Die Ausstellung „Souvenir“ in der Art Galerie Siegen zeigt Fotos aus dem ehemaligen Siegener Gefängnis im Unteren Schloss. Elisabeth Müller und Oliver Seiler haben die Aufnahmen im Rahmen ihres Master-Studiums an der Uni Siegen gemacht.
Es gibt kaum Licht. Es ist feucht, kalt – und vor allem sehr still. Das ehemalige Siegener Gefängnis im Unteren Schloss steht seit vielen Monaten leer: Die Gefangenen sind weg, ihre Tische, Stühle und Betten auch. Elisabeth Müller und Oliver Seiler sind allein in dem Gebäude. Im Rahmen eines Forschungsprojektes an der Uni Siegen möchten sie die verlassene Gefängnisanlage dokumentieren. Fünf, sechs Stunden lang streifen die Studierenden mit ihren Kameras durch die Zellen, Gänge und Gemeinschaftsräume. „Das war ein ziemlich schräges, atmosphärisches Erlebnis“, erinnert sich Oliver Seiler. „Unheimlich“, ergänzt Elisabeth Müller, „aber auch eine einmalige Gelegenheit. Wir haben einfach Eindrücke gesammelt.“ Vier Jahre später sind diese Eindrücke öffentlich zu sehen: „Souvenir“ heißt die Ausstellung in der Art Galerie Siegen, die gerade eröffnet worden ist und bis Anfang Januar läuft.
Die Fotos zeigen, was von den Gefangenen im Gebäude übriggeblieben ist: Welche Spuren haben sie hinterlassen? Und wie haben sie sich ihr Umfeld, ihre Zellen angeeignet; es sich darin heimelig gemacht? „Das waren die Fragen, die uns bei dem Projekt angetrieben haben“, sagt Elisabeth Müller: „Wer ins Gefängnis geht, muss alles abgeben. Da bleibt vom Selbst nicht viel übrig. Umso bedeutsamer sind die wenigen gestalterischen Freiheiten, die die Gefangenen haben – eben eine Möglichkeit, die eigene Persönlichkeit ausdrücken.“ Auf welch unterschiedliche Weise die Insassen der JVA Siegen dies getan haben, erzählt die Ausstellung: Da wurden im Nassbereich einer Zelle sämtliche Fugen mit einem goldenen Edding ausgemalt, ein altes Handtuch zum Bezug für den Klodeckel umfunktioniert. Mit Zahnpasta haben die Gefangenen Zeitungsausschnitte an die Wände geklebt: Das Traumauto, Frauen – aber auch religiöse Motive, wie eine Darstellung von Jesus am Kreuz. In einer Gemeinschaftszelle wurde sogar ein ganzer Erker farblich gestaltet: Er ist in leuchtendem Türkis gestrichen.
Die Fotos von Elisabeth Müller und Oliver Seiler sind einerseits dokumentarisch-nüchtern, andererseits sehr intim. Nahaufnahmen aus einzelnen Zellen hängen in der Ausstellung neben Bildern, die den gemeinschaftlichen Teil des Gefängnisses und die Gefängnisarchitektur zeigen: die mit Durchgangsgittern gesicherten Gänge, den Gefängnishof, die Pförtnerloge. „Wir sind keine Künstler oder Fotografen“, betont Oliver Seiler. „Als die Fotos entstanden sind, hatten wir nicht die Absicht, sie später einmal auszustellen. Uns ging es einfach nur darum, zu sammeln und zu dokumentieren.“
Ihre fotografische Dokumentation haben die beiden Studierenden durch Interviews mit ehemaligen Insassen des Siegener Gefängnisses ergänzt, die 2011 in die JVA Attendorn verlegt worden waren. „Das war hochspannend“, sagt Elisabeth Müller. „Die Gefangenen haben sich gerne an ihre Zeit in Siegen zurückerinnert.“ Familiär sei es dort gewesen – und trotz des miserablen Gebäudezustandes habe man sich im „Schloss“ wohlgefühlt. „Gerade weil es sich um ein altes Gebäude handelte, hatten die Gefangenen viel mehr Möglichkeiten, als in modernen Gefängnissen“, so Müller. Tische und Stühle seien nicht im Boden verschraubt gewesen und konnten auch mal umgestellt werden. Und: Es gab nicht nur Standard-Räume mit geraden Wänden, sondern Erker und Ecken: „Die Gefangenen haben Pinsel und Farbe gestellt bekommen und durften sie selbst anmalen. Die Ergebnisse haben wir ja auch auf unseren Fotos festgehalten.“ Auf ihrem Streifzug durch das verlassene Gebäude haben Müller und Seiler noch einen weiteren Beleg für die besondere Atmosphäre in der JVA entdeckt: Der Schriftzug „Goodbye Castle“ zierte in einem Personalraum die Wand – eine Art wehmütiger Abschiedsgruß.
Inzwischen ist das Gebäude umgebaut und saniert worden, aus dem ehemaligen Schloss-Gefängnis ist die heutige, hochmoderne Teilbibliothek des Campus „Unteres Schloss“ der Universität Siegen geworden. Oliver Seiler und Elisabeth Müller haben das nur noch aus der Ferne mitbekommen, seit 2013 lebt und arbeitet das Paar in Leipzig. „Aber die Gefängnisbilder haben uns irgendwie nicht losgelassen“, sagt Oliver Seiler. Die Ausstellung in der Art-Galerie sei einerseits ein persönlicher Abschluss des Projektes, „gleichzeitig wollen wir den Siegenern damit einen Einblick ermöglichen, wie es in dem Gefängnis ausgesehen hat. Schließlich wusste jeder, dass es diese JVA mitten in der Stadt gab – aber die wenigsten haben sie je von innen gesehen.“
Die Ausstellung „Souvenir“ in der Art Galerie Siegen ist immer donnerstags und freitags zwischen 14 und 19 Uhr geöffnet. Nach vorheriger Vereinbarung kann sie auch außerhalb dieser Zeiten besucht werden. Sie läuft noch bis zum 07. Januar 2017.
Quelle: Universität Siegen, 14.11.2016
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