Im Sommer 1969 startete Willy Brandt als Kanzlerkandidat der SPD mit seinen ersten öffentlichen Wahlkundgebungen in den Bundestagswahlkampf. Ein Foto, das ihn wortwörtlich siegesgewiss an einem Bundesstraßen-Wegweiser Richtung Siegen zeigt, diente in den folgenden Jahr(zehnt)en gelegentlich dazu, die Aufbruchstimmung der ersten sozialliberalen Regierungskoalition zu illustrieren und hat seitdem eine gewisse ikonographische Bedeutung erlangt – obwohl oder gerade weil das genaue Datum im Laufe der Zeit verloren ging.
Im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung haben wir uns nun gefragt: wann genau entstand das Foto und wo stand der Wegweiser?
Wenn ein auf die wesentliche Bildaussage reduziertes Foto alleine nicht viel mehr aussagt, hilft natürlich der Blick in die Archive: Terminpläne im Willy-Brandt-Archiv belegen, dass Brandt direkt zum Auftakt des Bundestagswahlkampfs am 21. August 1969 in Biedenkopf und Bad Laasphe mit den ersten Kundgebungen begann, anschließend fuhr der Wahlkampftross Richtung Westerburg – die Bundesstraße 62 lag da definitiv auf dem Weg. Zum Glück hat Fotograf Jupp Darchinger diesen sicherlich spontan entstandenen Witz nicht nur einmal abgelichtet, nein, einen halben Film hat er mit Variationen desselben Motivs gefüllt.
Im Fotoarchiv Jupp Darchinger fanden wir auf diesem Film – hinter Bildern einer Kundgebung vermutlich (!) in Bad Laasphe – insgesamt achtzehn Wegweiser-Fotos, in denen sich nicht nur die Orts- und Entfernungsangaben auf mindestens drei Pfeilen etwas vervollständigen (Pfeil nach links: „Siegen 47 km [62]“; Pfeil nach rechts: „Kassel [??] km / Wallau 6 km [62]“; Pfeil nach links: „Alsfeld 77 km [??]“), sondern es ist ebenso zu erahnen, dass der Wegweiser an einer langgestreckten Kurve stand, auch ein Haus mit charakteristischen Dachfenstern und einem vorgelagerten Flachbau sowie links daneben ein zweigeschossiger Kasten rücken bisweilen ins Bild.
Wenn auf der B 62 nach links 47 Kilometer nach Siegen und nach rechts ganze sechs Kilometer nach Wallau zurückzulegen sind, ohne dass Bad Laasphe selbst ausgeschildert wird, muss sich der Wegweiser direkt in (oder sehr nahe westlich von) Bad Laasphe befunden haben. Gesucht wurde also eine Auffahrt auf die B 62 im Westen von Bad Laasphe, an der dieser Wegweiser Sinn ergab. In Frage kamen hierfür auf heutigen Karten eigentlich nur die Straßen Gennernbach und Friedrichshütte, die jeweils von Süden her auf die Lahnstraße (B 62) treffen. An der Kreuzung Friedrichshütte/Lahnstraße steht ein großes Restaurant, in dessen Online-Bildergalerie links im Hintergrund das Haus mit den Dachfenstern tatsächlich zu erkennen ist.
Und wie das so ist im Archiv: kaum sind die Recherchen beendet, stellen sich neue Fragen! In diesem Fall fragen wir uns nun: steht der alte Wegweiser womöglich noch …?! Oder befinden sich an dieser Stelle zumindest ähnliche Schilder? Wer wohnt in der Nähe bzw. fährt dort häufiger vorbei? Wir würden uns sehr über aktuelle Fotos der Kreuzung freuen!
Sven Haarmann
Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung
Twitter: @FEShistory
E-Mail: sven.haarmann@fes.de
Die Fotos mit Willy Brandt wurden gegenüber der Einmündung der L 718 (Friedrichshütte) in die Bundesstraße 62 gemacht. Aus Richtung L 718 in Richtung B 62 gesehen rechts, befand sich damals das „Hotel Fasanerie“ (ehem. Inhaber: Stähler), dessen Hauptgebäude bzw. ein damaliger Neubau mit Flachdach im Hintergrund der Fotos rechts zu sehen sind. Die Straßenschilder, vor denen Herr Brandt steht, waren damals im Vordergrund eines kleinen ehemaligen Steinbruchs montiert. Das Hotel war in dieser Zeit eines der besten in Wittgenstein. Ich kann mich an einen Besuch des Bundespräsidenten Lübke erinnern, der dort ebenfalls bewirtet wurde. Insofern ist es sehr wahrscheinlich, dass auch Willy Brandt im dortigen Hotel mit seinem „Tross“ eingekehrt ist. Ich kann gerne in den nächsten Tagen einmal dort vorbeifahren und den aktuellen Blickwinkel „einfangen“.
Einige Auswahlfotos von heute übersandt. :-)
Die alten Wegweiser sind nicht mehr vorhanden.
Es war tatsächlich die Ecke, wo die Straße von Banfe kommend auf die B62 führt. Damals hieß das angesprochene Hotel „Hotel Fasanerie“, war die erste Adresse im Ort, nicht zuletzt wegen der 2-3 Tennisplätze, auf dem die Honorigen der Stadt spielten. Ich erinnere mich, dass im Vorfeld der Durchfahrt von Willy Brandt, seine Ankunft im Radio oder in der Zeitung angekündigt wurde. Ich wohnte damals auf der Amalienhütte in Niederlaasphe. Ich lugte an diesem Tag mit meiner Oma und Kissen unter den Ellenbogen aus dem Fenster in der 1.Etage. Wir sahen, wie er mit einem rabenschwarzen Wagen auf der B62 an unserem Haus vorbeifuhr. Leider habe ich ihn nicht auf dem Marktplatz (?) sprechen hören, da meine Eltern eher dem Gegenkandidaten, Kurt Georg Kiesinger zugeneigt waren. Den musste ich anhören dürfen…
Vielen Dank für die Erinnerung! Quasi als Trost folgt nun der Bericht der Westfalenpost vom 22. August 1969 über den Besuch Brandts in Laasphe:
„Urlaubsgebräunt stand gestern nachmittag Bundesaußenminister Willy Brandt auf dem Podium des Wilhelmplatzes in Laasphe. Tausend mögen es gewesen sein, die aus Laasphe und mit Omnibussen aus dem ganzen Wittgensteiner Land hergekommen waren und zum ersten Male einen sozialdemokratischen Parteivorsitzenden in Wittgenstein erleben konnten. Landrat Möhl hieß ihn mit einem Gastgeschenk willkommen, ebenso der Siegerländer Landrat und Bundestagsabgeordnete Hermann Schmidt.
Willy Brandt sagte seinen Zuhörern, was die SPD veranlasst habe, mit der CDU/CSU eine Koalition einzugehen. Er sprach auch davon, dass es hier vor vier Jahren dem heimischen Bundestagsabgeordneten, Prinz Botho, gelungen war, einen Direktsieg gegen den sozialdemokratischen Kandidaten zu erringen, und er meinte, das Wahlergebnis müsse diesmal umgekehrt laufen.
Nach dem Konzept des SPD-Vorsitzenden, das er in Laasphe während seiner halbstündigen Ansprache kurz ausbreitete, gehe es der SPD um folgende Wahlentscheidungen:
Ob die Wirtschaft stabil bleiben und Arbeitsplätze erhalten werden könnten.
Ob die notwendigen Reformen in Wirtschaft, Forschung, Verkehrswesen und Städtebau rasch durchgeführt werden könnten.
Ob unsere Jugend bessere und ausreichende Bildungsmöglichkeiten eröffnet werden könnten.
Ob der Staat für mehr Gerechtigkeit sorgen könne, beispielsweise durch eine Steuerreform und in der Vermögenspolitik.
Ob es mehr Demokratie bei uns geben könne.
Ob die Freundschaft zu den Nachbarvölkern und die Zusammenarbeit mit allen Staaten rasch weiter ausgeweitet werden könne.
Zum letzten Punkt machte der Außenminister auch einen Rechtfertigungsversuch gegenüber den Angriffen, die gegen die drei Moskaureisenden der SPD ausgerechnet zum Jahrestag der tragischen Geschehnisse in der Tschechoslowakei erhoben worden sind. Jede Gelegenheit, so meinte Willy Brandt, müsse willkommen und jeder Termin recht sein, wenn es darum geh, Spannungen abzubauen und in Moskau deutsche Interessen zu vertreten.
Nach der Ansprache, die nur ein einziges Mal von Beifall unterbrochen worden war, führ Willy Brandt und mit ihm eine größere Bonner Presseeskorte weiter nach Koblenz.“
Aktuelle Bilder finden sich hier:
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auch nett die Geschichte welche immer wieder rund um diesen Besuch von Willy Brandt aufklappt (ob wahr oder nicht, aber glaubhaft ist sie schon!): Als Willy Brandt seine Rede hielt soll ein Postbote mit einem Telegramm den Raum betreten haben:“Ist hier ein Willy Brandt?“. Dieser habe sich sofort gemeldet und ein Telegramm in Empfang genommen. Dieses solle von Prinz Botho gewesen sein, mit dem kurzen Text: „Störe meine Kreise nicht“ :-) Alles nicht belegt, jedoch würde es zu Bothos Humor passen…..
Danke für die Anekdote! Ob sich das Telegramm im Nachlass Willy Brandts – oder Bothos zu Sayn- Wittgenstein-Hohensteins – befindet – wäre doch zu schön, wenn dies stimmt.