30 Jahre Studio für Neue Musik der Universität Siegen

Ein Interview mit Prof. Martin Herchenröder über 30 Jahre Studio für Neue Musik der Universität Siegen.

Studio für neue Musik 1995


Das Studio für Neue Musik der Universität Siegen feiert Jubiläum. Es begann mit 63 Zuhörerinnen und Zuhörern, die im Februar 1995, zum ersten Konzert kamen. Es waren ungewohnte Töne, die damals im Seminarraum Musik erklangen und dennoch auf offene Ohren trafen. Prof. Martin Herchenröder hatte ein Publikum für die Neue Musik gewonnen, das der Veranstaltungsreihe zu einer Erfolgsgeschichte verhalf.

„Wenn Sie an den Anfang der Reihe zurückdenken: Gab es damals in Siegen ein Interesse an Neuer Musik?

Ich bin zum ersten Mal in den 1980er Jahren als Musikstudent in Siegen gewesen, um drei Konzerte zu spielen. Wir waren damals eine No-Name-Gruppe und haben tolle, aber auch verrückte Sachen gemacht. Die Kritiken waren glänzend, aber es saßen trotzdem nur zehn oder zwölf Leute da. Als ich dann 1994 als Professor an die Uni Siegen kam und Budget für Konzerte der Neuen Musik bekam, habe ich gedacht: Mal schauen, was möglich ist. Aber beim ersten Konzert kamen dann viel mehr Leute, als ich erwartet hatte. Es war klar: Es gibt hier Publikum für die Neue Musik. Es lohnt sich, gute, internationale Ensembles nach Siegen zu holen.

Welche Konzerte sind Ihnen besonders in Erinnerung?

Ich erinnere mich an den Auftritt der Amadinda Percussion Group in der Nikolaikirche. Die kamen mit einem ganzen Laster voller Schlagzeuge an. Das war sensationell und die Nikolaikirche brechend voll. Wir haben mehrmals Markus Stockhausen hier gehabt mit seinem Ensemble.Es gab Festivals, zu denen reisten Menschen aus London an. Oder im vergangenen Jahr die „Spiegelungen“ im Löhrtorbad, da standen die Leute Schlange, um reinzukommen. Es kann aber natürlich auch mal passieren, dass nur 20 Zuhörer da sind. Es gibt ein Stammpublikum mit unterschiedlichen Vorlieben. Manche mögen lieber Orgelkonzerte, andere kommen, wenn Vokales auf dem Programm steht. Die, die das Studio für Neue Musik kennen, wissen: Es ist immer interessant und es ist immer Top-Qualität.

Was für ein Publikum lockt die Neue Musik?

Es gibt Dinge bei der Musik oder auch im Theater, die fordern Geist und Seele ganz schön heraus. Ich finde, das muss auch so sein. Nachdenklich machen, Anstöße geben. Es gibt viele Menschen, die das wollen. Sinnsuche ist ja nicht veraltet! Ich muss Studio für Neue Musik 1995 manchmal den Leuten Irritation zumuten, damit sie in den Zustand kommen, dass sie sagen: Moment, hier geht es nicht nur darum, ob das schön ist oder nicht. Neue Musik irritiert das habituellen Rezeptionsverhalten.

Irritation kann ja auch einschüchternd wirken.

Manchmal helfe ich vorher mit einer Moderation. Dann entspannen sich die Leute und die Kunst setzt etwas in Gang. Sie sagen vielleicht: „Das ist komisch, das ist eigentlich nicht meine Musik, aber wenn ich aus der Veranstaltung komme, hat mir das etwas gegeben.“ Ich denke, das Publikum spürt auch meine Begeisterung und Überzeugung. Natürlich erreichen wir nicht alle. Aber sind wir mal ehrlich: Mit einer Strauß-Sinfonie erreicht man auch nicht alle. Neue Musik ist kein Mainstream. Ich weiß, dass ich Zugangswege ermöglichen muss. Immer wieder neue Settings, neue Hör- und Erlebnissituationen.

Sie gehen mit der Neuen Musik ins Museum, in die Kirche, treten unter der Brücke genauso auf wie im Schwimmbad und arbeiten zum Beispiel gemeinsam mit Architektur-Studierenden von Prof. Uli Exner. Warum diese Formate?

Ich möchte, dass die Studierenden kreativ tätig werden. Komponieren, interpretieren und improvisieren. Ich habe festgestellt, dass die interdisziplinären Formate dazu ein Schlüssel sind. Musikbasierte Aufgaben lösen Studierende mit ihrem Erfahrungsschatz. Wenn sie aber in einem ganz neuen Kontext agieren müssen, wird es viel interessanter. Vor der Eröffnung des Museums für Gegenwartskunst in Siegen haben wir zum Beispiel mit Studierenden eine Museumsführung entwickelt. Es ist ein fantastisches Gebäude, und die Aufgabe war, es zum Klingen zu bringen. Da kann man nicht einfach eine Bach-Fuge spielen. Die Studierenden waren großartig und hatten tolle Ideen. Sie haben zum Beispiel mit der Stille in den Räumen und mit Echos gearbeitet. Da ging es dann um Hörbarkeit und Unhörbarkeit. Neue Musik mit großem und kleinem „N“ sozusagen. ….“
Quelle: Universität Siegen, Neuigkeiten, 3.2.2025

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