Buch zum Lÿz erschienen
Reblog von siwikultur, 27.6.2017
Am Anfang stand der Besuch von Lyzeum-Schülerinnen aus Anlass Ihres Abiturjubiläums: Ehemals „höhere Töchter“ besuchten ihre historische Wirkungsstätte – das heutige Kulturhaus Lÿz – und Kulturreferent Wolfgang Suttner war begeistert von ihren Geschichten über das Haus. Unter diesen Schülerinnen war die Autorin Cornelia Sauer, Journalistin aus München und Zeitzeugin des legendären Lÿz-Schülerinnenstreiks von 1969, die anbot, dieses wichtige gesellschaftspolitische Geschehen Siegens zu beschreiben.
Herausgekommen ist nun ein aufwändig gestaltetes und illustriertes Buch, das neben Cornelia Sauers Aufarbeitung des Schülerinnenstreiks viele weitere Geschichten rund ums Lÿz enthält. So hat der Siegener Journalist Raimund Hellwig mit vielen Zeitzeugen gesprochen und untersucht in seinem Beitrag die gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Umstände, die zur Gründung des Technologiezentrums und später des Lÿz führten. Oder Herausgeber Wolfgang Suttner beschreibt rückblickend, wie der Ex-Beatle Paul McCartney das ehemalige Mädchengymnasium besuchte. Darüber hinaus enthält das Buch eine Chronologie, die die Geschichte des Hauses von 1819 bis heute zusammenfasst.
„Von wilden Mädchen, Paul McCartney und viel Kultur – Das Lyzeum in Siegen“ ist ab morgen in den Buchhandlungen im Kreisgebiet Siegen-Wittgenstein unter ÍSBN 978-3-944157-29-0 zum Preis von 15,- € inkl. MwSt. erhältlich.
Einige Anmerkungen:
Die Rückversetzung des Oberstudiendirektors Dr. Kurt Müller in eine Studienratsstelle nach dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums von April 1933 hat mit „Mobbing“ nichts zu tun. Das Gesetz erlaubte Entlassung, Zurruhesetzung und Versetzung in ein anderes/niederes Amt von unliebsamen, dem neuen System nicht angepassten Beamten. (S. 22f.)
Die Jahreszahl 1935 (S. 23) in der Chronik von Herrn Wolf ist nicht korrekt. 1935 war die ältere Tochter der Familie Frank, Ruth (Jg. 1912), bereits verheiratet. Sie hatte das Lyz ohne Abschluss verlassen. Tochter Inge (Jg. 1922) schied im November 1938 im Rahmen der Verordnung vom 14.11.1938 des Reichserziehungsministers Bernhard Rust aus. Darin heißt es, es könne „keinem deutschen Lehrer und keiner deutschen Lehrerin mehr zugemutet werden, an jüdische Schulkinder Unterricht zu erteilen. Auch versteht es sich von selbst, dass es für deutsche Schüler und Schülerinnen unerträglich ist, mit Juden in einem Klassenraum zu sitzen. Soweit es noch nicht geschehen sein sollte, sind alle zur Zeit eine deutsche Schule besuchenden (jüdischen) Schüler und Schülerinnen sofort zu entlassen“.
Inge Frank absolvierte von Februar 1939 bis Ende Juli 1940 einen Kurs für Kinderpflege im israelitischen Kinderheim in Köln, Lützowstraße. Details dazu sind im Internet unter http://www.lebensgeschichten.net nachzulesen. Darin ist leider die falsche Jahreszahl 1935 enthalten. Bisher habe ich nicht herausbekommen, was mit der jüngeren Cousine von Inge, Doris Salomon (Jg. 1926), aus Geisweid nach November 1938 geschah. Sie wurde als einziges jüdisches Kind aus der Geisweider Schule (Schulleiter Walter Nehm war Antisemit) entlassen. Nachdem ihre Mutter Jenny Salomon 1941 verstarb, lebte Doris in der Familie des Onkels Samuel Frank und wurde gemeinsam mit ihr Ende April 1942 nach Zamosc deportiert.
Meines Erachtens hätte die mutige Haltung der Oberstudienrätin Annemarie Schaefer (1887-1948), die als stellvertretende Schulleiterin während des Kriegseinsatzes von Dr. Rohdich in der Zeit vom 3. Nov. 1941 bis 13. Juli 1944 die Verantwortung hatte, erwähnt werden müssen. Sie forderte Ilse Meyer (Enkeltochter des vormaligen Kreismedizinalrates Dr. Arthur Sueßmann, nach den Rassegesetzen als Halbjüdin eingeordnet) auf, einfach weiter am Schulunterricht teilzunehmen, als sie 1943 aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen die Schule verlassen sollte. Bei Rückkehr Rohdichs von der Front im Sommer 1944 musste sie dann die Schule verlassen. Annemarie Schaefer wurde nach dem Krieg Stiftsoberin in Stift Keppel.
Zwei Anmerkungen zum Beitrag von Raimund Hellwig. Er schreibt: „1983 erschütterte die erste große Stahlkrise das Siegerland. Plötzlich gab es die konkrete Gefahr, dass der Stahlstandort Geisweid mit damals noch über 10.000 Mitarbeitern geschlossen werden könnte.“ Das stimmt nicht. In Geisweid waren noch nie so viele Menschen beschäftigt. Als ich 1962 dort anfing, waren es rd. 6.000 Mitarbeiter. Mir liegen die Belegschaftszahlen vor.
Die Werksgruppe Siegen mit den Werken Geisweid und Niederschelden beschäftigte 1983 insgesamt 4.570 Arbeiter und Angestellte, davon 3.914 Mitarbeiter in Geisweid und 656 in Niederschelden, darüber hinaus waren rd. 300 Angestellte in der Hauptverwaltung in Geisweid tätig. Woher hat R. Hellwig die Zahl? Auch der Hinweis, dass Helmut Wahl die Fa. Philips in Eiserfeld aufgekauft habe, kommt wohl nicht hin. Das müsste Horst Wahl gewesen sein.
Vielen Dank für die korrigierenden Hinweise!
1) In der von mir zu verantwortenden Chronik fällt der Begriff „Mobbing“ nicht im Zusammenhang mit der vorläufigen Versetzung Dr. Müllers auf der Grundlage des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufbeamtentums vom April 1934. Eine biographische Forschung über Müller ist allerdings eine sehr lohnenswerte Arbeit, die sicher Klarheit in die Siegener Vorgänge bringen wird.
2) Das Jahr 1935 für das Verlassen der jüdischen Schülerin Inge Frank fand sich in der Chronik von Tobias Gerhardus als auch im erwähnten lebengeschichtlichen Online-Angebot der NS-Gedenkstätten in NRW und wurde daher übernommen.
3) In der 2015 von Tobias Gerhardus vorgelegten umfangreichen Schulgeschichte wird eine Aufarbeitung der Schicksale aller jüdischen Schülerinnen des Lyzeums als Manko festgestellt. Sie ist bis heute nicht erfolgt.
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