Entnazifizierung der Jugendverbände im Kreis Siegen
In der Akte „Chronik 1945-1958“ geht es um den Wiederaufbau von Jugendverbänden im Kreis Siegen. Im Jahre 1964 schrieb der Chronist die Geschichte der Jugendverbände seit 1945 nieder und fügte immer wieder Quellen bei, entweder einen Antrag oder Richtlinien etc., die aus dieser Zeit stammen.
Nach der Kapitulation Deutschlands am 7. Mai 1945 wurde die Jugendarbeit im Siegerland von der britischen Militärregierung bestimmt. Für diese Aufgabe richteten sie ein Education Control Officer´s ein. Wichtig für die Kontrolle der Vereine war es, dass sie alle Vereine auflösten. Der Vorstand jedes Vereins wurde auf seine NSDAP- oder SA-Vergangenheit überprüft, nur wenn man „sauber“ war, bekam man eine Genehmigung und durfte weiterhin im Vorstand eines Vereins tätig sein.
Viele Vereine hatten bereits im Sommer 1945 wieder geöffnet, ohne dass sie sich im Klaren darüber waren, eine Genehmigung zu benötigen. Da die britische Militärregierung keine Ausnahmen machen konnte, wurden die Vereine „nach Richtlinie 23“ wieder geschlossen.
Richtlinie 23:
„1.) Alle Turn- und Sportvereine, sowie Vereine halbmilitärischen Charakters, welche in Deutschland vor der Kapitulation bestanden haben, sind mit sofortiger Wirkung aufzulösen. Ihre weitere Tätigkeit ist zu verbieten.
2.) Das gesamte Vermögen ist zu beschlagnahmen. Finanzielles Vermögen ist auf das Konto „Beschlagnahmtes Parteivermögen“ bei der Reichsbank einzuzahlen. Das bewegliche Inventar ist sicherzustellen, weitere Anweisungen sind abzuwarten.“
Die Anweisungen folgten kurze Zeit später, den Vereinen war es möglich einen Antrag zu stellen, um ihr gesperrtes Vermögen wieder zu bekommen. Dieser Prozess dauerte jedoch bis zur Währungsreform vom 20. Juni 1948. Der Vorgang dauerte so lange, weil immer wieder neue Bestimmungen getroffen wurden und wenn ein Verein den Antrag unter den alten Regeln stellte, wurde dieser nicht angenommen. Die Währungsreform 1948 erschwerte den Prozess ebenfalls, da man alles von der Reichsmark in die Deutsche Mark umrechnen musste.
Als die Vereine wieder eröffnet wurden, wurden diese streng kontrolliert. Laut einer Verfügung vom 6. September 1945 durften die Vereine keine politische Betätigung veranstalten, keine militärische Ausbildung durchführen und keine Kriegslieder singen lassen. Wenn ein Verein gegen diese Regeln verstoßen sollte, so sollte er umgehend geschlossen werden und zusätzlich würden die Verantwortlichen Mitglieder und der Vorstand bestraft werden.
Der Aufbau des Vorstands und die Organisation des Vereins wurden ebenfalls von der Militärregierung festgelegt. Der Vorstand durfte nur aus drei Leuten bestehen und die Anzahl der erwachsenen Mitglieder war ebenfalls beschränkt.
Die strengen Regeln wurden festgelegt, um die Jugendlichen zu schützen. Sie sollten nicht in Kontakt mit nationalsozialistischer Kriegspropaganda kommen und ohne politischen Einfluss heran wachsen.
Aus der Erziehungskontrollanweisung Nr. 30 vom 17. Oktober 1945 geht hervor, dass es der britischen Militärregierung wichtig war, die Jugendarbeit möglichst schnell aufzunehmen. Für diese Aufgabe wählte der Oberbefehlshaber die Militärregierung aus. Sie bekam die Anweisung den deutschen Verbänden und Vereinen, falls nötig, unter die Arme zu greifen, an sich sollten sich die Vereine aber eigenständig organisieren. Dennoch entschied sich die Militärregierung dafür ein Konzept aufzustellen, um die Jugendarbeit in Gang zu bekommen. In jeder Gemeinde des Kreises Siegen-Wittgenstein sollte eine Person ernannt werden, die der Vorsitzende eines gewählten Ausschusses mit insgesamt 6 Personen sein werden sollte. Der Vorsitzende war damit für die gesamten Jugendverbände in seiner Gemeinde verantwortlich. Weiterhin sollten der Landkreis und der Stadtkreis jeweils einen Jugendamtsleiter bekommen, in diesem Fall wurde ausdrücklich geschrieben, dass der Jugendamtsleiter männlich sein soll. Einer der Verwaltungsbeamten im Landratsamt sollte Präsident aller Jugendorganisationen werden, sowohl im Stadtkreis als auch im Landkreis. Die ernannten Vorsitzenden der Gemeinden wurden überprüft und angenommen.
Auch wenn es den Anschein hat, als hätte die britische Militärregierung alles gut geplant und alle Ämter besetzt, gab es im Kreis Probleme mit dem Besetzten ehrenamtlicher Positionen. Unteranderem könnte es den Menschen nicht gefallen haben, dass die britische Militärregierung alles befohlen hat und es den Bürgern im Kreis Siegen aufgezwungen wurde. Ein anderer Grund war, dass die Menschen nach dem Krieg umso mehr arbeiten mussten und aus diesem Grund keine Zeit für ehrenamtliche Tätigkeiten hatten. Dazu kam, dass man nicht genug Materialien zu Verfügung hatte, um einen Verein zu leiten, wie zum Beispiel Papier für Rundschreiben. Zudem wollten die christlichen Vereine nicht gerne mit den Jugendpflegern zusammen arbeiten, da sie nicht mehr alleine bestimmen konnten, was gemacht wurde und die Treffen seitdem mehr waren als Gesangs- und Bibelstunden.
Eine der häufigsten Aufgaben der Kreisjugendführer war es Sonderrationen für zum Beispiel Ausflüge zu beantragen und sie mussten dem Education Control Officer mehrmals im Jahr die Anzahl der Mitglieder der Jugendverbände mitteilen. Ein Beispiel für einen Antrag findet man auch in dieser Akte. Die katholische Jugendgruppe Klafeld hat einen Ausflug auf den Kindelsberg geplant und es wird um Zuteilung seitens des Kreisjugendamts Siegen gebeten. Die Jungschargruppe aus Klafeld bekommt 10 Tafeln Schokolade und 2 Tüten Trockengemüse zugesprochen.
Man bekommt durch diese Akte einen Eindruck davon wie die Jugendverbände nach 1945 durch starke Kontrolle der britischen Militärregierung, wieder aufgebaut wurden. Neben dem Wiederaufbau der Kriegsschäden spielte dies wohl ebenfalls eine sehr wichtige Rolle, auch wenn die Bürger aus dem Kreis Siegen nicht alle davon begeistert waren.
Einem Schreiben, vom 22. Januar 1948 vom Oberkreisdirektor Siegen an den Regierungspräsidenten in Arnsberg, nach wurde Hans Josef Regenhardt am 1. Juli 1947 der hauptamtliche Kreisjugendpfleger. Dieses Schreiben enthält neben dieser Information aber noch weitere, 1947 gab es im Kreis Siegen sechs verschiedene Jugendvereine, die von der Militärregierung genehmigt wurden: Die evangelische Jugend, die katholische Jugend, die Turn-und Sportjugend, die sozialistische Jugend „Die Falken“, die Freie Deutsche Jugend und die Jugendgruppe des SGV. Die Tätigkeiten und Ziele des Kreisjugendpflegers werden ebenfalls aufgelistet. Dazu gehörte unter anderem die Zusammenarbeit und Aufrechterhaltung einer persönlichen Beziehung mit den Leitern der Jugendvereine, damit die Jugendarbeit reibungslos funktioniert.
Des Weiteren wird noch berichtet, dass es notwendig ist Jugend Heime zu errichten, da es in Siegen nur konfessionelle Heime gibt. Aus diesem Grund hat der Kreisjugendpfleger das ehemalige Heim des NS-Fliegerkorps auf der Eisernen Haardt für Jugendzwecke umbauen lassen
Am Ende des Schreibens wird ausdrücklich gesagt, dass sich der Kreisjugendpfleger sowohl mit dem Stadtjugendpfleger Meisel gut versteht, als auch mit der Militärregierung, beziehungsweise wurde dem Regierungspräsidenten mitgeteilt, dass der Kreisjugendpfleger ein ausgesprochen gutes Verhältnis zu allen hat.
Der Chronik kann man weiterhin entnehmen, dass die finanzielle Seite des Jugendwerkes immer schlechter wurde und bis 1950 das Finanzierungsproblem des Heims in den Vordergrund rückte. Am 31. Dezember 1950 zog das Jugendwerk schließlich wieder aus, da die Instandsetzung des Hauses zu viel gekostet hätte.
Quelle:
Akte „Chronik 1945-1.4.1958“, Kreisarchiv Siegen-Wittgenstein
DvD