Wie fühlt es sich an, in einem Gefängnis zu arbeiten? Ehemalige Mitarbeiter der JVA Siegen haben gemeinsam mit Beschäftigten der Teilbibliothek Unteres Schloss der Uni Siegen eine Fotoausstellung installiert.
„Wenn man im Gefängnis arbeitet, fühlt man sich sicher und geborgen – solange man den Schlüssel in der Tasche spürt“ erzählt Michael Wulf. Er hat früher die JVA Siegen geleitet. Gitterstäbe, mehrfach verschlossene, schwere Metall-Türen, sechs Hochbetten auf engem Raum – das Gefängnis im Unteren Schloss war Wulfs Arbeitsplatz. Wenn er heute ins Gebäude kommt, erkennt er vieles nicht mehr wieder. Studierende sitzen lernend über Büchern mit Rechts- und Wirtschaftstexten. Sogar einen Aufzug gibt es mittlerweile. Was damals der Knast war, ist heute die Teilbibliothek Unteres Schloss der Uni Siegen.
Frühere und neue Mieter des Schlosses haben zusammen die Idee umgesetzt, dem Arbeitsplatz JVA eine Ausstellung zu widmen. Ehemalige Justizvollzugsbeamte haben gemeinsam mit den Beschäftigten der Teilbibliothek Unteres Schloss eine Ausstellung ins Leben gerufen. Hauptverantwortlich für das außergewöhnliche Projekt „Arbeit hinter Gittern“ sind die beiden ehemaligen Siegener Justizvollzugsbeamten Christian Janke und Rüdiger Zimmermann, sowie Dr. Jessica Stegemann, Marion Stahl-Scholz von der Universitätsbibliothek und Buchbinder Bernd Weimar. Erinnerungsstücke, alte Fotos und persönliche Gegenstände sind bis zum 7. Februar in der Teilbibliothek zu sehen. Die Verantwortlichen haben die Ausstellung gemeinsam mit Bürgermeister Steffen Mues und dem Bibliotheksleiter Dr. Jochen Johannsen eröffnet und von ihrem Arbeitsalltag berichtet.
„Der Arbeit muss man physisch und psychisch gewachsen sein“
Ob die Arbeit im Gefängnis so aussieht wie in Filmen oder Serien? Überhaupt nicht, sagen die ehemaligen JVA-Beamten. Sanitäter, Seelsorger, Krankenpfleger, Werkzeugmacher – zeitweise war das Gefängnis Arbeitsplatz für 40 angestellte Beamte und ehrenamtliche Helfer. „Einfach war die Arbeit ganz sicher nicht“, sagt Wulf. Viele der Beamten hatten mit Opfern von Suiziden zu tun. Außerdem lebten die Gefangenen auf engem Raum. Zwei Gefangene teilten sich acht Quadratmeter. Teilweise lebten sechs Gefangene in einer Zelle. Da werde aus Frust schnell Gewalt, die in Schlägereien endete. „Dem muss man physisch und psychisch gewachsen sein“, meint Wulf. Die Beamten müssen mehr tun als bloß den Schlüssel der Zellentür umzudrehen. Viele sind psychologisch und sozialpädagogisch ausgebildet.
„Wir lebten zwischen den Welten“
Absurd hätten sich die Großveranstaltungen auf dem Schlossplatz angefühlt – Public Viewings oder Konzerte von Udo Jürgens. „Wir lebten zwischen den Welten. Draußen war Party und dann geht man zwei Meter nach links und da ist die Stille in den Zellen. Ich denke, da draußen hat sich keiner Gedanken gemacht, dass direkt nebenan das Gefängnis ist“, erzählt Janke. Er hat mit 23 Jahren angefangen im Gefängnis zu arbeiten. „Das ist eine prägende Arbeit. Man lernt so viele Charaktere kennen.“ Wie den Fußballspieler aus Süddeutschland, den Janke betreut hat. „Der war wegen Beteiligung an einem Wettskandal bei uns in Untersuchungshaft“, erfahren die Ausstellungsbesucher. „Damit er in der Zeit in Form blieb, musste ich jeden Freitagabend mit ihm drei Stunden Fußballtraining machen.“
Seit den 1930er Jahren diente das Schloss als Gefängnis. 2010 wurde die JVA geschlossen und zog nach Attendorn um. 2016 zog die Uni ein, nachdem das Gebäude umfangreich saniert worden war.
Artikel „Gruß vom Kerkermeister“ (Dezember 2016)
Quelle: Uni Siegen, Aktuelles, 12.1.18
Zur Geschichte des Landgerichtsgefängnises Siegen s. a. folgende Literatur: Maria Anspach/Wolfgang Krause, Gefängnisse in Siegenvom frühen Mittelalter bis heute, in: Landgericht Siegen (Hg.): Recht im südlichen Westfalen. Festschrift zum 50jährigen Bestehen des Landgerichts Siegen, Siegen 1983, S. 78 – 86
Zur Geschichte des Landgerichtsgefängnisses Siegen ist der Bestand „Landgerichtsgefängnis / Justizvollzugsanstalt Siegen“ (Signatur : Q 925) des Landesarchivs NRW, Abt. Westfalen, auszuwerten, denn er enthält 90 Akten in18 Kartons (Generalakten und Gefangenenpersonalakten) mit einer Laufzeit von 1925 bis 2003. Im Kartenbestand des Landesarchivs NRW, Abt. Westfalen, befinden sich Baupläne von Massnahmen der 70er und 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts.