichen Kreisen der Siegener Stadtgesellschaft zu erlauben.
    Umso bedauerlicher ist es, dass die zentralen Unterlagen der Staatsanwaltschaft am Dortmunder Sondergericht nicht erhalten sind. So können nur die Auswertung der Presse und Zufallsfunde (s. o.) weiteres Licht in den Skandal bringen.

    • Die Vermutungen halte ich für durchaus richtig. Am Beispiel Kaisergarten-Skandal lässt sich vieles festmachen, wenn auch nicht alles. Allerdings erlaube ich mir die Feststellung, dass gerade zu diesem Komplex einiges an Aktenmaterial erhalten geblieben ist, so der Bericht des Dr. Jenner zum Prozess an das Reichsinnenministerium. Darüber werde ich in absehbarer Zeit veröffentlichen, um zur differenzierten Betrachtung beizutragen.
      .

      • Da Hans Bruno Jenner ja hier bereits erwähnt wurde, erscheint es sinnvoll auf knappe biographische Hinweise zu verweisen: „Jenner, Hans J.“, in: Hessische Biografie <https://www.lagis-hessen.de/pnd/1025242211> (Stand: 27.2.2020).
        Jenner war ferner Ehrensenator der Universität Marburg für „sein Eintreten in seinem Verwaltungskreis für die Universität und die Jubiläumsstiftung“. – s. https://www.uni-marburg.de/de/universitaet/profil/geschichte/ehrensenator-innen
        Wird es sich bei der angekündigten Veröffentlichung um eine Auswertung der dreibändigen Personalakte Jenners (Bundesarchiv Berlin, R 1501/207672-7674) handeln?

        • Hans Jenner war sowohl bei Fissmer als auch einige Jahre später bei Fries, Fritz aktiv. Die Akte liegt in der Tat im Bundesarchiv, Teile davon auch in Duisburg. Es geht hier aber eher um Fissmer.

          • … und hierbei auch um die Revierstreitigkeiten zwischen den Siegener Nazihäuptelnbei denen eine Zuordnung Fissmers nur in groben Zügen möglich ist. So hat sich m. E, aus der anfänglichen Zweckpartnerschaft zwischen Fissmer und Paul Giesler schnell ein Streit entwickelt, wie er auch in den bei Dröge zitierten Passagen deutlich wird. Leider hält sich Kolbow in seinen Schilderungen ja etwas zurück. Als Insider dürfte er gut informiert gewesen sein.

          • Wobei Jenner sich ausweislich der Bestände wohl differenziert (!) aber mehrfach zugunsten von Fries äußert, dem damals von SPD-Funktionären aus der Region eine Mitgliedschaft in der NSDAP vorgeworfen wurde.

  49. Ergänzung der Literaturliste zu Alfred Fissmer:
    – Dudde, Matthias: Die besoldeten Mitglieder des Magistrats der Stadt Bochum 1856 bis 1918, in: Bochumer Zeitpunkte. Beiträge zur Stadtgeschichte, Heimatkunde und Denkmalpflege 27 (2011), S. 28ff, Link: https://www.kortumgesellschaft.de/tl_files/kortumgesellschaft/content/download-ocr/zeitpunkte/Zeitpunkte-27-2011OCR.pdf
    – Deutsches Soldatenjahrbuch 35 (1985, S.52: „…. Hollidt meinte: „Der damalige Oberbürgermeister von Siegen, Fiß- mer, den ich hochgeachtet habe und mit dem mich Freundschaft verband, wollte wohl gern einen General in Siegen haben.“ …..“

  50. Auf Jenner wies Peter Kunzmann bereits vor einiger Zeit hin. Jenner berichtet einiges zu Fries einem windigen Sozialdemokraten der regionalen Spitzenklasse, wie man anschließend weiß, und lieben Freund von Fissmer, siehe die Hinweise in „Widerspruch und Widerstand“ der VVN.

  51. In der heutigen Print-Ausgabe erschien ein weiterer Leserbrief „Erhellendes Biogramm“, der sich für die Beibehaltung des Namens aussprach.

  52. Was das „differenziert“ da jetzt soll, frage ich mich. Es ist einfach so, dass Jenner wiedergibt, was ihm so vorliegt. Dazu gehören mehrere Berichte, in denen Augenzeugen sagen, an Fries‘ Revers das Parteiabzeichen bemerkt zu haben. Das kann er sich einfach nur so angesteckt haben, um Eindruck zu machen, es kann ein echter Beleg sein, die Augenzeugen können sich geirrt haben (mehrere), wie auch immer. Jedenfalls wundert sich niemand über diese Möglichkeit. Jenner hält sich bei der Interpretation zurück. Weder differenziert noch undifferenziert. Das wäre jetzt ein Attribut zur Jenner-Darstellung, das in der Sache nichts, nur etwas für die heutige Performance der letzteren etwas bringen kann.

  53. Ach ja, zur weiteren Bereicherung des Sachverhalts läßt sich hinzufügen, dass diese Beobachtung auch aus seiner Partei, der SPD, kam. Ob da nun jemand irrte, log oder wahr sprach, steht dahin. Sagen lässt sich, dass F. sich dort sehr unbeliebt, wenn nicht gar verhasst machte, wenn dergleichen öffentlich über ihn vorgetragen wurde. Einem nachweislichen Ex-Nazi, der den Entnazifizierungsausschuss mit dem Deutschen Gruß ansprach, dürften das Zeichen am Revers und der daraus resultierende Konflikt ganz gut gefallen haben. F., der gelernte Dreher, war ja ein Unterstützer von F., dem studierten OB und besseren Herrn, der so leutselig und humorig sein konnte, wie die Alten berichten. Und in der Sache mit dem Parteiabzeichen, da lag ja Humor.

    Das sollte schon aus Differenzierungsgründen mal gesagt sein.

  54. Weder sind die Fälle Fissmer und Fries aufgearbeitet noch scheint es von Seiten einiger Diskussionsteilnehmer ein Interesse daran zu geben, dass diese Themen differenziert aufgearbeitet werden, weil ja die Differenzierung ein Beitrag sei, den Mythos mit der Realität zu verbinden und alles zu exkulpieren. Es geht nicht um die heutige Performance, es geht auch nicht darum, aus dem alten Fissmer einen antifaschistischen Widerstandskämpfer und aus dem alten Fries einen Kryptonazi zu machen. Das ist einer historischen Betrachtung vorbehalten. Und wenn man sich die Zeugenaussagen genau ansieht, die in der Fries-Akte enthalten sind, dann kann man durchaus Parteikabale in der Beschuldigung vermuten, auch wenn Friesens Rolle im Dritten Reich hinterfragenswürdig ist. Hätte, hätte, Fahrradkette.

  55. Die vereinfachenden Sichtweisen finden derzeit Platz auf der Leserbriefseite der Siegener Zeitung auch heute erschienen im Print drei Leserbriefe: „Siegener gerettet“, „Fissmer gebührt Ehre“ und „Verwendung der Gelder“. Alle votieren eindeutig für die Beibehaltung des Platznamens.
    Ein Beleg für die das profunde Verfolgen der Diskussion gefällig? Aus „Siegener gerettet“: “ ….Dass der Rat beschlossen hat, den Platz in der Obberstadt nicht umzubenennen, ist sachlich richtig. Dennoch werden bestimmte Gruppierungen die Angelegeneheit nicht auf sich beruhen lassen – bis der Platz Karl-Marx-Platz oder vielleicht Rosa-Luxemburg-Platz heißt. Aber bald ist Kommunalwahl.“ Anm.: Der Schreiber stammt aus Kreuztal ……

  56. Ein Beleg für die u. a. im Biogramm des Stadtarchivs bemerkte Sparsamkeit Fissmers aus der Stuttgarter Sonntags-Zeitung vom 1. März 1931:
    aus: Die Sonntags-Zeitung, Stuttgart, 1. März 1931

    • Diese Meldung darf nicht unkommentiert bleiben, bevor dem »sparsamen« Fissmer ein weiterer Mythenkranz geflochten wird. Was hier präsentiert wird, ist eine Zeitungsmeldung, nicht mehr und nicht weniger, die sehr stark einen Sachverhalt kürzt und so damals durch den deutschen Blätterwald rauschte. Doch um die darin enthaltenen Zahlen richtig würdigen zu kennen, ist es notwendig zu wissen, wie sich der städtische Haushalt zusammensetzte, durch welche Einnahmen und Ausgaben sowie außergewöhnlichen Verkäufen aus städtischem Vermögen sich die Überschüsse erzielen ließen (z.B. Hundesteuer hoch, Sozialleistungen kürzen). Diese Entwicklung über mehrere Jahre zu verfolgen, am besten noch im Vergleich mit anderen Städten, führt erst zu einer diskussionswürdigen Grundlage zu diesem Aspekt von Fissmers Berufsbiografie. Seinem Biografen bleibt diese aufwendige Forschung vorbehalten. Zum Aufrechnen gegen die NS-Vergangenheit Fissmers dienen die Ergebnisse jedoch nicht.

      • Ich entschuldige mich für die unkommentierte Präsentation des Zeitungsakrtikel. Aber: es zeigt wie die erinnerungspolitische Debatte geführt wird, ohne dass eine wissenschaftlichen Anforderungen genügende Biographie vorhanden ist. Die Fragen bzw. Hinweise zur Einordnung der Leistungen Fissmers lassen m. E. auch auf die NS-Zeit ausdehnen. Wir suchen also Kleinstädte mit ca. 30.000 Einwohnern, um Vergleiche ziehen zu können.

          • Noch einmal zurück in das Jahr1931 in der in Aachen erscheinenden Zeitung „Echo der Gegenwart“ erschien am 21. Januar 1931 folgender Artikel zu Fissmer Sparpolitik:

  57. Es ist nicht zu erkennen, was da „differenziert“ wird und wie sowas dabei herauskommen könnte, wenn alles Mögliche an vor allem disparater Information auf einen bunten Haufen geworfen wird. Wie jeder andere Bürgermeister, Gemeindedirektor, Regierungspräsident usw. hat ja auch Fissmer nicht den ganzen Tag Beschwerden gegen den Pfarrer geschrieben, bei seinen Spezis über Schwierigkeiten bei seiner Parteiaufnahme geklagt, Juden ins Polizeigefängnis eingewiesen oder Aufträge zum Kasernen- und Bunkerbau ausgeschrieben, sprich ständig seine Partei- und Staatstreue unter Beweis zu stellen versucht.
    Dass er sich auch um den Müll, die Ordnung in den Schulen, Bäckereien und auf dem Friedhof gekümmert hat, das aufzulisten ist aber verzichtbar und kein Ausdruck von „Differenzierung“. Es ist banal. Es nimmt dem ersten nichts, nicht das Geringste. Thema ist die NS-Belastung und die ist klar auf den Punkt zu bringen und nicht mit der Phrase vom „differenzieren“ wegzureden. Das ist unmöglich.
    Denn die Belastung ist leicht nachzuweisen: Wenn etwas watschelt, quakt und flattert wie eine Ente und zudem die Bandarole von der Entenzählstelle am Bein trägt, dann ist es eine. Und kein Steinadler, wie die eine oder andere Amsel vielleicht meint.

  58. Die Beschäftgung mit Fissmer hat ja nun mal leider mehrere Ebenen:
    1) erinnerungspolitisch ging (geht ?) es um die Benennung eines Platzes,
    2) der Forschungsstand zu Fissmer dürfte herzu hinreichned sein,
    3) dennoch ist festzustellen, dass eine umfassende biographische Darstellung fehlt.

  59. Heute erschien in der Print-Ausgabe der Siegener Zeitung ein Leserbrief unter der Überschrift „Bittere Kritik“, der sich mit der Umbenennungsdiskussion im Siegener Stadtrat beschäftigt.

    • Heute erschien in der Print-Ausgabe der Siegener Zeitung ein Leserbrief unter der Überschrift „Nicht hinnehmbar“, der sich mit der Umbenennungsdiskussion im Siegener Stadtrat beschäftigt.

  60. Pingback: Alfred Fissmer im Kreistagsprotokoll vom 15. September 1919 | siwiarchiv.de

  61. Ein Auswertung von Corinna Nauck „Mit Bürgersinn und Bürgergeist. Kommunale Selbstverwaltung und Stadtentwicklung in der kreisfreien Stadt Siegen“ (St. Katharinen 1999):

    • 21.02.1933: Nachdem die kommunalen Vertretungskörperschaften nach der Machtergreifung Hitlers am 08.02.1933 für aufgelöst erklärt wurden, beruft Fissmer die Stadtverordnetenversammlung nochmal ein und dankte den Kommunalpolitikern für ihre geleistete Arbeit
    • Oktober 1933: Fissmer versucht erneut – unter Berufung auf die hohe Wohndichte im Stadtkreis -, mittels einer Eingabe an den Regierungspräsidenten in Arnsberg Eingemeindungspolitik einzuleiten – ein Teil des zur Gemeinde Achenbach gehörenden Heidenberges, wurde in den Stadtkreis eingegliedert; Heidenberg wurde erst 1935 im Zuge der Garnisonwerdung bebaut (Nauck, S. 91)
    • 28.02.1934: zum letzten Mal traten die gewählten Vertreter der Stadt in einer Sitzung zusammen – Oberbürgermeister Fissmer betonte besonders, dass er gemäß dem Gemeindeverfassungsgesetz für die Verwaltung der Stadt „allein verantwortlich sei“ (Nauck, S. 70)
    • er setzte seine Vorstellungen mithilfe der Verwaltung ohne vorherige Beratung im Stadtparlament durch (Nauck, S. 68)
    • das Stadtoberhaupt musste sich nicht bemühen, die Gemeinderäte von Plänen und Vorhaben zu überzeugen- Kenntnis genügte (Nauck, S. 68)
    • die meisten Wirkungsfelder der kommunalen Selbstverwaltung wurden nun zur Beratung an Ausschüsse übergeben, die Ergebnisse der Beratung dem Bürgermeister zur Entscheidung vorgelegt und entsprechende Vorlagen Gemeinderat meist nicht unterbreitet (Nauck, S. 69)
    • 1937: Fissmer regt die Errichtung einer Theater- und Konzerthalle an (spätere „Siegerlandhalle“) (Nauck, S. 383)- spätere Aufnahme des Projekts- Fertigstellung: November 1960 (Nauck, S. 398)
    • September 1939: Fissmer ordnet in seiner Eigenschaft als örtlicher Luftschutzleiter den Bau von öffentlichen Luftschutzräumen in der Nähe des Bahnhofs und im Bereich der Eintracht an (Nauck, S. 128)
    • ab 1939: besondere Bemühungen um die „geistige Gesundheit“ der Bevölkerung und insbesondere der Soldaten: Fissmer beauftragt Gartenamt mit Verschönerung der Grünanlagen der Stadt (Nauck, S. 132-133)
    • Januar 1940: Fissmer teilt mit, dass „… in allen Stadtteilen ausreichende öffentliche Luftschutzräume ausgebaut“ worden seien (Nauck, S. 128)
    • 1940: aufgrund eines Führererlasses gibt Fissmer die Errichtung von Stollen zum Schutz der Bevölkerung in Auftrag- in der Nachkriegszeit will er Stollen mit stadtplanerischen Aktivitäten verbinden- Verkehrserleichterung etc. (Nauck, S. 130)
    • 1941: Oberbürgermeister Fissmer regt Pläne zur Errichtung eines Aufmarschgeländes auf dem Gelände der „Eintracht“ vor (Nauck, S. 135)
    • 1942: Fissmer setzt ein Ortsstatut von 1919 wieder in Kraft, da der Wohnungsfehlbestand in Siegen auf 1300 Wohnungen beziffert wurde (S. 126)
    • ab 1942: Fissmer fordert Aufwertung des Gartenbestandes in Nutzungsbestand mit städtischer Förderung – zur Versorgung der Bevölkerung (Nauck, S. 134)

  62. Im Katalog zur großen Siegener Ausstellung zur Nachkriegszeit in Siegen 2005 im ehemaligen Kaufhof findet sich auch ein eigener Abschnitt zu Alfred Fissmer. Vieles dort ist in der Zwischenzeit bekannt. Eines jedoch habe ich unlängst „wieder“entdeckt. Der Selbstmordversuch Fissmers im Mai 1942 wurde und wird bisher eher weniger thematisiert. In der Ausstellung fand sich ein Polizeibericht (Quelle: Stadtarchiv Siegen S 412), der den Hergang des Selbstmordversuches schildert. Der dort geschilderte Hergang ist bemerkenswert. Fissmer hatte demzufolge seinen leitenden Schutzpolizisten aus dessen Dienstzimmer geschickt und sich mit dessen Waffe versucht zu erschießen. Es stellen sich auch hier mehrere Fragen…….

  63. Ein Fund im Bundesarchiv Berlin:
    R 3001{Reichsjustizministerium]/20342 Anpassung von Rechtsverhältnissen an veränderte wirtschaftliche Verhältnisse (1933) 1935-1939 (1943), enthält u.a.: Herabsetzung von Rentenbezügen bei Leibrenten.- Schriftwechsel mit dem Oberbürgermeister von Siegen, 1935

  64. Pingback: Diskussion im Stadtrat Siegen zur Umbenennung der Alfred-Fissmer-Anlage | siwiarchiv.de

  65. Pingback: „Siegerland“ Band 97, Heft 2 (2020) erschienen | siwiarchiv.de

  66. Ein Zufallsfund:

    Alfred Fissmer, Standbild aus dem Film „Siegen wird Garnisonstadr. Einzug der Soldaten am 16.10.1935“ des Fotostudios H. Schmeck (KrA SIWI 4.1.5./104)

  67. In der heutigen (!) Print-Ausgabe der Siegener Zeitung erschienen unterder Rubrik „Heimatland“ zwei Artikel Herbert Bäumers zu Alfred Fissmer. Während sich der Artikel „Der visionäre Bürgermeister“ der Urheberschaft Fissmers an der Idee eines Siegbergtunnels widmet, stellt der Artikel „Betonbauten gegen Bomben“ die Geschichte des Bunkerbaus in Siegen, Weidenau, Klafeld und Kaan-Marienborn dar. Ein weiterer Artkel zu r Bautechnik undAusstattung der Bunker ist angekündigt.

  68. „…. Bereits 1932 hatte Fissmer angeregt, die Fürst-Bülow-Strasse umzubenennen. Anlass dieses Vorstosses waren die 1930 posthum erschienen Erinnerungen des ehemaligen Reichskanzlers Bernhard von Bülow, die sich kritisch mit der Staatsführung Kaiser Wilhelm II. auseinander setzten und im nationalen Lager für Entrüstung sorgten. …..“
    Ab dem 31. März 1933 hieß die Straße dann Leo-Schlageter-Str. Fissmer nutzte die neue Machtkonstellation, um die Umbennung durchzusetzen und um die Verwaltung in einem guten Licht gegenüber den Nationalsozialisten erscheinen zu lassen. (Quelle: Christian Bald/Christian Franke/Marc Neumann: Feiern, Denkmäler und Strassennamen -Symbolische Politik im Siegerland in der Zeit des Nationalsozialismus, in: Armin Flender/Sebastian.Schmidt: Der Nationalsozialismus im Siegerland. Ein Quellenband zur Regionalgrschichte, Siegen 2000, S.40)

  69. Auszug aus dem Regionalen Personenlexikon (Quellenhinweise Punkt für Punkt dort):

    „ohne engere Parteibindung stets an der Seite des völkisch-nationalistischen Lagers (Selbstbezeichnung: „vaterländisches Lager“) von DNVP, NSDAP, Kriegervereinen, Antisemitischem Schutz- und Trutzbund (Selbstbezeichnung: „Siegerländer Hakenkreuzer“), Bismarckjugend usw., daher wiederholt Konflikte mit Oberbehörden wegen städtischer Toleranz für antirepublikanische Aktivitäten (so 1924 wegen Unterstützung der zunächst als verfassungsfeindlich verbotenen Großveranstaltung „Deutscher Tag“ mit führenden Beiträgen aus der verbotenen NSDAP), nie an der Seite von DDP, SPD, KPD oder des Zentrums in deren Kampf gegen die vereinte Rechte, daher deren gemeinsamer Protest gegen parteiliche und verfassungsfeindliche Politik und Praktiken des OB (1927), schon vor 1933 verbotswidrige Beschäftigung von stadtbekannten Vertretern der äußersten Völkischen im städtischen öffentlichen Dienst (z. B. Wilhelm Langenbach, Deutschvölkische Freiheitsbewegung, Albert Link, NSDAP, Theo Steinbrück, NSDAP) und zugleich Entlassung Linker (Willi Kollmann 1932 nach dessen Wechsel von der SPD zur KPD)“

    Fissmer verstand sich immer als als völkischer Kämpfer innerhalb der als „Vaterländische Verbände firmierenden Zusammenschlüsse rechtsaußen, zu denen seit ihrer Gründung die NS-Organisationen als integrierter Teil gehörten. Im nachhinein zu versuchen, weltanschauliche Abgrenzungen vorzunehmen, ist müßig. In ihrem Weltbild, zu dem als feste Komponente ihr Antisemitismus und ihre „weiße“ Überheblichkeit gehörten, unterschieden sie sich nicht. So belegt es auch dieses neue Detail. Fissmer biederte sich nicht „den Nazis“ an und war dann dort ein Fremder. Er wurde mit seiner Entscheidung, der Nazipartei beizutreten, deren eingeschriebenes Mitglied und verwies auf diese Entscheidung und diese Eigenschaft jedesmal , wenn er sich mit seinem Parteiabzeichen und/oder mit dem Deutschen Gruß der Öffentlichkeit präsentierte. Er drängte ja darauf, mit dazu gehören zu dürfen. Das machte nicht jeder.

  70. Zwei „Bilder“ zur Familiengeschichte Fissmers:
    a) Verlobung:

    Quelle: Allgemeiner Anzeiger zum Militärischen Wochenblatt Nr. 87 vom 16. Juli 1908
    b) Tochter und Enkel:

    Quelle: Gothaisches genealogisches Taschenbuch der adeligen Häuser
    zugleich Adelsmatrikel der deutschen Adelgenossenschaft. Teil B, Gotha
    1942

  71. s. a. diesen Hinweis des Siegener Stadtarchivs aus dem Jahr 2013: „Bereits 1936 wandte sich die Stadt Siegen auf Anregung eines in Hamburg lebenden Heinrich Irle an die Hapag in Hamburg und den Norddeutschen Lloyd in Bremen mit der Bitte eines ihrer Schiffe auf den Namen „Siegerland“ zu taufen. Zitat aus der Antwort des Norddeutschen Lloyd an den Herrn Oberbürgermeister: „Daß auch die Stadt Siegen und das Siegerland den Wunsch besitzt, den Namen ihres Landes durch ein deutsches Schiff vertreten zu sehen, ist begreiflich, zumal dieser Name, wie Sie selbst sagen, noch wenig bekannt ist. Aber gerade aus diesem Grund dürfte der Name ‚Siegerland‘ bei der Einstellung der Welt zu unserem deutschen Vaterlande im Auslande ganz anders ausgelegt und ihm eine Bedeutung gegeben werden, die keinesfalls erwünscht sein kann. Sie werden daher auch verstehen, wenn wir aus diesem Grunde Ihrer Bitte … nicht entsprechen können.“ (Quelle: Stadtarchiv Siegen, Best. Stadt Siegen D 313)“, Link: http://www.siwiarchiv.de/taufe-schiff-siegerland-1/

  72. Leider sind in dieser Akte präzise zwei Informationen über Fissmer aufgelistet. 1. Oberbürgermeister, 2. unter „political history, affiliations“ den Hinweis „not“. Die Materialsammlung aus der Roosevelt-Collection ist auch insgesamt etwas dünn, insbesondere bei den weniger toptauglichen Top-Nazis. Erwähnt ist übrigens bei erster Durchsicht auch der Leipziger Oberbürgermeister Goerdeler. Auch zu Paul Giesler findet sich in dessen Akte fast nur öffentlich zugängliches Material, mit Ausnahme des Hinweises auf seine Maßnahmen gegen die protestierenden Münchener Studenten.

  73. Ein Zufallsfund zum kulturellen Leben in Siegen während Fissmers Amtszeit: “ … Bereits 1927 signalisierte das damalige Kultusministerium Beihilfe zur Errichtung eines Denkmals, doch die Bemühungen der Stadt Siegen den Rubensbrunnen fertigzustellen wurden erst 1930 auf Drängen Berlins in Angriff genommen.
    Daraufhin wurde ein Wettbewerb um die künstlerische Gestaltung des Brunnes ausgerufen. Die beiden favorisierten Kontrahenten waren der Düsseldorfer Bildhauer Johannes Knubel und der Eiserfelder Künstler Hermann Kuhmichel. Beide legten der Stadt verschiedene Entwürfe vor. Knubel wollte einen Obelisken errichten lassen, der Lukas mit einem Ochsen als Heiligen der Malergilde und darunter ein Relief von Rubens darstellen sollte. Diese Idee wurde jedoch aus diversen Gründen abgelehnt. …“ (Quelle: Rohde, Simon: Der Rubensbrunnen im Schlosspark des Oberen Schlosses, Link: https://www.regioport-siegerland.de/de/siegen/der-rubensbrunnen-im-schlosspark-des-oberen-schlosses.html)

  74. Zwei Funde im Iserlohner Kreisblatt:
    1) 27.5.1936 – Zur Errichtung eines Ehrenmals für die Gefallenen des ersten Weltkriegs. Der Artikel wirft die Frage auf,warum es dem seit 1919 amtierenden Bürgermeister der Stadt Siegen nicht gelungen ist, bis zu diesem Zeitpunkt, eine solche Erinnerungsstätte zu schaffen:

    2) 27.5.1942 – zur Kaisergarten-Affäre:

  75. In Opfermanns Personenlexikon finden sich 3 Hinweise auf Artikel zu Fissmer in der Siegerländer Nationalzeitung. 2 sind in der Zwischenzeit online einsehbar:
    16. April 1938:

    22. Mai 1942:

    • Ist mir wichtig, das zu betonen: Das Regionale Personenlexikon, das nicht nur ein biografischen Lexikon zur NS-Belastung darstellt, sondern eine Menge mehr an Information enthält, ist nicht „mein“ Lexikon, sondern eins der VVN-BdA Siegerland-Wittgenstein. Sie ist es, die sich damit historiografisch verdient gemacht hat.

  76. Der Beitrag „Aus dem Leben eines tatkräftigen Stadtbaurates. Johannes Scheppigvon 1902 bis 1937 auf verantwortungsvollem Osten in Siegen“, Unser Heimatland 1983, S. 65 – 69, enthät auf S. 69 auch Hinweise zu Fissmer:
    „….. Nach dem Kriegsende 1919/1920 trat Oberbürgermeister Anton Delius in den Ruhestand. An seiner Stelle zog Herr Alfred Fissmer in die Chefetage des Rathauses ein.
    Von dem Verkauf des E[lektrizitäs]-W[erks]. und des Gaswerks hatte ich schon erzählt. Als letztes Objekt gelang es dem neuen Stadtoberhaupt, Das Oberlyzeum an den Mann, d. h. an den preußischen Staat zu bringen, der allerdings den Umbau des Gebäudes verlangte. Diese schöne Aufgabe fiel mir zu.
    Größere Schwierigkeiten entstanden Herrn Spiegelberg als Bauleiter und mir als Chef beim Bau des neuen Krankenhauses am Kohlbett, weil selbstverständliche Einrichtungen, im Krankenhausbau unabdingbare Bestandteile, z. B. Doppeltüren in den Zimmern der Privatstationen und anderes mehr als zu teuer, dem branchenfremden Rotstift des Oberbürgermeisters zum Opfer fielen.
    Eine weiter schöne, wenn auch kleine Aufgabe war die Umgestaltung des Leimbacher Weihers zum Freibad. Dieses Bauvorhaben wurde vom Magistrat beschlossen und begonnen, als Herr Fissmer in Urlaub war. …..
    Gegen Ende meiner Dienstzeit fiel mir noch eine nicht große aber reizvolle Aufgabe zu. Siegen, als wirtschaftlicher Mittelpunkt von Südwestfalen, hatte endlich das ihm zukommende Landgericht erhalten. Da die Stadt die Kosten für den Umbau des als Sitz vorgesehenen Unteren Schlosses tragen musste, und ich die Verhandlungen mit dem Ministerialrat aus Berlin geführt hatte, schlug dieser mich als mit der MAterie vertrauter Bauleiter . ….“

  77. Nach dem Erscheinen der Broschüre „Kanonen und Kuhmchel“ wandte sich Julius Kuhmichel, der Sohn Hermann Kuhmichels, am 28.10.1985 an die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Siegerland. Der Brief enthält u.a. eine von Julius Kuhmichel erstellte Chronik der Jahre 1930 bis 1956, für diese hatte er Tagebuch(!)aufzeichnungen und Zeitzeugenberichte verwendet. Mit dieser Zusammenstellung wollte er die deutliche Kritik an Kuhmichels Wirken während der NS-Zeit entkräften. Das Schreiben befindet sich mittlerweile im Kreisarchiv Siegen-Wittgenstein unter der Signatur 3.19. (Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Siegerland) Nr. 76 . Sie enthält auch folgenden hier interessanten Passus (S. 3-4): “
    …. Mitte 1935: Ein Dr. Hinrichs (oder Heinrichs) erwirkte den Beschluss der Reichskulturkammer, das künslerische Werk von H[ermann] K[uhmichel] mit dem Verdikt „entartete Kunst“ zu belegen und ihm Ausstellungs- und Schaffensverbot zu erteilen. In der Begründung, anlässlich des Spruchkammer-Verfahrens 1948 verlesen, hieß es u.a. „verherrlicht in seinen Werke Kulte des Weltjudentumsund vernachlässigt trotz nachdrücklicher Einlassungen örtlicher Parteimitglieder seine Pflicht, „all sein Können in die Verewigung des arischen Menschen zu stellen.“ Sein des NS-Anstoßes waren Plastiken und Holzschnitte, die H[ermann] K[uhmichel] in den Schaufenstern Siegener Geschäftsleute ausgestellt hatte. Daruntern waren die zwischen 1928 und 1935 entstandenen Skulpturen „Loths Weib“, „Opferung Isaaks“, „Kain und Abel“, „Moses und die Zehn Gebote“, „Die Leiden des Hiobs“ und „Der Pharisäer“. Der Kulturkammer-Beschluss konnte aufgehoben werden dank der Fürsprache von Männern, in deren Besitz sich gerade solche verfemten Kunstwerke befanden: Oberbürgermeister Fissmer, NSKK-Führer Johannes Helmer, Arbeiter-Dichter Heinrich Lersch und der von Göring so geschätzte, halbjüdische Geigen-Virtuose Professor Beinhauer – sie allehatte bei H[ermann] K[uhmichel] „entartete Kunst“ erworben resp. sich schenken lassen.
    OB Fissmer, beraten von General Hollidt, ließ H[ermann] K[uhmichel] wissen, die Aufhebung des Kulturkammer-Beschlusses sei das Ergebnis eines Kompromisses: H[ermann] K[uhmichel] verzichtet darauf, Kunstwerke anzufertigen und auszustellen, die das Weltjudentum verherrlichen, und beteiligt sich fortan an der künstlerischen Ausgestalttung öffentlicher Bauten. ….“

  78. In der Ausgabe des „Heimatlandes“ der Siegener Zeitung vom 19. März 2022 legt Herbert Bäumer einen ersten Artikel zur Geschichte des Truppenübungsplatzes in Siegen-Trupbach vor.
    “ …. Aber bei der Herrichtung hakte es. Es ging nicht schnell genug. Statt der vereinbarten 400 Mann waren nur 180 Mann im Einsatz. Oberbürgermeister Fissmer wurde am 21. April 1935 in einem Schreiben an die Arbeitsgauleitung Westfalen-Süd (Dortmund) deutlich: „In den letzten Wochen waren ca. 180 Mann mit 15 Rodeböcken beschäftigt. Wenn nicht in allernächster Zeit Mannschaft und Rodeböcke erheblich vermehrt werden, ist die Fertigstellung der Arbeiten zu den vorgeschriebenen Terminen (1. Oktober 1935 und 1. April 1936) unmöglich.“ Es musste schnell gehen, denn die ersten Soldaten sollten, wie oben geschrieben, bereits am 16. Oktober 1935 eintreffen!
    Fissmer fährt fort „Es unterliegt keinem Zweifel, dass Ihnen und uns die größten Schwierigkeiten entstehen werden, wenn die Truppe hier ohne oder mit ungenügendem Übungsplatz zur Ausbildung der Mannschaft schreiten muss. Wie schwer das im vaterländischen Interesse zu verurteilen wär, brauche ich Ihnen nicht hervorzuheben, sehren wir doch im Arbeitsdienst eine Vorschule der Wehrmacht.“
    Das fruchtete. …..
    Noch bevor die Wehrmacht den Truppenübungsplatzin Besitz nahm, meldete sich Oberbürgermeister Fissmer am 5. Februar 1936 mit einem Schreiben bei Amtsbürgermeister Hirschfeld (Amt Weidenau) zu Wort. …. Er habe,so Fissmer, sich zunächst für eine Anpachtung der Flächen eingesetzt, sei aber damit gescheitert. Fissmer erteilt dann seinem „Sehr geehrten Herrn Kollegen“ Ratschläge. Es müsse, so schreibt er, „Aufgabe der maßgebenden Stellen sein, dafür zu sorgen, dass sich das Geld, welches sich über Trupbach ergießt, auch für die Zukunft gewinnbringend angelegt wird.“ Einsetzen wollte er sich, so der OB, dass die Trupacher in erster Linie die Weidegerechtsame (Weiderecht) für den großen Truppenübungsplatz erhalten. Allerdings, so rät er, nur für Ziegen und Schafe, da er von einem Sachverständigen erfahren habe, dass „wegen der Geringfügigkeit des Bodens“ eine Kuhhaltung nicht in Frage käme.
    Seine Sorgen um die Nebenerwerbslandwirte, die ihren Betrieb auf Grund des Verlustes einstellen würden, münden in den Vorschlag, diese sollten „das Geld für den Ausbau der Scheunen zu Wohnungen verwenden. Damit würde bestimmt der hier in Siegen und im Siegerland herrschenden großen Wohnungsnot eine Rente für ewige Zeiten aus dem vergrößerten Hausbesitz gesichert sein.“ Die Sachverständigen seien sich einig, so führt er aus, „…. dass der Hauberg in Trupbach einer der schlechtesten im ganzen Siegerland und Sauerland ist. Fissmer schließt den Brief mit einer Hoffnung: „Wenn heute das Geld in Trupbach vernünftig angelegt wird, wenn heute endlich die Trupbacher sich ihrer bevorzugten Stellung als Vorort und Ausflugsgemeinde der Stadt Siegen bewusst werden und sich entsprechend umstellen, wird ihre Lage schlagartig sich bessern.“ Ein Antwort von Amtsbürgermeister Hirschfeld war nicht zu finden. ….
    Enteignung ging weiter ….
    Überaus bemerkenswert: Am 27. Januar 1937 schaltet sich Fismmer ein. Er schreibt in einem Brief an die Rechtsanwälte, dass in Wahlbach (Nationalzeitung 18. Januar 1937) bei einem freiwilligen Landverkauf Preise gezahlt worden seien, „die ganz wesentlich untern den von den Sachverständigen für Trupbach vorgeschlagenen Entschädigungen liegen.“ Dort seien, so schreibt Fissmer, je nach Lage nur 1 bis 3,70 RM pro Ruten gezahlt worden. ….“

    • Möglicherweise war Fissmer anfangs, als er das Militär nach Siegen lockte, nicht bewußt, wie groß der Flächenbedarf für dessen Übungsplatz sein würde. Die Stadt Siegen war damit überfordert. Fissmer löste das Problem, indem er der Wehrmacht kurzerhand ein Gelände jenseits der Stadtgrenzen, also außerhalb seines Zuständigkeitsbereiches als OB, anbot. Dieses erstreckte sich über Gebiet der Ämter Weidenau (Trupbach, Birlenbach, Langenholdinghausen) und Freudenberg (Alchen, Niederholzklau). Zu irgendwelchen vorherigen Absprachen darüber mit den betroffenen Kreisangehörigen (Landrat, Amtsbürgermeister, Gemeindevorsteher) sah er sich nicht veranlasst. Nachträglichen Widerstand brauchte er dann als von der Wehrmacht offiziell eingesetzter Bevollmächtigter für den Ausbau des Militärstandortes nicht zu befürchten. Diese Machtposition legitimierte ihn auch, stellvertretend für die Wehrmacht das Enteignungsverfahren gegen die Trupbacher Haubergsbesitzer (es waren knapp 100) einzuleiten. Diese waren ihm schon seit etlichen Jahren ein Dorn im Auge, weil sie sich seinen anscheinend sehr penetranten Bemühungen, ihre Haubergsflächen als Bauland dem Siegener Stadtgebiet zuzuschlagen, so hartnäckig widersetzt hatten.

  79. Ein Fund in der Hilchenbacher Zeitung vom 9. Januar 1929 – Zu prüfen ist wohl , in welcher Funktion Fissmer dem Verein angehörte und wie aktiv er war:

  80. Die vor einem Vierteljahr hier vorgestellte „Bibliographie zur Siegener Stadtgeschichte“ verzeichnet eine 1972 erschienene Festschrift „50 Jahre Westfälischer Blindenverein, Bezirksgruppe Siegen e.V.“
    Kurze Informationen zur Siegener Gruppe finden sich auch in verschiedenen historischen Dokumenten des Dachverbandes, siehe https://www.bsvw.org/historischedokumente.html. Mehreren dort einsehbaren Festschriften zufolge war „Frau Landrat Goedecke“ in den 1920er Jahren ein geschätztes (sehendes) Mitglied des Vorstandes. Dagegen werden weder ihr Mann noch der Oberbürgermeister erwähnt. Ich verstehe deren Nennung in der Hilchenbacher Zeitung lediglich so, dass sie dem (privaten) Aufruf der Siegener Blinden kraft ihrer Ämter, aber nicht notwendigerweise als Vereinsmitglieder, Nachdruck verleihen wollten.

    • In den genannten digitalen Unterlagen des Dachverbandes findet sich die Bezeichnung „Protekorat“ für das Engagement des Landrates und Fissmers. Würden wir heute wohl „Schirmherrschaft“ nennen? Treibende Kraft war die Landratsgattin, die dem Vorstand des Ortsvereins seit Gründung angehört hatte.

    • Mehr zu Fissmer Fries in:
      Zabel, Manfred: Die Heimatsprache der Begeisterung. Ausgewählte Reden und Schriften von Fritz Fries, Siegen 1990:
      S. 7 (Vorwort Hilde Fiedler)
      „Fritz Fries war vom 24. April bis zum 1. Juni 1945 Oberbürgermeister der Stadt Siegen. Seinem Einsatz war es zu verdanken, dass Alfred Fissmer von der britischen Militärregierung als Oberbürgermeister ab Juni 1945 eingesetzt wurde(?).“
      S. 51-52 Fries Rede im Preußischen La dagegen in der 347. Sitzung am 9.10.1924 zur Veranstaltung der Deutschen Friedensgesellschaft mit dem frz. General Verraux: “ … Wir erwarten von der Leitung der Polizei, sowohl von der örtlichen Organen in Siegen, von dem Oberbürgermeister Fissmer, als auch vom Landrat Gödicke[!], dass die Versammlung unter allen Umständen stattfinden kann …..“!
      S.72 Fries am 8.4.1933 (Verhaftung): „…. Allgemein erkläre ich noch, dass ich mich ie an verbotenen oder illegalen Handlubgen beteiligt habe , nie auch je dazu aufgefordert habe. Auch diese ist dem Oberbürgermeister Fissmer und all seinen nachgeordneten Beamten absolut bekannt. …“
      S. 112 Fries Siegener Volkszeitung 18.12.1929: „…. „“Fissmer-Hindenburg-Fries“ ….“ (?)
      S. 135 – 137 Fries (1961): Der Abschnitt „Oberbürgermeister Fissmer in Siegen“ gibt die Fries´sche Sicht auf dessen Verhältnis zu Fissmer ausführlich wieder: 1927/28 „Burgfrieden“
      S. 142 Fries (1961): „…. Für die große „Gagfah“-Siedlung auf dem Rosterberg sollte Ende der 20er Jahre für eine größere Anleihe der Stadt Siegen die Bürgschaft übernehmen; dafür brauchte sie die Genehmigung des preußischen Innenministeriums. OB Fissmer bat mich dieselbe einzuholen. Von Berlin aus telefonierte ich mit dem Oberbürgermeister: „Wenn man eine Sicherheit verlange, was ich anbieten sollte?“ “ Bieten Sie den ganzen Stadtwald und die Aktien vom Elektrizitätswerk an.“
      Herr Ministerialdirektor Dr. von Leyden gab mir die Genehmigung für die Stadt Siegen, betonte aber, dass das die erste Genehmigung dieser Art sei, die an eine Stadt erteilt würde. Per Telefon gab ich OB Fissmer die Cemehmigung bekannt, betonte aber, dass diese befristet sei; sofort antwortete A. Fissmer „aus seinem vornehmen Wortschatz „: „In zehn Jahren können die uns am A…. lecken.“ …..“

  81. Artikel-Funde zu Fissmer in der Siegener Zeitung:
    – „Bürgermeister Fißmer“, 7. Mai 1919
    – „Die Vorstände der der Aufsichts des Magistratsunterstellten Innungen von Bürgermeister Fissmer zu einer Besprechung eingeladen“, 26. Juli 1920
    – „Das Preussische Staatsministerium hat genehmigt, dass dem Ersten Bürgermeister der Stadt Siegen, Fissmer, die Amtsbezeichnung „Oberbürgermeister“ beigelegt wird“, 22. März 1922
    – „Vor der Oberbürgermeisterwahl“, 7. Februar 1931
    – „Das preußische Staatsministerium hat die erfolgte Wiederwahl von Oberbürgermeister Fißmer auf fernere 12 Jahre bestätigt“, 2. April 1931
    – „Oberbürgermeister Fißmer in den Vorstand des Preußischen Städtetages gewählt“, 9. Juli 1932
    – „Der Reichsminister des Innern hat Oberürgermeister Fißmer in den Ausschuß für das gemeindliche Kreditwesen berufen“, 26. Mai 1934
    – „Drei Jahre nationalsozialistische Kommunalpolitik. Oberbürgermeister … vor der Ortsgruppe Hain“, 28. März 1936

  82. In einem Bericht der Siegerländer Nationalzeitung vom 28. März 1936 zu einer Bürgerversammlung der NSDAP-Ortsgruppe Siegen-Hain zur “ Vorbereitung“ der am 29. März 1936 anberaumten Reichstagswahl findet sich folgender Absatz: „…. Nur ein Posten im Städt. Haushalt hat auch heute noch keine Änderung erfahren, das sind die Kosten, die für die Geisteskranken, Epileptikerund andere Gebrechliche auszuwerfenden Mittel. Dafür wurden in den letzten zehn Jahren jährlich ein Betrag von 50.000 Mark ausgegeben. Eine Änderung dieser Summe wird sich erst im Laufe der Jahre ermöglichen lassen, wenn das von der Regierung erlassene Gesetz zur Verhütung des erbnranken Nachwuchses sich auswirken kann. Oberbürgermeister Fißmer erwähnte diese Zahl besonders, um auch an ihr zu zeigen, wie wichtig und notwendig der Erlaß des Gesetzes war. …..“

    • Wie kann es sein, dass dieser Mann in Siegen noch Ehrung erfährt? Er schließt sich doch offensichtlich dem faschistischen Geist an, dass es mindere Rassen und lebensunwertes Leben gibt, dass verhindert werden muss. Dieses Gedankengut wird durch den aktuellen Umgang mit Fißmer nicht ausreichend verurteilt. Das ist furchtbar.

  83. „Siegen wollte schon unter Fissmer wachsen, wachsen, wachsen“ – Raimund Hellwigs Artikel „abschied von den Siegerländer Dorfparlamenten“ auf der Heimatland-Seite der Siegener Zeitung vom 12. Oktober 2024 widmet sich auch den Eingemeindungsplänen Fissmers in den dreißiger Jahren: “ …. In der kreisfreien Stadt Siegen gab es in den dreißiger Jahren den Oberbürgermeister Alfred Fissmer . Der hatte sich bereits in den dreißiger Jahren weitreichende Gedanken gemacht, wie es wohl langfristig mit seiner 50.000 Einwohner zählenden Stadt weitergehen könnte. Nach Norden Weidenau, nach Osten Kaan-Marienborn, nach Südwesten Eiserfeld, recht und links Hügel. Die Stadt hatte keine großen Flächen mehr, weder für Gewerbe und Industrie noch für Wohnungsbau, die letzte große Fläche hatte man auf dem Lindenberg bereits genutzt.
    Alfred Fissmer hatte bereits einen Teil von Boschgottardshütten und Achenbach nach Siegen zugeschlagen. Ein Teil der Gemeinden gehörte bereits in Form von Haubergsanteilen der Stadt und wurde für den Kasernenbau benötigt. Der Rest war – so urteilten jedenfalls auch die Bezirksregierung und das Innenministerium – alleine nicht lebensfähig und wurde dann 1936 der Stadt Siegen zugeschlagen.
    Doch Fissmer hatte bereits in den dreißiger Jahren den Blick nach Norden und nach Osten gerichtet. Doch in Weidenau und der wegen seiner hohen Steuereinnahmen sehr selbstbewussten Gemeinde Kaan Marienborn erteilte man den Avancen ais dern Kernstadt eine deutliche Abfuhr……“

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