[Anm.: Im Druck erschienen in Siegener Zeitung, Beilage „Heimatland“ am 3.6.2017]
Das Gebiet des Altkreises Wittgenstein war spätestens seit der frühen Neuzeit Teil der Grafschaft Wittgenstein, die zuletzt in die Linien Sayn-Wittgenstein-Berleburg und Sayn-Wittgenstein-Hohenstein geteilt war. Im Jahre 1806 fielen die mittlerweile gefürsteten Gebiete zunächst an Hessen-Darmstadt. In dieser Zeit mussten die Einwohner der beiden Gebiete die Steuerabgaben sowohl an die alten Herrschaften als auch an die neue Herrschaft Hessen-Darmstadt aufwenden, was zu einer weiteren Verarmung der ohnehin schon wirtschaftlich benachteiligten Bevölkerung führte.
Bei der Neuordnung des Deutschen Bundes führten Proteste der Bevölkerung gegen diese Doppelbelastung dazu, dass beide Gebiete durch einen Vertrag zwischen Österreich, Preußen und Hessen-Darmstadt vom 30. Juni 1816 an Preußen fielen. Der Großherzog von Hessen und Rhein hatte die Grafschaften Wittgenstein-Wittgenstein und Wittgenstein-Berleburg an den König von Preußen abgetreten. Am 18. Juli 1816 erfolgte die formelle Besitzergreifung der Grafschaft Berleburg-Wittgensteins durch Caspar Joseph v. Biegeleben für Preußen. Einen Tag darauf erfolgte die Übergabe der Hoheitsgewalt in den Grafschaften Sayn-Wittgenstein an den Vertreter Preußens.
Beide Länder wurden daraufhin von der neuen Herrschaft zum Kreis Berleburg zusammengefasst und zunächst eine Zuordnung zum Regierungsbezirk Koblenz in der Provinz Großherzogtum Niederrhein erwogen.
Im August 1816 wurde aufgrund der „Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Provinzial-Behörden“ vom 30. April 1815 die Einteilung der Regierungsbezirke in Kreise in die Wege geleitet. Im Regierungsbezirk Arnsberg waren vierzehn Kreise geplant. Im Spätherbst 1816 führte ein Bericht des westfälischen Oberpräsidenten v. Vincke dazu die Eingliederung des Kreises Berleburg in den Arnsberger Regierungsbezirk voranzutreiben. Die noch existierenden alten Verwaltungsstrukturen waren Vincke negativ aufgefallen. Seit Januar 1817 stand Levin Voss, freiwilliger Jäger zu Arnsberg, als Kreissekretär dem Kreis Berleburg vor. Nur einen Monat später erfolgte die endgültige Zuordnung des Kreises Berleburg nach Arnsberg. Die Umbenennung des Kreises Berleburg in den Kreis Wittgenstein ist auf den 14. März 1817 datiert. Etwa drei Monate später, am 1. Juli 1817, wurde Justizamtmann Friedrich August Jost wird erster preußische Landrat in Wittgenstein:
Für den neuen Landrat war eines der dringendsten Probleme die Infrastruktur des Kreises: Der Kreis besaß nur sehr wenig Straßen und Wege in das benachbarte Sieger- und Sauerland. Preußen musste sehr hohe Kosten in Kauf nehmen, um die Anbindung Wittgensteins an Westfalen zu realisieren. Weitere Aufgaben waren die Installierung der neuen Verwaltungstrukturen, die Ankurbelung der Wirtschaft und der Landeskultur. Der Brand der neuen Kreisstadt Berleburg im Jahr 1825 bildete eine zusätzliche Herausforderung für den neuen Kreis dar.
Mit der Gründung des Landwirtschaftlichen Kreisvereins nahm Landrat Jost Sicherstellung der Lebensmittelversorgung und weitere Professionalisierung des vorherrschenden Wirtschaftszweigs im Kreisgebiet in Angriff, bis heute ist das Stünzelfest nicht nur Volksfest, sondern auch Leistungsschau der Wittgensteiner Landwirtschaft.
Der Ablösung der alten Besitzverhältnisse, die die Bewohner des Kreisgebietes in Abhängigkeit zu den fürstlichen Familien gehalten hatte, galt ebenfalls die Aufmerksamkeit der ersten preußischen Landräte. Dem Nachfolger Josts, Landrat Wilhelm Friedrich Groos (1831-1850) gelang 1839 mit einem Ablösegesetz diese endgültige Loslösung.
In 1850er und 1860er Jahren erfolgte die Verbesserung der Infrastruktur durch den Ausbau der Straßen: Biedenkopf-Kreuztal, Leimstruth-Berleburg, Banfetalstraße. In den 1880er bis 1890er Jahren wurde das Kreisgebiet dann an das Schienennetz der Eisenbahn mit dem Bau der Eisenbahnlinie Cölbe-Kreuztal (1883 Eröffnung der Bahnlinie Kreuztal-Marburg, 1888 Eröffnung der Strecke bis Erndtebrück) angeschlossen
- Juli 1886 – ein einschneidendes Datum in der Verwaltungsgeschichte der preußischen Kreise. Denn mit Inkrafttreten der Kreisordnung für die Provinz Westfalen bildete jeder Kreis neben seiner Eigenschaft als staatlicher Verwaltungsbezirk auch einen Kommunalverband mit eigenen Rechten einer Selbstverwaltungskörperschaft. Als verfassungsmäßige Organe wurden Kreistag, Kreisausschuss und Landrat eingeführt. Der Kreistag wurde nun in den Ständen von der Vertretung, in den Landgemeinden von den Wahlverbänden der unmittelbaren Steuerzahler und der größeren Grundbesitzer gewählt. Der Kreistag hatte als Vertretung des Kreises über die Angelegenheiten des Kommunalverbandes zu beschließen und der von ihm gewählte Kreisausschuss neben seiner vorbereitenden Tätigkeit für den Kreistag an den Geschäften der Kreisverwaltung mitzuwirken. Den Vorsitz im Kreistag wie im Kreisausschuss führte der Landrat, der weiterhin sowohl Leiter der staatlichen Verwaltung als auch des Kommunalverbandes war.
Die verbesserten Verkehrswege und die allgemeine wirtschaftliche Konsolidierung in den 1890er Jahren führten zu den Anfängen des Fremdenverkehrs im Gebiet des Altkreises Wittgenstein.
Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts prägten auch das Wittgensteiner Kreisgebiet die weltpolitischen Ereignisse: 1914 bis 1918 Erster Weltkrieg. Nach der Novemberrevolution 1918 erfolgte die Demokratisierung des Kreises und des Kreistages in Foöge der Weimarer Verfassung, der nun in direkter Volkswahl gewählt wurde.
In den 1920er Jahre wurde die Infrastruktur des Altkreises mit der Elektrifizierung erneut verbessert.
Am 15. September 1932 wurden die fünf, seit 1845 bestehenden Ämter (Girkhausen, Berghausen, Erndtebrück, Banfe, Arfeld) aufgelöst und die Amtsverbände Berleburg, Erndtebrück und Laasphe gebildet.
Die nationalsozialistische Machtergreifung am 30. Januar 1933 führte in der Folge zur Gleichschaltung aller Lebensbereiche im Altkreis Wittgenstein; so führte am 30. Januar 1935 die Bekanntmachung der Deutschen Gemeindeordnung zur Einführung des Führerprinzips im Kreis.
Die ideologische begründete, nationalsozialistische Diskriminierung von Minderheiten führte im Altkreis nicht nur zu einem Anwachsen antisemitischen, sondern auch antiziganistischer Hetze und Maßnahmen. Die Verdrängung der Jüdinnen und Juden aus allen Gebieten des gemeinsamen Lebens gipfelte erstmals am 9. November 1938 in der Reichspogromnacht im Kreisgebiet. Am Ende stand die Deportation der im Altkreis Wittgenstein verbliebenen Jüdinnen und Juden und der Sinti und Roma in die Vernichtungslager.
Auch der am 1. September 1939 mit dem Angriff auf Polen begonnene Zweiten Weltkriegs prägte das Leben im Wittgensteiner Land.
Die Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai 1945 beendet den Zweiten Weltkrieg. Mit dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches ging sämtliche deutsche Staatsgewalt unter. Als einziger Teil der öffentlichen Verwaltung blieben die kommunalen Gebietskörperschaften übrig, von denen sich in der Folge die ersten Ansätze zur Rückkehr in geordnete Lebensverhältnisse, für den Wiederaufbau und die Erneuerung der Demokratie in Deutschland vollzogen.
Das Inkrafttreten der Revidierten Deutschen Gemeindeordnung aufgrund einer Verordnung der Britischen Militärregierung am 1. April 1946 installierte die kommunale Doppelspitze. An der Spitze der Kreisverwaltung steht nun der Oberkreisdirektor. Der Landrat ist nur noch ehrenamtlicher Repräsentant des Kreises und Vorsitzender des Kreistages.
Bis zur Währungsreform 1948 gehörte zu den Hauptaufgaben des Altkreises die Bearbeitungen der Kriegsfolgen: Sicherung der Lebensmittelversorgung, Trümmerbeseitigung und die Integration der Flüchtlinge. Nach der Verkündung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland am 23. Mai 1949 und mit dem Beginn des wirtschaftlichen Aufschwunges in der der neuen Bundesrepublik Deutschland traten auch die bekannten Aufgaben des Kreises wieder auf: Anpassen der Infrastruktur an die neuen, wirtschaftlichen Erfordernisse. So bildete die Gründung des Naturparks Rothaargebirge 1964 einen wegweisenden Meilenstein die Geschichte der touristischen Erschließung des Kreisgebietes.
Vom 6. April 1966 bis zur Auflösung des Kreises 1974 trug der Kreis Wittgenstein das Wappen der im Jahre 1360 ausgestorbenen Grafen zu Wittgenstein. Dieses Wappen wurde am 1. Oktober 1999 in das Wappen des Kreises Siegen-Wittgenstein übernommen.
Der Kreis Wittgenstein wurde zum 1. Januar 1975 durch das Sauerland/Paderborngesetz vom 5. November 1974 aufgelöst. Rechtsnachfolger ist der Kreis Siegen.
Quelle: Wikipedia, Kreis Siegen-Wittgenstein, Homepage (Kreisgeschichte), Blog https://www.siwiarchiv.de